13.04.2011 · IWW-Abrufnummer 111300
Finanzgericht München: Urteil vom 17.02.2011 – 7 V 3363/10
Eine rechtswidrige Beschlagnahme von Unterlagen (§ 108 Abs. 1 i. V. m. § 94 StPO ) führt nicht zu einem Verwertungsverbot der von der Steuerfahndung festgestellten Ergebnisse, wenn der Beschlagnahmebeschluss nur wegen eines Formalfehlers aufgehoben wurde und die Feststellungen der Steuerfahndung im Wesentlichen auf Ermittlungsergebnissen beruhen, die gleichzeitig oder im Nachhinein aufgrund rechtmäßig durchgeführter Aufklärungsmaßnahmen gewonnen worden sind.
FG München v. 17.02.2011
7 V 3363/10
Tatbestand
Gründe
I.
Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob die angefochtenen Steuerbescheide rechtswidrig sind, weil diese auf steuerstrafrechtlichen Ermittlungen beruhen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.
Die Antragstellerin ist eine GmbH. Alleiniger Geschäftsführer ist seit 22. November 2000 Frau A, die in den Streitjahren mit wechselnden Beteiligungsverhältnissen neben einer Fa. E-GmbH auch Gesellschafterin war. Nach Feststellung des Finanzamts war ihr Ehemann, Herr A, faktischer Geschäftsführer der Antragstellerin.
Am 19. November 2004 fand bei Herrn A eine Durchsuchung durch das Landeskriminalamt (LKA) im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz statt. Bei der Durchsuchung wurden Unterlagen aufgefunden, die Hinweise auf eine mögliche Steuerhinterziehung ergaben. Diese wurden zunächst durch das LKA beschlagnahmt und am 2. Dezember 2004 der Steuerfahndung übergeben, die noch am gleichen Tag ein Steuerstrafverfahren gegen Herrn A einleitete. Am 21. August 2007 wurde gegen Frau A ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, am 28. August 2007 wurden beim Amtsgericht M Durchsuchungsbeschlüsse gegen beide Beschuldigte beantragt, die das Amtsgericht M noch am gleichen Tag erließ. In der Folge wurden die Durchsuchungsbeschlüsse vollzogen und weitere Unterlagen beschlagnahmt und ausgewertet. Am 3. September 2008 wurden die durch das LKA im Jahr 2004 aufgefundenen und an die Steuerfahndung übergebenen Unterlagen auf Antrag der Steuerfahndung für das Steuerstrafverfahren beschlagnahmt. Am 21. April 2009 wurde der Beschlagnahmebeschluss vom 3. September 2008 durch das Landgericht M aufgehoben, da die Beschlagnahme aufgrund des langen Zeitablaufs zwischen Übergabe der Unterlagen und Beschlagnahme nicht mehr zeitnah und damit unverhältnismäßig sei. Die gegen die beiden Durchsuchungsbeschlüsse vom 28. August 2007 eingelegten Beschwerden wies das Landgericht M mit Beschluss vom 26. November 2009 zurück.
Die Ermittlungen der Steuerfahndung ergaben den Verdacht, dass Erlöse der Antragstellerin in den eingereichten Steuererklärungen nicht enthalten waren und dass das Vermögen der Gesellschaft aus Gründen gemindert worden war, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hatten. Auf den Bericht über die Fahndungsprüfung vom 22. Oktober 2010 wird Bezug genommen. Die Antragsgegnerin (das Finanzamt) wertete die Ergebnisse der Steuerfahndungsprüfung aus und erließ geänderte Bescheide. Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den das Finanzamt noch nicht entschieden hat.
Mit ihrem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) trägt die Antragstellerin vor, dass die Ergebnisse der Steuerfahndung nicht verwertet werden dürften, weil diese auf der Auswertung von im Rahmen eines anderen Strafverfahrens sichergestellten Unterlagen beruhten, für die eine Beschlagnahme erst nach mehr als 3 ½ Jahren beantragt wurde, die aus diesem Grund vom Landgericht M aufgehoben worden ist.
Die Antragstellerin beantragt nach vorheriger erfolgloser Antragstellung beim Finanzamt,
die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2001, 2002, 2004, 2005 und 2006 vom 11. Februar 2009, der Bescheide über Umsatzsteuer 2001 und 2003 vom 11. Februar 2009 sowie der Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag 2001 und 2002 vom 11. Februar 2009 für Dauer eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit, hilfsweise die Zulassung der Beschwerde zum Bundesfinanzhof.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Ablehnung des Antrags.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Akten und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Gründe
II.
Der Antrag ist unbegründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung(FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (Bundesfinanzhof – BFH – Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl 1994 II S. 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684).
2. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar beruhen die angefochtenen Steuerbescheide auf Erkenntnissen der Steuerfahndung, die diese aus der Verwertung der Unterlagen gewonnen hat, die das LKA im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen Herrn A wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Jahr 2004 beschlagnahmt und der Steuerfahndung übergeben hat, ohne dass seitens der Steuerfahndung zeitnah die Beschlagnahme der in Gewahrsam genommenen Unterlagen beantragt wurde (§ 108 Abs. 1 i.V.m. § 94 Strafprozessordnung) und die die Steuerfahndung zum Anlass für weitere Ermittlungsmaßnahmen (Durchsuchungen, Beschlagnahmen) genommen hat. Der am 3. September 2008 erlassene Beschlagnahmebeschluss wurde vom Landgericht M wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Dieser fehlerhafte Verfahrensablauf im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren führt aber nicht zwangsläufig zu einem steuerrechtlichen Verwertungsverbot. Nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung besteht im Besteuerungsverfahren kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt wurden (ständige BFH-Rspr., vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 2009 I R 106/08, BFH/NV 2010, 5 m.w.N.). Jedoch kann ein sog. qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt hat. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar; der Verstoß kann nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden. Die Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Bereichs der Betroffenen (vgl. dazu Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO,
§ 88 Rz. 308 ff.) kann im Streitfall jedoch ausgeschlossen werden. Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen konnten weder grundgesetzwidrige Aufklärungsmethoden festgestellt werden, noch hat die Antragstellerin derartige Mängel geltend gemacht, die – ausnahmsweise – die Ermittlungsergebnisse einem materiell-rechtlichen (endgültigen) Beweisverwertungsverbot unterwerfen würden. Die rechtswidrige Beschlagnahme hat nicht den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG – Beschluss vom 9. November 2010 2 BvR 2101/09, BFH/NV 2011, 182).
Handelt es sich wie im Streitfall nur um formelle Verstöße, so kann es lediglich zu einem „einfachen” Verwertungsverbot kommen, sofern die Prüfungsmaßnahmen erfolgreich angefochten oder nach Beendigung der Prüfung zumindest ihre Rechtswidrigkeit gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festgestellt worden ist. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig wäre, gibt es nicht (BVerfG in BFH/NV 1011, 182). Der Gesetzgeber, der diese Frage nicht explizit geregelt hat, wollte vielmehr die Entwicklung steuerrechtlicher Verwertungsverbote der Rechtsprechung überlassen (vgl. Bundestags-Drucksache (BTDrucks) 7/4292 Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf einer Abgabenordnung, Begründung S. 25; ferner BFH-Urteil vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BStBl II 1984, 285). Diese Frage kann daher nur anhand des jeweiligen Verfahrensverstoßes beantworten werden, wobei dem Schutzzweck der verletzten Norm besondere Bedeutung zukommt ( BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10/01, XI R 11/01 , BStBl II BStBl 2001 II S. 2002, BStBl 2001 II S. 328; BFH-Beschluss vom 17. Juli 2003 X B 19/03, BFH/NV 2003, 1594). Es ist im Einzelfall abzuwägen, ob die geschützten Werte höher einzustufen sind als das Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts (§ 88 Abgabenordnung).
Im Streitfall überwiegt das Interesse an der umfassenden Aufklärung des steuerlich relevanten Tatbestands, denn der Beschlagnahmebeschluss wurde lediglich wegen der nicht zeitnahen Anordnung, also nur wegen eines Formalfehlers und nicht wegen erheblicher, zu Unrecht erfolgter Eingriffe in die Rechte der Betroffenen aufgehoben. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die im Jahr 2004 der Steuerfahndung übergebenen Unterlagen nur der Anlass für weitere Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung gewesen sind, welche dann – ohne Verstoß gegen Verfahrensvorschriften – zu weiteren Durchsuchungsbeschlüssen und Beschlagnahme von Unterlagen geführt haben und auf deren Auswertung der Bericht der Steuerfahndung vom 22. Dezember 2008 wesentlich beruht. Ermittlungsergebnisse, die gleichzeitig oder im Nachhinein aufgrund einer rechtmäßig durchgeführten Aufklärung und in Form eines selbstständigen Erkenntnismittels gewonnen bzw. bestätigt worden sind, sind verwertbar. Eine diesbezügliche Fernwirkung von Verwertungsverboten besteht nicht (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 88 Rz. 335).
Da Einwendungen gegen die Steuerfestsetzungen in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht vorgetragen wurden, bleibt der Antrag ohne Erfolg.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO. Die Beschwerde war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 138 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.