20.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120164
Landgericht Berlin: Beschluss vom 03.11.2011 – 526 Qs 22/11
Zustellungsbevollmächtigter i.S.d. § 123 AO und § 132 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann nur eine solche natürliche Person sein, die außerhalb der Spähre der Ermittlungsbehörden steht.
526 Qs 22/11
Tenor
1) Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Mai 2011, Gz. (330 Cs) 2 St Js 401/10 (385/10), aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers vom 05. April 2011 gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 17. Dezember 2010 an das Amtsgericht Tiergarten in Berlin zurückverwiesen.
2) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin erließ am 17. Dezember 2010 gegen den Beschwerdeführer einen Strafbefehl mit dem Gz. (330 Cs) 2 St Js 401/10 (385/10) wegen Steuerhehlerei und setzte eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10,00 Euro, mithin insgesamt 1.000,00 Euro, fest (Bl. 60 Bd. 2 d.A.).
Der Beschwerdeführer, ein polnischer Staatsangehöriger, war zuvor am Abend des 08. März 2010 festgenommen und am darauf folgenden Morgen als Beschuldigter im Beisein eines Dolmetschers vernommen worden. Die hierzu vom Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg, Dienstsitz Berlin, (maschinenschriftlich) angefertigte Vernehmungsniederschrift (Bl. 31 Bd. 1 d.A.) mit dem Az. E weist als Schriftführer eine Person namens „K., ZAR“ aus; der im unteren Bereich der Vernehmungsniederschrift vorformulierte Text „Zustellungsbevollmächtigter/Sicherheit gem. § 132 StPO siehe Anlage i“ wurde in dem links daneben befindlichen Kästchen weder durch ein Kreuz noch anderweitig markiert. Dieser Vernehmungsniederschrift (und einer „Belehrung von vorläufig festgenommenen Personen nach §§ 127, 127b StPO“ in polnischer Sprache) nachgeheftet ist in der Akte die Kopie einer nicht datierten „Niederschrift über Sicherheitsleistung/Zustellungsvollmacht - § 132 StPO - und über die Bestellung eines steuerlichen Empfangsbevollmächtigten - § 123 AO“ des Zollfahndungsamtes Berlin-Brandenburg, Dienstsitz Berlin, mit dem Az. E (Bl. 34 Bd. 1 d.A.). In dieser Niederschrift wurden handschriftliche Eintragungen vorgenommen:
Als “Bearbeiter(in)” wurde “K., ZAR” und als Beschuldigter der Beschwerdeführer eingetragen.
In einer der darunter befindlichen Zeilen (Ziffer 4) mit der Überschrift „Zustellungsvollmacht“ wurde in dem vorformulierten Text:
„Der Beschuldigte bevollmächtigt die nachstehend angegebene Person (keine Firma o.ä.) bzw. den nachstehend angegebenen Bedienstete des zuständigen Gerichts die in diesem Verfahren an ihn zuzustellenden Schriftstücke zu empfangen und beauftragt ihn, diese Schriftstücke durch einfachen Brief an seine Anschrift weiterzusenden“
handschriftlich „Herrn N., HZA Berlin“ ergänzt.
Die nachfolgende Zeile Ziffer 5 hat den folgenden vorformulierten Inhalt:
„Der Beschuldigte als steuerlich Beteiligte benennt die unter Ziffer 4 aufgeführte Person auch als steuerliche Empfangsbevollm ächtigte im Sinne von § 123 AO.“
Die weitere Ziffer 6 trägt die Überschrift „Empfangsbescheinigung“ und enthält den vorformulieren Text:
„Der Beschuldigte bescheinigt den Empfang einer Ausfertigung dieser Niederschrift und einer Belehrung hierzu. Er bestätigt ferner, dass er die angegebene Sicherheit in Höhe von (handschriftlich ergänzt: „./.“) EUR dem Beamten übergeben hat.“
mit einer darunter befindlichen „Unterschrift des Beschuldigten“. Eine weitere Unterschrift enthält die Niederschrift nicht.
Der Strafbefehl wurde Herrn N., Hauptzollamt Berlin, am 06. Januar 2011 übermittelt (Bl. 64 Bd. 2 d.A.).
Mit vorab per Fax am 05. April 2011 beim Amtsgericht Tiergarten eingegangenem Schreiben legte der Beschwerdeführer – unter Beifügung der Vollmacht eines polnischen Dolmetscherbüros – gegen den Strafbefehl in deutscher Sprache Einspruch ein (Bl. 67 f. Bd. 2 d.A.). Diesen Einspruch wiederholte der nunmehr anwaltlich vertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 13. April 2011, vorab per Fax am selben Tag eingegangen, (Bl. 75 f. und 79 f. Bd. 2 d.A.), beantragte zugleich „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ und führte zur Begründung aus, dass ihm der Strafbefehl „erst jetzt“ zur Kenntnis gelangt sei und sein Einspruchsschreiben vom 05. April 2011 daher auch als Antrag auf Wiedereinsetzung zu verstehen gewesen sei.
Mit seinem angefochtenen Beschluss vom 17. Mai 2011, Gz. (330 Cs) L15 2 ST Js 401/10 (385/10), hat das Amtsgericht Tiergarten den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist aus dem Strafbefehl vom 17. Dezember 2010 als unzulässig verworfen und zugleich den Einspruch gegen den Strafbefehl vom 17. Dezember 2010 kostenpflichtig als unzulässig wegen Verspätung verworfen (Bl. 85 ff. Bd. 2 d.A.). Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 20. Mai 2011 zugestellt (Bl. 90 Bd. 2 d.A.).
Gegen diesen Beschluss legte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26. Mai 2011, vorab per Fax am selben Tag beim Amtsgericht Tiergarten eingegangen, sofortige Beschwerde ein und beantragte Akteneinsicht. Nach gewährter Akteneinsicht begründete der Verteidiger die sofortige Beschwerde mit Schriftsatz vom 01. Oktober 2011 und führte im Einzelnen aus: Der Strafbefehl sei dem Beschwerdeführer nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden, da keine Übersetzung in die polnische Sprache erfolgt ist. Darin liege ein Verstoß gegen Nr. 181 Abs. 2 RiStBV und Art. 6 MRK. Der Beschwerdeführer habe den Inhalt des Strafbefehls nicht verstanden, so dass bereits aus diesem Grund Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Letztlich liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da dem Verteidiger vor der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten keine Akteneinsicht gewährt worden sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 46 Abs. 3, § 411 Abs. 1 Satz 1 StPO) und rechtzeitig (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) und auch begründet.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl vom 17. Dezember 2010 an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen. Der Einspruch wurde zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen. Eine Zustellung des Strafbefehls an den Beschwerdeführer ist nicht erfolgt.
1.)
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist der Strafbefehl vom 17. Dezember 2010 dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 166 ff. ZPO). Zwar findet sich ein auf den 06. Januar 2011 datiertes Empfangsbekenntnis eines Herrn N., Hauptzollamt Berlin, in den Akten. Dieses Empfangsbekenntnis entfaltet gegenüber dem Beschwerdeführer jedoch keine Zustellungswirkung. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Beschwerdeführer Herrn N., einen Mitarbeiter des Hauptzollamtes Berlin, wirksam zum Zustellungsbevollmächtigten bestellt hätte und dieser die Erteilung der Zustellungsvollmacht angenommen hätte. Beides ist hier nicht der Fall.
Die Feststellung des Amtsgerichts in dem angefochtenen Beschluss, dem Angeklagten sei in seiner Vernehmung die Bedeutung der Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten erläutert und eine Ausfertigung der Bevollmächtigung übersetzt und übergeben worden, ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch ist dies sonst ersichtlich. Ganz im Gegenteil wurde in der Niederschrift über die – im Beisein eines Dolmetschers – durchgeführte Vernehmung die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nicht aktenkundig gemacht, obwohl in dem Formular dieser Umstand ausdrücklich abgefragt wurde. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer seine Unterschrift auf einem ausschließlich in (auch noch fehlerhafter!) deutscher Sprache verfassten Formular „Niederschrift über Zustellungsvollmacht und über Bestellung eines steuerlichen Empfangsbevollmächtigten“ geleistet. Weder enthält dieses Formular zugleich eine polnische Übersetzung noch ist auf diesem Formular eine mündliche Übersetzung durch einen Dolmetscher vermerkt worden noch die Aushändigung einer polnischen Übersetzung des Formulars an den Beschwerdeführer. Der oder die Bearbeiter/-in dieses Formulars – K., ZAR – wusste jedoch bereits aus der Vernehmung des Beschwerdeführers am 09. März 2010, dass der Beschwerdeführer polnischer Staatsangehöriger ist und die deutsche Sprache nicht (hinreichend) versteht, da zu der Vernehmung ein Dolmetscher hinzugezogen worden ist. Die Erforderlichkeit einer Übersetzung lag daher auf der Hand.
Ferner fehlt es an einer Annahme der Erteilung der Zustellungsvollmacht durch den Zustellungsbevollmächtigten, Herrn N. Die Wirksamkeit einer Zustellungsvollmachterfordert es, dass das Einverständnis desjenigen, der zum Zustellungsbevollmächtigten bestellt werden soll, in geeigneter Weise festgestellt und aktenkundig gemacht worden ist (vgl. LG Baden-Baden, Beschluss vom 01. Dezember 1999, 1 Qs 188/99 – juris, NStZ-RR 2000, 372 ff.). Daran fehlt es vorliegend. Ferner fehlt es an weiteren Angaben zur Person des Zustellungsbevollmächtigten und zu den Umständen der Vollmachtserteilung, so dass die Wirksamkeit der Erteilung der Zustellungsvollmacht auch deshalb nicht beurteilt werden kann. Letztlich ist mangels Datumsangabe auf dem Formular auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die Zustellungsvollmacht – wie das Amtsgericht in seinem angefochtenen Beschluss festgestellt hat – am 09. März 2010 erteilt hätte.
Im Übrigen begegnet die Beauftragung eines Mitarbeiters des Hauptzollamtes als Zustellungsbevollmächtigter i.S.d. § 123 AO und § 132 Abs. 1 Nr. 2 StPO für den Beschuldigten eines dort eingeleiteten Steuerstrafverfahrens erheblichen grundsätzlichen Bedenken, vorliegend mithin die Beauftragung des Herrn N. als Mitarbeiter des Hauptzollamtes Berlin als Zustellungsbevollmächtigter für den Beschwerdeführer.
Zustellungsbevollmächtigter i.S.d. § 123 AO und § 132 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann nur eine solche – natürliche (vgl. AG Ludwigshafen, Beschluss vom 09. Juni 2010, 5489 Js 10962/10 - 4c Owi – juris) – Person sein, die außerhalb der Sphäre der Ermittlungsbehörden steht. So ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 123 AO – „hat der Finanzbehörde … zu benennen“ – ohne Weiteres, dass es sich bei dem Zustellungsbevollmächtigten um eine verwaltungsfremde Person handeln muss (vgl. FG München, Urteil vom 08. Januar 2010, 14 K 1298/08, Rn. 22 – juris). In diesem Sinne ist auch § 132 Abs. 1 Nr. 2 StPO zu verstehen, wenn dort hinsichtlich des Zustellungsbevollmächtigten eine „im Bezirk des zuständigen Amtsgerichts wohnende Person“ verlangt wird und gerade keine „geschäfts- bzw. amtsansässige“ Person. Ebenso verlangen die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), dort Nr. 60, dass der Beschuldigte, sofern er einen Zustellungsbevollmächtigten eigener Wahl nicht benennen könne, darauf hinzuweisen ist, dass er einen Rechtsanwalt oder einen hierzu bereiten Beamten der Geschäftsstelle des zuständigen Amtsgerichts bevollmächtigen könne. Diese verwaltungsinterne Regelung bringt damit zum Ausdruck, dass der Zustellungsbevollmächtigte gerade nicht aus dem Lager bzw. der Sphäre der Ermittlungsbehörden stammen darf, sondern aus davon unabhängigen Instanzen, um unzulässige Insichgeschäfte (§ 181 BGB) zu verhindern.
Daran fehlt es vorliegend.
Als Zustellungsbevollmächtigter wurde zwar eine natürliche Person, Herr N., benannt. Seine Beteiligung als Zustellungsbevollmächtigter erfolgte jedoch offensichtlich gerade in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter des Hauptzollamtes Berlin, da als Zustellungsadresse auf dem Formular keine (Wohn-)Adresse mit Orts- und Straßenangabe vermerkt wurde, sondern lediglich „HZA Berlin“. Zu den Aufgaben der Hauptzollämter und der Zollfahndung gehört gemäß § 208 AO u.a. die Erforschung von Steuerstraftaten und die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle. In Erfüllung dieser Aufgabe hat das Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg vorliegend am 09. März 2010 mit der Vernehmung des Beschwerdeführers gegen diesen ein Steuerstrafverfahren eingeleitet (§ 397 AO). Dies lässt besorgen, dass der Bevollmächtigte nicht in gehörigem Ausmaße die Interessen der Beschuldigten gegenüber der Steuerstrafverfolgungsbehörde – der er selbst angehört – verfolgt. Ferner stellt sich die Frage der Haftung für fehlerhafte bzw. verzögerte Ausführung (z.B. infolge Urlaubs oder Krankheit) des Auftrages. Zudem können sich Amtshaftungsfragen stellen; der Aufwand des Bevollmächtigten für Arbeitszeit, Briefpapier, Porto etc. wird von der Ermittlungsbehörde haushaltsrechtlich getragen, obwohl es sich um Kosten handelt, die der Auftraggeber, mithin der Beschuldigte, im Falle einer Verurteilung zu tragen hat.
Es ist auch nicht ersichtlich, ob das Amtsgericht den Beschwerdeführer bei der formlosen Übersendung des Strafbefehls vom 17. Dezember 2010 zugleich von der Zustellung an Herrn N. unterrichtet hat, was – eine wirksame Zustellungsbevollmächtigung unterstellt – in entsprechender Anwendung des § 145a Abs. 3 Satz 1 StPO jedoch erforderlich gewesen wäre. Aus der gerichtlichen Zustellungsverfügung vom 17. Dezember 2010 (Bl. 59 Bd. 2 d.A.) ergibt sich kein solcher Hinweis.
Ferner fehlt es an der erforderlichen schriftlichen Übersetzung des Strafbefehls vom 17. Dezember 2010 in die polnische Sprache (vgl. Art. 6 Abs. 3a) MRK; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, MRK Art. 6 Rn. 18 m.w.N.). Aufgrund der Hinzuziehung eines Dolmetschers zur Vernehmung des Beschwerdeführers war für das Amtsgericht ohne Weiteres erkennbar, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache nicht (ausreichend) beherrscht.
Das Amtsgericht hat demnach den Einspruch gegen den Strafbefehl vom 17. Dezember 2010 zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen (§ 410 Abs. 1 StPO).
2.)
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin, weil kein anderer dafür haftet.