17.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131550
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 27.02.2013 – 8 K 965/12
1. War streitig, ob das volljährige Kind wie für den Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erforderlich „ernsthafte Ausbildungsbemühungen” entfaltet hat, so trägt insoweit im Verfahren der Kindergeldfestsetzung der Kindergeldanspruchsberechtigte die Feststellungslast.
2. Hebt die Familienkasse später die Kindergeldfestsetzung wegen Nichterfüllung des Tatbestands des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG auf und will sie hinsichtlich der Kindergeldrückforderung Hinterziehungszinsen festsetzen, müssen hierzu der objektive und der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sein.
3. Insoweit trägt die Behörde die Feststellungslast dafür, dass das volljährige Kind seine Bemühungen um einen Ausbildungsplatz im streitigen Zeitraum vollständig eingestellt hat.
Sächsisches FG v. 27.02.2013
8 K 965 / 12
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach bestandskräftiger Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld.
Mit Bescheid vom 15.05.2007 wurde zugunsten des Klägers für seine am 18.01.1986 geborene Tochter J. Kindergeld für ein Kind ohne Ausbildungsplatz festgesetzt. Grundlage der Festsetzung war ein Kindergeldantrag des Klägers vom 13.02.2007, der Nachweis von Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz im Zeitraum Februar/März 2007 und die Meldung als ausbildungsplatzsuchend bei der ARGE B.. Sowohl der Kindergeldantrag vom 13.02.2007 als auch der Bescheid vom 15.05.2007 enthielten den Hinweis, dass der Kläger verpflichtet ist, jede Änderung in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung sein kann, unverzüglich der Familienkasse anzuzeigen. Demgemäß teile der Kläger der zuständigen Familienkasse unter dem 22.05.2007 einen Wohnortwechsel der Tochter sowie eine Meldung als ausbildungsplatzsuchend nunmehr bei der ARGE B sowie unter dem 28.11.2008 den Beginn eines Arbeitsverhältnisses der Tochter seit dem 07.11.2008 mit. Seit dem 30.05.2007 wurde J. in der Kundendatei der Arbeitsagentur gemäß einem Ausdruck vom 12 .02.2009 bei der Berufsberatung als ratsuchend geführt. Ferner liegt eine Bestätigung der ARGE L. vom 18.02.2009 vor, wonach J. dort seit dem 24. 12 .2007 bis zum 12 .10.2008 als ausbildungssuchend geführt wurde.
Daraufhin hob die zuständige Familienkasse H das Kindergeld für J. mit Bescheid vom 06.11.2009 für Mai bis November 2007 sowie für November 2008 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.232 EUR zurück. Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 22.11.2009 als unbegründet zurück. Im nachfolgenden Klageverfahren reicht der Kläger eine Bewerbung der Tochter bei der Berufsbildenden Schule F. – Europaschule – für eine zweijährige „Berufsfachschule Hauswirtschaft” im März 2007 und eine dazugehörige Absage vom 02.07.2007 nach. Daraufhin half die zuständige Familienkasse der Klage für die Monate Mai bis Juli 2007 ab und das Klageverfahren wurde von den Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 20.03.2012 setzte der nunmehr zuständige Beklagte für die verbliebenen nun bestandskräftigen Aufhebungs- und Rückforderungsmonate August bis November 2007 und November 2008 Hinterziehungszinsen in Höhe von 89 EUR fest. Den dagegen gerichteten Einspruch vom 05.04.2012 wies er mit Einspruchsentscheidung vom 25.05.2012 als unbegründet zurück.
Am 25.06.2012 hat der Kläger Klage erhoben.
Es sei weder ein Ordnungswidrigkeits- noch ein Strafverfahren gegen den Kläger geführt worden. Darüber hinaus erfordere der Tatbestand der Steuerhinterziehung Vorsatz.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.03.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25.05.2012 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er weist darauf hin, dass die Bestätigung der ARGE L. vom 18.02.2009, wonach J. lediglich im Zeitraum 24. 12 .2007 bis 12 .10.2008 als ausbildungsplatzsuchend geführt worden sei, vom Kläger erst auf ausdrückliche Anforderung vom 22.10.2009 mit Schreiben vom 28.10.2009 vorgelegt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO).
Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 Abgabenordnung – AO – erfordert das Vorliegen einer vollendeten Steuerhinterziehung (§§ 370, 373 AO) oder eines vollendeten Betrugs bzw. Subventionsbetrugs (§§ 263, 264 Strafgesetzbuch – StGB –). Es müssen sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein.
Im Streitfall kommt alleine eine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Betracht, die nach dem Grundsatz der Spezialität dem allgemeinen Betrugstatbestand des § 263 StGB und dem Subventionsbetrug nach § 264 StGB vorgeht. Nach § 370 Abs 1 Nr. 2 AO wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
Vorliegend konnte die Beklagte, die sich auf § 235 AO beruft, die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht darlegen.
Unklar ist bereits, ob die Tochter des Klägers J in den Streitmonaten tatsächlich die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c Einkommensteuergesetz – EStG – nicht erfüllt hat. Nach dieser Vorschrift wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Dies erfordert neben dem objektiven Fehlen eines Ausbildungsplatzes, was bei J in den Streitmonaten der Fall war, das ernsthafte Bemühen des Kindes um einen solchen.
Bestandskräftig entschieden ist, dass der Kläger für die Streitmonate keine ernsthaften Ausbildungsbemühungen seiner Tochter nachweisen konnte. Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO aber setzt voraus, dass tatsächlich keine Ausbildungsbemühungen der Tochter J stattfanden. Denn ob ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil erlangt wurde, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der Kindergeldfestsetzung und -auszahlung aufgrund der Unkenntnis über steuerlich erhebliche Tatsachen, in der der Täter die Finanzbehörde pflichtwidrig lässt, und der bei wahrheitsgemäßen, rechtzeitigen und vollständigen Angaben gerechtfertigten Kindergeldfestsetzung und -auszahlung. Dabei bestimmt sich die gerechtfertigte Kindergeldfestsetzung und -auszahlung anhand der festgestellten Besteuerungsgrundlagen nach materiellem Steuerrecht, während sich die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen nach strafprozessualen und nicht nach steuerrechtlichen Verfahrens- und Beweisgrundsätzen richtet. Dies kann im Besteuerungsverfahren bzw. im finanzgerichtlichen Verfahren und im Strafverfahren zu unterschiedlichen Ergebnissen führen; eine Bindung an bestandskräftige Bescheide besteht nicht (vgl. Klein/Jäger, AO, 11. Aufl. 2012, § 370 Rz. 94 m.w.N.).
Für die Streitmonate konnte der Kläger – wie dargelegt – zwar keine ernsthaften Ausbildungsbemühungen seiner Tochter nachweisen, so dass ihm im Besteuerungsverfahren kein Kindergeld zustand, weil er insoweit die Feststellungslast trägt. Hinsichtlich der vorliegend streitigen Hinterziehungszinsen verhält es sich indessen umgekehrt: Insoweit trägt die Beklagte die Feststellungslast dafür, dass die Tochter des Klägers ihre Bemühungen um einen Ausbildungsplatz in den Streitmonaten eingestellt hat. Objektive Anhaltspunkte hierfür, wie etwa die Aufnahme einer Erwerbsarbeit o. ä., sind nicht ersichtlich und werden nicht vorgebracht. Im Gegenteil: Zumindest wurde J in der Kundendatei der Arbeitsagentur gemäß dem Ausdruck vom 12 .02.2009 seit dem 30.05.2007 bei der Berufsberatung als ratsuchend geführt.
Zudem hat die Beklagte nicht darlegen können, dass der Kläger, selbst wenn seine Tochter in den Streitmonaten tatsächlich keine Bemühungen um einen Ausbildungsplatz an den Tag gelegt haben sollte, hiervon Kenntnis hatte oder dies zumindest hätte kennen müssen. Das aber wäre weitere Voraussetzung dafür, dass der Kläger die Familienkasse hierüber pflichtwidrig i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in Unkenntnis gelassen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 FGO, § 708 Nr. 10, § 711 Sätze 1 und 2 und § 709 Satz 2 Zivilprozessordnung – ZPO –.