17.10.2012 · IWW-Abrufnummer 123123
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 08.05.2012 – 2 K 1122/2009
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
2 K 1122/2009
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX
wegen Umsatzsteuer 2003, 2004 und 2005
hat der 2. Senat des Finanzgerichts Nürnberg
ohne mündliche Verhandlung am 8. Mai 2012 für Recht erkannt:
1. Unter Abänderung der Umsatzsteuerbescheide vom 22.12.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2009 wird die Umsatzsteuer für 2003 in Höhe von 17.566 €, die Umsatzsteuer für 2004 in Höhe von 10.951 € und die Umsatzsteuer für 2005 in Höhe von 10.373 € festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3 zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil kann durch Beschwerde angefochten werden.
Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Abschrift oder Ausfertigung des angefochtenen Urteils beigefügt werden. Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Auch die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung muss dargelegt werden, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder dass ein Verfahrensfehler vorliegt, auf dem das Urteil des Finanzgerichts beruhen kann.
Bei der Einlegung und Begründung der Beschwerde muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Satz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.
Lässt der Bundesfinanzhof aufgrund der Beschwerde die Revision zu, so wird das Verfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs über die Zulassung der Revision ist jedoch bei dem Bundesfinanzhof eine Begründung der Revision einzureichen. Die Beteiligten müssen sich auch im Revisionsverfahren nach Maßgabe des dritten Absatzes dieser Belehrung vertreten lassen.
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Abkürzungen:
AO (Abgabenordnung), BFH (Bundesfinanzhof), BFH/NV (Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH), BStBl (Bundessteuerblatt), EFG (Entscheidungen der Finanzgerichte), EStG (Einkommensteuergesetz), FGO (Finanzgerichtsordnung), GKG (Gerichtskostengesetz), GewStG (Gewerbesteuergesetz), GG (Grundgesetz), HFR (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung), KStG (Körperschaftsteuergesetz), RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz), UStG (Umsatzsteuergesetz)
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt zu Recht aufgrund der Schätzungsergebnisse einer Fahndungsprüfung die Umsatzsteuerfestsetzungen geändert hat.
Die Klägerin ist 50 Jahre alt und ledig. Ihre im Jahre 1997 geborene Tochter erzieht sie allein.
Sie erwarb in den Jahren 1991 bis 1994 in B, C und D Immobilien, die sie teilweise zu Wohnzwecken, teilweise zu Gewerbezwecken vermietete. Seit 1993 betreibt sie in B Gaststätten. In den Streitjahren führte sie in der X Strasse ein Restaurant mit italienischer (5), teilweise auch mit indischer (6) Küche. In dem Lokal fanden maximal 40 Personen Platz. Die Einrichtung bestand aus sechs Tischen und einer Bar. Die Klägerin war allein für die Küche und für den Service zuständig. Gelegentlich half ihr eine Aushilfsbedienung. In dem Lokal hielt sich auch die Tochter der Klägerin auf.
Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ermittelte sie durch Berechnung des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten, die gewerblichen Einkünfte ermittelte sie gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben. Für die Umsatzsteuer die Streitjahre betreffend, die sie nach vereinbarten Entgelten berechnete (§ 16 Abs. 1 UStG), erklärte sie folgende Besteuerungsgrundlagen:
VZ 2003 2004 2005
Erklärung vom 03.06.2005 16.12.2005 26.03.2007
EUR EUR EUR
Steuerfreie Umsätze
101.949 123.668 146.020
1 16% 24.910 21.474 25.769
2 16% 21.726 8.085 (steuerfrei)
3 16% 8.589 8.589 8.589
6 16% und
5 16%
12.845
16.017
13.313
6 7% und
5 7%
65.975
74.458
62.589
Vorsteuern insg.
5.507,65
8.314,81
9.729,95
USt insg.
10.002,10
5.563,65
2.278,64
Das Finanzamt fasste die einzelnen Umsatzsteuererklärungen zusammen und setzte die Umsatzsteuern jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) wie folgt fest:
VZ 2003 2004 2005
Bescheid vom 16.06.2005 03.01.2006 12.04.2007 (Mitteilung)
EUR EUR EUR
Steuerfreie Umsätze 101.950 123.668 146.020
Umsätze 16% 68.071 54.165 47.671
Umsätze 7% 65.975 74.458 62.589
Vorsteuerbeträge 5.507,65 8.314,81 9.729,95
Umsatzsteuer 10.001,96 5.563,65 2.278,64
Die Steuerfestsetzungen wurden jeweils bestandskräftig.
Wegen Abweichungen der in den Gewinnermittlungen dargestellten Umsätze von den Umsätzen laut den Umsatzsteuererklärungen, wegen Fragen zur privaten Kfz- und Telefonnutzung und weiterer ertragsteuerlicher Fragestellungen wurde der Steuerfall zur Betriebsprüfung gemeldet. Mit dem Bescheid vom 20.04.2007 ordnete das Finanzamt bei der Klägerin eine steuerliche Außenprüfung (§ 193 Abs. 1 AO) für die Zeiträume 2003 bis 2005 auch die Umsatzsteuer betreffend an.
Nachdem die Betriebsprüferin Mängel bei den Aufzeichnungspflichten und Kalkulationsunstimmigkeiten festgestellt hatte, wurde die Außenprüfung von der Steuerfahndung im Rahmen steuerstrafrechtlicher Ermittlungen ab 10.10.2007 weitergeführt. Auch der Fahndungsprüfer fand formelle und materielle Mängel der Buchführung vor. Die mit der Registrierkasse erfassten Umsätze waren nicht vollständig überprüfbar, weil lediglich Kellnerberichte ohne fortlaufende Nummern vorlagen. Tagesendsummenbons zum Abgleich der Tageseinnahmen wurden nicht aufgefunden. Zudem war eine korrekte Trennung der Restaurantumsätze von den Umsätzen aus dem Straßenverkauf nicht vorgenommen worden. In geringem Umfang waren auch Wareneinkaufsrechnungen nicht gebucht worden. Bei kalkulatorischen Überprüfungen der betrieblichen Daten wurden erhebliche Abweichungen beim Getränkeverkauf, beim Pizzaumsatz und bei den Umsätzen aus dem Verkauf von Pizzaschachteln (Gastrobedarf) festgestellt.
Eine Getränkekalkulation auf der Grundlage der gebuchten Eingangsrechnungen und der Verkaufspreise ergab bereits deutlich höhere Umsätze als die Klägerin für Gaststättenumsätze zum Normalsteuersatz erklärt hatte. Der Prüfer ging davon aus, dass in der Gaststätte der Klägerin der Getränkeumsatz zu 30 % und der Speiseumsatz zu 70 % anzusetzen sei und rechnete auf diese Weise den gesamten Gaststättenumsatz hoch. Dies führte zu einer Erhöhung der Umsätze zum Normalsteuersatz im Jahr 2003 um 76.554 €, im Jahr 2004 um 56.038 € und im Jahr 2005 um 67.940 €. Demgegenüber führte die Prüfung nur zu geringfügigen Verminderungen der Umsätze zu dem ermäßigten Steuersatz.
Die steuerfreien Vermietungsumsätze und die insgesamt abziehbaren Vorsteuerbeträge erfuhren durch die Prüfung keine Änderung.
Eine vom Fahndungsprüfer erstellte Geldverkehrsrechnung ergab Fehlbeträge in 2003 von 15.111 €, in 2004 von 53.622 € und in 2005 von 52.406 €.
Die Gewinne aus dem Gaststättenbetrieb ermittelte der Prüfer im Wege der Schätzung ausgehend von den von ihm berechneten Umsätzen auf der Grundlage eines Reingewinnsatzes von 32%. Dies führte zu Gewinnerhöhungen von 18.033 € in 2003, von 34.901 € in 2004 und von 50.497 € in 2005.
Wegen der Feststellungen im Einzelnen wird auf die Darstellungen in dem steuerlichen Fahndungsbericht vom 07.11.2008 und in dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht ebenfalls vom 07.11.2008 verwiesen.
Das Finanzamt übernahm die Prüfungsfeststellungen in den nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Steuerfestsetzungen laut den Bescheiden vom 22.12.2008 wie folgt:
VZ 2003 2004 2005
Änderungs-Bescheide 22.12.2008 22.12.2008 22.12.2008
EUR EUR EUR
Steuerfreie Umsätze
101.950 123.668 146.020
Umsätze 16% 144.625 110.203 115.611
Umsätze 7%
63.528 71.809 60.724
Vorsteuerbeträge
5.507,65 8.314,81 9.729,95
Umsatzsteuer 22.079,31 14.344,30 13.018,49
In den fristgerecht angestrengten Einspruchsverfahren ging das Finanzamt ausführlich auf die vorgetragenen Einwendungen ein. Es sah jedoch für eine Änderung der Steuerfestsetzungen keine Veranlassung und wies in der Entscheidung vom 17.07.2009 die Einsprüche insgesamt als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat fristgerecht Klage erhoben und beantragt, die Änderungsbescheide vom 22.12.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.07.2009 aufzuheben.
Weiter beantragt die Klägerin, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen folgende Gesichtspunkte vor:
Aufgrund der Beschlagnahme ihrer betrieblichen Unterlagen könne sie sich im Steuerfestsetzungsverfahren nicht ordnungsgemäß gegen die völlig überzogene Steuerforderung wehren. Insbesondere rüge sie die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Eine von der Fahndung zur Stützung des Mehrergebnisses durchgeführte Geldverkehrsrechnung entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Finanzamt habe ihre Einwendungen insoweit nicht ausreichend berücksichtigt. Aufgrund der erforderlichen Korrekturen würde die Geldverkehrsrechnung nämlich keine wesentliche Differenz zu den von ihr erklärten Einnahmen aufweisen.
Eine Schätzungsbefugnis könne das Finanzamt nicht darauf stützen, dass sie, die Klägerin, lediglich die Kellnerberichte aufbewahrt habe. Da sie nicht buchführungspflichtig gewesen sei, brauchte sie auch nicht die für eine ordnungsgemäße Kassenführung erforderlichen Registrierkassenstreifen, Kassenzettel oder Bons aufbewahren. Im Ergebnis verfüge der Kellnerbericht über dieselben Angaben wie Name des Geschäfts, das Datum und die Tagesendsummen.
Bei den Einkäufen, die sie nicht verbucht habe, habe es sich um Geschäfte ihres Lebensgefährten für dessen eigene Gaststätte gehandelt.
Entscheidend für die Fehlerhaftigkeit der Fahndungsfeststellungen sei, dass die Kalkulation der Steuerfahndung im Getränkebereich bedeutende betriebliche Verhältnisse nicht berücksichtige. So werde übersehen, dass nachweisbar nicht zu den in der Speisekarte dargestellten Preisen Getränke abgegeben worden seien. Weiter seien vom Prüfer teilweise unzutreffende Einsatzpreise angenommen worden, Amaretto sei nur zur Speiseherstellung verwendet worden, Waren seien für die Familie oder für Dritte eingekauft worden und Getränke seien auch als Zugabe für gute Kunden gratis mitgegeben worden.
Unzutreffend habe der Prüfer die Bierrückvergütungen als Minderungen der Einkaufspreise angesehen. Wirtschaftlich seien die Bierr ückvergütungen als sonstige Erlöse anzusetzen. Weiter habe der Fahnder auch Bestandsänderungen nicht berücksichtigt. Zudem habe er nicht berücksichtigt, dass entsprechend der Darstellung in der Speisekarte auch Pils in 0,5 Liter-Gebinden ausgeschenkt worden sei.
Die Berechnung des Speiseumsatzes gehe von falschen Voraussetzungen aus. Der Fahndungsprüfer habe keinerlei Anhaltspunkte und tatsächliche Feststellungen dahin getroffen, dass nach den betrieblichen Verhältnissen im Speiselokal ein Getränkeanteil von 30 % und ein Speiseanteil von 70 % zugrunde zu legen sei. Die vom Finanzamt zitierten finanzgerichtlichen Entscheidungen seien für ihr Unternehmen nicht maßgeblich, weil die dort getroffenen Feststellungen mit ihrem Betrieb nicht vergleichbar seien.
Wegen der Einwendungen im Einzelnen wird auf die im Einspruchsverfahren und im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze und abgegebenen Stellungnahmen verwiesen.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt es Bezug auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend Folgendes vor:
Der Klägerin sei zu jedem Zeitpunkt der Verfahren rechtliches Gehör gewährt worden. Sie habe an Amtsstelle Einsicht in die Akten nehmen können.
Es habe die Umsätze und Gewinne mittels einer Kalkulation ermittelt. Das Ergebnis der Geldverkehrsrechnung habe keinerlei Auswirkungen auf das Ermittlungsergebnis gehabt. Die Biereinkaufspreise seien entsprechend der Auskünfte der Brauerei angesetzt und zutreffend vom Fahndungsprüfer erfasst worden. Bezüglich der Verkaufsmengen habe es sich an den Speisekarten orientiert.
Die Annahme, dass bei Speisegaststätten Getränke- und Speisenumsätze in einem Verhältnis von 30 zu 70 stünden, basiere auf Erfahrungssätzen, die sich in der Prüferpraxis bestätigt haben. Ein Abweichen von diesen Grundsätzen sei im Streitfall nicht angezeigt, da er keine Besonderheiten aufzeige, die dies rechtfertigen würden.
Der Fahndungsprüfer habe keine für die zur Ermittlung des Materialverbrauchs notwendigen Inventurunterlagen vorgefunden. Er habe deshalb korrekterweise den Wareneinkauf als Ausgangsgröße für die Kalkulation herangezogen.
Der Fahnder habe nun aufgrund der Einwendungen der Klägerin die vorliegenden Kellnerberichte daraufhin überprüft, wie viele Einzelbonierungen diesen zumindest zugrunde gelegen haben. Dies habe dazu geführt, dass die Klägerin eine erhebliche Anzahl an Kellnerberichten mit dazugehören Einzelbons nicht ordnungsgemäß in die Buchhaltung habe einfließen lassen. Die Ergebnisse dieser Berechnungen würden die Zuschätzungen laut Fahndungsbericht bestätigen.
Wegen der Stellungnahmen des Finanzamts im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze und abgegebenen Stellungnahmen verwiesen.
Am 27.10.2011 wurde die Streitsache mit dem Berichterstatter erörtert. Zu dem Verfahren wurden die Ermittlungsakten der Steuerfahndung beigezogen. Die Beteiligten stellten bei der Erörterung der Streitsache die Feststellungen zu den Umsätzen aus dem Straßenverkauf „Speisen“ und die Umsätze für den Gastroverkauf unstreitig. Der Fahndungsprüfer legte eine Geldverkehrsrechnung vor, die weitgehend die Einwendungen der Klägerin berücksichtigt. Sie weist für 2003 einen Überschuss von 23.975 € und Fehlbeträge in 2004 von 39.164 € und in 2005 von 39.381 € aus. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin wird verwiesen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Streitfalles ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt (§§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg, weil die aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung geänderten Steuerfestsetzungen nicht ausschließlich auf sachgerechten Schätzungserwägungen beruhen.
1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin weder im Verwaltungs- und Strafverfahren noch im hier zu entscheidenden Klageverfahren in ihrem nach Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wurde. Die Klägerin und ihr damaliger Steuerberater hatten am 31.07.2008 und am 22.09.2008 Gelegenheit, sich zu den Feststellungen der Steuerfahndung zu äußern. Die strafrechtlichen Ermittlungsakten sind dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin von der Bußgeld- und Strafsachenstelle zur Einsicht in seine Kanzlei übersandt worden. Auch im Einspruchsverfahren hatte die Klägerin ausreichend Gelegenheit, ihre Auffassung darzulegen. Dass in der ausführlich begründeten Einspruchsentscheidung der Meinung der Klägerin nicht gefolgt wurde, verletzt sie nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
2. Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die erklärten Besteuerungsgrundlagen durch Zuschätzungen zu korrigieren sind. Die Aufzeichnungen der Klägerin zu den betrieblichen Ergebnissen ihres Gaststättengewerbes sind so fehlerbehaftet, dass eine Berechtigung zur ergänzenden Schätzung besteht.
a) Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine Schätzung ist insbesondere dann erforderlich, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO) und wenn die Buchführung des Steuerpflichtigen oder seine Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können (§ 162 Abs. 2 Satz 2 AO). Zwar wurde die Klägerin nicht nach § 141 Abs. 2 AO zur Buchführung aufgefordert und ermittelte daher zu Recht die Gewinne ihres Gewerbebetriebs nach § 4 Abs. 3 EStG. Aber auch diese vereinfachte Gewinnermittlungsart verlangt vom Steuerpflichtigen die korrekte und leicht nachprüfbare Aufzeichnung der Geschäftsvorfälle. Die Verletzung dieser Nachweispflichten führt ebenso zu einer Schätzungsbefugnis (vgl. BFH-Bechlüsse vom 07.02.2008 X B 189/07, juris und vom 31.07.2009 VIII B 28/09, BFH/NV 2009, 1967 m.w.N.). Zudem waren von der Klägerin die umsatzsteuerlichen Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG zu beachten.
b) Die Klägerin hat nachweislich in vielfältiger Weise die Aufzeichnungspflichten verletzt, so dass jedenfalls die ergänzende Schätzung der Besteuerungsgrundlagen veranlasst ist.
Eine Befugnis zur Schätzung ergibt sich im Streitfall aufgrund formeller und materieller Mängel der betrieblichen Aufzeichnungen (vgl. § 145 AO), nämlich Mängel in der Aufzeichnung der Tageseinnahmen (vgl. § 146 Abs. 1 AO), Mängel in der Aufzeichnung der Umsätze zum Normal- und zum ermäßigten Steuersatz (vgl. § 22 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG) und wegen teilweise fehlendem bzw. nicht verbuchtem Wareneinkauf (§ 143 AO).
Zudem eröffnen die Ergebnisse der sachgerecht durchgeführten Getränkekalkulationen eine Schätzungsbefugnis. Denn es kann auch eine im Wege des inneren Betriebsvergleichs erstellte Nachkalkulation, die eine ausreichende Aufgliederung des Wareneinsatzes und eine sorgfältige Ermittlung der Aufschlagsätze enthält, selbst die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Beträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen (vgl. BFH-Urteil vom 17.11.1981 VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430, 435 m.w.N.). Schließlich folgen aus der korrigierten Geldverkehrsrechnung, der ein erheblicher Beweiswert zukommt, offensichtliche Fehlbeträge in den Jahren 2004 und 2005 von jeweils über 30.000 €. Dem Vortrag der Klägerin, erhebliche Lotteriegewinne erzielt zu haben, vermag das Gericht nicht zu folgen.
3. Aufgrund der Berechtigung zur Schätzung sind die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 AO im Wege einer sachgerechten Schätzung zu ermitteln bzw. zu ergänzen. Dem Gericht steht hierbei eine eigenständige Schätzungskompetenz zu (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), von der es im Streitfall Gebrauch macht; es ist nicht an die Schätzung der Finanzbehörde gebunden. Die Schätzung hat den durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmen zu beachten, sie muss in sich schlüssig und wirtschaftlich vernünftig sein (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO-FGO-Kommentar, § 162 AO Tz. 44; BFH-Beschluss vom 20.07.1994 I B 11/94, BFH/NV 1995,198).
a) Als Ausgangsgröße für die Schätzung der Höhe nach ist der kalkulatorisch zu e-mittelnde Getränkeumsatz auf der Grundlage des Wareneinsatzes anzunehmen. Hierzu liegen für alle Streitjahre ausreichend differenzierte Berechnungen vor. Sowohl die Getränkekalkulationen des Fahndungsprüfers für die Jahre 2003 und 2004 als auch die Kalkulation der Betriebsprüferin für 2005 erfüllen die Anforderungen, die an eine sachgerechte innerbetriebliche Überprüfung zu stellen sind (vgl. Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 162 AO Tz. 59). Die Kalkulationen gliedern die Getränkegruppen ausreichend auf, nehmen eine Gewichtung nach der Menge des Wareneinsatzes vor, berücksichtigen ausreichend mögliche Schankverluste und bringen Eigenverbrauch für zwei Personen in Abzug. Eine Überprüfung durch den gerichtseigenen Sachverst ändigen hat die sachliche Richtigkeit der Kalkulationen bestätigt. Da die Kalkulation für 2005 nicht die einzelnen Getränke, sondern Getränkegruppen in Ansatz bringt und nur einen Schankverlust von 3% (für 2003 und 2004 aber von 5%) berücksichtigt, wird durch eine Abrundung des Aufschlagsatzes auf 360% möglichen Unsicherheiten Rechnung getragen.
Die Kalkulationen berücksichtigen zutreffend die tatsächlichen Einkaufspreise der Biere. Den Einwendungen der Klägerin zu "Aufgeldzahlungen" und "Bierrückvergütungen" kann nicht gefolgt werden. Tilgungszahlungen für Brauereidarlehen stellen nicht abzugsfähige Aufwendungen dar und dürfen keinen Einfluss auf den Wareneinsatz haben. Zutreffend hatte nach den Feststellungen des Fahndungsprüfers die Klägerin auch den Nettoeinkaufspreis als Wareneinsatz und die Rückvergütungen als Darlehenstilgung gebucht.
Auch den weiteren Einwendungen kann nicht gefolgt werden, weil es an tatsächlichen Anhaltspunkten für den Vortrag der Klägerin fehlt. Die Verkaufsmengen von Bier ergeben sich aus den vorliegenden Speisekarten. Eine Abgrenzung der bezogenen Biermengen über die Kalenderjahre ist nicht möglich, weil Inventuren nicht vorliegen. Die Prüfer haben nicht mehr als die belegten Biereinkäufe erfasst. Dass in erheblichem Umfang Freigetränke ausgegeben worden sein sollen, ist weder tatsächlich nachprüfbar noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten glaubhaft.
b) Maßgeblich für die hier streitigen Umsatzsteuern ist die Ermittlung der im Lokal der Klägerin insgesamt tatsächlich erzielten Umsätze. Aus der Beschreibung des Lokals, aus den in den Akten vorliegenden Bildern, nach dem gebuchten Wareneinkauf und aufgrund des in den Speisekarten angeführten Angebots ist von Umsätzen auszugehen, die in einem Speiselokal üblicherweise erzielt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass überwiegend nur Getränke verkauft worden sein sollen, wie es die Klägerin behauptet. Allerdings ist das Verhältnis von Getränkeumsatz (30%) zu Speiseumsatz (70%), wie es das Finanzamt seiner Schätzung zugrunde gelegt hat, nicht sachgerecht. Zwar stehen die durchschnittlichen Preise für Getränke und für Speisen etwa in diesem Verhältnis. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass sehr häufig von Gästen zu einem Essen auch zwei oder mehrere Getränke eingenommen werden.
Daher kommt es den tatsächlichen Verhältnissen in dem Lokal der Klägerin nach Auffassung des Gerichts wirtschaftlich am nächsten, wenn der Anteil der Getränke mit 45% und der Anteil der Speisen mit 55% angenommen werden. Die in der Einspruchsentscheidung zugrundegelegte Verhältniszahl von 30:70 mag in der Prüfungspraxis der Steuerfahndung als allgemeine Vergleichsmethode eine Berechtigung haben, sie wird jedoch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung nicht uneingeschränkt als sachgerechte Schätzungsgrundlage anerkannt. Vielmehr ist den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
In dem vom Finanzgericht Düsseldorf im Urteil vom 20.03.2008 entschiedenen Streitfall (Az. 16 K 4689/06, EFG 2008, 1256) ging das Gericht für einige Streitjahre von einem sachgerechten Verhältnis von 35:65 aus. Das Finanzgericht Düsseldorf vertrat zwar bereits in dem vorangehenden Aussetzungsverfahren ohne weitere Begründung die Ansicht, dass es sich nach seiner Kenntnis bei der 30:70-Methode um einen Erfahrungssatz handele, der in der Prüferpraxis seine Bestätigung gefunden habe (vgl. Beschluss vom 15.02.2007 16 V 4691/06, EFG 2007, 814). In einem weiteren Antragsverfahren hatte dagegen ein anderer Senat des Finanzgericht Düsseldorf ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Zuschätzung auf der Grundlage der 30:70-Methode (vgl. Beschluss vom 20.07.2004 18 V 2853/04, juris). In einem vom Finanzgericht Münster entschiedenen Streitfall entsprach der Anteil 30/70 den Verhältnissen laut einer Kassenauslesung am Tag der Durchsuchung (vgl. FG Münster-Urteil vom 23.06.2010 12 K 2714/06, juris).
Im hier zu entscheidenden Streitfall wurden keine zeitnahen konkreten Umstände festgestellt, die den Anteil von Getränke- zu Speiseumsatz von 30:70 rechtfertigen könnten. Der Hinweis des Fahndungsprüfers auf die durchschnittlichen Verkaufspreise laut Speisekarten genügt nicht. Die Ermittlungsakten zeigen, dass der Fahndungsprüfer selbst zunächst noch von einem Anteil von 40:60 ausging. Auch die vom Finanzamt vorgelegten Kassenauslesungen vom 10.10.2007 bieten keine ausreichende Tatsachengrundlage und können nicht so verallgemeinert werden, dass sie für ein Verhältnis der Speisenumsätze von 70% zu Getränkeumsätzen von 30% in den Streitjahren 2003 bis 2005 maßgeblich wären.
c) Ausgehend von den vorstehenden Überlegungen ergeben sich aufgrund der gerichtseigenen Schätzung für die Umsätze der Gaststätte X B folgende Besteuerungsgrundlagen:
2003 2004 2005
WEK Getränke 5.119 4.622 5.997
Aufschlagsatz 396% 313% 360%
20.271 14.467 21.589
1. Getränkeumsätze 25.390 19.089 27.586
2. Speiseumsätze (45 : 55) 31.033 23.331 33.716
3. Getränke Straße lt. Fp (unstr.) 2.257 2.443 1.721
4. Gastro-Verkauf lt. Fp (unstr.) 2.508 5.982 1.691
5. Umsätze (1.- 4.) 61.188 50.845 64.715
USt 16% 9.790,04 8.135,15 10.354,35
6. Umsätze erm. Steuersatz 63.528 71.809 60.724
(lt. Fp) USt 7 % 4.446,96 5.026,63 4.250,68
d) Für die Umsatzsteuern der Streitjahre insgesamt sind damit folgende Besteuerungsgrundlagen anzusetzen:
VZ 2003 2004 2005
EUR EUR EUR
Steuerfreie Umsätze
101.949 123.668 146.020
1 16% 24.910 21.474 25.769
2 16% 21.726 8.085 0
3 16% 8.589 8.589 8.589
6 bzw.
5 16% 61.188 50.845 64.715
6 bzw.
5 7% 63.528 71.809 60.724
Vorsteuern insg.
5.507
8.315
9.730
USt insg.
17.565
10.951
10.372
Damit waren die Umsatzsteuerfestsetzungen entsprechend der Tenorierung im Urteil zu ändern.
Da die Klägerin nur teils obsiegt hat, teilweise aber mit ihrer Klage unterlegen ist, waren die Kosten des Verfahrens verhältnismäßig zu teilen (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war angesichts der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).