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  • 05.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131137

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 21.11.2012 – 1 StR 391/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    BGH, 21.11.2012

    1 StR 391/12
    Tenor:

    Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 2011 werden als unbegründet verworfen.

    Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

    Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat nimmt Bezug auf die zutreffenden und von den Gegenerklärungen nicht entkräfteten Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften vom 18. September 2012. Die Annahme lediglich bedingt vorsätzlichen Handelns beschwert die Angeklagten jedenfalls nicht.

    Ergänzend bemerkt der Senat zur Revision des Angeklagten R. P. :

    1. Der Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO bleibt der Erfolg versagt; sie ist schon im Ansatz verfehlt. Der Beschwerdeführer sieht die bereits mit Ablehnungsantrag geltend gemachte Befangenheit der Berufsrichter der Strafkammer darin, dass diese sich im Zwischenverfahren konkret zu einem möglichen Strafmaß im Falle einer - dann nicht zustande gekommenen - Verständigung ungefragt geäußert haben. § 202a StPO sieht jedoch gerade vor, dass das Gericht - nach seinem Ermessen - den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern kann, was neben einer bloßen Strukturierung des weiteren Verfahrens auch die Vorbereitung einer verfahrensbeendenden Absprache umfasst (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 202a Rn. 2; Ritscher in BeckOK-StPO, § 202a Rn. 4; Reinhart in Radtke/Hohmann, StPO, § 202a Rn. 3). Hierbei kann auch eine Strafober- und eine Strafuntergrenze angegeben werden (vgl. § 257c StPO). § 202a StPO begründet für das Gericht weder eine Pflicht, verfahrensfördernde Gespräche zu führen, noch eine solche, bei einem Gespräch bezüglich der Straferwartung zu schweigen. Eine Bindungswirkung entfaltet die Erörterung des Verfahrensstandes nach § 202a StPO nicht (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 426/11, NStZ-RR 2012, 148), gleich ob der Verfahrensstand mündlich besprochen wurde oder dieser - wie hier - Eingang in eine schriftliche Ausarbeitung gefunden hat, die zum Gegenstand eines Gesprächs mit den Verfahrensbeteiligten gemacht wurde. Nach § 202a Satz 2 StPO ist der Inhalt geführter Erörterungen ohnedies zu dokumentieren (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2010 - 1 StR 400/10, wistra 2011, 139 [BGH 20.10.2010 - 1 StR 400/10]).

    2. Auch die Rüge einer Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen der Ablehnung eines Beweisantrags als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos greift nicht durch.

    a) Die Verteidigung hatte beantragt, einen Referatsleiter der Oberfinanzdirektion dazu zu vernehmen, dass die im Januar 2010 erklärte Zustimmung zur Erstattung von Umsatzsteuer ebenso wie eine auf Antrag erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung aus "ermittlungstaktischen Erwägungen" erteilt worden sei und "der Vorrang ermittlungstaktischer Erwägungen mit dem Landesfinanzministerium abgeklärt war". Diesen Antrag hat die Strafkammer - nach vorangegangenem Hinweis ("Erklärung des Vorsitzenden", Anlage 4 zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 5. Dezember 2012) - als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos abgelehnt. Die Feststellung von Schuld und Schuldumfang werde durch die unter Beweis gestellte Einbeziehung der Finanzbehörden nicht beeinflusst, zumal es sich (angesichts des seinerzeit nicht ausermittelten Sachverhalts und des andernfalls gefährdeten Ermittlungserfolges) nicht um vorwerfbares Verhalten der Ermittlungsbehörden gehandelt habe, das die Tatgenese ausgelöst hätte.

    b) Die Behandlung dieses Beweisantrags weist keinen Rechtsfehler auf. Sie entspricht vielmehr den im Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 (1 StR 275/10, NJW 2011, 1299 [BGH 14.12.2010 - 1 StR 275/10] mwN) dargelegten Grundsätzen, von denen abzuweichen der Senat auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keine Veranlassung sieht.

    (1) Der Tatbestand der Steuerhinterziehung in der hier einschlägigen Variante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt keine gelungene Täuschung voraus; anders als bei § 263 StGB kann daher eine Tatvollendung auch nicht dadurch entfallen, dass die "Täuschung" erkannt wird. Im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299 mwN; aA Joecks in Franzen/Gast/ Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 198 f.). Es genügt vielmehr, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden. Selbst wenn (was hier nicht einmal behauptet wird) der zuständige Veranlagungsbeamte und die zuständige Finanzbehörde von allen für eine zutreffende Besteuerung bedeutsamen Tatsachen Kenntnis haben und im Besitz aller hierfür erforderlichen Beweismittel sind, kann dies einer Tatvollendung daher nicht entgegen stehen.

    Entgegen der Auffassung der Revision gelten diese Grundsätze unbeschadet davon, ob allein das Täterhandeln (wie z.B. in Fällen des § 168 Satz 1 AO) oder aber erst das hieran anknüpfende Handeln der Finanzbehörden (wie hier gemäß § 168 Satz 2 AO) die zum Taterfolg führende Steuerfestsetzung bewirkt. Für alle diese Fälle sieht § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AO eine Strafschärfung vor, wenn ein Finanzbeamter an der Tat mitwirkt. Da § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO nicht nur auf den unzuständigen Beamten anzuwenden ist (die Unzuständigkeit ist nur eine Form des zur Strafschärfung führenden Amtsmissbrauchs; vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2007 - 5 StR 127/07, NStZ 2007, 596 [BGH 06.06.2007 - 5 StR 127/07] mwN; Jäger in Klein, AO, 11. Aufl. § 370 Rn. 285), kann auch die Kenntnis aller Tatumstände beim zuständigen Finanzbeamten (etwa demjenigen, der von ihm für seinen Zuständigkeitsbereich selbst gefertigte falsche Steuererklärungen bearbeitet) einer Tatvollendung nicht entgegenstehen, gleich ob er kollusiv mit dem Erklärenden zusammenwirkt oder nicht. In dem aus Sicht des Täters erwartungsgemäß eingetretenen Taterfolg realisieren sich stets der durch Abgabe einer unrichtigen Erklärung in Gang gesetzte Kausalverlauf und die von § 370 AO rechtlich missbilligte Gefährdung des Steueraufkommens. Ein Vergleich mit Fällen eigenverantwortlicher Selbstschädigung (so Steinberg wistra 2012, 45 ff.) muss versagen, wie die unter Umständen in Betracht kommende Strafbarkeit des wissenden, aber pflichtwidrig (vgl. § 85 AO) gleichwohl veranlagenden Finanzbeamten nach § 266 StGB zeigt. Die Kenntnis des Veranlagungsbeamten oder der Finanzbehörden vom wahren Sachverhalt, mag sie dem Täter bekannt oder unbekannt sein, entlässt diesen nicht aus seiner Verantwortung zur Abgabe zutreffender Steuererklärungen; dass zu seinem Handeln das eigenverantwortliche Handeln eines Finanzbeamten hinzutritt, lässt die Zurechnung des vom Täter verursachten Handlungserfolgs nicht entfallen.

    (2) Mit dem Beweisantrag wurden auch keine Umstände behauptet, die zur Nichtigkeit eines die Steuerfestsetzung bewirkenden Verwaltungsaktes geführt haben. Weder die durch die Ermittlungen bestätigte materielle Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung noch die behaupteten "ermittlungstaktischen Gründe" stellen einen Nichtigkeitsgrund i.S.v. § 125 AO dar. Ein Verwaltungsakt ist nicht allein deswegen nichtig, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehrt oder die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden sind. Die zur Nichtigkeit führende besondere Schwere eines Fehlers liegt nur vor, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so hohen und offenkundigen Maße verletzt, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BFH, Urteil vom 16. September 2010 - V R 57/09, DStR 2010, 2400). Hier durften die Finanzbehörden (zumal, wenn dies - wie behauptet - "mit dem Landesfinanzministerium abgeklärt" gewesen war) angesichts der Gefahr, andernfalls den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems (hier mit einem Gesamtschaden von weit mehr als 100 Mio. €) zu gefährden, der Ermittlungstaktik Vorrang vor der Verhinderung einer einzelnen Tatvollendung durch Ablehnung der Zustimmung gemäß § 168 Satz 2 AO geben. Denn Straftäter haben keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen sie einschreiten, um den Eintritt des Taterfolgs zu verhindern (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299 [BGH 14.12.2010 - 1 StR 275/10] mwN).

    (3) Auch soweit die Revision vorbringt, die Beweisbehauptung habe für die subjektive Tatseite Bedeutung, weil die nur aus ermittlungstaktischen Gründen erteilte Zustimmung nach § 168 Satz 2 AO und eine aus den gleichen Gründen antragsgemäß erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung "Einfluss auf die subjektive Einschätzung" des Angeklagten "ausüben konnten", zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Es kann dahinstehen, ob die Revision schon deswegen versagt, weil nach dem Hinweis in der Erklärung des Vorsitzenden und den Gründen des Ablehnungsbeschlusses offensichtlich war, dass die Strafkammer diese nicht naheliegende Bedeutung dem Beweisantrag nicht beizumessen vermochte, und es die Verteidigung gleichwohl unterlassen hat, diesem aus ihrer Sicht bestehenden Fehlverständnis entgegenzuwirken (zu diesem Rechtsgedanken vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2008 - 5 StR 113/08, NStZ-RR 2008, 382; BGH, Urteil vom 14. August 2008 - 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171 [BGH 14.08.2008 - 3 StR 181/08]; auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09, Rn. 28). Denn es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt davon ausging, dass die für das Bestehen eines Umsatzsteuerhinterziehungssystems sprechenden Umstände (UA S. 96 ff.) nicht nur ihm, sondern auch den Finanzbehörden bekannt und damit Gegenstand von deren Prüfung waren, so dass nicht erkennbar ist, dass der von der Revision angeführte Gesichtspunkt tatsächlich von Bedeutung hätte sein können.

    (4) Die Strafkammer musste dem Beweisantrag auch mit Blick auf die Strafzumessung keine Bedeutung zubilligen. Es kann einen Täter regelmäßig nicht entlasten, dass Ermittlungsbehörden nicht rechtzeitig gegen ihn einschreiten, um den Eintritt des Taterfolgs zu verhindern, oder ihm laufende Ermittlungen nicht offenbart werden (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299 mwN). Umstände, die einen über eine bloße Mitursächlichkeit hinausgehenden konkreten Einfluss auf die Tatausführung gehabt (hierzu vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - 3 StR 474/08, NStZ-RR 2009, 167) oder ein Einschreiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten hätten (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2005 - 5 StR 191/04, NJW 2005, 763) und die daher Einfluss auf die Strafzumessung hätten haben können (zum Ganzen auch Miebach in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 46 Rn. 142 ff.; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1847, 1860; Meyberg PStR 2011, 58, 59), hat die Verteidigung nicht unter Beweis gestellt.

    RechtsgebietAOVorschriften§ 370 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO