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  • 14.11.2012 · IWW-Abrufnummer 133505

    Finanzgericht München: Beschluss vom 22.06.2012 – 8 V 1021/12

    Das FG kann mangels substantiierter Einwände die Feststellungen des Strafgerichts übernehmen und von der Arbeitgebereigenschaft eines als „Betriebsleiter” Aufgetretenen ausgehen.


    Beschluss
    In der Streitsache
    hat der 8. Senat des Finanzgerichts München durch … ohne mündliche Verhandlung am 22. Juni 2012 beschlossen:
    1. Der Antrag wird abgelehnt.
    2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
    Gründe
    I.
    Streitig ist im Einspruchsverfahren, ob der Antragsteller vom Antragsgegner – dem Finanzamt (FA) – zu Recht als Arbeitgeber bzw. als für den Arbeitgeber handelnde Person für nicht einbehaltene oder abgeführte Lohnsteuern mit Haftungsbescheid vom 9. Januar 2012 in Anspruch genommen worden ist.
    Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf das Urteil des Amtsgerichts München vom 20. März 2011 Bezug genommen, in dem der Antragsteller unter anderem wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist. Danach hat der Antragsteller unter Einschaltung der X OHG (OHG) im Zeitraum Juli 2007 bis Ende August 2008 diverse Bauaufträge ausgeführt und selbst als Arbeitgeber polnische Arbeitnehmer beschäftigt.
    Der Antragsteller trägt mit seinem AdV-Antrag an das Gericht – wie schon vor dem Strafgericht – vor, er sei lediglich Betriebsleiter der OHG gewesen und daher nicht selbst Arbeitgeber.
    Die Antragsteller beantragen,
    die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 9. Januar 2012 wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit auszusetzen.
    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.
    Wegen der Einlassungen des FA wird auf dessen Stellungnahme vom 14. April 2012 verwiesen.
    II.
    1. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist mangels Beschwer unzulässig. Sie ist nicht Adressat des streitgegenständlichen Haftungsbescheides und daher rechtlich von ihm nicht betroffen. Dass das FA irrtümlich den Antrag auf AdV auch gegenüber der Antragstellerin zu 2) abgelehnt hat, beschwert die Antragstellerin als Nicht-Adressatin des Ausgangsbescheides nicht.
    2. Der Antrag des Antragstellers zu 1) ist unbegründet.
    Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehen nach Aktenlage nicht.
    Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist bereits dann begründet, wenn ein nicht nur geringer Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gegen den Verwaltungsakt eingelegte Rechtsbehelf Erfolg haben wird (Bundesfinanzhof-BFH-Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BStBl II 1994, 756; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 1998 IX B 25/97, BFH/NV 1998, 994; vom 25. August 1998 II B 25/98, BStBl II 1998, 674; vom 23. Juli 1999 VI B 116/99, BStBl II 1999, 684).
    Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt.
    Der angefochtene Haftungsbescheid verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
    Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508, und Senatsurteil vom 4. Oktober 1988 VII R 53/85, BFH/NV 1989, 274, 275). Das FA hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind (hierzu unten a.). Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) zu treffende Ermessensentscheidung des FA an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will (hierzu unten c.). Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
    a. Haftungstatbestand
    Nach § 42d Einkommensteuergesetz (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Im Streitfall war der Antragsteller bei der im AdV-Verfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Beurteilung Arbeitgeber der polnischen Arbeiter.
    Das Strafgericht hat in seinem Urteil, das aufgrund einer Hauptverhandlung von sieben Tagen Dauer ergangen ist, festgestellt, dass die OHG lediglich zum Schein vorgeschoben worden war und tatsächlich der Antragsteller Arbeitgeber der polnischen Arbeiter war. Dabei hat sich das Gericht mit der auch jetzt erhobenen Einlassung des Antragstellers auseinandergesetzt, er sei lediglich angestellter Bauleiter der OHG gewesen. Hierzu hat es festgestellt, dass die OHG nach dem Plan des Antragstellers und des G B initiiert worden ist und der Antragsteller deren Generalbevollmächtigter war. Die tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse haben jedoch nicht dem Gesellschaftsvertrag entsprochen. Ausweislich des Tatbestandes des Strafurteils hat der Antragsteller eingeräumt, den polnischen Arbeitskräften eine Arbeiterunterkunft organisiert und Arbeitskleidung gekauft zu haben. Er hat die Gelder an die polnischen Arbeiter in Absprache mit dem bereits genannten P ausgezahlt, Zugriff auf das Konto der OHG gehabt und Überweisungen getätigt. Das Strafgericht hat schließlich aufgrund der festgestellten Gesamtumstände den Antragsteller als tatsächlichen Arbeitgeber beurteilt.
    Diese Feststellungen macht sich der erkennende Senat zu eigen (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Januar 2007 V B 160/06, BFH/NV 2007, 759), weil er bei summarischer Beurteilung davon überzeugt ist, dass diese zutreffend sind und der Antragsteller keine substantiierten Einwendungen erhebt, sondern lediglich pauschal seine Aussage vor dem Strafgericht wiederholt. Der Antragsteller verweist auf eine „nachzuholende Beweisaufnahme” vor dem Finanzgericht. Eine solche findet aufgrund des Charakters des AdV-Verfahrens als Eilverfahren nicht statt. Vielmehr ist auf Grundlage der präsenten Beweismittel zu entscheiden.
    Soweit das Strafgericht hilfsweise auch darauf abgestellt hat, dass der Antragsteller auch dann Träger der Arbeitgeberpflichten gewesen wäre, wenn er als Verantwortlicher der OHG gehandelt hätte, begründen dieselben Erwägungen bei Annahme dieser Sachverhaltsalternative eine steuerliche Haftung des Antragstellers als Verantwortlicher der OHG nach §§ 34, 35, 69 Satz 1, 71 AO. In beiden Fällen wäre bei summarischer Beurteilung von einer Steuerhinterziehung durch den Antragsteller auszugehen und damit eine Haftung auch nach § 71 AO zu bejahen.
    b. Haftungsbescheid
    Den zugrunde liegenden Sachverhalt hat das FA durch Verweis auf die tatsächlichen Feststellungen des Hauptzollamtes, die dem Antragsteller bei Erlass des Haftungsbescheides bekannt waren, hinreichend dargestellt. Diese Feststellungen hat mittlerweile auch das Strafgericht bestätigt. Zweifel in formeller Hinsicht sind nicht ersichtlich.
    c. Ermessen
    Die Inanspruchnahme des Antragstellers ist ermessensfehlerfrei.
    Da die Inanspruchnahme des Steuerhinterziehers nach ständiger BFH-Rechtsprechung dem Grunde wie der Höhe nach stets ermessensgerecht ist (Ermessensvorprägung – BFH vom 8. September 2004 XI R 1/03, HFR 2005, 293), kommt es für die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme nicht darauf an, dass das Finanzamt seinen Haftungsbescheid lediglich auf § 42d EStG gestützt hat, dabei jedoch nicht auf die Frage eingegangen ist, ob auch der P in Anspruch zu nehmen wäre.
    Das FA war auch nicht gehalten auf die vom Strafgericht nur hilfsweise dargestellte Sachverhaltsalternative eines Tätigwerdens für die OHG gesondert einzugehen und die (zu bejahende) Haftung auch für diese zu begründen.
    d. Die der Haftung zugrundeliegenden Lohnsteuern bzw. Lohnsummen hat das FA geschätzt. Einwendungen, die diese Schätzung betreffen, wurden nicht erhoben.
    e. Soweit der Antragsteller die existenziell vernichtende Wirkung des angegriffenen Bescheides reklamiert, folgt aus seinem Vortrag nicht eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO. Der Antragsteller verfügt über Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und kann daher den Vollstreckungsschutz nach der Zivilprozessordnung beanspruchen, so dass eine Pfändung des Finanzamts über die Pfändungsfreigrenzen hinaus ausscheidet – und damit auch eine Existenzgefährdung.
    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 42d, AO § 71