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  • 20.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113678

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 09.08.2011 – 1 K 1369/07

    1. Die Entscheidung über den Erlass von Tabaksteuer ist wegen Ermessensdefizits rechtswidrig, wenn das FA keine Ermessensabwägungen unternimmt, weil es im Falle der Verurteilung aufgrund Zigarettenschmuggels zu einer Freiheitsstrafe eine Erlasswürdigkeit verneint.


    2. Bei der vom FA auch bei vorsätzlicher Steuerhinterziehung im Rahmen eines Erlassantrags zu unternehmenden Gesamtabwägung aller Umstände kommt der Häufigkeit der Zuwiderhandlungen und dem dadurch eingetretenen Steuerschaden ein ganz erhebliches Gewicht zu. Ein mehrjähriges, bereits in der Haftzeit begonnenes Bemühen des Steuerschuldners, die aus den Schmuggeltaten entstandenen Rückstände abzutragen, welches erst mit dem Beginn des dauernden Erhalts von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt eingestellt wird, ist jedoch in die Ermessensabwägungen einzubeziehen.


    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 1. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9. August 2011 durch die Vorsitzende Richterin am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und …
    für Recht erkannt:
    Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. März 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2007 verpflichtet, über den Erlassantrag der Klägerin betreffend die im Einfuhrabgabenbescheid vom 14. Mai 1998 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. September 2005 festgesetzte Tabaksteuer in Höhe von 45.816,87 EUR erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
    Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
    Tatbestand:
    Die Klägerin schmuggelte zwischen März und Oktober 1997 unversteuerte und unverzollte Zigaretten von … aus in das Zollgebiet der Gemeinschaft ein, indem sie ihr mit Schmuggelverstecken präpariertes Fahrzeug anlässlich regelmäßig durchgeführter Schmuggelfahrten in … mit Zigaretten befüllen ließ, die sie ohne entsprechende Zollanmeldung und Gestellung in das Bundesgebiet verbrachte, wo sie die Zigaretten an unbekannt gebliebene Dritte auslieferte. Das Landgericht … verurteilte sie wegen gewerbs- und bandenmäßigen Schmuggels in 103 Fällen mit insgesamt 618.000 Stück unversteuerten und unverzollten Zigaretten unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, die die Klägerin teilverbüßte.
    Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 14. Mai 1998 Einfuhrabgaben i.H.v. 645.719,23 DM gegen die Klägerin für insgesamt 2.618.000 Stück unversteuerte und unverzollte Zigaretten fest. Im Zuge eines dagegen gerichteten Einspruchs setzte der Beklagte die Einfuhrabgaben mit Änderungsbescheid vom 14. September 2005 auf nunmehr 77.934,81 EUR, von denen 45.816,87 EUR auf die Tabaksteuer entfiel, für 618.000 Stück unversteuerte und unverzollte Zigaretten fest.
    Die zeitweilig inhaftierte Klägerin zahlte in den Jahren 2001 bis 2004 monatliche Raten in Höhe von zuletzt 65 EUR zur Tilgung der Abgabenschuld. Die letzte Zahlung erfolgte im Dezember 2004. Seit dieser Zeit war die Klägerin mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung als Verkäuferin in einem Imbiss in den Monaten September und Oktober 2007 arbeitslos und erhielt durchgängig, teils ergänzende, Leistungen nach dem SGB II.
    Die Klägerin beantragte am 3. Januar 2006 im Hinblick auf ihre Arbeitslosigkeit und den Empfang von Leistungen nach dem SGB II den Erlass der Tabaksteuer. Der Beklagte lehnte den Erlass mit Bescheid vom 10. März 2006 ab. Persönliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor. Die Klägerin sei weder erlassbedürftig noch erlasswürdig. Im Hinblick auf ihre schwierige wirtschaftliche Lage sei die Erlassbedürftigkeit zu verneinen. Der Erlass werde nicht zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation führen. Im Übrigen sei sie nicht erlasswürdig, denn sie sei wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung verurteilt worden.
    Den am 23. März 2006 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 27. November 2007 zurück. Zur Begründung machte er geltend, die Klägerin sei jedenfalls erlassunwürdig. Sie habe in eindeutiger Weise gegen Interessen der Allgemeinheit verstoßen, indem sie eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen habe. Insofern müsse nicht weiter aufgeklärt werden, ob sie erlassbedürftig sei. Aus den von ihr bislang beigebrachten Erklärungen und Unterlagen ergebe sich jedenfalls keine Erlassbedürftigkeit.
    Die Klägerin hat am 27. Dezember 2007 Klage erhoben. Sie macht geltend, der Beklagte würdige die Umstände des Einzelfalls nur unzureichend. Die Existenzgefährdung folge daraus, dass sie nur über geringe Einkünfte verfüge. Sie sei nicht einmal in der Lage, die laufenden Zinsen der offenen Steuerforderung zu entrichten, geschweige denn Leistungen auf die Hauptforderung erbringen zu können. Im Hinblick auf ihr Alter – die Klägerin ist 19… geboren – und ihre Ausbildung zur Elektronikfacharbeiterin könne sie allenfalls damit rechnen, als ungelernte Kraft Beschäftigung zu finden. Zuletzt sei sie kurzzeitig in … als Imbissverkäuferin tätig gewesen. Ihr Einkommen habe bis zur Klageerhebung stets unter der Pfändungsschutzgrenze gelegen. Daran werde sich voraussichtlich auch zukünftig nichts ändern. Erziele sie auch nur einen Stundenlohn i.H.v. 7,50 EUR, erreiche ihr Einkommen nicht die Pfändungsschutzgrenzen. Insofern verbleibe die Steuerschuld bis an ihr Lebensende und wachse im Gegenteil noch an. Das sei mit den Grundsätzen der Menschenwürde unvereinbar. Die Ansicht des Beklagten, die Erlassbedürftigkeit scheide schon mangels Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation der Klägerin aus, bevorzuge in zynischer Weise begüterte Steuerschuldner. Hinsichtlich der Erlasswürdigkeit berücksichtige der Beklagte die besondere Situation der Klägerin nicht hinreichend. Die Steuerhinterziehung stehe einem Erlass nur grundsätzlich entgegen. Das gelte jedoch nicht schematisch. Ebenso müsse berücksichtigt werden, dass sich die Klägerin anschließend straffrei geführt habe. Auch könne die Dauer des Zurückliegens der Straftat nicht unberücksichtigt bleiben und müsse die für die Klägerin günstige Sozialprognose eingestellt werden. Der Grundsatz, dass auch frühere Straftäter die Chance haben müssten, den Weg in die Gemeinschaft zurück zu finden, beanspruche auch im steuerlichen Erlassverfahren Geltung. Mit Blick auf die Steuerhinterziehung könne es nicht allein auf die Verurteilung ankommen. Vielmehr müsse auf den persönlichen Tatbeitrag der Klägerin abgestellt werden. Nach ihren Angaben sei sie lediglich von anderen ausgenutzt worden. Das bleibe strafbar, könne aber im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nicht unberücksichtigt bleiben.
    Die Klägerin beantragt,
    den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. März 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2007 zu verpflichten, der Klägerin die im Einfuhrabgabenbescheid vom 14. Mai 1998 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. September 2005 festgesetzte Tabaksteuer in Höhe von 45.816,87 EUR zu erlassen.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Er hält daran fest, dass die Klägerin keinen Anspruch auf einen Erlass der Tabaksteuer habe. Sie sei weder erlasswürdig noch erlassbedürftig. Bei der Erlasswürdigkeit komme es auf Umfang und Schwere der Zuwiderhandlung, das nach der Zuwiderhandlung über eine längere Zeit gezeigte steuerliche Verhalten sowie den aufrichtigen Willen zur Abtragung der geschuldeten Beträge an. Entstehe die Steuerschuld durch ein steuerunredliches Verhalten und habe der Steuerpflichtige es gerade darauf angelegt, entfalle die Erlasswürdigkeit. Insofern komme ein Erlass für die wegen des Einfuhrschmuggels bestrafte Klägerin nicht in Betracht. Ihr Zahlungswille in der Vergangenheit sei ebenso wenig erheblich, wie ihre günstige strafrechtliche Sozialprognose und die straffreie Führung nach Teilverbüßung. Darüber hinaus zeigten die von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegten Belege, dass ihre finanzielle und wirtschaftliche Lage keine Erlassbedürftigkeit begründeten. Vielmehr werde die Klägerin gegen eine Vollstreckung der Steuerforderungen hinreichend durch die Pfändungsschutzvorschriften geschützt. Insofern sei eine zwangsweise Durchsetzung der Steuerforderungen ausgeschlossen und eine Verletzung der Menschenwürde nicht anzunehmen. Ein Billigkeitserlass komme nur in Betracht, wenn er sich günstig auf die wirtschaftliche Lage der Klägerin auswirken könne. Da deren Einkünfte jedoch derart gering seien, dass eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ausgeschlossen sei, sei ein Erlass nicht mit wirtschaftlichen Vorteilen für die Klägerin verbunden. Letztlich komme es darauf aber wegen der fehlenden Erlasswürdigkeit nicht an.
    Dem Senat hat bei seiner Entscheidung ein Heft Akten des Beklagten vorgelegen.
    Entscheidungsgründe:
    Die Klage hat teilweise Erfolg.
    Der Beklagte ist unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zur Neubescheidung über das Erlassbegehren der Klägerin zu verpflichten, denn die Bescheide leiden an einem zu ihrer Rechtswidrigkeit führenden Ermessensdefizit, § 102 Finanzgerichtsordnung – FGO –. Das weitergehende Begehren, den Beklagten zum Erlass der Tabaksteuer zu verpflichten, hat hingegen keinen Erfolg, denn die Klägerin hat darauf keinen Anspruch. Das Ermessen des Beklagten ist nicht in der Weise geschrumpft, dass nur ein Erlass der Tabaksteuer rechtmäßig wäre.
    1. Der Senat ist aufgrund § 102 Satz 1 FGO in den Fällen, in denen die Finanzbehörden ermächtigt sind, nach Ermessen zu handeln, auf die Prüfung beschränkt, ob die Behörde dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder vom Ermessen in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Ermessensdefizits liegt danach vor, wenn die Finanzbehörde im Rahmen ihrer Abwägungsentscheidung nicht sämtliche Umstände berücksichtigt, die dem Zweck der Ermächtigung entsprechen. Ob ein Ermessensdefizit gegeben ist, ist dabei unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu prüfen (Gräber/von Groll, FGO, 7. A., § 102 Rn. 13 m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs), wobei es nicht Sache des Gerichts ist, eine etwa unzureichende behördliche Entscheidung durch eigenes Ermessen zu ersetzen. Dies zugrundegelegt, hat der Beklagte das ihm durch § 227 Abgabenordnung – AO – eröffnete Ermessen nicht ordnungsgemäß betätigt.
    1.1 § 227 AO, der aufgrund § 21 Satz 2 Tabaksteuergesetz in der Fassung des Gesetzes vom 9. Dezember 2006 – TabStG a. F. – (nur) wegen in der Person des Steuerschuldners liegenden Billigkeitsgründen anwendbar ist, eröffnet den Finanzbehörden die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die danach vom Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung wird hinsichtlich des Inhalts und der Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl. II 1972, 603). Ausgehend davon, dass Billigkeit als Gerechtigkeit im Einzelfall zu verstehen ist, können bei der Beurteilung der Frage, ob die Anwendung steuerlicher Vorschriften im Einzelfall gerecht ist, auch die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen in den Blick genommen werden. Ein Billigkeitserlass aus persönlichen Gründen setzt Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit voraus. Erlassbedürftigkeit ist gegeben, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernsthaft gefährden würde. Gefährdet ist die wirtschaftliche Existenz, wenn ohne Billigkeitsmaßnahme der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Der Steuerpflichtige ist allerdings gehalten, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und dabei auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Dies gilt nicht in den Fällen, in denen die Verwertung der Vermögenssubstanz die Vernichtung der Existenz bedeuten würde. Erlasswürdigkeit ist dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige sich nicht selbst in eine Lage gebracht hat, aus der ihm auf Kosten des Fiskus herauszuhelfen er billigerweise nicht erwarten kann (Klein/Rüsken, AO, 10. A., § 163 Rn. 100). Das setzt ein Verhalten voraus, das nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstößt und bei dem die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht auf einem Verhalten des Steuerpflichtigen selbst beruht. Erfüllt der Steuerpflichtige eine dieser Voraussetzungen nicht, kann die Erlasswürdigkeit entfallen (FG München, Urteil vom 28. Mai 1998 13 K 1411/97, EFG 1998, 1242 m. w. N.). Das fordert eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Steuerpflichtigen, bei dem die für und wider einen Erlass sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen sind. Steuerliches Fehlverhalten insbesondere in Form der Steuerhinterziehung ist dabei ein im Rahmen der Abwägung besonders gewichtiger Aspekt, führt jedoch nicht zu einer Reduzierung des Ermessens dergestalt, dass in jedem Fall einer Bestrafung wegen Steuerhinterziehung die Erlasswürdigkeit zu verneinen wäre (BFH, Urteile vom 02. März 1961 IV 126/60 U, BStBl III 1961, 288; vom 11. März 1988 III R 236/84, BFH/NV 1989, 432; Beschluss vom 15. Oktober 1992 X B 152/92, BFH/NV 1993, 80; FG München, Urteil vom 28. Mai 1998 13 K 1411/97, EFG 1998, 1242; FG Hamburg, Urteil vom 9. August 2006 4 K 72/05, juris; Sauer in: Beermann/Gosch, AO, FGO, § 163 AO Rn. 36; Klein/Rüsken, AO, 10. A., § 163 Rn. 100). Vielmehr muss im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände auch berücksichtigt werden, welche Anstrengungen der Steuerpflichtige unternommen hat, um die Rückstände, die auf seinem steuerunehrlichen Verhalten beruhen, abzutragen, und ob diese Bemühungen als ausreichend anzusehen sind (BFH, Urteil vom 02. März 1961 IV 126/60 U, BStBl III 1961, 288; FG München, Urteil vom 28. Mai 1998 13 K 1411/97, EFG 1998, 1242). Fehlen solche nachträglichen Bemühungen der Schadenswiedergutmachung gänzlich, muss sich der Beklagte im Zuge seiner Entscheidung über den Erlassantrag regelmäßig – sofern nicht weitere atypische Umstände gegeben sind – damit nicht auseinandersetzen. Anders liegt es, wenn der Steuerpflichtige Anstrengungen zur Abtragung der Steuerschuld unternommen hat. Diesen Anforderungen wird die Ablehnung des von der Klägerin begehrten Erlasses durch den Bescheid vom 10. März 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2007 nicht gerecht. Der Beklagte hat es in der insoweit maßgeblichen Einspruchsentscheidung unterlassen, entsprechende Erwägungen anzustellen, obwohl sie sich nach Lage der Akten aufdrängen mussten. Vielmehr hat er seine Entscheidung ausschließlich auf die Verurteilung der Klägerin wegen Schmuggels gestützt. Tatsächlich hatte die Klägerin jedoch, worauf der Beklagte erstmals im Klageverfahren eingeht, seid 2001 – mithin noch aus der Strafhaft heraus – begonnen, die auf ihrem steuerunehrlichen Verhalten beruhenden Rückstände durch Zahlung von Raten zu verringern. Dies stellte die Klägerin erst nach erneuter Arbeitslosigkeit Ende 2004 mit Beginn des Empfangs von laufenden Leistungen nach dem SGB II ein, der seitdem praktisch ununterbrochen andauert. Obwohl sich diese Umstände aus der dem Senat vorgelegten Akte des Beklagten ergeben, lässt sich der insoweit maßgeblichen Einspruchsentscheidung des Beklagten nicht entnehmen, dass sie mit dem – allerdings gravierenden – Fehlverhalten der Klägerin abgewogen worden wären. Von dieser Abwägung konnte der Beklagte auch nicht im Hinblick auf das von ihm zitierte Urteil des Finanzgerichts für das Land Brandenburg vom 7. September 2005 (4 K 282/04, nicht veröffentlicht) absehen. Zwar hat das Gericht dort betont, dass im Falle des versuchten Einfuhrschmuggels keine Erlasswürdigkeit gegeben sei, doch bot der dort entschiedene Fall keinen Anlass zu weitergehenden Erwägungen. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt fehlte es an jedem Versuch der Steuerschuldnerin, die auf ihrem steuerunehrlichen Verhalten beruhenden Rückstände abzutragen (so auch das Urteil des Einzelrichters des 1. Senats vom 25. August 2010 1 K 1057/09, nicht veröffentlicht).
    1.2 Das Ermessensdefizit ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Ermessensschrumpfung unbeachtlich. Eine Ermessenschrumpfung auf Null ist gegeben, wenn angesichts der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls schon aus Rechtsgründen nur eine einzige – hier: ablehnende – Entscheidung ergehen kann, so dass sich ein etwaiges Abwägungsdefizit nicht auf das Entscheidungsergebnis auswirken würde. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Ausgehend von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteile vom 02. März 1961 IV 126/60 U, BStBl III 1961, 288; vom 11. März 1988 III R 236/84, BFH/NV 1989, 432; Beschluss vom 15. Oktober 1992 X B 152/92, BFH/NV 1993, 80), wonach ein Billigkeitserlass auch im Falle eines groben steuerlichen Fehlverhaltens nicht schlechthin ausgeschlossen ist, sondern eine umfassende Abwägung stattzufinden hat, kann nicht von vornherein angenommen werden, dass das Ergebnis dieser – hier vom Beklagten unterlassenen – Abwägung in jedem Fall für die Klägerin hätte negativ ausfallen müssen. Zwar kann nicht übersehen werden, dass dem steuerlichen Fehlverhalten der Klägerin in Anbetracht der Häufigkeit der Zuwiderhandlungen und dem dadurch eingetretenen Steuerschaden ein ganz erhebliches Gewicht im Rahmen einer Abwägung zukommt, doch steht dem das mehrjährige, bereits in der Haftzeit begonnene Bemühen der Klägerin gegenüber, die aus den Schmuggeltaten entstandenen Rückstände abzutragen, das sie mit dem Beginn des dauernden Erhalts von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt einstellte. Auch bieten die Akten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Bemühungen seien erkennbar nicht ausreichend gewesen. Dabei geht der Senat davon aus, dass es insoweit nicht auf das absolute Verhältnis der geleisteten Zahlungen zur Höhe der Steuerschuld ankommt, sondern darauf, ob die Leistungen nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen ein angemessenes Bemühen um die Schadenswiedergutmachung belegen. Wie das im Verhältnis zum steuerunehrlichen Verhalten der Klägerin im Einzelnen zu gewichten ist, ist letztlich offen und (zunächst) einer Abwägungsentscheidung des Beklagten vorbehalten.
    1.3 Leidet die Entscheidung des Beklagten an einem Ermessensdefizit, ist dies auch nicht in Anwendung von § 102 Satz 2 FGO durch die Klageerwiderung des Beklagten geheilt worden. Nach der genannten Vorschrift kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen, mithin ihre Erwägungen vertiefen oder verdeutlichen, nicht aber erstmals anstellen oder vollständig nachholen (BFH, Urteil vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579). Ungeachtet der Frage, ob der knappe Hinweis im Schriftsatz des Beklagten vom 22. Januar 2008 (Bl. 34 d. A.) darauf, der in der Vergangenheit gezeigte Zahlungswille vermöge an der fehlenden Erlasswürdigkeit nichts zu ändern, überhaupt als Ermessenserwägung angesehen werden kann – der im Schriftsatz hergestellte Zusammenhang zu der bereits erwähnten Entscheidung des Finanzgerichts für das Land Brandenburg vom 7. September 2005 (4 K 282/04) legt eher die Annahme nahe, der Beklagte gehe von einer Ermessenschrumpfung aus –, scheidet eine Heilung schon deshalb aus, weil darin eine erstmalige Betätigung des Ermessens liegen würde, die über eine zulässige Ergänzung hinausgehen würde.
    1.4 Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 10. März 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. November 2007 erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als rechtmäßig. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, ob es der Klägerin an der erforderlichen Erlassbedürftigkeit fehlte, denn der Beklagte hat seine Entscheidung darauf ausdrücklich nicht gestützt. Vielmehr hat er im Ergebnis offen gelassen, ob die Klägerin erlassbedürftig sei. Zwar führt er aus, die von der Klägerin angegebenen Umstände sprächen gegen ihre Erlassbedürftigkeit, doch bedürfe es zu einer abschließenden Beurteilung weiterer Angaben sowie der Vorlage von Unterlagen. Darauf könne aber in Ansehung der fehlenden Erlasswürdigkeit verzichtet werden. Fehlt es demnach an einer abschließenden Entscheidung des Beklagten zur Erlassbedürftigkeit der Klägerin im Vorverfahren, kann das auch nicht auf der Grundlage von § 102 Satz 2 FGO im Klageverfahren nachgeholt werden. Insofern gelten die vorstehenden Erwägungen.
    Ebenso wenig ist der Senat befugt, die insoweit fehlende Ermessensentscheidung auf der Grundlage der von der Klägerin im Klageverfahren gemachten ergänzenden Angaben zu ersetzen. Das Gericht darf den angefochtenen Bescheid in Ansehung des sich aus § 102 Satz 1 FGO ergebenden Prüfungsmaßstabs nicht mit Erwägungen rechtfertigen, auf die der Beklagte seine Entscheidung nicht gestützt hat. Es würde in die der Finanzbehörde vorbehaltene Ermessensbefugnis auch eingreifen, wenn es anstelle der Verwaltung eine bisher noch nicht angestellte Ermessensprüfung vornehmen würde (BFH, Urteile vom 5.Mai 1977 IV R 116/75, BStBl II 1977, 639; vom 11. März 1988 III R 236/84, BFH/NV 1989, 432).
    2. Das weitergehende Begehren, den Beklagten zum Erlass der Tabaksteuer zu verpflichten, bleibt hingegen erfolglos. Die Klägerin hat keinen unbedingten Erlassanspruch. Ein solcher ist in Anbetracht der sich aus § 227 AO ergebenden gesetzlichen Ermessensermächtigung nur dann gegeben, wenn das Ermessen des Beklagten dergestalt auf Null geschrumpft wäre, dass lediglich ein Erlass rechtmäßig möglich wäre. Das kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der Senat gehindert ist, abschließend über die Frage der Erlassbedürftigkeit zu entscheiden, ist aber auch sonst im Hinblick auf die Schwere der früheren steuerlichen Pflichtverletzung der Klägerin nicht anzunehmen.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung. Die Revision ist mangels Grundes nicht zuzulassen, § 115 Abs. 2 FGO.

    VorschriftenAO § 227, AO § 5, AO § 370, TabStG § 21, FGO § 102