10.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132150
Finanzgericht Münster: Urteil vom 10.04.2013 – 13 K 3654/10 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist im Rahmen der Einkommensteuer-Festsetzungen für 2000 bis 2004, ob die streitbefangenen Scheckzahlungen an den Kläger der Einkommensteuer unterliegen und ob hinsichtlich der Einkommensteuer 2000 bis 2004 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
Der Kläger war in den Streitjahren ledig und wurde zur Einkommensteuer einzeln veranlagt. Er ist ausgebildeter ... und ...-meister. Seine Gesellenprüfung legte er 1997 und seine Meisterprüfung 2000 ab. Er erzielte in den Streitjahren als angestellter Geselle Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ab Dezember 2000 bis März 2004 erhielt er zudem von der ... B. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Firma B.) mit Sitz in E. monatlich per Post Schecks über einen Betrag in Höhe von 1.200,- DM bzw. 613,55 EUR übersandt, die er jeweils auf seinem Konto einlöste. Die Höhe und der Zeitpunkt der dem Kläger zugeflossenen Beträge ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Schecks erhielt er aufgrund eines Kontakts zu der Firma B., bei dem ihm eine Bezahlung für die Überlassung seines Meisterbriefs angeboten worden ist. Die Firma B. bat ihn insoweit mit einem Anschreiben vom 28.09.2000, die beigefügten Formulare eines auf seinen Namen ausgestellten Anstellungsvertrags sowie eine auf seinen Namen ausgestellte sog. Betriebsleitererklärung an den gekennzeichneten Stellen zu unterschreiben und an sie zusammen mit einer Kopie seines Meisterbriefs zurück zu senden. Die Firma B. verwendete die von dem Kläger übersandten Unterlagen, was dem Kläger auch bekannt war, zur Vorlage bei den Krankenkassen, um eine Zulassung zur Abgabe von ...-hilfen für eine weitere Betriebsstätte zu erhalten. Die Benennung eines Meisters als Betriebsleiter war seinerzeit zwingend erforderlich, um eine Zulassung für eine Betriebsstätte zu erhalten. Die Firma B. hatte insoweit gegenüber der Bundesknappschaft einen Betriebsleiterwechsel zum 01.08.2000 angezeigt und den Kläger als neuen Betriebsleiter angegeben. Daraufhin wurde der Firma B. durch die Bundesknappschaft mit Bescheinigung vom 19.01.2001 die Zulassung zur Abgabe von ...-hilfen unter Angabe des Klägers als Betriebsleiter für die Betriebsstätte T.-strasse 01, N1. erteilt. Tatsächlich war der Kläger aber für die Firma nicht tätig bzw. hielt sich im streitbefangenen Zeitraum auch zu keinem Zeitpunkt in der Filiale in N1. oder in einer anderen Filiale der Firma B. auf.
Der Kläger reichte seine Einkommensteuer-Erklärungen für 2000 bis 2004 jeweils im Folgejahr beim Beklagten ein. Der Beklagte erließ unter dem 08.06.2001 (für 2000), 19.03.2002 (für 2001), 01.04.2003 (für 2002), 17.02.2004 (für 2003) und 27.04.2005 (für 2004) Einkommensteuer-Bescheide für 2000 bis 2004, in denen er erklärungsgemäß (nur) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfasste.
Das Finanzamt E. übersandte dem Beklagten am 02.04.2009 eine Kontrollmitteilung, nach der der Kläger von Herrn V. X1. B. monatliche Honorare in Höhe von 1.200,- DM bzw. 613,55 EUR erhalten habe. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung C. leitete gegen den Kläger am 17.08.2009 ein Strafverfahren wegen des Verdachts, für 2004 eine unzutreffende Einkommensteuer-Erklärung eingereicht zu haben, ein, das 2010 gemäß § 398 der Abgabenordnung (AO) eingestellt wurde.
Der Beklagte ordnete zudem mit Verfügung vom 03.09.2009 eine Außenprüfung bei dem Kläger für die Streitjahre 2000 bis 2004 an, mit der am 27.10.2009 begonnen wurde. In dem Bericht über die Außenprüfung vom 27.01.2010 führte der Prüfer aus: Da der Kläger monatlich Einnahmen erzielt habe, die aufgrund seiner beruflichen Qualifikation gezahlt worden seien, und weil er nicht als Arbeitnehmer bei der Firma B. beschäftigt gewesen sei, würden die Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angesehen. Die Einkommensteuer-Bescheide für 2000 bis 2004 seien gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Die Festsetzungsfrist sei noch nicht abgelaufen, da der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt sei.
Der Beklagte erließ nach Maßgabe der Prüfungsfeststellungen unter dem 09.03.2010 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte ESt-Bescheide für 2000 bis 2004
Der Kläger legte gegen diese Bescheide am 01.04.2010 Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor: Er habe eine Bezahlung für die schlichte Überlassung einer Kopie seines Meisterbriefs erhalten. Im Streitfall kämen daher weder Einkünfte aus Gewerbebetrieb noch solche aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit in Betracht. Fraglich sei auch, ob sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG vorliegen würden. Er habe keinerlei aktive und sich ständig wiederholende Leistungen erbracht, die eine Anknüpfung für einen Steuertatbestand sein könnten. Er sei zudem rechtlich verunsichert gewesen, ob denn die fraglichen Einnahmen überhaupt steuerbar bzw. steuerpflichtig gewesen seien, weil die Einnahmen in einem gesetzeswidrigen Zusammenhang gestanden hätten und das abgeschlossene Scheingeschäft daher außerhalb einer Besteuerung habe liegen können. Er könne nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht als Vorsatztäter behandelt werden. Es möge vielleicht im Nachhinein leichtfertig, gedanken- oder sogar gewissenlos erscheinen, dass er keine Erkundigungen über die Besteuerungsfrage eingeholt habe. Ein derart pflichtwidriges Unterlassen mache ihn jedoch keinesfalls zu einem vorsätzlich handelnden Hinterziehungstäter, sondern lediglich – wenn überhaupt – zu einem leichtfertigen Steuerverkürzer. Dies aber auch nur, wenn der Sachverhalt überhaupt gemäß § 22 Nr. 3 EStG steuerbar sei, woran er berechtigte Zweifel habe.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 07.09.2010 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus: Selbst wenn keine gewerblichen Einkünfte erzielt worden wären, wären die Einnahmen nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuern. Auch Einnahmen aus vorgespielten Leistungen seien steuerpflichtig. Der Kläger habe bezüglich der wahrheitswidrigen Nichtangabe der Einkünfte auch zumindest mit Eventualvorsatz gehandelt. Er habe mit seiner Unterschrift auf dem Mantelbogen wahrheitswidrig versichert, die Angaben in dem Vordruck und den Anlagen nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben. Damit habe er die Steuerverkürzung billigend in Kauf genommen. Anders sei auch nicht zu erklären, dass er, soweit eine Unsicherheit hinsichtlich der steuerlichen Behandlung der Einkünfte bestanden habe, weder fachlichen Rat eingeholt noch ihm den Sachverhalt offenbart habe. Ein Tatbestandsirrtum liege im Streitfall nicht vor. Der Kläger habe eine abgeschlossene Meisterprüfung und sei dadurch mit steuerlichen Grundfragen vertraut gewesen sei.
Der Kläger hat am 30.09.2010 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung ergänzend vor: Es liege schon objektiv keine Steuerbarkeit vor. Allenfalls komme eine Steuerbarkeit der Zahlungen als sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG in Betracht. Im Streitfall sei jedoch bereits fraglich, was er denn überhaupt zur Entgelterzielung geleistet haben solle. Er habe lediglich davon gewusst, dass die Firma B. den Anschein seiner Anstellung als Betriebsleiter habe erwecken wollen. Wirtschaftlich betrachtet könne es sich im Streitfall um Einnahmen aus einem mittäterschaftlich begangenen oder zumindest von ihm unterstützten Betrug der Firma B. gegenüber der Bundesknappschaft handeln. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Firma B. bzw. deren Inhaber V. B. von diesem Abrechnungsbetrug selbst gar nichts gewusst habe, denn ihm gegenüber sei als Alleinhandelnder nur ein Herr U. C1. aufgetreten. Möglicherweise seien die Betrugs- und Veruntreuungshandlungen – ohne Wissen und Einverständnis des Unternehmensträgers – durch Auszahlungen aus dem Betriebsvermögen an ihn allein durch Herrn C1. initiiert worden. Einnahmen dieser Art seien jedoch evident nicht steuerbar. Es könne zudem nicht ausgeschlossen werden, dass er durch sein duldendes Einverständnis mit der Anscheinserweckung einer Betriebsleitertätigkeit zur Erzielung rechtswidriger Umsätze durch die Firma B. beigetragen habe, aus denen er faktisch verprovisioniert worden sei. Darin könne jedoch keine steuerbare Leistung erblickt werden, denn er habe im Ergebnis Zahlungen ohne eine rechtlich anzuerkennende Gegenleistung erhalten. Einnahmen aus verboten-strafbarer Tätigkeit seien seiner Auffassung nach zudem nicht steuerbar, weil es nicht Vertragsgegenstand sein könne, eine Anstellungstätigkeit für Betrugszwecke vorzutäuschen. Eine Bezahlung für die fortgesetzte Begehung strafbarer Gehilfen-Handlungen sei ebenso wenig steuerbar wie Diebstahls-, Unterschlagungs- oder Untreueerträgnisse.
Darüber hinaus sei im Streitfall Festsetzungsverjährung eingetreten, da er keine Steuerhinterziehung begangen habe. Selbst wenn man von der Steuerbarkeit der Einnahmen und mithin von einer Steuerverkürzung ausgehe, habe er diesbezüglich nicht vorsätzlich gehandelt. Er habe sich in einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum befunden, denn er habe annehmen dürfen, dass die Einnahmen aus dem Betrug nicht steuerbar und daher auch nicht zu erklären seien. Die Unkenntnis über eine bestehende Erklärungspflicht ergebe sich schon prima facie aus der vorliegend gegebenen Gemengelage, die eine einfache, klare und zuverlässige Zuordnung der Einnahmen zu einer Einkunftsart verhindere.
Im Übrigen habe er auch glauben können, nicht zu einer Selbstbelastung, die bei einer Erklärung der Einnahmen zu befürchten gewesen wäre, verpflichtet gewesen zu sein. Bei einer Angabe der strafbar-verboten erzielten Einnahmen und deren Quelle in der Steuererklärung habe er befürchten müssen, im weiteren Verlauf durch mögliche, jedenfalls nicht ausschließbare Untersuchungen der Finanzbehörde überführt zu werden, sich also auf diese Weise polizeilichen und strafgerichtlichen Maßnahmen auszusetzen. Dies gelte in ganz besonderem Maße vor dem Hintergrund der Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten von Finanzbehörden bei der Aufklärung auch außersteuerlicher Straftaten gemäß §§ 31, 31a, 31b AO. Jedoch gelte der allgemeine Rechtsgrundsatz, dass sich niemand einer von ihm begangenen Straftat selbst bezichtigen müsse. Wenn es danach aber keine Verpflichtung zur Selbstbelastung gebe, der Täter aber befürchten müsse, über seine Angaben in der Steuererklärung zu Art und Umfang kriminell erzielter Einnahmen entdeckt und überführt zu werden, dann sei er berechtigt, derartige Angabe auch zu unterlassen, so dass er im Streitfall objektiv nicht pflichtwidrig gehandelt habe.
Allerdings müsse er einräumen, dass die Rechts- und Gesetzessystematik zum Schutz des Täters einer außersteuerlichen Straftat und zur Wahrung des Grundsatzes „nemo tenetur se ipsum accusare“ anders und abweichend geregelt worden sei, nämlich durch ein Beweisverwendungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO, wonach die sich aus den Angaben in einer Steuererklärung ergebenden Anhaltspunkte nicht für außersteuerliche Straftaten verwendet und verwertet werden dürften. Jedoch sei es ihm – einem rechtlich und steuerlich nicht vorgebildeten ... – im Streitfall nicht vorzuhalten und zu unterstellen, er habe von diesem Spezialgesetz und dem darin geregelten Beweisverwendungsverbot gewusst. Er sei vielmehr davon überzeugt gewesen, sich nicht selbst durch die Angabe der Besteuerungsgrundlagen belasten zu müssen. Er sei sich sicher gewesen, sich so verhalten zu dürfen, um nicht wegen Beihilfe zum Abrechnungsbetrug zur Verantwortung gezogen zu werden; an steuerliche oder gar steuerstrafrechtliche Folgen habe er nicht gedacht. Dadurch, dass er – selbst wenn im Streitfall also nur ein Beweisverwendungsverbot bestanden habe – an ein Beweiserhebungsvorbot geglaubt habe, sei er einem Irrtum über die Pflichtwidrigkeit seines Unterlassens, einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 StGB, unterlegen gewesen.
Er habe die Einnahmen gegenüber dem Beklagten unerklärt gelassen, weil er habe ausschließen wollen, dadurch seiner strafbaren Beihilfehandlungen zum Abrechnungsbetrug überführt zu werden, seine betrügerischen Einnahmequelle zu verlieren und berufsrechtlich sanktioniert zu werden. Gleichzeitig habe er – wie er bereits ausgeführt habe – aber auch annehmen dürfen, dass die Einnahmen aus dem Betrug gar nicht steuerbar seien. Seine Hauptmotivation habe allerdings in der Nichtentdeckung als Betrugshelfer gelegen.
Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuer-Änderungsbescheide vom 09.03.2010 für die Kalenderjahre 2000 bis 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2010 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Der Senat hat am 10.04.2013 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet.
Die angefochtenen Einkommensteuer-Bescheide für 2000 bis 2004, jeweils vom 09.03.2010 und jeweils in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.09.2010, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
I Sonstige Einkünfte (§ 22 EStG)
Der Beklagte hat zu Recht die streitbefangenen Zahlungen der Einkommensteuer unterworfen. Entgegen der Ausführungen des Beklagten im Bericht über die Außenprüfung und in der Einspruchsentscheidung erzielte der Kläger jedoch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 EStG), sondern sonstige Einkünfte im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG.
Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu den anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 gehören.
1 Sonstige Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG
Eine (sonstige) Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das weder eine Veräußerung noch einen veräußerungsähnlichen Vorgang im Privatbereich betrifft (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 27.06.2006 IX R 25/05, BFH/NV 2007, 657; BFH-Urteil vom 26.10.2004 IX R 53/02, BFHE 207, 305, BStBl II 2005, 167), Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein kann und eine Gegenleistung auslöst. Als Leistung kommt danach – abgesehen von im Streitfall nicht vorliegenden Veräußerungs- oder veräußerungsähnlichen Vorgängen – jedes wie auch immer geartete aktive, passive oder nichtwirtschaftliche Verhalten des Steuerpflichtigen in Betracht (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 24.04.2012 IX R 6/10, BFHE 237, 192, BStBl II 2012, 581). Dauer und Häufigkeit der Leistung(en) sind ohne Bedeutung. Entsprechend ihrem Wortlaut erfasst die Vorschrift nicht nur ein gelegentliches oder auch ein nur einmaliges Verhalten, sondern auch ein sich wiederholendes, regelmäßig erbrachtes oder auf (eine gewisse) Dauer oder Wiederholung angelegtes Tun, Dulden oder Unterlassen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 24.04.2012 IX R 6/10, BFHE 237, 192, BStBl II 2012, 581; Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 32. Auflage 2013, § 22 Rz. 134).
Ein synallagmatisches Verhältnis von Leistung und Gegenleistung (Verhalten und Entgelt) im Sinne eines Austauschvertrags ist nicht erforderlich. Entscheidend ist vielmehr, ob das Entgelt (die Gegenleistung) durch das Verhalten des Steuerpflichtigen (wirtschaftlich) veranlasst ist; dafür genügt es, dass die Gegenleistung durch das Verhalten des Steuerpflichtigen – wenn auch erst nachträglich – "ausgelöst" wird (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.2012 IX R 6/10, BStBl II 2012, 581; BFH-Urteil vom 07.12.2010 IX R 46/09, BFHE 236, 87, BStBl II 2012, 310). Allerdings führt nicht jede Einnahme, die durch ein Verhalten ausgelöst wird, auch zu Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG. Die Norm erfasst – wie auch der Wortlaut der Vorschrift erkennen lässt ("gelegentliche Vermittlungen", "Vermietung beweglicher Gegenstände") – ergänzend zu den übrigen Einkunftsarten, das Ergebnis einer Erwerbstätigkeit oder Vermögensnutzung und setzt wie diese die allgemeinen Merkmale des Erzielens von Einkünften nach § 2 EStG, also ein erwerbswirtschaftliches Verhalten, voraus. Das verlangt aber nicht, dass der Leistende bereits beim Erbringen seiner Leistung eine Gegenleistung erwarten müsste. Ausreichend ist vielmehr, dass er eine im wirtschaftlichen Zusammenhang mit seinem Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) gewährte (Gegen-)Leistung als solche annimmt. Auf diese Weise ordnet er sein Verhalten der erwerbswirtschaftlich und damit auch steuerrechtlich bedeutsamen Sphäre zu (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 24.04.2012 IX R 6/10, BStBl II 2012, 581; BFH-Urteil vom 25.02.2009 IX R 33/07, BFH/NV 2009, 1253).
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 EStG im Streitfall vor. Der Kläger hat mit seinem Verhalten gegenüber der Firma B. bzw. Herrn C1. eine (sonstige) Leistung im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG erbracht. Er überließ der Firma B. bzw. Herrn C1. den von ihm zum Schein unterzeichneten Anstellungsvertrag, die zum Schein unterzeichnete Betriebsleitererklärung sowie die Kopie seines Meisterbriefs, um der Firma B. zu ermöglichen, mit diesen Unterlagen gegenüber den Krankenkassen den Anschein seiner Betriebsleitertätigkeit in einer ihrer Betriebsstätten zu erwecken. Ferner duldete er bis März 2004 die weitere „Nutzung“ dieser Unterlagen, d.h. die fortdauernde Anscheinserweckung seiner Betriebsleitertätigkeit für die Firma B. Sein Verhalten stand – auch wenn dies für die Zuordnung zu den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG nicht erforderlich ist – in einem synallagmatischen Verhältnis zu der für die Überlassung/Duldung erhaltenen Gegenleistung. Denn – wie den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung selbst zu entnehmen ist – hat er die ihm angebotene Bezahlung für die Überlassung des Meisterbriefs angenommen, um neben seinen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit „zusätzliche Einnahmen zu bekommen“. Die Schecks stellten damit eine Gegenleistung für die Überlassung der Unterlagen bzw. die Duldung der Nutzung dar.
Der von dem Kläger gezogene Vergleich zu der keinen Einkünftetatbestand erfüllenden „Beute“ z.B. aus einem Diebstahl, aus einer Untreue oder aus einem Betrug greift nicht, denn im Streitfall erhält der Kläger die monatlichen Beträge mit Wissen und Wollen des die Gegenleistung Erbringenden. Hingegen handelt es sich bei der „Beute“ um eine Aneignung ohne Wissen und Wollen des Geschädigten. Es kann im Streitfall auch dahingestellt bleiben, ob Herr C1. bei seinem Kontakt zu dem Kläger als Vertreter seines Arbeitgebers, der Firma B., oder – wie der Kläger andeutet – gegebenenfalls ohne Wissen der Firma B. gehandelt hat. Denn auch wenn Herr C1. ohne Wissen der Firma B., d.h. im eigenen Namen gehandelt haben sollte, hat der Kläger die monatlichen Schecks – die Gegenleistungen – mit Wissen und Wollen des Erbringenden – dann Herrn C1. – erhalten. Ob dieser – wie der Kläger ebenfalls andeutet – die Mittel zur Erbringung der Gegenleistungen wiederum selbst aus Veruntreuungshandlungen gegenüber seinem Arbeitgeber, der Firma B., erlangt hatte, hat für die Beurteilung des Austauschverhältnisses mit dem Kläger keine Bedeutung. Denn jedenfalls im Verhältnis zu dem Kläger erfolgten die jeweiligen Zahlungen mit Wissen und Wollen des Erbringenden, der Firma B. bzw. Herrn C1..
Auch der Umstand, dass der Kläger sich mit seinem Verhalten gegebenenfalls der Beihilfe zu einer Straftat strafbar gemacht hat, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts, denn § 22 Nr. 3 EStG erfasst auch Entgelt für verbotene Leistungen, d.h. – soweit die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 EStG erfüllt sind – auch strafbare oder berufsrechtlich sanktionierte Handlungen. Denn nach § 40 AO ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder teilweise erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt.
2 Einkünfte unterfallen keinem anderen Einküntetatbestand
Die Einkünfte des Klägers gehören auch weder zu den anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften im Sinne des § 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 EStG. Im Streitfall liegen – entgegen der Ausführungen des Beklagten – auch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 15 EStG vor.
Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ist ein Gewerbebetrieb eine selbstständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn sie weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbstständige Arbeit anzusehen ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 EStG). Die genannten Merkmale sind gesetzliche Mindesterfordernisse, die alle erfüllt sein müssen, um einen Gewerbebetrieb zu bejahen, auch wenn an das Vorliegen einiger dieser Voraussetzungen keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Bei Grenzfällen ist bei der Auslegung der in § 15 Abs. 2 EStG genannten Merkmale zudem das nach der Verkehrsanschauung zu beurteilende „Bild des Gewerbetreibenden“ heranzuziehen (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 10.12.2001, GrS 1/98, BStBl II 2002, 291; Wacker, in Schmidt, EStG, 32. Auflage 2013, § 15 Rz. 8).
Hiervon ausgehend entspricht die zu beurteilende „Tätigkeit“ des Klägers, die Unterlagen (Schein-Anstellungsvertrag, Schein-Betriebsleitererklärung, Meisterbrief) der Firma B. bzw. Herrn C1. zu überlassen und deren „Nutzung“ zu dulden, nach ihrer Art und ihrem Umfang nicht dem Bild einer unternehmerischen Marktteilnahme, dem „Bild eines Gewerbetreibenden“. Es fehlt an einem Angebot am allgemeinen Markt, einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr.
Im Übrigen ergäbe sich im Streitfall aber auch keine andere festzusetzende Einkommensteuer, wenn die Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb zu erfassen wären. Denn der Höhe nach sind die der Einkommensteuer zu unterwerfenden Einkünfte gleich. Mithin kann im Streitfall letztendlich dahingestellt bleiben, ob die Einkünfte des Klägers dem Einkünftetatbestand des § 22 Nr. 3 EStG oder des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zuzuordnen sind.
II Berichtigungsvorschrift
Die Voraussetzungen der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, die der Beklagte zur Berichtigung der Einkommensteuer-Bescheide für 2000 bis 2004 herangezogen hat, lagen – was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist – vor. Dem Beklagten sind die streitbefangenen Einnahmen aus der Überlassung der Unterlagen bzw. Duldung der Nutzung, die zu einer höheren Steuer führen, erst nachträglich bekannt geworden
III Festsetzungsverjährung
Den Berichtigungen der Einkommensteuer-Festsetzungen für 2000 bis 2004 stand auch die Festsetzungsverjährung nicht entgegen.
Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist die Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Ist eine Steuererklärung einzureichen, beginnt die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO jedoch erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese eingereicht wird, spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Die Festsetzungsfrist beträgt bei der Einkommensteuer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO grundsätzlich vier Jahre. Sie beträgt nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen, und fünf Jahre, soweit sie leichtfertig verkürzt worden ist. Die Festsetzungsfrist läuft nicht ab, wenn eine sog. Ablaufhemmung eingreift. Nach § 171 Abs. 4 AO läuft, wenn vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen wird, die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht ab, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.
1 Einkommensteuer 2004
Hiervon ausgehend war die Änderung der Einkommensteuer-Festsetzung für 2004 zulässig. Die „normale“ vierjährige Festsetzungsfrist war zum Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Einkommensteuer-Bescheids für 2004 noch nicht abgelaufen. Denn der Kläger hat seine Einkommensteuer-Erklärung für 2004 im Folgejahr 2005 beim Beklagten eingereicht, so dass die Festsetzungsfrist am 31.12.2005 begann und die vierjährige Festsetzungsfrist grundsätzlich bis zum 31.12.2009 lief. Der Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist war jedoch im Streitfall gemäß § 171 Abs. 4 AO gehemmt, da der Beklagte am 27.10.2009, d.h. vor dem 31.12.2009, mit einer Außenprüfung bei dem Kläger, die sich auch auf die Einkommensteuer 2004 erstreckte, begann. Dadurch war der Ablauf der Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit des aufgrund der Außenprüfung erlassenen Änderungsbescheids (im Streitfall: des streitbefangenen Einkommensteuer-Bescheids vom 09.03.2010) gehemmt. Bezüglich der Einkommensteuer 2004 war mithin am 09.03.2010 – unabhängig davon, ob die Steuern insoweit hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden sind – noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten.
2 Einkommensteuer 2000 bis 2003
Die Festsetzungsfrist war aber auch für die anderen Streitjahre gewahrt. Denn bezüglich der bisher nicht erklärten Einnahmen des Klägers liegen die Voraussetzungen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO und damit der gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist vor. Die Festsetzungsfrist für das „älteste“ Streitjahr 2000 endete danach am 31.12.2011 (Abgabe der Einkommensteuer-Erklärung 2000 im Jahr 2001; Beginn der Festsetzungsfrist 31.12.2001). Mithin war die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2000 am 09.03.2010 noch nicht verstrichen. Dies gilt gleichermaßen auch für die streitbefangenen Einkommensteuer-Festsetzungen für 2001 bis 2003, jeweils vom 09.03.2010.
Hängt - wie im Streitfall - die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung von der Feststellung einer Steuerhinterziehung ab, haben die Finanzbehörden und Finanzgerichte eigenständig nach den Vorschriften der AO und FGO zu ermitteln und zu entscheiden, ob die Voraussetzungen einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO gegeben sind. Der – auch von dem Kläger angeführte – Grundsatz „in dubio pro reo“ ist zwar auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren zu beachten, jedoch bedeutet dies keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrens, sondern ist Ausfluss dessen, dass die Behörde im finanzgerichtlichen Verfahren die Feststellungslast für die Frage, ob eine Steuerhinterziehung vorliegt, trägt. Für die Feststellung einer Steuerhinterziehung ist danach kein höherer Grad von Gewissheit notwendig, als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Feststellungslast trägt. D.h. das Finanzgericht muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon überzeugt sein, dass eine Steuerhinterziehung vorliegt (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 20.06.2007 II R 66/06, BFH/NV 2007, 2057; BFH-Beschluss vom 19.01.2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709).
Steuern werden u.a. dann hinterzogen, wenn der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Steuern sind nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Die Verkürzung muss zudem vorsätzlich erfolgt sein.
Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens davon überzeugt, dass der Kläger in den Streitjahren jeweils eine Steuerhinterziehung begangen hat:
a Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO
Der Kläger erfüllte im Streitfall durch die Nichtangabe der streitbefangenen Einnahmen in seinen Einkommensteuer-Erklärungen den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Er hat gegenüber dem Beklagten in den Streitjahren unvollständige Angaben gemacht, die jeweils zu einer Steuerverkürzung führten.
Das Verschweigen der streitbefangenen Einnahmen stellt – entgegen der Auffassung des Klägers – auch einen Fall der Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und nicht der Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO („pflichtwidriges in Unkenntnis lassen über steuerlich erhebliche Tatsachen“) dar. Denn mit seiner Unterschrift auf den Erklärungsvordrucken versicherte der Kläger, dass die Angaben in den Erklärungen wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden sind (vgl. § 150 Abs. 2 AO), was auch die Behauptung der Vollständigkeit der Angaben – der erklärten Einnahmen – impliziert. Der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Handelns des Klägers liegt daher nicht in einem „Unterlassen“ (= § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO), sondern vielmehr in der Behauptung der Vollständigkeit der Angaben in der Einkommensteuer-Erklärung, einem „Handeln“, so dass die Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO einschlägig ist (vgl. auch FG Rheinland-Pfalz 2 K 1592/10, DStRE 2011, 1347; Jäger, in Klein, AO, 11. Auflage, § 370 Rz. 60; Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Auflage, § 370 Rz. 129).
b Vorsatz
Der Kläger hat insoweit zur Überzeugung des Senats auch vorsätzlich gehandelt.
Eine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgt vorsätzlich, wenn sie mit Wissen und Wollen desjenigen, der die unvollständigen Angaben macht, geschieht. Für ein vorsätzliches Handeln reicht es aber auch aus, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des objektiven Tatbestandes zumindest billigend in Kauf nimmt und im Wege einer „Parallelwertung der Laiensphäre“ erkennt, dass er zu einem steuerlich erheblichen Sachverhalt unvollständige Angaben macht und hierdurch Steuern verkürzt (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 30.06.2010 II R 14/09, BFH/NV 2010, 2002). Dazu muss er u.a. den angegriffenen Steueranspruch nach Grund und Höhe für möglich halten. Jedoch muss der Täter nicht alle Einzelheiten und insbesondere nicht die genauen gesetzlichen Grundlagen des Steueranspruchs kennen; es genügt vielmehr, wenn er im Sinne einer "Parallelwertung in der Laiensphäre" erkennt, dass er durch seine unvollständigen Angaben eine Steuerverkürzung bestimmten Umfangs bewirken kann (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 16.12.2008 I R 23/07, juris).
Dass der Kläger im Streitfall die Tatsachen, die zum Verkürzungserfolg geführt haben, kannte und den Verkürzungserfolg zumindest für möglich gehalten und diesen billigend in Kauf genommen hat, ergibt sich für den Senat aus den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, in der er unter anderem vorgetragen hat, dass er befürchtete, dass alles „auffliegen“ könne, wenn die Einnahmen in der Steuererklärung auftauchen würden, und dass er letzten Endes, wenn alles „aufliegen“ würde, seinen Meisterbrief verlieren und vielleicht auch wegen Beihilfe bestraft werden würde. Mithin war er sich nach seinem eigenen Vorbringen in der mündlichen Verhandlung darüber im Klaren, dass die Einnahmen – unabhängig von der zutreffenden Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart – der Einkommensteuer zu unterwerfen und im Rahmen der Einkommensteuer-Erklärungen anzugeben waren, hat dies aber aus „außersteuerlichen“ Gründen, d.h. um nicht berufsrechtlich sanktioniert bzw. strafrechtlich belangt zu werden, nicht getan. Er hat sich damit auch mit dem möglichen Eintritt des Verkürzungserfolgs abgefunden. Die „außersteuerlichen“ Gründe lassen den Vorsatz bezüglich der Steuerhinterziehungen nicht entfallen.
Es liegt im Streitfall auch kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB) vor, denn dieser läge nur vor, wenn der Kläger aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erkannt hat, dass seine Angaben unvollständig sein können bzw. dass ein Verkürzungserfolg eintreten kann. Ein Tatbestandsirrtum läge u.a. dann vor, wenn der Kläger angenommen hätte, dass die steuerliche Behandlung der Angelegenheit – die Nichtangabe der Einnahmen in der Steuererklärung – richtig war (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 29.04.2008 VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842). Dies ist aber im Streitfall gerade nicht der Fall. Denn der Kläger hatte – wie bereits ausgeführt – das Bewusstsein der steuerlichen Relevanz der Einnahmen. Den schriftsätzlichen Vortrag des Klägers, er habe aus „gutem Grund“ annehmen dürfen, dass die Einnahmen aus einem Betrug nicht steuerbar seien, wertet der Senat aufgrund der Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung als Schutzbehauptung.
c “Nemo tenetur se ipsum accusare”
Die Pflicht des Klägers, die streitbefangenen Einnahmen im Rahmen seiner Einkommensteuer-Erklärungen anzugeben, war auch nicht unter dem Gesichtspunkt suspendiert, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder sonst zur eigenen Überführung beizutragen („nemo tenetur se ipsum accusare“). Denn aus §§ 150 Abs. 2, 90 Abs. 1 AO ergibt sich die Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen. Dieser Pflicht steht nicht entgegen, dass ein Steuerpflichtiger – wie der Kläger – mit der wahrheitsgemäßen Angabe von Einnahmen zugleich die Begehung einer eigenen Straftat – im Streitfall gegebenenfalls die Beihilfe zu einer Straftat – aufdecken müsste. Dabei kann der Senat auch dahingestellt lassen, ob der Kläger im Streitfall durch das in § 30 AO niederlegte Steuergeheimnis vor der Weitergabe entsprechender Informationen geschützt gewesen wäre oder ob ein Ausnahmetatbestand des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO oder des § 31a AO eine Weitergabe ermöglicht hätte. Denn selbst wenn ein entsprechender Schutz durch das Steuergeheimnis nicht bestanden hätte, konnte dem Kläger zugemutet werden – gegebenenfalls mit einem niedrigeren Konkretisierungsgrad – die Einnahmen zu offenbaren (vgl. u.a. BGH-Urteil vom 11.11.2004 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, BFH/NV 2005, Beilage 2, 127; Hellmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler § 370 Rz. 107). So hätte der Kläger im Streitfall seiner strafbewehrten Erklärungspflicht dadurch nachkommen können, dass er die Einnahmen betragsmäßig offen legt und einer Einkunftsart zuordnet, ohne die genaue Einkunftsquelle zu benennen. Denn diese Erklärung hätte zu einer Festsetzung der Einkommensteuer ausgereicht, durch die im Ergebnis eine Verkürzung von Steuern – also der von § 370 AO vorausgesetzte Taterfolg – vermieden worden wäre.
Soweit nach der AO darüber hinaus – worauf auch der Kläger hinweist – Erläuterungspflichten (§§ 93 ff. AO) bestehen, die mit den in §§ 328 ff. AO genannten Zwangsmitteln durchsetzbar sind, ist ein Steuerpflichtiger – wie der Kläger – zunächst durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie das in § 393 Abs. 2 AO normierte begrenzte strafrechtliche Verwertungsverbot geschützt. In dem Umfang, in dem dieser Schutz aufgrund überragender öffentlicher Interessen durch § 393 Abs. 2 Satz 2, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO durchbrochen wird, gebietet der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit allenfalls, dass sich die erzwingbare Erklärungspflicht auf die betragsmäßige Angabe der Einkünfte als solche beschränkt und der Steuerpflichtige – im Streitfall der Kläger – nicht mit Zwangsmitteln zur Abgabe weitergehender Erläuterungen zur deliktischen Herkunft der Einkünfte angehalten werden kann. Nur soweit die steuerrechtliche Pflicht zur umfassenden Auskunft mit Zwangsmitteln durchsetzbar wäre, könnte ein Konflikt mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz bestehen, dass niemand zur eigenen Überführung beitragen muss (vgl. Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.10.2004 2 BvR 1316/04, BFH/NV 2005, Beilage 2, 108; vgl. u.a. BGH-Urteil vom 02.12.2005 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, BFH/NV 20006, Beilage 2, 201).
d Verbotsirrtum
Im Streitfall unterlag der Kläger auch keinem schuldausschließenden Verbotsirrtum. Denn die fehlende Einsicht, Unrecht zu tun, schließt die Schuld gemäß § 17 Satz 1 StGB nur aus, wenn er diesen Irrtum – anders als im Streitfall – nicht vermeiden konnte.
Vermeidbar ist ein Verbotsirrtum, wenn der Täter unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Kenntnisse Anlass gehabt hätte, über die mögliche Rechtswidrigkeit seines Handelns nachzudenken oder sich zu erkundigen, um auf diesem Wege zu einer Unrechtseinsicht zu gelangen (vgl. BGH-Urteil vom 18.03.1952 GSSt 2/51, BGHSt 2/51). In Zweifelsfällen darf sich der Rechtsunkundige nicht ohne weiteres auf sein eigenes Urteil verlassen. Er muss vielmehr die erforderlichen Auskünfte einholen (vgl. BGH-Urteil vom 19.04.1984 1 StR 736/83, juris; BGH-Beschluss vom 27.01.1966 KRB 2/65, BGHSt 21, 18; vgl. u.a. Ransiek, in: Kohlmann Steuerstrafrecht § 370 Rz. 678).
Der Kläger trägt im Streitfall vor, er sei davon ausgegangen, dass er sich nicht habe selbst „belasten“ müssen. Die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt, wäre diese Fehlvorstellung jedoch nach Ansicht des Senats durch die Einholung fachlichen Rats vermeidbar gewesen. Eine entsprechende Erkundigung über die Pflicht zur Angabe von Einnahmen trotz einer möglichen Selbstbelastung konnte nach Ansicht des Senats von dem Kläger, der im Jahr 2000 eine Meisterprüfung abgelegt und im Rahmen des Vorbereitungslehrgangs auch – wenn auch nur geringfügige – Ausführungen zum Steuerrecht gehört hat, erwartet werden, zumal der Kläger – wie er ausgeführt hat – bei der Erstellung der Einkommensteuer-Erklärung auch fremde Hilfe in Anspruch genommen hatte, den Hilfeleistenden – einen befreundeten Steuerfachangestellten – jedoch nicht über die streitbefangenen Einnahmen informiert und mithin die für ihn naheliegende Einholung des sachkundigen Rats bei dem Hilfeleistenden unterlassen hat. Auch dies ist dem Kläger anzulasten. Der Verbotsirrtum – sollte er tatsächlich vorhanden gewesen sein – wäre daher nach Ansicht des Senats vermeidbar gewesen. Der Senat kann mithin dahingestellt lassen, ob der Vortrag des Klägers tatsächlich „richtig“ ist oder es sich bei dem Vortrag um eine bloße Schutzbehauptung des Klägers handelt.
e „Unterlassungsalternative“ des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO
Letztendlich ergäbe sich aber auch keine andere rechtliche Beurteilung, wenn man der Rechtsauffassung des Klägers folgend die Nichtangabe der streitbefangenen Einnahmen in den Einkommensteuer-Erklärungen der Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zuordnet. Denn – entgegen der Auffassung des Klägers – stellt der Irrtum, ihm sei die steuerlich gebotene Erklärung nicht zumutbar, da er sich dadurch selbst belasten würde, keinen den Tatbestandsvorsatz ausschließenden (Tatbestands)Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB, sondern einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB dar, der im Streitfall jedoch vermeidbar war. Wie im allgemeinen Strafrecht gilt auch im Steuerstrafrecht, dass nur die tatsächlichen Umstände, die eine Rechtspflicht zur Abwendung eines straftatbestandlichen Erfolgs nach § 13 Abs. 1 StGB – hier des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO – begründen, vom Vorsatz erfasst sein müssen, nicht dagegen die sich aus diesen Umständen ergebende Pflicht selbst. Danach ist nur der Irrtum über die tatsächlichen Umstände, die eine Erklärungspflicht begründen, Tatbestandsirrtum, während der Irrtum über die Pflicht selbst Verbotsirrtum nach § 17 StGB ist. Derjenige, der davon ausgeht, dass ihm rechtlich keine Pflicht zur Erfolgsabwendung im Sinne des § 13 StGB – hier im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO – obliegt, irrt notwendig über das Verbotensein des Unterlassens. Er meint, sein Untätigbleiben sei erlaubt und kein Unrecht. Dieser Irrtum betrifft aber die Gesamtbewertung der Tat und ist nach § 17 StGB zu behandeln, wenn er sich nicht auf die tatsächlichen Umstände bezieht (vgl. BGH-Urteil vom 21.12.2005 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331; BGH-Urteil vom 18.12.1985 2 StR 461/85, wistra 1986, 219; Ransiek, in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 Rz. 667 ff.).
Im Streitfall irrt der Kläger nicht über die tatsächlichen Umstände, die der „Rechtspflicht zur Offenbarung“ zugrunde liegen. Der Kläger kannte – wie bereits ausgeführt – die Tatsachen, die zu der jeweiligen Steuerhinterziehung führten und wusste auch, dass er seine Erklärungspflichten jeweils verletzte. Wenn er aber – wie er vorträgt – gemeint hat, sich nicht selbst belasten zu müssen und aus diesem Grund berechtigt gewesen zu sein, die Einnahmen in den Einkommensteuer-Erklärungen nicht angeben zu müssen, stellt diese Fehlvorstellung des Klägers – auch wenn die Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO einschlägig ist – einen Verbotsirrtum im Sinne des § 17 StGB dar, der jedoch – wie bereits ausgeführt – wegen seiner Vermeidbarkeit zu keinem Schuldausschließungsgrund führt.
IV Kostenentscheidung, Revision
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.
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