05.01.2012
Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 20.10.2011 – 3 V 41/11
Eine „ständige Wohnstätte” in einer Suite eines hotelähnlichen Beherbergungsbetriebs setzt als ständige Verfügungsmacht eine langfristige Rechtsposition für die Benutzung voraus.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer „ständigen Wohnstätte”, die der Antragsteller (Ast.) nach Auffassung des Antragsgegners in einer Suite der sog. „A” in der X-Straße in Hamburg im Streitjahr 2003 gehabt haben soll, im Sinne des Doppelbesteuerungsankommens (DBA) Schweiz als Voraussetzung des deutschen Besteuerungsrechts.
I.
1. Der Ast. war früher in B (örtliche Zuständigkeit Finanzamt C) wohnhaft, ebenso wie D (Ast. im Parallelverfahren 3 V 42/11), und verzog nach eigenen Angaben am ... 2001, gemäß melderechtlicher Abmeldung am ... 2001, nach E (Schweiz).
2. Der Ast. ist Mitinitiator des Projektes „A”, der Sanierung einer alten Kaufmannssommerresidenz und Umgestaltung zu einem Veranstaltungsort für gehobene Feiern und Tagungen. Er war zur Koordinierung der Baumaßnahmen ab 2001 häufig vor Ort.
3. Aufgrund einer Mitteilung der Steuerfahndungsstelle F vom 20. Januar 2010 ging der Antragsgegner, das Finanzamt (FA), davon aus, dass der Ast. im Streitjahr einen Wohnsitz (§ 8 AO, § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) und damit zugleich eine Wohnstätte (Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz) in einer Suite der „A” und damit in Deutschland hatte, schätzte Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von ... T€ und setzte mit Einkommensteuerbescheid 2003 vom 22. Dezember 2010 die ESt auf ... € fest. Über den Einspruch vom 24. Januar 2011, beim FA eingegangen am 25. Januar 2011, ist noch nicht entschieden.
II.
Mit seinem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) vom 10. März 2011 bestreitet der Ast. ein deutsches Besteuerungsrecht.
Der Ast. trägt vor, für die Suiten habe ein Vermietungskonzept bestanden (Glaubhaftmachung: Konvolut von Rechnungen und Angeboten in Kopie, Stehordner). Zwar habe der Ast. gelegentlich in der „A” übernachtet, jedoch habe er den jeweils benutzten Raum dann auch wieder vollständig geräumt, nicht zuletzt, damit dieser für Besichtigungen durch Veranstaltungsinteressenten und Vermietungen zur Verfügung stand. Vor einer Nutzung habe er den mit der Veranstaltungsorganisation betrauten Mitarbeiter G anfragen müssen, ob der Nutzung die Belegung durch eine Veranstaltung entgegen stehe (Glaubhaftmachung: schriftliche Angaben des Zeugen G vom 8. Juni 2011, Finanzgerichtsakte - FG-A - Bl. 61, sowie eidesstattliche Versicherung des Zeugen G vom 7. September 2011, Anlageband Fach 16. September 2011 Anlage 3, im Original im entsprechenden Fach des Anlagebandes des Parallelverfahrens 3 V 42/11).
Die Suite, die er nach dem ersten Vortrag des FA innegehabt habe (sog. Hochzeitssuite im Dachgeschoss), sei regelmäßig bei Veranstaltungen mitvermietet gewesen, namentlich bei Hochzeiten für das Brautpaar. In der Suite, die nach Auffassung des FA Frau D dauerhaft zur Verfügung gestanden habe (sog. Präsidentensuite im 1. OG), habe er nur gelegentlich übernachtet. Die von ihm nach dem letzten Vortrag des FA angeblich im Streitjahr 2003 innegehabte Suite (dritte Suite, ebenfalls im 1. OG) sei bereits im Jahre 2002 zu einer Küche umgebaut worden. Der Ast. legt Baurechnungen aus 2002 in Kopie vor (Anlageband Fach 16. September 2011 Anlage 6 und 7) sowie eine eidesstattliche Versicherung des Architekten J vom 30. August 2011 (FG-A Bl. 146).
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2003 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Das FA trägt vor, das deutsche Besteuerungsrecht ergebe sich rechtlich aus Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz (sog. überdachende Besteuerung). Der Ast. habe, wie dafür notwendig, in 2003 über eine „ständige Wohnstätte” in Deutschland „verfügt”. Der Ast. habe sich in 2003 mindestens 21mal für jeweils ein bis zwei Tage in Deutschland aufgehalten, um bei der Projektausführung der „A” mitzuwirken. Dabei habe ihm eine der in der „A” eingerichteten Suiten dauerhaft und nahezu ausschließlich zur Verfügung gestanden.
Zur Glaubhaftmachung bezog sich das FA zunächst auf die Angaben des Zeugen K, des früheren Geschäftsführers der Betreibergesellschaft, gegenüber der Steuerfahndungsstelle F vom 6. Oktober 2009, wo dieser ausgeführt hatte, der Ast. habe die sog. Hochzeitssuite im Dachgeschoss bewohnt (ESt-Akte Bd.3 Bl. 318). Es legte demgemäß eine Verfügungsmacht für das gesamte Jahr 2003 zugrunde.
Später legte das FA die eidesstattliche Versicherung des Zeugen K vom 12. August 2011 vor, nach der der Ast. eine eigene Suite im 1. OG gegenüber derjenigen von Frau D benutzt habe, die nicht Bestandteil der Hausführungen gewesen sei. Diese Suite sei im zweiten oder dritten Quartal 2002 fertig gestellt und im zweiten Quartal 2003 zu einer Küche umgebaut worden (FG-A Bl. 119). Der Ast. habe Verfügungsmacht daher nur im ersten Quartal 2003 gehabt. Das FA erklärte sich nunmehr bereit, sich auf eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1/4 zu verständigen.
Nach Vorlage der eidesstattlichen Versicherung des Architekten und der Baurechnungen durch den Ast. hat sich das FA nur noch zur Glaubhaftigkeit einzelner Angaben des hiesigen Ast. und der Ast. D des Parallelverfahrens geäußert, ohne auf die Frage des Zeitpunktes des Umbaus der dritten Suite einzugehen.
Die ESt-Akte Band 3 (ab 2001) und die Rechtsbehelfsakte lagen vor.
Gründe
B.
Der zulässige Antrag ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 2003 (§ 69 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
I.
Aufgrund der - unstreitigen - Ansässigkeit des Ast. (zumindest auch) in der Schweiz kommt auch im Falle eines Wohnsitzes in Deutschland (§ 8 AO, § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG) aufgrund des - ebenfalls unstreitigen und nach der zeitlichen Größenordnung der jeweiligen Aufenthalte naheliegenden - Mittelpunktes der Lebensinteressen in der Schweiz (Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a DBA Schweiz) ein deutsches Besteuerungsrecht nur nach der sog. „überdachenden Besteuerung” (Art. 4 Abs. 3 DBA Schweiz) in Frage, die die Verfügungsmacht über eine ständige Wohnstätte in Deutschland voraussetzt. Der Steuerpflichtige muss über die Wohnstätte ständig verfügen können (Hardt in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 4 DBA Schweiz Rn. 69). Es muss eine langfristige Rechtsposition für die ständige Benutzung des Zimmers vorhanden sein (FG Köln, Urteil vom 2. März 2010 15 K 4135/05, EFG 2010, 921, Juris Rn. 53, 58). Diese Verfügungsmacht ist in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft.
1. Soweit das FA zuletzt ausgeführt hat, der Ast. habe im ersten Quartal 2003 die Verfügungsmöglichkeit über die „dritte Suite” im 1. OG gehabt, erscheint dies zweifelhaft aufgrund der eidesstattlichen Versicherung des Architekten, der den Beginn des Umbaus zur Küche und damit das Ende der Benutzbarkeit zum Übernachten bereits in 2002 datiert. Dies erscheint überzeugender als die wechselnden Angaben des Zeugen K, der sich nicht einmal sicher war, in welcher Suite der Ast. gewohnt hat. Darauf, dass die Baurechnungen wenig aussagekräftig sind, weil aus ihnen nicht hervorgeht, ob sie von dem zunächst erforderlichen Ausbau als Suite herrühren oder dem späteren Umbau zur Küche, kommt es nicht entscheidend an.
2. Soweit das FA zunächst ausgeführt hat, der Ast. habe die Verfügungsbefugnis über die Hochzeitssuite im DG gehabt, hat es nach der anderslautenden eidesstattlichen Versicherung des Zeugen K daran selbst nicht mehr festgehalten. Es fehlt somit jegliches Glaubhaftmachungsmittel hierfür, zumal die vom Ast. vorgelegten Rechnungen und Angebote auf eine regelmäßige Vermietung oder zumindest Vermietungsbemühungen hindeuten.
3. Soweit der Ast. gelegentlich in der Präsidentensuite im 1. OG übernachtet hat - was das FA gar nicht vorgebracht hat, sondern vielmehr die Ast.-Seite, eher im Zusammenhang des Nachweises, dass die Ast. D des Parallelverfahrens in dieser Suite keine eigenen Verfügungsbefugnisse hatte - ergibt sich aus gelegentlichen Übernachtungen, ohne dazwischen persönliche Gegenstände zurückzulassen, keine Verfügungsbefugnis. Kein Vorbringen oder Glaubhaftmachungsmittel weist auf eine eigene Verfügungsbefugnis des Ast. an der Präsidentensuite hin.
II.
Die AdV ist ohne Sicherheitsleistung zu gewähren (§ 69 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).
Über eine Sicherheitsleistung (voll, teilweise oder gar nicht) ist nach billigem Ermessen zu befinden. In die Erwägung einzubeziehen sind insbesondere der Grad der Erfolgsaussicht in der Hauptsache, die Gefährdung einer späteren Durchsetzung des Steueranspruchs, falls der Ast. später in der Hauptsache verlieren sollte, hier unter besondere Berücksichtigung der Erschwerung der Vollstreckung im Ausland, sowie die Zumutbarkeit einer Sicherheitsleistung.
Hier erscheint nach den bisher präsenten Beweismitteln die Erfolgsaussicht des Einspruchs sehr hoch, und zwar so hoch, dass auch unter Berücksichtigung der Auslandsansässigkeit des Ast. eine Sicherheitsleistung nicht mehr angemessen wäre.
III.
1. Das FA hat gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, da das FA vorprozessual nur bereit war, AdV gegen Sicherheitsleistung in voller Höhe zu gewähren, und somit die letztlich streitige Frage von ob und Höhe der Sicherheitsleistung vom Ast. vollumfänglich gewonnen wurde.
2. Gründe für die Zulassung der Beschwerde sind nicht ersichtlich (§ 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3 FGO). Es handelt sich um einen Einzelfall einer tatsächlichen Würdigung eines aktuellen Beweiszwischenstandes. Das FA wird im Einspruchsverfahren nach Abschluss seiner Ermittlungen (§ 88 Abs. 1 und 2 AO) zu entscheiden haben. Insbesondere die Anhörung weiterer Zeugen dürfte in Frage kommen.