15.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113077
Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 26.05.2011 – 7 V 2951/10
1.Verfügungsberechtigt i.S.d. § 35 AO ist derjenige, der die Fähigkeit hat aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln. Einschränkungen im Innenverhältnis sind unbeachtlich.
2.Ein Angestellter in einem Milcherzeugungsbetrieb, der für die Milchgeldabrechnungen, für die Quotenbewirtschaftung der Referenzmengen sowie für die Abrechnungen mit den Milcherzeugern verantwortlich ist und der die Anmeldungen für die Milchgarantiemengenabgabe erstellt, ist insoweit als Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO anzusehen.
3.Soweit der Verfügungsberechtigte durch Verwendung von Codenummern anderer Milcherzeuger das Milchkontingent auf mehrere Erzeugerbetriebe verteilt und dadurch die Milchgarantiemengenabgabe hinterzieht, haftet der Vertretene für die zurückgeforderten Milchgelder, wenn aufgrund eines Organisationsmangels eine sachgerechte Beaufsichtigung des Handelnden fehlt.
4.Der Ablaufhemmung der 10-jährigen Verjährungsfrist bei Steuerhinterziehung aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung gem. § 171 Abs. 5 AO bis zum Erlass der daraufhin ergangenen Steuerbescheide gilt aufgrund der Verweisung in § 191 Abs. 3 S. 1 AO auch für Haftungsbescheide.
Hessisches Finanzgericht v. 26.05.2011
7 V 2951/10
Tatbestand
Die Antragstellerin ist die Rechtsnachfolgerin der A in X. Seit der Wiedervereinigung lieferten sowohl hessische Milcherzeuger wie auch Milcherzeuger aus Thüringen bei der A Milch ab. Im Juli 1999 begannen durch das Zollfahndungsamt Y geführte umfängliche steuerstrafrechtliche Ermittlungen, aufgrund derer Abgabenbescheide über die Festsetzung von Milchgarantiemengenabgabe an zahlreiche Milcherzeuger erfolgten.
Bei der A waren in dem für den vorliegenden Fall maßgeblichen Zeitraum (1997/1998) die Herren B und C angestellt. Die Genannten wurden durch Urteil des Landgerichts ...vom 19. Mai 2009 wegen gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie wegen versuchter gemeinschaftlicher Steuerhinterziehung jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Daneben wurden jeweils Gesamtgeldstrafen von 360 Tagessätzen mit unterschiedlicher Tagessatzhöhe ausgeurteilt. Dieses Urteil ist seit dem 1. Juli 2010 rechtskräftig.
Das Urteil liegt den Verfahrensbeteiligten vor. Hinsichtlich der Einzelheiten wird darauf Bezug genommen.
Zu den Milcherzeugern, gegen die sich die steuerstrafrechtlichen Ermittlungshandlungen richteten, gehörte auch Herr D, der damals über eine Anlieferungsreferenzmenge verfügte. Herr D wurde vom Amtsgericht ...durch Urteil vom 20.09.2005 freigesprochen, da sein als Zeuge gehörter Vater, Herr E, erklärt hatte, den Milcherzeugungsbetrieb verantwortlich geführt zu haben. Der gegen Herrn E gerichtete Bescheid über die Festsetzung von Milchgarantiemengenabgabe vom 20. August 2008 wurde aufgehoben, weil über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet war. Der Abgabenbetrag von 351.843,80 EUR beruht darauf, dass Herr E im Zwölfmonatszeitraum 1997/1998 auf die Erzeugernummer der in Thüringen ansässigen F-GmbH 633.220 kg Milch und auf die der Milcherzeugerin G-GmbH Thüringen 341.078 kg Milch geliefert hatte.
Mit Haftungsbescheid vom 13. Oktober 2010 nahm der Antragsgegner die Antragstellerin wegen auf die Erzeugernummer der F-GmbH erfolgten Lieferung von 633.220 kg Milch als Haftungsschuldner in Anspruch. Dabei wurden von dem errechneten Abgabenbetrag von 228.671,85 EUR die bis zum 13. Oktober 2010 geleisteten Zahlungen von 77.242,90 EUR abgezogen. Der Haftungsbescheid lautet daher über eine Haftungssumme von 151.428,95 EUR
Über den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch ist bisher noch nicht entschieden. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat die Verwaltungsbehörde abgelehnt.
Mit dem am 16. November 2010 per Telefax übermittelten Antragsschriftsatz begehrt die Antragstellerin die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes. Sie hält die haftungsrechtliche Inanspruchnahme insbesondere deswegen für rechtswidrig, weil die Herren B und C nicht Verfügungsberechtigte i.S.d. § 35 Abgabenordnung –AO– gewesen seien, so dass eine Haftung als Vertretene gemäß § 70 AO nicht in Betracht kommen könne. Eine Aussetzung der Vollziehung sei darüber hinaus schon deswegen zu gewähren, weil der Antragsgegner in rechtswidriger Weise die Akteineinsicht verweigere, so dass eine sachgerechte Verteidigung nicht erfolgen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze Bezug genommen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Haftungsbescheides des Antragsgegners vom 13. Oktober 2010 auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner macht dazu im Wesentlichen geltend, die haftungsrechtliche Inanspruchnahme der Antragstellerin sei nicht nach § 70 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen, weil die zumutbare Sorgfalt bei der Auswahl und Beaufsichtigung der Vertreter gerade nicht beachtet worden sei. Dem Aufsichtsrat der damaligen A hätten Landwirte, die Milcherzeuger waren, angehört. Herr B sei als Arbeitnehmervertreter ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat gewesen. Die Herren B und C seien auch als Verfügungsberechtigte gemäß § 35 AO tätig gewesen, wie dies im Haftungsbescheid dargelegt worden sei.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Es haben dem Senat bei seiner Entscheidung die Verwaltungsakten, eine Kopie des Urteils des Landgerichts vom 19. Mai 2009 sowie ein von der Verwaltungsbehörde gefertigter Auszug aus dem Beweismittelordner und der Ermittlungsakte vorgelegen.
Gründe
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 Finanzgerichtsordnung –FGO– soll eine Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Diese liegen vor, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. die zahlreichen Fundstellen bei Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, Tz. 89 zu § 69 FGO).
Unter Berücksichtigung des Akteninhaltes hat der Senat mit der für das einstweilige Rechtsschutzverfahren erforderlichen Gewissheit keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides.
Die Verwaltungsbehörde ist bei der haftungsrechtlichen Inanspruchnahme der Antragstellerin von der zutreffenden Norm des § 70 AO ausgegangen und hat der rechtlichen Bewertung einen zutreffend ermittelten Sachverhalt zugrunde gelegt. Die Entscheidung ist in sachgerechter Ausübung des Ermessens ergangen.
Der Senat kommt aufgrund der nachfolgend dargestellten Erwägungen zu diesem Ergebnis:
Für die Inanspruchnahme der Antragstellerin als Haftende ist § 70 AO die zutreffende Rechtsgrundlage. Zwar hatte die Antragstellerin selbst zu den dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden abgabenrechtlichen Vorgängen keinen Bezug, sie ist jedoch in Folge der auf sie als aufnehmendem Rechtsträger erfolgten Verschmelzung der damaligen A Aktiengesellschaft in X Rechtsnachfolgerin der A geworden.
In dem für den Streitfall maßgeblichen Milchwirtschaftsjahr 1997/1998 (ein Milchwirtschaftsjahr dauert stets vom 1. April eines Jahres bis zum 31. März des Folgejahres) sind die damals bei der A beschäftigten Herren B und C – Herr B ist nach wie vor im Bereich der Antragstellerin tätig – als Verfügungsberechtigte gemäß § 35 AO aufgetreten.
Verfügungsberechtigter i.S.d. § 35 AO ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt. Eine rechtliche Verfügungsmacht besteht auch dann, wenn der Verfügungsberechtigte die Pflichten des gesetzlichen Vertreters mittelbar erfüllen lassen kann (vgl. Bundesfinanzhof, Urteil vom 05.08.2010 V R 13/09). Der Verfügungsberechtigte muss die Fähigkeit haben, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln. Einschränkungen, denen der Verfügungsberechtigte im Innenverhältnis unterliegt, sind dabei unbeachtlich (so Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.12.2010 VII B 102/10). Soweit eine interne Aufgabenverteilung eine haftungsbegrenzende Wirkung entfalten könnte, ist dies davon abhängig, dass vor Aufnahme der Tätigkeit klar und eindeutig, das heißt in schriftlicher Form, festgelegt worden sein muss, welche Aufgaben zugewiesen sind (vgl. hierzu Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.05.2009 VII B 231/08).
Das damalige Hauptzollamt für Prüfungen Y führte bei der A jeweils jährlich von 1996 bis 1998 Marktordnungsprüfungen durch. Kopien bzw. auszugsweise Kopien befinden sich in dem durch den Antragsgegner zusammengestellten Aktenhefter Blatt 1 bis 64. Mit Ausnahme des unter dem 5. Juli 2001 erstellten Prüfungsberichtes werden in allen übrigen Fällen Herr B als eine der auskunftserteilenden Personen benannt und sein Arbeitsgebiet mit „Sachbearbeiter Quotenbewirtschaftung und Milchgeldabrechnung” angegeben. Nach den von Beamten des Zollfahndungsamtes Y in dem Ermittlungsverfahren gefertigten Vermerken vom 28. Juli 1999 und 15. Dezember 1999 wird der Tätigkeitsbereich von Herrn B beschrieben mit „verantwortlich für die Abrechnungen mit den jeweiligen Erzeugern und die Erstellung der Milchgeldabrechnungen”. Herr B hat danach gegenüber der Ermittlungsbeamtin angegeben, dass er von den Tankwagenfahrern die Kassetten mit den Speicherungen der abgesaugten Milchmengen je Erzeuger erhalten hätte. Diese Angaben habe er in seine EDV übernommen zur Erstellung der Milchgeldabrechnungen und der monatlichen Zahlungsauflistungen sowie zur Verbuchung. Die Zahlungsauflistungen seien unterteilt nach den jeweiligen Kreditinstituten und seien Grundlage für die Bank zur Auszahlung der einzelnen Beträge. Mit diesem System sei ein Ausfertigen eines gesonderten Überweisungsträgers entbehrlich. Die Milchgeldabrechnungen seien am Monatsende per Endlosformular für alle Erzeuger ausgedruckt worden. Am 14.12.1999 händigte Herr B der Ermittlungsbeamtin zwei ausrangierte Codegeber (sogenannte Klötzchen) sowie Ablichtungen von Tourenplänen und die Anschriften der Fahrer der Milchtankwagen aus.
Der Antragsgegner hat weiterhin Kopien vorgelegt von Anmeldungen für die Milchgarantiemengenabgabe gemäß § 11 Abs. 4 MGV durch die A, und zwar für die Zwölfmonatszeiträume 95/96-98/99. Für die genannten Zeiträume wurden jeweils getrennte Anmeldungen für die zunächst als Beitrittsgebiet, anschließend als neue Bundesländer sowie übriges Bundesgebiet und später alte Bundesländer bezeichneten Bereiche abgegeben. Diese Anmeldungen sind jeweils an das Hauptzollamt Z gerichtet. Unterschrieben sind sie – von
einer Ausnahme abgesehen – in einem Firmenstempel der A mit Buchstaben, die seitens der Verwaltungsbehörde als Herrn B zugehörig bezeichnet werden. Für den Zwölfmonatszeitraum 1997/98 wurde eine berichtigte Anmeldung abgegeben, die von Herrn H mit dem Zusatz „ppa” unterschrieben ist. Hier ist auch der Name maschinenschriftlich hinzugefügt.
Das Landgericht verurteilte Herrn B mit dem seit dem 1. Juli 2010 nach zurückgenommener Revision rechtskräftig gewordenen Strafurteil vom 19.05.2009 (7600 Js 24902/04 3 KLs) wegen gemeinschaftlich mit Herrn C begangener Steuerhinterziehung in vier Fällen sowie gemeinschaftlicher versuchter Steuerhinterziehung zu einer in der Vollstreckung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 60,- EUR. Soweit das Urteil Angaben zu den persönlichen Verhältnissen von Herrn B enthält, beruhen diese auf seinen von der Strafkammer für glaubhaft gehaltenen eigenen Angaben. Danach sei er ab 1987/88 für Milchgeldabrechnungen zuständig, und für die Quotenbewirtschaftung im Hinblick auf die Referenzmengen sowie die Abrechnungen mit den Milcherzeugern verantwortlich gewesen. Außerdem habe er den Erzeugern bei Fragen zu der Referenzmenge sowie der Milchgarantiemengenabgabe als Ansprechpartner zur Verfügung gestanden. Herr B sei zudem im Aufsichtsrat der A als Arbeitnehmervertreter tätig gewesen.
Die vorstehend geschilderten Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten werden von der Antragstellerin bestritten.
Ein schriftlicher Arbeitsvertrag, anhand dessen die Aufgabenstellung, Befugnisse und Verantwortlichkeiten von Herrn B hätten nachvollzogen werden können, konnte die Antragstellerin auf Anforderung des Gerichtes nicht vorlegen. Sie beruft sich vielmehr auf ein von ihr vorgelegtes Organigramm sowie eine eidesstattliche Versicherung des damaligen Werksleiters am Standort X der A tätig gewesene und jetzt im Werk I der Antragstellerin beschäftigten Herrn H.
Die vorgelegten Unterlagen sind nicht geeignet, den Einwendungen der Antragstellerin zum Erfolg zu verhelfen. In dem Organigramm wird durch entsprechende Pfeile dargestellt, wer Herrn H als Werksleitung unterstellt war. Der Name B findet sich dabei nicht. Vielmehr wird in dem Organigramm in einem ohne jede Verbindung zu einem anderen Teilbereich stehenden Kästchen die „Landwirteabteilungbetreuung genannt”. Als Mitarbeiter sind hier die Herren B und C sowie eine Frau J genannt. Die Bezeichnung dieses Tätigkeitsbereichs als „Landwirteabteilung” schließt nach dem Wortlaut nicht aus, dass Herr B die Tätigkeiten, wie sie aus den vorangehenden Fundstellen zusammengetragen worden sind, ausgeübt hat. Aus dem Organigramm ist nichts dazu zu erkennen, wer Herrn B gegenüber weisungsbefugt war und wem gegenüber wiederum Herr B verantwortlich war. Die eidesstattliche Versicherung von Herrn H, der selbst zu keinem Zeitpunkt in die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen involviert war, enthalten dazu lediglich die Aussage, dass er „nur disziplinarischer Vorgesetzter” der Herren C und B gewesen sei. Daraus ergibt sich, dass er jedenfalls für die fachlichen Aufgaben und Tätigkeiten nicht gegenüber den Genannten weisungsbefugt war und diese ihm gegenüber auch nicht etwa zu Rücksprachen, Berichterstattungen oder ähnlichem verpflichtet waren.
Die weitergehenden Ausführungen in dieser eidesstattlichen Versicherung im Hinblick darauf, dass weder Herr H noch andere Mitarbeiter die Möglichkeit gehabt hätten, das „streitgegenständliche strafwürdige Verhalten der Herren C und B zu entdecken und/oder diesem Einhalt zu gebieten” stellt eine Bewertung des Erklärenden dar, die für die Beurteilung der Tätigkeit der Genannten nichts hergibt.
Soweit die Antragstellerin daher insbesondere in ihrem letzten Schriftsatz vom 6. Mai 2011 bestreitet, dass Herr B für die Quotenbewirtschaftung, die Abrechnung mit den Milcherzeugern und das Erstellen der Milchgeldabrechnungen verantwortlich gewesen sei, und keine Befugnis gehabt hätte, Abrechnungen „umzugestalten” und/oder quotenabweichend zuzuweisen, erfasst dies teilweise die abgelaufenen Vorgänge nicht. Wie sich aus den eingehenden Darstellungen in dem zitierten Strafurteil entnehmen lässt, erfolgten gerade die Erfassungen der Milchlieferungen sowie die Abrechnungen und Zuordnungen zu den den einzelnen Milcherzeugern zugewiesenen Anlieferungsreferenzmengen insbesondere in den Milchwirtschaftsjahren ab 1996/97 in systemkomformer Art und Weise. Denn infolge der Manipulation mit den Codelesegeräten erfolgte hier gerade die Zuordnung der von einem Erzeuger in den alten Bundesländern erzeugten Milch zu der Erzeugernummer eines Betriebes aus den neuen Bundesländern. Es wurde mithin weder etwas an den dem jeweiligen Milcherzeuger zugeteilten Anlieferungsreferenzmengen geändert noch wurden die Milchgeldabrechnungen selbst, die letztlich lediglich anhand der per EDV gesammelten monatlichen Daten generiert wurden, geändert.
Die zur Glaubhaftmachung angebotenen Mittel sind entweder nicht tauglich (vgl. die Ausführungen zum Organigramm und der eidesstattlichen Versicherung) oder nicht vorhanden. Soweit auf die Beiziehung von Aktenvorgängen verwiesen wird, ist nicht erkennbar, welche Akten genau die Antragstellerin meinen könnte. Denn soweit dies dazu dienen soll zu belegen, dass es keinen schriftlichen Arbeitsvertrag mit Herrn B aus dem genannten Zeitraum gibt, könnten dies nach dem Verständnis des Senates nur Unterlagen aus dem Bereich der Antragstellerin sein. Diese vorzulegen wäre ihre eigene Aufgabe. Soweit auf eine eidesstattliche Versicherung von Herrn K, die nachgereicht werden soll, verwiesen wird, lässt sich festhalten, dass Herr K im Bereich dieses Verfahrens erstmals von der Antragstellerin mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 21.03.2011 genannt wird. Er sei für die Auszahlung des Milchgeldes und die Abrechnung innerhalb des Unternehmens als Mitarbeiter in der Finanzbuchhaltung zuständig gewesen. Soweit die Antragstellerin dieses Vorbringen für entscheidungserrheblich gehalten hätte, hätte sie bereits damals die Möglichkeit gehabt, ihren Vortrag durch Vorlage einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung glaubhaft zu machen. Dies hat sie nicht getan, sondern vielmehr im Schriftsatz vom 6. Mai 2011 geltend gemacht, Herr K befände sich in Urlaub. Die Erklärung solle nachgereicht werden und es werde erwartet, dass das Gericht darauf warte. Dazu nennt die Antragstellerin weder den Zeitpunkt, zu dem dieser Urlaub enden soll, noch ist bis zum Tag der vorliegenden Entscheidung eine Erklärung eingegangen. Mit dem 23.05.2011 eingegangenem Fax-Schreiben wird vielmehr mitgeteilt, es werde „eruiert, wann Herr K erreichbar ist”. Nicht einmal dies ist also bisher erfolgt. Die Entscheidung im Eilverfahren ist aber nur auf die präsenten Beweismittel zu stützen. Die Antragstellerin kann sich insoweit auch nicht darauf berufen, dass sie auf weitere Hinweise seitens des Gerichtes gewartet hätte, denn bereits mit richterlicher Verfügung vom 28. März 2011 war die Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass im Hinblick auf die Zeitdauer für dieses vorläufige Rechtsschutzverfahren, das bereits seit dem 16. November 2010 anhängig ist, von weiteren Fristverlängerungsanträgen abgesehen werden möge. Die mit dieser Verfügung eingeräumte Frist endete am 6. Mai 2011.
Herr B hat mithin im Namen der A nach außen wirksam, nämlich gegenüber den Milcherzeugern und auch gegenüber der Verwaltungsbehörde gehandelt. Der Senat ist dabei davon überzeugt, dass die Unterschriften auf den genannten Anmeldungen für die Milchgarantiemengenabgabe von Herrn B herrühren. Die Antragstellerin bestreitet dies lediglich mit Nichtwissen, was der Senat deswegen für untauglich hält, weil sie mit Leichtigkeit durch Nachfrage bei dem nach wie vor bei ihr beschäftigten Herrn B hätte klären können, ob diese Unterschriften eventuell nicht von ihm herrühren.
Die Abgabe von zutreffenden Anmeldungen für die Milchgarantiemengenabgabe stellte auch eine steuerliche Pflicht der A dar. Weder die Milchgeldabrechnungen noch letztlich diese gegenüber der Verwaltungsbehörde abzugebenden Anmeldungen beruhen – wie es aber seitens der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin dargestellt wird – auf von den Milcherzeugern gemeldeten Milchmengen. Die Erzeuger haben gerade keine Mengen gemeldet, sondern vielmehr Mengen geliefert. Die Erfassung dieser Mengen erfolgte – auch insoweit verweist der Senat auf die eingehende Darstellung im Urteil der Strafkammer – mittels der von der A eingerichteten Datenverarbeitung, zu der die von den Milchwagenfahrern benutzten Lesegeräte gehörten, mittels derer anhand des jedem Milcherzeuger zur Verfügung gestellten Codierungsblockes die Milcherzeugernummer eingelesen und die jeweils abgesaugte Milchmenge dieser Erzeugernummer zugeordnet werden konnte. Nur durch die Verwendung eines für einen anderen Milcherzeuger ausgestellten Codeblocks wurde in diesen Fällen erreicht, dass die von einem Milcherzeuger erzeugte Milch auf zwei Erzeugernummern aufgeteilt werden konnte.
Die A erfüllte mithin nicht irgendwelche Botendienste, sondern erfüllte mit der Abgabe der Anmeldung für die Milchgarantiemengenabgabe die ihr obliegenden steuerlichen Pflichten.
Herr B hat folglich sowohl gegenüber den Milcherzeugern wie auch gegenüber der Verwaltungsbehörde namens der A als Verfügungsberechtigter gehandelt.
Vergleichbares gilt für die Bewertung der Tätigkeit von Herrn C. Die Stellung von Herrn C war im Verhältnis zu der von Herrn B weniger deutlich ausgeprägt. Er war als Erzeugerberater tätig und Ansprechpartner der Landwirte für alle im Zusammenhang mit der Milcherzeugung stehenden Probleme. Zudem war er für die Einteilung der Touren und die Erstellung der Tourenpläne für die Tankwagenfahrer, die die Milch bei den Erzeugern abholten, verantwortlich. Er kümmerte sich nicht nur darum, dass die hessischen Milcherzeuger Codeblöcke mit Erzeugernummern von thüringischen Erzeugern erhielten, sondern überbrachte diese teilweise auch selbst und organisierte, dass die Codeblöcke sich bei den Tankwagenfahrern befanden. Ohne diese Tätigkeiten wären die verdeckten Milchlieferungen nicht möglich gewesen. Sein Handeln trug damit mittelbar dazu bei, dass die steuerlichen Pflichten der A, nämlich eine zutreffende Anmeldung für die Milchmengengarantiemengenabgabe abzugeben, nicht erfüllt wurden.
Die Tätigkeitsbereiche von Herrn C sind dem Urteil der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts…vom 19. Mai 2009 – rechtskräftig nach Revisionsrücknahme seit dem 1. Juli 2010 – entnommen. In diesem Verfahren war Herr C gemeinsam mit dem bereits genannten Herrn B zu einer ebenfalls zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 50,- EUR verurteilt worden. Gegen die Herrn C betreffenden Beschreibungen hat die Antragstellerin keine dezidierten Einwendungen erhoben.
Die Herren B und C haben auch bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung begangen. Das Urteil des Landgerichts wurde bereits mehrfach genannt.
Die Antragstellerin kann sich nicht auf die in § 70 Abs. 2 AO genannten Entlastungsmöglichkeiten berufen.
§ 70 Abs. 2 Satz 1 AO ist für die Antragstellerin nicht einschlägig. Denn für die Frage, ob ein Vermögensvorteil erlangt worden ist, kommt es darauf an, ob die Steuerhinterziehung durch den gesetzlichen Vertreter einer natürlichen Person begangen worden ist. Vorliegend hat weder ein gesetzlicher Vertreter gehandelt, sondern vielmehr ein Verfügungsberechtigter gemäß § 35 Abgabenordnung, noch wurde eine natürliche Person vertreten. Denn bei der A AG handelte es sich um eine juristische Person.
Die Haftung der Antragstellerin wird auch nicht durch § 70 Abs. 2 Satz 2 AO ausgeschlossen. Denn es lässt sich gerade nicht feststellen, dass die Vertretene die Herren B und C sorgfältig oder auch überhaupt nur beaufsichtigt hätte. Schon aus dem Organigramm ergibt sich, dass bei der A eine Überwachung durch einen Fachvorgesetzten bezüglich der Landwirteabteilung nicht vorgesehen war. Wenn dies organisatorisch schon nicht eingerichtet ist, so ist es nicht verwunderlich, dass auch tatsächlich keine Beaufsichtigung – geschweige denn eine sorgfältige – stattgefunden hat. Denn es ist aus dem Organigramm nicht erkennbar, wer eine derartige Aufsicht überhaupt hätte leisten sollen. Dazu passt auch die eidesstattliche Versicherung von Herrn H, wenn dieser meint, es hätte keine Möglichkeit bestanden, das strafwürdige Verhalten der Herren B und C zu entdecken und oder diesem Einhalt zu gebieten. Daraus ergibt sich, dass bei der A ein deutlicher Organisationsmangel vorlag, der eine Anwendbarkeit von § 70 Abs. 2 Satz 2 AO und damit eine Entlastungsmöglichkeit ausschließt.
Mit dem Haftungsbescheid wird die Antragstellerin für eine Abgabenforderung in Anspruch genommen, die durch die verdeckte Lieferung von Milch durch Herrn E auf die der F-GmbH zugeordnete Milcherzeugernummer im Milchwirtschaftsjahr 1997/1998 entstanden ist. Dabei wurden bereits bis zum 13. Oktober 2010 erbrachte Zahlungen abgezogen, so dass der Haftungsbescheid selbst nur den Differenzbetrag von 151.428,95 EUR als Haftungssumme benennt. Diese verdeckten Milchlieferungen des als Milcherzeuger aufgetretenen E unter der Erzeugernummer der F-GmbH sind nicht nur Gegenstand des gegen die Herren B und C gerichteten Strafurteils, sondern waren auch Anlass zu dem gegen den Sohn des E, D, sowie den Landwirt L gerichteten Strafverfahrens, das beim Amtsgericht unter der Geschäftsnummer 233 LS-7610 Js 18292/04 geführt wurde. Der in jenem Verfahren mit angeklagte und verurteilte L war in den Milchwirtschaftsjahren 1996/97 bis 1997/98 Geschäftsführer der in den neuen Bundesländern ansässigen M-GmbH. Die über diesen Ostbetrieb verschleiert gelieferten Milchmengen aus dem Familienbetrieb D sind nicht Gegenstand des für die Haftungsinanspruchnahme maßgeblichen Abgabenbescheides gegen Herrn E. Erstmals in jenem gegen den Sohn des E gerichteten Strafverfahren wurde indes deutlich, dass zwar der Sohn Inhaber der Anlieferungsreferenzmenge war, der Milchwirtschaftsbetrieb aber uneingeschränkt und eigenverantwortlich von Herrn E betrieben wurde. D wurde deswegen mit dem am 28. September 2005 rechtskräftig gewordenen Urteil freigesprochen. Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen aus diesem Strafurteil, gegen die keine Einwendungen erhoben worden sind, zu Eigen. Die verdeckt unter der Erzeugernummer der F-GmbH gelieferten und abgerechneten Milchmengen brachten die Milchgarantiemengenabgabe in der Person des E zum Entstehen. Da weder entsprechende Meldungen ergingen noch die Abgaben entrichtet wurden, liegt eine vollendete Steuerhinterziehung vor. Dass diese infolge Eintritts der Strafverfolgungsverjährung gegenüber Herrn E nicht geahndet werden kann, hindert den Senat nicht an der vorstehenden Feststellung.
Der streitgegenständliche Haftungsbescheid ist auch innerhalb offener Festsetzungsverjährungsfrist ergangen.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 3 AO beginnt die Festsetzungsfrist für Haftungsbescheide mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Die Milchgarantiemengenabgabe, die infolge der verdeckten Lieferungen des Herrn E im Milchwirtschaftsjahr 1997/98 entstanden sind, wurden durch die von den Herren B und C zu verantwortenden Manipulationen hinterzogen. Damit wurde der Tatbestand, an den das Gesetz die Haftung der Antragstellerin als Vertretene knüpft, in 1998 verwirklicht. Die Festsetzungsverjährungsfrist begann damit mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1998.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 1 sind die Vorschriften über die Festsetzungsfrist auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden.
Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO tritt eine sogenannte Anlaufhemmung dieser Festsetzungsfrist ein, wenn eine Steueranmeldung einzureichen ist. Diese Regelung hält der Bundesfinanzhof auch auf den Haftungsbescheid für anwendbar, und zwar dann, wenn der Haftungsschuldner von Gesetzes wegen zur Abgabe einer Steueranmeldung verpflichtet ist und dieser Verpflichtung nicht nachkommt (vgl. Urteil vom 09.08.2000 I R 95/99). Die Antragstellerin war zur Abgabe der Anmeldungen für die Milchgarantiemengenabgabe verpflichtet. Formal ist sie zwar diesen Erklärungspflichten auch nachgekommen, die Anmeldungen entsprachen den tatsächlichen Abläufen indes nur sehr unvollkommen. Denn durch die nach außen hin den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Zuordnung der von Westerzeugern auf Osterzeugernummern gelieferten Milch wurden gerade für die außerhalb der den Milcherzeugern zugeteilten Anlieferungsreferenzmengen abgelieferten Milchmengen keine Erklärungen abgegeben. Spiegelbildlich wiederum wurde der Eindruck erweckt, als könnten die Osterzeuger die ihnen zugeteilten Milchquoten im Wesentlichen erfüllen, was aber tatsächlich nicht der Fall war. Die Erklärung könnte mithin als derart lückenhaft bewertet werden, dass sie praktisch auf die Nichteinreichung einer Erklärung hinauslaufen würde (vgl. hierzu Erwägungen des Bundesfinanzhofs im Beschluss vom 22.01.1997 II B 40/96).
Der Senat braucht die vorstehende Frage allerdings nicht abschließend zu entscheiden, weil jedenfalls die Festsetzungsfrist in ihrem Ablauf gehemmt ist.
Gemäß § 191 Abs. 3 Satz 2 AO beträgt die Festsetzungsverjährungsfrist in den Fällen des § 70 AO bei Steuerhinterziehung 10 Jahre.
Der Ablauf dieser 10-jährigen Verjährungsfrist ist gemäß § 171 Abs. 5 AO durch die Fahndungsprüfung gehemmt, wobei diese Hemmung erst dann endet, wenn aufgrund der Prüfung Bescheide ergangen und diese unanfechtbar geworden sind (vgl. hierzu Urteile des Bundesfinanzhofs, und zwar vom 24.04.2002 I R 25/01 sowie vom 07.02.2008 VI R 83/04). In den beiden zitierten Entscheidungen ging es nach den Fallgestaltungen jeweils um Steuerbescheide. Der Senat hat indes im Hinblick auf die gesetzlich vorgegebene Verweisung in § 191 Abs. 3 Satz 1 AO keinen Zweifel daran, dass dies für Haftungsbescheide entsprechend gilt. Denn in dem Urteil von 2008 weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass die Finanzbehörde im Ergebnis befugt ist, sämtliche durch eine Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, wenn und soweit die Prüfung vor Ablauf der Festsetzungsfrist begonnen hat. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt, denn die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen begannen mit der am 27. Juli 1999 durchgeführten Durchsuchung bei der A. Gerade bei durch Steuerhinterziehungshandlungen verwirklichten Tatbestände gehört die haftungsrechtliche Inanspruchnahme zur Umsetzung der durch die Fahndungsprüfung gewonnenen Erkenntnisse.
Die im Rahmen des § 102 Finanzgerichtsordnung – FGO – durch den Senat durchzuführende Prüfung des Verwaltungshandelns im Hinblick auf mögliche Ermessensfehler führt zu keiner Beanstandung des streitgegenständlichen Haftungsbescheides.
Die Auffassung der Antragstellerin, das Verwaltungshandeln sei deswegen ermessenswidrig, weil die Verwaltungsbehörde in rechtsstaatswidriger Weise das Akteneinsichtsrecht der Antragstellerin beschränken würde, teilt der Senat nicht. Das Akteneinsichtsrecht der Antragstellerin im laufenden Finanzgerichtsverfahren beschränkt sich auf die Akten, die dem Gericht vorliegen. Der Bundesfinanzhof hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2011 (VIII B 56/10 in BFH/NV 2011, 630) festgestellt, dass ein Kläger im laufenden Finanzgerichtsverfahren keinen Anspruch auf Einsicht in Gerichts- oder Verwaltungsakten, die dem Finanzgericht nicht vorliegen, hat und dass ebenfalls kein Anspruch auf Beiziehung von Gerichts- oder Verwaltungsakten, die das Finanzgericht für seine Entscheidung nicht benötigt, besteht.
Die Akten des vorliegenden Verfahrens haben der Antragstellerin bzw. ihrer Prozessbevollmächtigten uneingeschränkt zur Akteneinsicht zur Verfügung gestanden. Soweit die Verwaltungsbehörde auf Anforderung des Gerichts Kopien übersandt hatte, wurde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mit Verfügung vom 07.04.2011 ein vollständiges Mehrstück zur Verfügung gestellt.
Die Kosten des erfolglosen Antragsverfahrens hat die Antragstellerin gemäß § 135 Abs. 1 FGO zu tragen.