21.12.2004 · IWW-Abrufnummer 043281
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 24.11.2004 – 5 StR 206/04
Bei der Umsatzsteuerhinterziehung bilden die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO.
Gericht: BGH
Datum: 24.11.2004
Aktenzeichen: 5 StR 206/04
Rechtsgebiete: AO, StPO
Entscheidung: Beschluss
Erstellt: 20.12.2004
#
Vorschriften:
AO § 370 Abs. 1
StPO § 264
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Verfahrensgang:
LG Frankfurt/Main vom 13.10.2003
#1
Bei der Umsatzsteuerhinterziehung bilden die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO.
#2
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 206/04
vom 24. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2004 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Oktober 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 30 Fällen (Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer 1989 bis 1995) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision der Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Der Verurteilung liegt folgendes Geschehen zu Grunde:
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrieben die Angeklagte und ihr damaliger Lebensgefährte ab 1985 eine Cafeteria mit Kiosk in einer Klinik der Universität Frankfurt. Obgleich ihr Lebensgefährte nach außen hin und insbesondere steuerlich den Betrieb als Einzelunternehmen führte, hatte er mit der Angeklagten im Innenverhältnis eine gemeinsame Betriebsführung und eine Teilung des erwirtschafteten Gewinns vereinbart und praktiziert. Um die betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Belange kümmerte sich im Innenverhältnis tatsächlich allein die Angeklagte, während ihr Lebensgefährte - zur Wahrung des Scheins eines Einzelunternehmens - die Geldmittel auf den Bankkonten verwaltete.
Bis 1993 ließen die Angeklagte und ihr Lebensgefährte jährliche Bilanzen für das angebliche Einzelunternehmen über ihren Steuerberater erstellen, die - zusammen mit den Buchhaltungsunterlagen - Grundlage der Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuererklärungen des Lebensgefährten waren. Für die Jahre 1994 und 1995 wurden keine Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Es erfolgten lediglich bis Dezember 1995 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen. Aufgrund der Einkommensteuererklärungen des Lebensgefährten bis 1993 wurde die Einkommensteuer jeweils mit Null festgesetzt.
2. Entgegen den Angaben in den jeweiligen Erklärungen florierte der Betrieb aber tatsächlich. Die Angeklagte hatte über die Jahre hinweg durch manipulative Stornobuchungen und nichtverbuchte Bareinnahmen wesentliche Umsätze des Unternehmens verschleiert. Hierdurch bewirkte die Angeklagte zwischen 1989 und 1995 eine Verkürzung der an sich festzusetzenden Steuern in einer vom Landgericht geschätzten Gesamtgrößenordnung von über 800.000 DM.
3. Im Anschluß an eine im Oktober 1995 durchgeführte Betriebsprüfung wurde der Angeklagten am 22. Dezember 1995 die Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen der Hinterziehung von Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1989 bis 1993 sowie von Umsatzsteuer für die Jahre 1989 bis 1995 eröffnet.
4. Gegenstand der insoweit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage bezüglich der Umsatzsteuer 1995 war der Vorwurf der pflichtwidrigen Nichtabgabe einer Jahressteuererklärung. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Blick auf die (falschen) Umsatzsteuervoranmeldungen für 1995 gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt. In der Hauptverhandlung erteilte das Landgericht der Beschwerdeführerin - ohne ausdrückliche Bezugnahme, aber im Hinblick auf die dazu ergangene Senatsrechtsprechung (grundlegend BGHSt 47, 8) - den zutreffenden rechtlichen Hinweis, daß wegen der Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung 1995 entfallen war. Statt dessen käme - so das Landgericht - eine Strafbarkeit wegen der (falschen) Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar 1995 bis November 1995 in Betracht.
II.
Verfahrenshindernisse mit Blick auf die Verurteilung der Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen betreffend die Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar 1995 bis November 1995 bestehen nicht. Der mit der Anklageschrift dem Gericht zur Entscheidung unterbreitete historische Vorgang umfaßt auch diese Taten; er ist mit den ausgeurteilten Taten identisch gemäß den bei Anwendung von § 264 Abs. 1 StPO maßgebenden Kriterien.
Zwar ergibt sich dies - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - nicht aus dem Urteil des Senats vom 22. Mai 2003 (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 38). Dort ist lediglich ausgeführt, daß Untreuehandlungen, welche zugleich den weiteren Gegenstand der Umsatzsteuerhinterziehung bilden, mit den wegen anderer Handlungen bereits angenommenen Steuerhinterziehungen für die nämlichen Erklärungsakte in einem so engen und untrennbaren Zusammenhang zueinander stehen, daß sie aufgrund ihrer Verzahnung insgesamt eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO bilden. Im Ergebnis zu Recht geht der Generalbundesanwalt aber davon aus, daß die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO bilden.
1. Der Bundesgerichtshof hat das Verhältnis zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und der für das nämliche Jahr abzugebenden Umsatzsteuerjahreserklärung bisher ausdrücklich nur unter dem Gesichtspunkt der materiellrechtlichen Konkurrenz beurteilt. Insoweit besteht Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB, weil den jeweiligen Taten ungeachtet ihrer steuerrechtlichen Verzahnung ein selbständiger Unrechtsgehalt zukommt. Zwar beziehen sich die Voranmeldungen und die Jahreserklärung auf dieselbe Steuerart und dasselbe Steueraufkommen eines jeweiligen Jahres. Beiden Arten von Steuererklärungen kommt jedoch ein eigenständiger Erklärungswert zu, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird (vgl. nur BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 13 m.w.N. und Erläuterungen zur Systematik des Umsatzsteuerrechts).
2. Die Frage, ob die Umsatzsteuervoranmeldungen eines Jahres und die anschließende Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen Jahres eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO bilden, ist bislang nicht ausdrücklich entschieden. Der Senat hat allerdings mit Beschluß vom 5. Mai 2004 - 5 StR 66/04 - die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB bei einer - wegen Tatentdeckung nur - versuchten Steuerhinterziehung bezüglich einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung gebilligt und dort ausgeführt, daß jener Angeklagte bereits rechtsfehlerfrei festgestellte, aber nicht ausdrücklich mitangeklagte oder ausgeurteilte falsche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben hatte. Der Beschluß enthält den Hinweis, daß auch die vollendeten Steuerhinterziehungen bezüglich der Umsatzsteuervoranmeldungen Gegenstand der Urteilsfindung im Sinne von § 264 StPO waren.
3. Danach gilt hier folgendes:
Mehrere im Sinne von § 53 StGB sachlichrechtlich selbständige Handlungen bilden nur dann eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrundeliegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden wird (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 13, 21, 25 f.; 23, 141, 146 f.; 23, 270, 273; 24, 185, 186; 29, 288; BGH NStZ 2001, 440). Nur in diesen Fällen ist das aus der materiellrechtlichen Realkonkurrenz folgende Indiz für die Annahme unterschiedlicher prozessualer Taten widerlegt.
a) So verhält es sich auch hier:
Zwar handelt es sich bei der Verkürzung von Umsatzsteuern durch die monatlichen oder vierteljährlichen Voranmeldungen und die entsprechende Jahreserklärung desselben Jahres um materiellrechtlich selbst ändige Taten, denen jeweils ein eigener Unrechtsgehalt zukommt (st. Rspr.; vgl. nur oben 1). Die aus dem materiellen Steuerrecht folgenden engen Verzahnungen führen jedoch dazu, daß Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung eines Jahres hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Bedeutung innerlich derart miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einzelnen Taten nur in der Zusammenschau richtig gewürdigt werden kann. Eine getrennte Würdigung und Aburteilung erscheint als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen, von den Besonderheiten des materiellen Umsatzsteuerrechts geprägten Lebensvorgangs. Steueranmeldungen und Jahreserklärung beziehen sich auf dieselbe Steuerart und dasselbe Steueraufkommen eines jeweiligen Jahres. Die Beteiligten des Steuerrechtsverhältnisses sind identisch. Auch die Umsatzsteuer ist jenseits ihrer Besonderheiten in der technischen Ausgestaltung eine Jahressteuer (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Voranmeldungen dienen nämlich nur der zeitnahen Erfassung und Erhebung der Umsatzsteuer; auf der Grundlage der monatlichen oder vierteljährlichen Anmeldungen wird die Steuer als Vorauszahlung vom Steuerpflichtigen berechnet oder vom Finanzamt festgesetzt (vgl. nur BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 13 m.w.N.).
Nicht zuletzt aufgrund dieser Besonderheiten wird nach ständiger Rechtsprechung in der Einreichung einer (wahrheitsgemäßen) Umsatzsteuerjahreserklärung im Verhältnis zu den zuvor unterlassenen oder unzutreffenden monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen auch eine strafbefreiende Selbstanzeige im Sinne von § 371 Abs. 1 AO gesehen, ohne daß es etwa ausdrücklich eines entsprechenden Hinweises seitens des Steuerpflichtigen bedarf (vgl. BGH wistra 1991, 223, 225, insoweit in BGHSt 37, 340 nicht abgedruckt; vgl. auch BGHR AO § 371 Abs. 1 Unvollständigkeit 2).
Eine getrennte Aburteilung von einzelnen Voranmeldungen und berichtigender Jahreserklärung könnte daher zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis führen, daß der Unrechtsgehalt der falschen Voranmeldungen durch die Ausklammerung der berichtigenden Jahreserklärung in einer den Angeklagten beschwerenden Weise falsch ermittelt wird.
Vergleichbare Probleme entstünden unter dem Gesichtspunkt der Rechtskraft: Es widerspräche elementaren Gerechtigkeits- und Strafzumessungserwägungen, wenn ein Angeklagter im Anschluß an eine den Schuldgehalt der falschen Voranmeldungen erschöpfende rechtskräftige Verurteilung auch wegen der falschen Jahreserklärung verurteilt würde, ohne daß dabei Berücksichtigung fände, daß der Unrechtsgehalt der falschen Jahreserklärung weitgehend identisch, wenn auch nicht vollständig deckungsgleich ist.
Schließlich sprechen auch die steuer- und steuerstrafrechtlichen Interdependenzen mit Blick auf die Bestimmung des Hinterziehungsschadens für eine prozessuale Tatidentität. So ist in den Fällen, in denen der Täter von Anfang an beabsichtigt, keine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, der gesamte jeweils monatlich erlangte Vorteil als vom Vorsatz umfaßtes Handlungsziel bei der Strafzumessung erschwerend zu berücksichtigen und in die Gesamtabwägung einzustellen (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Konkurrenzen 15).
b) Der prozessualen Tatidentität stehen auch die bisweilen langen Zeiträume zwischen der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung nicht entgegen. Denn die Steuerhinterziehung ist ein Erfolgsdelikt, das regelmäßig von vornherein auf die Verkürzung eines bestimmten Steueranspruchs gerichtet ist. Seiner Struktur nach ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung trotz oftmals langer Tatzeiträume nicht solcher der Delikte des Waffengesetzes (vgl. BGHSt 36, 151) oder anderer Dauerdelikte (vgl. BGHSt 23, 141, 148 ff.) vergleichbar, bei denen ein zusätzlicher neuer Tatentschluß zu einer Zäsur führen kann, so daß sich die nachfolgende Dauerstraftat als prozessual selbständige Tat darstellt (vgl. schon BGHSt 38, 37, 40 zum Strafklageverbrauch bei Steuerhinterziehung).
c) Im Hinblick auf die Teilidentität im Unrechtsgehalt zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und der dasselbe Jahr betreffenden Jahreserklärung wird der Tatrichter im Regelfall - schon aus Gründen der Vereinfachung - in Verfahren dieser Art gemäß § 154a Abs. 2 StPO die Verfolgung auf die falsche Jahreserklärung beschränken können (vgl. schon BGHR AO § 370 Abs. 1 Strafzumessung 18).
d) Umgekehrt kann der Tatrichter dann, wenn eine Verurteilung wegen (vollendeter) Steuerhinterziehung bezüglich der Jahreserklärung aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt, nach einem rechtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO auf die falschen oder unterlassenen Voranmeldungen desselben Steuerjahres zurückgreifen. Daß die Staatsanwaltschaft hier die Voranmeldungen des Jahres 1995 nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt hat, statt die Verfolgung gemäß § 154a Abs. 1 StPO auf die Jahreserklärung zu beschränken, ändert an der umfassenden Kognitionspflicht des Tatrichters auch bezüglich der Voranmeldungen nichts (vgl. BGHSt 25, 388, 390).
III.
Die Revision der Angeklagten hat nur zum Strafausspruch Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe und der verhängten Einzelstrafen. Im übrigen ist sie nach § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründungsschrift keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben hat.
Der von der Beschwerdeführerin mit der Sachrüge und einer zulässigen Verfahrensr üge angegriffene Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Die Auffassung des Landgerichts, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK liege nicht vor, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Dazu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
"Ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ist gegeben, wenn das Verfahren aus Gründen verzögert worden ist, die den Strafverfolgungsorganen anzulasten sind. Der Tatrichter hat zu prüfen, ob die Sache insgesamt nicht in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb eines einzelnen Verfahrensabschnitts dann nicht zu einer Verletzung der konventionsrechtlichen Gewährleistung führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird (vgl. dazu Franke in MünchKomm/StGB, 2003, § 46 Rdn. 62 m.N. zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Dabei beginnt die angemessene Frist i. S. der Konvention, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird. Sie endet mit dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens. Neben der gesamten Dauer von Beginn bis zum Ende der Frist kommen für die Frage der Angemessenheit die Schwere und Art des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens verbundenen Belastungen für den Beschuldigten als maßgebliche Kriterien in Betracht (Franke aaO). Ist die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung i. S. der MRK festgestellt, verlangt die höchstrichterliche Rechtsprechung die ausdrückliche Feststellung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes im Urteil und die rechnerisch exakte Bestimmung des Maßes der Strafmilderung (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 im Anschluß an BVerfG NJW 1995, 1277 sowie BVerfG NStZ 1997, 591). Bei der konkreten Strafzumessung ist das Ausmaß der vorgenommenen Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes angemessenen Strafe genau zu bestimmen (vgl. EGMR EuGRZ 1983, 371, 378 f. [Fall Eckle gegen Bundesrepublik Deutschland]). Die Notwendigkeit der Kompensation bezieht sich bei mehreren selbständigen Taten nicht nur auf die Findung der angemessenen Gesamtstrafe, sondern auch auf die Festsetzung der Einzelstrafen (BGH, Beschluß vom 14. Mai 2002 - 3 StR 128/02).
Danach ist im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Umstände, die der Senat im Revisionsverfahren zur Kenntnis nimmt, ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu bejahen.
Die Auffassung der Strafkammer, zwar sei das Strafverfahren insgesamt 27 Monate nicht erkennbar gefördert worden (UA S. 66 Mitte), dabei handele es sich aber angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit der Ermittlungen um einen hinnehmbaren Zeitverzug, ist in sich widersprüchlich und daher nicht haltbar. Diese Bewertung durch das Landgericht verkennt zum einen, daß die Steuerfahndung ihren Abschlußbericht an die Staatsanwaltschaft bereits am 25. April 1997 übersandte, also nahezu zwei Jahre vor Einstellung des finanzgerichtlichen Verfahrens wegen der verfahrensgegenständlichen Steuerforderungen. Zum anderen bleibt unberücksichtigt, daß die auf Grund der Schutzschrift der Angeschuldigten vom 31. August 2001 (Bd. II Bl. 605 ff. d. A.) vom Vorsitzenden der Strafkammer für erforderlich gehaltenen Kontenabklärungen (vgl. dazu Bd. II Bl. 633 d. A.) von der Steuerfahndung zeitnah durchgeführt wurden (Bd. III Bl. 871 d. A.). Demgegenüber teilte der Strafkammervorsitzende auf eine Sachstandsanfrage im November 2001 mit, die Sache könne wegen vorrangiger anderer Sachen nicht terminiert werden (Bd. II Bl. 872 d. A.). Obwohl sich bereits dieser Zeitraum dafür angeboten hätte, erging erst ein Jahr später der gerichtliche Beschluß zur Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hinsichtlich des früheren Mitangeklagten P (Bd. III Bl. 902 f. d. A.). Die danach eingetretene, den Strafverfolgungsorganen ausschließlich zuzurechnende zeitliche Verzögerung erweist sich insbesondere auf dem Hintergrund der lange zurückliegenden Tatzeiten als erheblich, so daß ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt."
Dem tritt der Senat bei.
Die Sache bedarf daher hinsichtlich der Einzelstrafen sowie der Festsetzung der Gesamtsstrafe neuer Verhandlung und Entscheidung. Auf die Entscheidung in BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16
wird hingewiesen; im übrigen wird auf § 51 Abs. 1 BZRG Bedacht zu nehmen sein.