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  • 10.11.2011 · IWW-Abrufnummer 113652

    Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 24.08.2011 – 2 K 1277/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    2 K 1277/10

    In dem Finanzrechtsstreit XXX

    wegen Einkommensteuer 2005 - 2007 (Kläger zu 1. und 2.), Gewerbesteuermessbetrag 2005 - 2007 (nur die Klägerin zu 2.)
    hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 2. Senat - aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. August 2011 durch

    XXX

    für Recht erkannt:

    I. Die Einkommensteueränderungsbescheide vom 24. März 2009 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2010 sowie in der Fassung der geänderten Festsetzungen vom 16. August 2011 werden für die Jahre 2005 und 2006 aufgehoben und wird für 2007 dahin geändert, dass der Unsicherheitszuschlag von 3.000,00 € bei den Umsatzerlösen der Klägerin unterbleibt.

    Die geänderten Gewerbesteuermessbescheide vom 24. März 2009 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2010 werden für die Jahre 2005 und 2006 aufgehoben und wird für das Jahr 2007 dahin geändert, dass der Unsicherheitszuschlag von 3.000,00 € bei den Umsatzerlösen unterbleibt.

    Die Ermittlung der festzusetzenden Einkommensteuer und des Gewerbesteuermeßbetrags für das Jahr 2007 wird gem. § 100 Abs. 2 S. 2 FGO
    dem Finanzamt übertragen.

    II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

    III. Das Urteil ist wegen der Kosten zu Gunsten der Kläger bzw. der Klägerin vorläufig vollstreckbar.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob die im Anschluss an eine die Streitjahre 2005 bis 2007 umfassende Außenprüfung vorgenommene Zuschätzung der Erlöse von jährlich 3.000,00 € rechtens ist.

    Die 1958 geborene Klägerin betreibt im Einzelunternehmen mit Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich in G einen Friseursalon; ihr 1951 geborener, mit ihr zur Einkommensteuer zusammen veranlagter Ehemann (Kläger wegen Einkommensteuer 2005 bis 2007) ist mit einem Jahresbruttoarbeitslohn (2007) von 11.816,00 € als Kraftfahrer bei einer AG in W angestellt.

    Die in der Zeit vom 21. Januar bis 17. Februar 2009 bei der Klägerin für 2005 bis 2007 durchgeführte Außenprüfung bemängelte u.a., dass die Kassenbuchführung durch das Computer-Programm "Lexware" formell nicht ordnungsgemäß sei (Tz. 1.3 des Bp-Berichts vom 18. Februar 2009).

    Die Kassenbücher seien in Form von Excel-Tabellen geführt worden; es fehlten Kassenberichte. Des Weiteren seien die von der Klägerin geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden. Die Strukturanalyse mit "Chi-Test" hätte eine Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 % ergeben. Die erklärten Umsatzerlöse seien daher um jährlich 3.000,00 € zu erhöhen. Dem folgte das Finanzamt und erließ am 24. März 2009 für die Streitjahre nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO dementsprechend geänderte Festsetzungen über Einkommensteuer und den Gewerbesteuermessbetrag. Die Gewinne aus Gewerbebetrieb wurden für die Jahre 2005 um 2.725,00 € auf 56.462,00 €, 2006 um 2.646,00 € auf 65.375,00 € und 2007 um 7.060,00 € auf 52.640,00 € erhöht.

    Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machten die Kläger bzw. machte die Klägerin geltend, dass das Kassenbuch von Lexware ordnungsgemäß geführt worden sei. Es seien keine Kassenfehlbeträge oder sonstige Unregelmäßigkeiten festgestellt worden. Dem Steuerpflichtigen stehe es frei, ob er seine Kasse per Kassenbuch oder per Kassenbericht führen wolle. Ein ausschließlich aus Gründen der Organisation geführtes Terminbuch, das mit der Besteuerung nichts zu tun habe, unterliege nicht der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Da die sachliche Richtigkeit der Buchführung nicht beanstandet worden sei, müsse sie der Besteuerung zu Grunde gelegt werden. Der vorgenommene Unsicherheitszuschlag sei nicht berechtigt; der Prüfer habe unbedingt ein Mehrergebnis erzielen wollen.

    Mit Entscheidungen vom 12. Februar 2010 wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück (Bl. 39 bzw. 45 Rb-Akte). Nach seiner Auffassung genügt das hier eingesetzte Kassenbuch "Lexware" nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Buchführung. Es ersetze nicht den notwendigen Kassenbericht. Die Klägerin habe das Zustandekommen der Summe der eingetragenen Kasseneinnahmen nicht durch Aufbewahrung von Kassenstreifen, Kassenzettel, Bons oder Kassenberichten nachgewiesen. Das Kassenbuch ersetze nicht den Kassenbericht. Die gesetzlich geforderte Unveränderbarkeit der Kassenbucheintragungen (§ 146 Abs. 4 AO) sei bei "Lexware" nicht gewährleistet. Die Klägerin habe nicht darlegen und dokumentieren können, dass das Lexware-Kassenprogramm Manipulationen und Änderungen nicht zulasse. Die finanzamtliche Zuschätzung mit ca. 2 % der Umsätze liege im unteren Bereich. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die tatsächlich erzielten Umsätze wesentlich höher gewesen seien. Das Terminbuch stelle bei einem Friseurbetrieb für das Finanzamt eine wichtige Grundlage zur Umsatzverprobung dar. Diese Überprüfungsmöglichkeit habe die Klägerin verhindert. Die Vorlage habe in ihrem Machtbereich gelegen; sie habe somit gegen § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO verstoßen. Die im Rahmen der Prüfung erstellte Strukturanalyse und der darin enthaltene "Chi-Test" hätten eine 100 %-ige Manipulationswahrscheinlichkeit ergeben.

    Mit der vorliegenden Klage wird missbräuchliche Ausübung des finanzamtlichen Prüfungsrechts und ein unzulässiges Unterlaufen des § 158 AO gerügt. Der Prüfer habe keine Beweise für eine Unsicherheit, geschweige eine Manipulation gefunden. Die von ihm durchgeführte Kalkulation habe unter den erklärten Betriebsergebnissen gelegen und sei auch nicht mehr erwähnt worden. Die Reingewinnsätze des Betriebs, nämlich von 33,38 % bis 39,81 % lägen weit unter den Ansätzen der Richtsatzsammlung von 18 %.

    Die Kläger beantragen,

    die Einkommensteueränderungsbescheide vom 24. März 2009 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2010 sowie in der Fassung der geänderten Festsetzungen vom 16. August 2011 für die Jahre 2005 und 2006 aufzuheben und für 2007 dahin zu ändern, dass der Unsicherheitszuschlag von 3.000,00 € bei den Umsatzerlösen der Klägerin unterbleibt.

    Zusätzlich beantragt die Klägerin zu 2.,

    die geänderten Gewerbesteuermessbescheide vom 24. März 2009 in der Fassung der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2010 für die Jahre 2005 und 2006 aufzuheben und für 2007 dahin zu ändern, dass der Unsicherheitszuschlag von 3.000,00 € bei den Umsatzerlösen unterbleibt.

    Hilfsweise beantragen die Kläger bzw. beantragt die Klägerin,

    die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er verbleibt bei seiner Auffassung und verweist auf seine Einspruchsentscheidungen.

    Am 16. August 2011 ergingen wegen hier nicht streitigen (Vorläufigkeits-)Punkten geänderte Einkommensteuerbescheide 2005 bis 2007.

    Entscheidungsgründe

    Der Senat versteht die Klage dahin, dass zwar beide Eheleute Klage wegen Einkommensteuer erhoben haben, aber nur die Klägerin wegen Gewerbesteuermessbetrag klagt. Denn wegen Gewerbesteuermessbetrags ist nur die Klägerin klagebefugt, da nur sie Inhaberin des Gewerbebetriebes ist und nur gegen sie die geänderten Gewerbesteuermessbescheide wie auch die entsprechende Einspruchsentscheidung ergangen sind.

    Die so verstandene Klage ist begründet.

    Die gesetzlichen Grundlagen (§ 162 Abs. 1 und 2 AO) für die erfolgten Zuschätzungen von jeweils 3.000,00 € lagen nicht vor. Die vom Prüfer gerügten formellen Mängel bei der Kassenführung vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen; sachliche Mängel wurden nicht festgestellt. Eine Verletzung der klägerischen Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 AO) liegt gleichfalls nicht vor. Vielmehr sind gem. § 158 AO die Buchführung und die Aufzeichnungen der Klägerin der Besteuerung zu Grunde zu legen.

    Im Gegensatz zur finanzamtlichen Auffassung sind Kassenberichte nicht notwendigerweise auch dann zu erstellen, wenn - wie hier - ein computerunterstütztes Kassenbuch geführt wird, bei dem laufend die Kassenbestände festgehalten und ausgewiesen werden, sofern die Daten nicht nachträglich ohne erkennbaren (Storno-) Vermerk abgeändert werden können und jeder einzelne Umsatz (Einnahmen und Ausgaben) einzeln, chronologisch und untereinander festgehalten wird bzw. - bei lediglich Übernahme der Tageslosung - Uraufzeichnungen (z.B. Kassenstreifen, Kassenzettel u.ä.) vorhanden sind.

    Der Hinweis des Finanzamts auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 31. August 2000 - 14 K 3305/98 zur Notwendigkeit zusätzlich auch der Kassenberichte geht fehl. Vielmehr hat das dortige Gericht unter Rz. 112 (abgedruckt bei Juris) ausgeführt, dass es bei Bargeldgeschäften mit unbekannten Personen (hier: Eisdiele) ausreiche, wenn die Einnahmen in ein Kassenbuch eingetragen werden und das Zustandekommen dieses Betrages nachvollziehbar ist. Werde keine Registrierkasse eingesetzt, müsse der Betrag durch Kassenberichte ermittelt werden. Im Streitfall hat der Prüfer in seinem Bericht ausgeführt, dass "in einer gesonderten Spalte" des Kassenbuchs Bestände ausgewiesen sind. Somit ist die erforderliche "Kassensturzfähigkeit", d.h. die jederzeitige Abstimmbarkeit des buchmäßig festgehaltenen mit dem tatsächlichen Kassenbestand, gewährleistet. Unerfindlich ist die in den Einspruchsentscheidungen vom 12. Februar 2010 getätigte Aussage, dass kein Nachweis der im Kassenbuch "Lexware" erfassten Summen durch Aufbewahrung von Kassenstreifen, Bons etc. erfolgt sei. Im Bp-Bericht vom 18. Februar 2009, in der Stellungnahme des Prüfers ans Finanzamt vom 8. April 2009 sowie auch in der vom Gericht beigezogenen Prüfer- Handakte ist hiervon nicht die Rede.

    Das Finanzamt hat auch nicht den ihm obliegenden Nachweis erbracht, dass das eingesetzte Kassenprogramm Manipulationen oder Veränderungen ohne erkennbare Stornobuchungen ermöglicht. Entgegen der Ansicht des Prüfers und des Finanzamtes ist es nämlich nicht Sache der Klägerin "darzulegen bzw. zu dokumentieren, dass das Lexware-Kassenprogramm Manipulationen und Änderungen nicht zulässt". Der Nachweis einer Manipulationsmöglichkeit obliegt vielmehr dem Finanzamt.

    Es gereicht der Klägerin auch nicht zum Nachteil, dass die für die Streitjahre geführten Terminbücher nicht mehr vorhanden sind bzw. sein sollen. Denn insoweit besteht keine Aufbewahrungspflicht. Terminbücher zählen nicht zu den in § 147 Abs. 1 AO genannten aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Denn der sachliche Umfang der dort statuierten Aufwahrungspflicht wird begrenzt durch die Reichweite der zu Grunde liegenden Aufzeichnungspflicht (vgl. grundlegend: BFH-Urteil vom 24. Juni 2009 - VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452). Hiernach unterliegen der Aufbewahrungspflicht alle Unterlagen und Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören Unterlagen und Daten, die nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge betreffen. Dies gilt auch für § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Hiernach sind zwar auch "sonstige", also nicht bereits nach Abs. 1 Nr. 1 bis 4 a der Vorschrift erfasste "Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind" aufzubewahren. Dies gilt jedoch nur für solche Unterlagen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind. Hierunter fallen Terminbücher nicht (vgl. auch Entscheidungen des niedersächsischen Finanzgerichts vom 17. November 2009 - 15 K 12031/08, Juris, sowie - nachfolgend - BFH vom 7. Dezember 2010 - III B 199/09, BFH/NV 2011, 411). Die Terminbücher haben für die Klägerin letztlich organisatorische Bedeutung (Kundentermine, Vermeidung von Wartezeiten etc.). Sie können zwar für die Betriebsprüfung zum Abgleich der aufgezeichneten Tageseinnahmen Bedeutung gewinnen. Hier sind die Erlöse jedoch in den computergestützten Kassenbüchern täglich und laufend mit Bestandsausweis verzeichnet worden. Kassenfehlbeträge konnte der Prüfer bei dem bargeldintensiven Betrieb der Klägerin nicht feststellen, ebenso wenig wie die Manipulation bzw. Manipulationsmöglichkeiten des verwendeten Software-Programms. Die Beweiskraft der klägerischen Buchführung (§ 158 AO) konnte im Streitfall auch nicht durch einen inneren oder äußeren Betriebsvergleich, eine Nachkalkulation oder eine – hier nicht durchgeführte Geldverkehrsrechnung oder Kassenfehlbetragsberechnung - erschüttert werden.

    Zu dem kommt, dass im Streitfall die Reingewinnsätze von 31,44 im Jahr 2005, 38,21 im Jahr 2006 und 21,07 im Jahr 2007 (vgl. äußerer Betriebsvergleich des Prüfers, Bl. 6 Prüferhandakte) nicht diejenigen der Richtsatzsammlung (21 % für 2005 und jeweils 18 % für 2006 und 2007) unterschreiten, sondern diese -z.T. erheblich- übersteigen.

    Die von dem Beklagten ins Feld geführte "Manipulationswahrscheinlichkeit von 100 %" auf Grund der vom Prüfer durchgeführten "Chi-Quadrat-Test" (vgl. Bl. 108 – 119 Prüferhandakte) kann nicht zur Zuschätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO führen. Der Test allein ist jedenfalls nicht geeignet, Beweise dafür zu erbringen, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist (vgl. vorzitiertes Urteil des niedersächsischen Finanzgerichts vom 17. November 2009 m.w.N.), abgesehen davon, dass er bei einem Friseursalon, bei dem – wie hier – für die Leistungen ausschließlich volle bzw. halbe Euro- Beträge berechnet werden (vgl. Preisliste für 2007, Bl. 120 u. 121 Prüferhandakte), ungeeignet erscheint.

    Denn mit dem Chi-Quadrat-Test werden Verteilungseigenschaften einer statistischen Grundgesamtheit untersucht. Er stellt eine Methode dar, bei der empirisch festgestellte und theoretisch erwartete Häufigkeiten verglichen werden. Er fußt auf dem Grundgedanken, dass derjenige, der bei seinen Einnahmen unzutreffende Werte in das Kassenbuch/ die Kassenberichte eingibt, unbewusst eine Vorliebe für bestimmte Lieblingszahlen hat und diese dementsprechend häufiger verwendet. Ausgehend von der Preisliste im Streitfall ergibt sich aber, dass naturgemäß die Zahl 0 wie auch die Zahlen 1, 4, 5 überdimensional häufig auftreten müssen (z.B. Fönfrisur: 15,--€; Färben: 25,--€ bzw. 46,50 €; Fönen: 40,50€).

    Eine vom Beklagten, aber selbst vom Prüfer nicht, gerügte Verletzung der Mitwirkungspflicht der Klägerin nach § 90 Abs. 1 AO ist nicht erkennbar.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch ihrer vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

    Rechtsmittelbelehrung XXX

    RechtsgebietAOVorschriftenAO § 90 Abs. 1 ; AO § 147 Abs. 1 ; AO § 158 ; AO § 162;