14.06.2013
Hessisches Finanzgericht: Beschluss vom 25.04.2013 – 1 V 495/13
- Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners ist schlichtes Verwaltungshandeln,
gegen das im Hauptsacheverfahren nur mit einer Leistungsklage auf Rücknahme des Insolvenzantrages Rechtsschutz erreicht werden
kann.
- Der Anordnungsanspruch auf Rücknahme eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht, wenn ein Insolvenzgrund
nicht vorliegt oder die Entscheidung über die Stellung des Insolvenzantrages trotz Bestehens eines Insolvenzgrundes ermessensfehlerhaft
ist.
- Ein Insolvenzantrag als für den Schuldner einschneidenste und gefährlichste Maßnahme der Vollstreckung kommt erst dann in
Betracht, wenn weniger belastende Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung ausgeschöpft sind oder keine Aussicht auf Erfolg
versprechen.
- Das Finanzamt muss vor Stellung eines Insolvenzantrages zumindest geprüft haben, ob eine Einzelvollstreckung z.B. in Geschäftsanteile
des Antragstellers Erfolg verspricht und den Antragsteller zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen
Versicherung aufgefordert haben.
- Geht das Finanzamt aufgrund falscher Auswertung eines Haftungsbescheides im Vollstreckungsverfahren von einem deutlich höheren
vollziehbaren Betrag aus, liegt der Entscheidung ein unzutreffender Sachverhalt zugrunde, der zu einer fehlerhaften Ermessensausübung
führt.
- Ein Anordnungsgrund liegt durch die Eröffnung des beantragten Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers vor,
da dessen wirtschaftliche Existenz unmittelbar bedroht ist.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegner (das Finanzamt … - das Finanzamt -)
zur Rücknahme eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verpflichten. Dem liegt nachfolgender Sachverhalt zu
Grunde:
Der Antragsteller ist von Beruf … . Neben … bietet er über seine Beteiligung
an einer X Ltd & Co.KG mit Hauptsitz in L die Gründung von Private Limiteds (Ltd.) nach britischem Recht, die den Gesellschaften
mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht vergleichbar sind, unter Beibehaltung größtmöglicher Anonymität an. Das angebotene
Leistungsspektrum reicht von der Gründung derartiger Limiteds mit Sitz und Eintragung in die Register in England und Wales
bis hin zur umfassenden Betreuung einschließlich eines sogenannten „Treuhandservice”. In diesen Fällen werden alle Gesellschaftsorgane
der Ltd. durch einen Treuhänder gestellt, der auch die Position eines Directors innehat. Soweit gewünscht, werden für die
Ltd. in Deutschland Niederlassungen gegründet. Gegenüber den Behörden tritt in diesem Fall der Director auf, während der Kunde
nach außen nur als Niederlassungsleiter in Erscheinung tritt. Als Treuhänder tritt stets der Antragsteller auf. Die vertraglichen
Beziehungen zwischen ihm und dem jeweiligen Kunden beruhen auf gleich lautenden schriftlichen „Treuhandvereinbarungen” sowie
„Handlungsvollmachten zur Führung einer deutschen Zweigniederlassung”.
Am 27.10.2008 wurde durch die X Ltd & Co.KG im Auftrag eines M die Firma A Ltd. gegründet und in das englische Handelsregister
eingetragen. Als alleiniger Director wurde am 20.11.2008 der Antragsteller eingetragen. Herr M nahm den angebotenen Treuhandservice
in Anspruch und schloss mit dem Antragsteller am 30.11.2008 die entsprechende Treuhandvereinbarung ab. Gleichzeitig erteilte
der Antragsteller Herrn M die oben erwähnte Handlungsvollmacht. Am 15.06.2010 wurde die Gesellschaft im englischen Handelsregister
gelöscht. Nach den Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes … auf der Grundlage von Kontrollmitteilungen des
Finanzamtes … vom 08.12.2010 hatte die Gesellschaft in Deutschland eine Niederlassung und war im Jahr 2009 gewerblich tätig.
Im Rahmen der Fahndungsprüfung wurden die vorliegenden Unterlagen, insbesondere Rechnungen der Gesellschaft und Rechnungen
Dritter, ausgewertet. Es wurde mangels Abgabe von Steuererklärungen im Wege der Schätzung Umsatzsteuer für 2009 in Höhe von
… EUR sowie Körperschaftsteuer für 2009 in Höhe von … EUR ermittelt. Zuzüglich Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer,
Zinsen zur Umsatzsteuer und Zinsen zur Körperschaftsteuer betrugen die Steuerforderungen … EUR. Da gegenüber der nicht mehr
existenten Steuerschuldnerin keine Steuerbescheide mehr erlassen werden konnten, nahm das Finanzamt - neben M - den Antragsteller
mit Haftungsbescheid vom 14.02.2012 als Geschäftsführer in Höhe der Gesamtforderung in Anspruch (Steuernummer …). Die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren hiergegen erhobene Klage ist vor dem Senat unter dem Aktenzeichen 1 K 2322/12 anhängig.
Anträge auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides wurden
weder beim Finanzamt noch beim Hessischen Finanzgericht gestellt.
Am 16.03.2010 gründete die X Ltd & Co.KG im Auftrag eines K die B Ltd.. Zu deren alleinigem Director wurde wiederum der Antragsteller
bestellt, der auch sämtliche Anteile an der Gesellschaft hielt. Auch Herr K nahm den angebotenen Treuhandservice in Anspruch
und schloss mit dem Antragsteller am 16.03.2010 die entsprechende Treuhandvereinbarung ab. Am 07.04.2010 erteilte der Antragsteller
Herrn K die oben erwähnte Handlungsvollmacht. Am 22.09.2011 wurde ein Antrag auf Löschung der Gesellschaft im englischen Handelsregister
gestellt, die zum 24.01.2012 erfolgte. Die Gesellschaft war in 2010 und 2011 in Deutschland gewerblich tätig. Als steuerliche
Beraterin und Empfangsbevollmächtigte fungierte eine S Steuerberatung mit Sitz in L. Nachdem für die Gesellschaft keine Steuererklärungen
abgegeben worden waren, ermittelte die Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt auf der Grundlage von vorgelegten Rechnungen der
Gesellschaft und Rechnungen Dritter für 2010 Umsätze der Gesellschaft in Höhe von … EUR und für die Körperschaftsteuer einen
Reingewinn in Höhe von … EUR. Mit an die steuerliche Beraterin gegen Postzustellungsurkunde zugestelltem Umsatzsteuerbescheid
vom 27.06.2011 setzte das Finanzamt gegenüber der Gesellschaft Umsatzsteuer in Höhe von … EUR fest. Mit ebenfalls gegen Postzustellungsurkunde
an die steuerliche Beraterin der Gesellschaft zugestelltem Bescheid vom 14.07.2011 setzte das Finanzamt Körperschaftsteuer
in Höhe von … EUR fest. Gegen diese Bescheide wurde kein Einspruch eingelegt.
Mit Haftungsbescheid vom 30.05.2012 wurde der Antragsteller - neben K - für die Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerforderungen
für 2010 sowie für Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer, Körperschaft-steuervorauszahlungen für das
dritte Quartal 2011, Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer, Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge zur Körperschaftsteuer
in Anspruch genommen (Steuernummer …).Während im Tenor des Bescheides Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Höhe von
… EUR (Summe 1) aufgeführt sind, endet die nachfolgende Aufstellung mit einem Gesamtbetrag von … EUR (Summe 2, ca. 5.000 EUR
geringerer Betrag ), für den der Antragsteller in Höhe von 90 %, also … EUR (Summe 3), in Anspruch genommen wurde. Die nach
erfolglosem Einspruchsverfahren hiergegen erhobene Klage ist vor dem Senat unter dem Aktenzeichen 1 K 2323/12 anhängig. Anträge
auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides wurden weder beim Finanzamt noch beim Hessischen Finanzgericht gestellt.
Das Finanzamt betreibt nunmehr die Vollstreckung der Forderungen aus den Haftungsbescheiden. Am 15.11.2012 ergingen Vollstreckungsaufträge
an die Vollstreckungsstelle. In dem Vollstreckungsauftrag betreffend den Haftungsbescheid vom 30.05.2012 ist ausgeführt, der
Antragsteller habe, soweit erforderlich, durch Leistungsgebot angeforderte Beträge in Höhe von … EUR (Summe 1) nicht entrichtet.
Am 27.11.2012 unternahm der Vollstreckungsbeamte in der Wohnung des Antragstellers einen Pfändungsversuch. Die Pfändung war
ausweislich der Niederschrift fruchtlos. Ebenfalls erfolglos blieb ein Aufrechnungsersuchen an das Amtsgericht L vom 29.11.2012,
mit dem mit Vergütungs- und Auslagenersatzansprüchen des Antragstellers gegen das Land Hessen aufgerechnet werden sollte,
da Ansprüche der Gerichtskasse gegen den Antragsteller bestanden.
Des Weiteren betreibt die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes die Vollstreckung von persönlichen Steuerforderungen und Zwangsgeldern
gegen den Antragsteller (Steuernummer …). Diesbezügliche Pfändungsversuche
vom 20.10.2011, 14.12.2011 und 27.03.2012 blieben ebenso erfolglos wie
eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 24.10.2011 gegenüber der B-Bank.
Am 04.01.2012 erfolgte eine Zahlung des Antragstellers in Höhe von x.xxx EUR auf diese Steuerverbindlichkeiten. Der Betrag
wurde von einer F Ltd. überwiesen.
Darüber hinaus betrieb die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes gegen den Antragsteller die Vollstreckung von Steuerforderungen
gegen eine H Ltd. aus einem Haftungsbescheid vom 23.03.2011 in Höhe von … EUR (Steuernummer …). Ein diesbezüglicher Pfändungsversuch
vom 11.05.2012 über einen Betrag von … EUR war ebenfalls fruchtlos.
Im Anschluss an ein Kontenabrufersuchen an das Bundeszentralamt für Steuern erließ die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes
am 01.02.2013 fünf Pfändungs- und Einziehungsverfügungen, die aufgrund der in der Zeit vom 8. bis 12.02.2013 eingegangenen
Antworten der betreffenden Banken erfolglos blieben. Die Aufstellungen zu den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen über die
Abgabenrückstände, Stand 01.02.2013, weisen neben den Rückständen auf persönliche Steuern und aus den Haftungsbescheiden vom
14.02.2012 über … EUR und vom 30.05.2012 über … EUR (Summe 1) auch Forderungen in Höhe von … EUR aus dem Haftungsbescheid
vom 23.03.2011 betreffend die H Ltd. auf.
Mit einem Schriftsatz vom 20.12.2012 kündigte der Antragsteller unter Bezugnahme auf ein Gespräch zwischen dem Sachbearbeiter
… und den Mitarbeiter … des Antragstellers vom 18.12.2012, bei dem die sofortige Zahlung von … EUR an die Finanzkasse vereinbart
worden sei, die Zahlung dieses Betrages noch im Jahr 2012 an und traf eine Tilgungsbestimmung dahingehend, dass zunächst die
restlichen Verbindlichkeiten aus dem Haftungsbescheid betreffend die H Ltd. zu tilgen seien, mit der Restsumme private Steuerverbindlichkeiten,
nicht aber Zwangsgelder. Er werde bis zum 31.01.2013 eine weitere höhere Summe aufbringen können und trete im Vorfeld auf
den Sachbearbeiter zu, um weitere Details zum Abtrag der Verbindlichkeiten zu vereinbaren. Er bitte um kurze vereinbarungsgemäße
Bestätigung, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Zwangsvollstreckungsmittel eingesetzt würden. Zahlungen gingen bis zum Ablauf
des Jahres 2012 beim Finanzamt nicht ein.
Mit einem Schriftsatz vom 07.01.2013 an den Sachbearbeiter … teilte der Antragsteller unter Bezugnahme auf den Schriftsatz
vom 20.12.2012 die Überweisung eines Betrages von x.xxx EUR am gleichen Tage und die Zahlung weiterer x.xxx EUR in den nächsten
Tagen mit. Ausweislich des Ausdrucks einer Terminüberweisung vom 07.01.2013 im Onlinebanking in der Vollstreckungsakte und
des mit der Antragsschrift vorgelegten Kontoauszuges wurde die Überweisung am 08.01.2013 ausgeführt. Als Verwendungszweck
war der Haftungsbescheid betreffend die H Ltd. angegeben. Die Überweisung erfolgte von einem Konto der B-Bank, dessen Inhaberin
die bereits oben genannte F Ltd. ist.
Mit einem weiteren Schriftsatz vom 31.01.2013 an den Sachbearbeiter … teilte der Antragsteller die Anweisung zweier weiterer
Teilbeträge über jeweils x.xxx EUR mit und bat hinsichtlich der übrigen zur Vollstreckung anstehenden Steuerforderungen um
die Bewilligung einer Stundung bzw. Vollstreckungsaussetzung unter Leistung einer Zahlung von x.xxx EUR monatlich, beginnend
mit dem Februar 2013, jeweils fällig zum Monatsende. Ausweislich des mit der Antragsschrift vorgelegten Kontoauszuges der
B-Bank erfolgte die Wertstellung der Überweisungen der F Ltd.von jeweils x.xxx EUR am 31.01.2013 und am 04.02.2013. Als Verwendungszweck
war wiederum der Haftungsbescheid betreffend die H Ltd. angegeben.
Das Finanzamt behandelte den Antrag auf Stundung bzw. Vollstreckungsaussetzung im Schriftsatz vom 31.01.2013 als Antrag auf
einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung gemäß § 258 AO und lehnte diesen mit
Verfügung vom 01.02.2013 ab. Auch die dieser Verfügung beigefügte Auf-stellung der Rückstände, Stand 01.02.2013, weist einen
Betrag in Höhe von … EUR aus dem Haftungsbescheid betreffend die H Ltd. auf.
In einem im Wege des Ankreuzverfahrens gefertigten „Aktenvermerk zu den Voraussetzungen des geplanten Insolvenzantrags” im
Vollstreckungsverfahren gegen den Antragsteller vom 13.02.2013 ist unter der Rubrik „Eröffnungsgrund” angegeben, die Zahlungsunfähigkeit
werde durch die Niederschrift des Vollziehungsbeamten vom 27.11.2012 dokumentiert.
Unter der Rubrik „Ermessenserwägungen” heißt es, es sei kein verwertbares bewegliches Vermögen vorhanden. Die Forderungspfändungen
seien erfolglos gewesen.
Unter der Rubrik „Entwicklung der Rückstände” ist ausgeführt, dass vom
Vollstreckungsschuldner seit dem 01.08.2012 lediglich Zahlungen in Höhe von x.xxx EUR geleistet worden seien.
Unter der Rubrik „Besonderheiten bei natürlichen Personen” ist angekreuzt, dass besondere Gründe für einen Insolvenzantrag
vorlägen. Der Schuldner
sei gewerblich oder selbständig tätig und ein gewerbe- bzw. berufsrechtliches Verfahren sei nicht möglich. Der Schuldner versuche,
sich zum Beispiel durch wiederholte Rechtsmittel der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu entziehen. Bei dem Schuldner
bestünden undurchsichtige Vermögensverhältnisse, so dass alle Vollstreckungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg hätten.
Ebenfalls am 13.02.2013 stellte das Finanzamt beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - L einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen des Antragstellers. Zur Begründung ist ausgeführt, der Antragsteller sei nicht zahlungsunwillig, aber zahlungsunfähig
im Sinne des § 17 InsO. Er schulde gegenwärtig Abgaben in Höhe von insgesamt xx.xxx EUR. Er habe in den letzten drei Monaten
nur geringfügige Zahlungen geleistet. Die bisher durchgeführten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Forderungen seien völlig
ergebnislos geblieben. Der zuständige Vollziehungsbeamte habe am 27.11.2012 eine Niederschrift über eine fruchtlose Pfändung
erstellt. In der dem Insolvenzantrag beigefügten Aufstellung der Rückstände, Stand 13.02.2013, belaufen sich die Forderungen
ohne Säumniszuschläge auf xx.xxx EUR. Die Forderungen aus den Haftungsbescheiden vom 14.02.2012 und 30.05.2012 sind mit …
EUR bzw. … EUR (Summe 1) angegeben. Der Restbetrag von … EUR entfällt auf persönliche Steuerverbindlichkeiten des Antragstellers
aus Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer, Kirchensteuer, Zinsen zur Einkommensteuer, Umsatzsteuer und
Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer. Die in der Aufstellung aufgeführten Säumniszuschläge in Höhe von … EUR entfallen ebenfalls
sämtlich auf die persönlichen Steuerverbindlichkeiten des Antragstellers. Das Insolvenzverfahren wird unter dem Aktenzeichen
… beim Amtsgericht - Insolvenzgericht - L geführt.
Gegen diesen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Antrag-steller den vorliegenden Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung
gestellt.
Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus, die Entscheidung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zu
beantragen, sei in mehrfacher Hinsicht ermessensfehlerhaft. Das Finanzamt habe sich keine hinreichende Gewissheit über seine,
des Antragstellers, Zahlungsunfähigkeit im Sinne des Insolvenzrechts verschafft. Hierzu hätte es die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses
und gegebenenfalls die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anordnen müssen. Anhaltspunkte hierfür hätten sich bereits
aus den Pfändungs-protokollen im Zusammenhang mit seiner Beteiligung an der Firma X ergeben. In diesem Zusammenhang falle
auf, dass der Insolvenzantrag nur
kurze Zeit nach Erlass der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 01.02.2013 gestellt worden sei.
Das Finanzamt gehe von falschen Tatsachen aus, wenn es in seinem Akten-vermerk zu den Voraussetzungen des geplanten Insolvenzantrages
ausführe, er habe seit dem 01.08.2012 lediglich x.xxx EUR geleistet, während er danach tatsächlich weitere Zahlungen in Höhe
von insgesamt xx.xxx EUR getätigt habe.
Darüber hinaus seien die Steuerforderungen, wegen der der Insolvenzantrag gestellt worden sei, unzutreffend ermittelt worden.
Die Forderung aus dem Haftungsbescheid vom 30.05.2012 betrage lediglich … EUR (Summe 3).
Der Insolvenzantrag sei auch insoweit ermessensfehlerhaft, als die diesem zu Grunde liegenden Steuerforderungen zum größten
Teil aus den beiden Haftungsbescheiden vom 14.02.2012 und 30.05.2012 resultierten. Die beiden Haftungsbescheide seien indessen
nicht bestandskräftig. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, dass im Haftungsbescheid vom 30.05.2012 noch ausgeführt worden
sei, dass die Steuerrückstände zwar erheblich, jedoch nicht so hoch seien, dass eine Tilgung aus vorhandenen oder künftig
noch zu erwartenden Mitteln z.B. durch Ratenzahlung völlig ausgeschlossen und eine Realisierung der Haftungsansprüche über
einen längerfristigen Zeitraum durchaus möglich erscheine, zumal nichts vorgetragen worden sei, was die Annahme rechtfertige,
dass die Voraussetzungen für eine eidesstattliche Versicherung vorliegen und auch die Ermittlungen des Finanzamtes keine Anhaltspunkte
ergeben hätten, nach denen die Ertrags- oder Vermögenslage des Haftungsschuldners derart schlecht sei, dass seine Haftungsinanspruchnahme
als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen werden könne, während das
Finanzamt nur wenige Monate nach diesen Feststellungen von seiner Zahlungsunfähigkeit ausgehe. Dies lasse nicht nur den Insolvenzantrag,
sondern auch den Haftungsbescheid als evident fehlerhaft erscheinen.
Die Entscheidung über den Insolvenzantrag sei auch insoweit ermessensfehlerhaft, als das Finanzamt nicht berücksichtigt habe,
dass die Voraussetzungen des § 258 AO für eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung gegeben gewesen seien. Er habe durch
Vorlage der eidesstattlichen Versicherung seines Mitarbeiters … vom 06.03.2013 glaubhaft gemacht, dass mit dem Sachbearbeiter
… am 18.12.2012 eine Absprache über einen Vollstreckungsaufschub getroffen worden sei, an die er, der Antragsteller, sich
gehalten habe. Er habe innerhalb eines Monats insgesamt xx.xxx EUR gezahlt und Zahlungen in Höhe von xx.xxx EUR jährlich angeboten.
Dies führe zu einem überschaubaren Tilgungszeitraum und rechtfertige ein weiteres kurzfristiges Zuwarten mit weiteren Vollstreckungsmaßnahmen.
Erwägungen zu den beruflichen Folgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für ihn fehlten völlig.
Insgesamt sei der Insolvenzantrag des Finanzamtes offenbar hauptsächlich gestellt worden, um Druck auf ihn auszuüben und seine
Existenz zu vernichten. Insoweit ließen die Ausführungen des Finanzamtes im Verfahren über den Haftungsbescheid deutlich erkennen,
dass es sich zur Aufgabe gemacht habe, ihn aus dem Marktsegment der Hilfestellung für die Gründung von ausländischen Kapitalgesellschaften
herauszudrängen.
Der Antragsteller beantragt,
das Finanzamt im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den in dem Insolvenzverfahren … über sein Vermögen bei
dem Amtsgericht L - Insolvenzgericht gestellten Insolvenzantrag zurückzunehmen.
Das Finanzamt beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es führt im Wesentlichen aus, es habe den Sachverhalt zutreffend ermittelt
und vor dem Insolvenzantrag zahlreiche Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung erfolglos durchgeführt. Entgegen der Auffassung
des Antragstellers sei es nach der Rechtsprechung des BFH nicht verpflichtet gewesen, vor dem Insolvenzantrag die Vorlage
eines Vermögensverzeichnisses anzuordnen. Ergäben sich, wie beim Antragsteller, bereits aus dem Vollstreckungsprotokoll und
den darin enthaltenen Angaben des Schuldners keine weiteren Pfändungsmöglichkeiten, seien auch keine weiteren Erkenntnisse
zu erwarten, wenn der Steuerschuldner seine Angaben zusätzlich an Eides Statt versichere. In diesem Fall sei der Verzicht
auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung ermessensfehlerfrei.
Gleichwohl sei davon auszugehen, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse vorhanden sei, so dass der Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch insoweit ermessensfehlerfrei sei. Aufgrund der vereinzelten Zahlungen des Antragstellers
in jüngerer Vergangenheit und seiner Behauptung in der Antragsschrift, er sei nicht zahlungsunfähig, sondern allenfalls zahlungsunwillig,
stehe keinesfalls fest, dass eine die Kosten des Insolvenzverfahrens deckende Masse nicht vorhanden sei. Ob der Antragsteller
tatsächlich zahlungsunfähig sei, bleibe der Prüfung durch das Insolvenzgericht vorbehalten.
Es habe bei seiner Entscheidung auch berücksichtigt, dass der Antragsteller freiberuflich tätig sei und daher gewerberechtliche
Maßnahmen nicht in Frage kämen. Das Insolvenzverfahren diene somit der Beschleunigung berufsrecht-licher Maßnahmen. Darüber
hinaus bestünden beim Antragsteller undurchsichtige Vermögensverhältnisse, die es im Rahmen eines etwaigen Insolvenzverfahrens
zu klären gelte. Der Antragsteller sei nach seinen, des Finanzamtes, Recherchen Geschäftsführer von über … Gesellschaften,
beziehe aber nach dem Inhalt der Vollstreckungsprotokolle aus der Geschäftsführertätigkeit keinerlei Einnahmen. Auffällig
sei jedoch, dass in der Vergangenheit wiederholt Zahlungen von der F Ltd. auf Steuerschulden des Antragstellers geleistet
worden seien. Es erscheine daher naheliegend, dass er (verdeckte) Gewinnausschüttungen erhalte.
Es lägen auch nicht die Voraussetzungen für eine einstweilige Einstellung der Vollstreckung vor. Entgegen der Behauptung des
Antragstellers sei zu keiner Zeit eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen worden. Vielmehr sei ein entsprechender Antrag
mit der Verfügung vom 01.02.2013 abgelehnt worden.
Die Ablehnung sei auch zu Recht erfolgt. Angesichts der derzeitigen Rückstände auf Steuerforderungen und Nebenforderungen
von ca. xx.xxx EUR fehle es bei dem Angebot des Antragstellers an einem Tilgungsvorschlag, der die Rückführung der Forderungen
innerhalb eines Zeitraums von maximal einem Jahr realistisch erscheinen lasse. Im Übrigen sei die Ablehnung ermessensfehlerfrei.
§ 258 AO solle den redlichen Vollstreckungsschuldner, der seinen steuerlichen Verpflichtungen im Übrigen nachkomme, vor unbilligen
Härten schützen. Um einen solchen redlichen Vollstreckungsschuldner handele es sich bei dem Antragsteller gerade nicht. Eine
Vielzahl von Gesellschaften, deren Geschäftsführer er sei, komme ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nach. Der Geschäftsführer
sei aber gesetzlich angehalten, die steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft zu erfüllen. Darüber hinaus gebe er auch
seine eigenen Steuererklärungen regelmäßig nicht fristgerecht ab, sondern erst unter Androhung und teilweiser Durchführung
von Zwangsmaßnahmen. Er habe in der Vergangenheit von ihm angebotene Zahlungen verspätet geleistet und sei zu festgesetzten
Terminen an Amtsstelle wiederholt nicht erschienen. Darüber hinaus bezeichne er sich selbst in der Antragsschrift als zahlungsunwillig.
Es entspreche aber nicht Sinn und Zweck des § 258 AO, zahlungsunwilligen Vollstreckungsschuldnern einen Aufschub zu gewähren.
Die Gesamtheit dieser Umstände führe zur Ermessensfehlerfreiheit der Ablehnung des Antrages auf Vollstreckungsaufschub. Letztendlich
habe das Hessische Finanzgericht mit Urteil vom 04.04.1986 (4 K 3/84) entschieden, dass im Falle einer Zahlungsunfähigkeit
- von der auch beim Antragsteller auszugehen sei - die Ablehnung eines Antrages auf Vollstreckungsaufschub ermessensfehlerfrei
sei, weil aufgrund der Gefährdung des Steueranspruchs keine weiteren Gründe ersichtlich sein könnten, die nur vorübergehender
Natur seien.
Die einschlägigen Vollstreckungsakten des Finanzamtes lagen vor. Der Senat hat des Weiteren die Gerichtsakten der Klageverfahren
1 K 2322/12 und
1 K 2323/12 einschließlich der dort vorgelegten Verwaltungsvorgänge bei-gezogen. Sämtliche Akten waren Gegenstand der Beratung.
Gründe
1. Der Antrag ist als ein auf Erlass einer sogenannten Regelungsanordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO gerichteter Antrag
zulässig und statthaft.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners ist nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs kein Verwaltungsakt, sondern schlichtes Verwaltungshandeln, gegen das im Hauptsacheverfahren nur mit einer
Leistungsklage auf Rücknahme des Insolvenzantrages Rechtsschutz erreicht werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 28.01.2011 VII
B 224/10, BFH/NV 2011, 763).
2. Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes
in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung
drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag
ist, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein
Begehren herleitet (Anordnungsanspruch), schlüssig darlegt und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat. Fehlt
es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
a) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Der Anordnungsanspruch auf Rücknahme eines Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht, wenn ein Insolvenzgrund
nicht vorliegt oder die Entscheidung über die Stellung des Insolvenzantrages trotz Bestehens eines Insolvenzgrundes ermessensfehlerhaft
ist (vgl. Sächsisches Finanzgericht,
Beschluss vom 12.08.2011 6 V 915/11; Juris).
Der Senat hält die Entscheidung des Finanzamtes über die Stellung des Insolvenzantrages vom 13.02.2013 nach der im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung unter Abwägung aller den Sachverhalt kennzeichnenden Gesichtspunkte nicht
für ermessensfehlerfrei.
aa) Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann gestellt werden, wenn dem Finanzamt ein Anspruch zusteht, der ihm
im Insolvenzverfahren die Stellung eines Insolvenzgläubigers vermittelt, und wenn ein Insolvenzgrund, z.B. Zahlungsunfähigkeit
des Vollstreckungsschuldners, vorliegt.
Die Entscheidung des Finanzamtes, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners zu beantragen,
ist eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 102 FGO von den Gerichten nur daraufhin überprüft werden kann, ob die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist. Eine fehlerfreie Ermessensentscheidung setzt voraus, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig
ermittelt wird. Das Finanzamt darf sich bei der Ermessensausübung nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. BFH-Beschluss
vom 12.12.2005
VII B 63/04, BFH/NV 2006, 900).
Unter welchen Voraussetzungen das Finanzamt im Rahmen der Vollstreckung einen Insolvenzantrag stellen darf, richtet sich grundsätzlich
nach den Vorschriften der AO. Dabei folgt aus dem bei der Ermessensausübung zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
dass ein Insolvenzantrag als für
den Schuldner einschneidenste und gefährlichste Maßnahme der Vollstreckung erst dann in Betracht kommt, wenn weniger belastende
Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung ausgeschöpft sind oder keine Aussicht auf Erfolg versprechen (BFH-Beschlüsse vom 11.12.1990
VII B 94/90, BFH/NV 1991,
787; 12.12.2003 VII B 265/01, BFH/NV 2004, 464 und vom 12.12.2005
VII B 63/04, BFH/NV 2006, 900).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze muss das Finanzamt vor der Stellung eines Insolvenzantrages nicht die Bestandskraft
des in der Vollstreckung befindlichen Steuerbescheides abwarten. Gemäß § 251 Abs. 1 AO setzt die Vollstreckung eines Steuerbescheides
grundsätzlich nur voraus, dass der Bescheid vollziehbar ist, also nicht seine Vollziehung ausgesetzt ist (§ 361 AO,
§ 69 FGO). Dies folgt aus dem Grundsatz der Trennung zwischen Festsetzungs- und Vollstreckungsverfahren (§ 256 AO), wonach
der Steuerpflichtige bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides oder bei unbilliger Härte Schutz vor einer
ungerechtfertigten Inanspruchnahme im Wege der
Vollstreckung durch die Aussetzung der Vollziehung herbeiführen kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.12.1990 VII B 94/90, BFH/NV
1991, 787 und vom 01.02.2005 VII B 180/04, BFH/NV 2005, 1002).
Bei der Ermessensentscheidung, einen Insolvenzantrag zu stellen, bedarf es grundsätzlich keiner positiven Anhaltspunkte dafür,
dass eine die Kosten
deckende Insolvenzmasse vorhanden ist. Es darf nur nicht für das Finanzamt feststehen, dass eine die Kosten des Verfahrens
deckende Masse nicht vorhanden ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.12.2003 VII B 265/01, BFH/NV 2004, 464 und vom 12.12.2005 VII
B 63/04, BFH/NV 2006, 900).
Ob nach einer oder mehreren ergebnislosen Vollstreckungsmaßnahmen vor
einem Insolvenzantrag noch weitere Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalles
ab. Das Finanzamt ist insoweit nicht in jedem Fall verpflichtet, vor Stellung eines Insolvenzantrages die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses
anzuordnen und den Schuldner
zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu laden (§ 284 AO). Muss das Finanzamt aufgrund der Gesamtumstände annehmen,
dass die Vorlage des
Vermögensverzeichnisses oder weitere Vollstreckungsmaßnahmen ebenfalls fruchtlos verlaufen werden, handelt es nicht ermessensfehlerhaft,
wenn es keine weiteren Vollstreckungsversuche vor Stellung des Insolvenzantrages mehr
unternimmt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.12.2003 VII B 265/01, BFH/NV 2004, 464; 12.12.2005 VII B 63/04, BFH/NV 2006, 900 und
vom 26.02.2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270).
bb) Der Senat hat erhebliche Zweifel daran, dass die Entscheidung des Finanzamtes über den Insolvenzantrag auf einer vollständig
und zutreffend ermittelten Entscheidungsgrundlage beruht.
Die Vollstreckungsstelle des Finanzamtes hat erkennbar den Haftungsbescheid vom 30.05.2012 betreffend die Haftung des Antragstellers
für Steuerschulden der B Ltd. nicht zutreffend ausgewertet und geht infolge dessen im Vollstreckungsverfahren von einem deutlich
höheren vollziehbaren Betrag aus.
Sowohl im Vollstreckungsauftrag vom 15.11.2012, als auch im Pfändungs-protokoll vom 27.11.2012 sowie in den Aufstellungen
der Rückstände zu den Pfändungs- und Einziehungsverfügungen vom 01.02.2013 und dem Insolvenzantrag ist die vollziehbare Forderung
aus dem Haftungsbescheid mit … EUR (Summe 1) angegeben. Zwar wird dieser Betrag eingangs des Haftungsbescheides vom 30.05.2012
aufgeführt. Tatsächlich belaufen sich die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Gesellschaft ausweislich der Aufstellung
im Haftungsbescheid auf nur … EUR ( Summe 2). Der Antragsteller wird im Haftungsbescheid nur in Höhe von 90 % dieses Betrages,
also … EUR (Summe 3), in Anspruch genommen. Nur in Höhe dieses Betrages erging das Leistungsgebot an den Antragsteller.
Mithin betreibt das Finanzamt die Vollstreckung aus dem Haftungsbescheid vom 30.05.2012 in eine Forderung gegen den Antragsteller
in Höhe von … EUR (Differenz Summe 1 ./. Summe 3), obwohl diese nicht durch den Haftungsbescheid festgesetzt wurde und für
die erst Recht kein Leistungsgebot gemäß § 254 Abs. 1 AO vorliegt. Abgesehen davon, dass jedenfalls die bisherige Vollstreckung
in Höhe dieses Betrages unzulässig ist, wirkt sich die fehlerhafte Auswertung des Haftungsbescheides unmittelbar auf die Entscheidung
über den Insolvenzantrag aus, da das Finanzamt seiner Entscheidung insoweit einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt
hat.
Die Frage, ob die Stellung eines Insolvenzantrages noch verhältnismäßig
und geboten ist, wenn die anzugebende Forderung deutlich niedriger ist als vom Finanzamt angenommen, kann der Senat nicht
in eigener Zuständigkeit entscheiden. Er würde insoweit sein Ermessen an die Stelle des Finanzamtes setzen.
Des Weiteren hat der Senat ernstliche Zweifel, ob das Finanzamt vor Stellung des Insolvenzantrages hinreichend das Vorliegen
weiterer Möglichkeiten der Einzelzwangsvollstreckung geprüft hat.
Bei Durchsicht der Pfändungsprotokolle vom 27.03.2012 (Bl. … Vollstr-Akte), 11.05.2012 (Bl. … Vollstr.-Akte) und vom 27.11.2012
(Bl. ..
Rs Teil 1, Bl. .. Rs. Teil 2 Sonderband Vollstr.-Akte Haftung) fällt auf,
dass der Antragsteller angegeben hat, in Deutschland keine Bankverbindung als natürliche Person zu haben, sondern nur im Rahmen
von Gesellschaften. Er muss aber in irgendeiner Weise seinen persönlichen Zahlungsverkehr gestalten. Darüber hinaus hat er
angegeben, dass er an der X Ltd. & Co. KG zu einem Drittel und an der F Ltd. zu 100 % beteiligt ist. Aus den Vollstreckungsakten
ergibt sich, dass Zahlungen des Antragstellers an das Finanzamt durch Überweisungen der F Ltd. getätigt werden, was dafür
spricht, dass der Antragsteller seinen gesamten privaten und geschäftlichen Zahlungsverkehr über diese Gesellschaft, die über
ein Bankkonto bei der B-Bank verfügt, möglicherweise auch über andere Ltds. abwickelt.
Darüber hinaus will er an juristischen Personen beteiligt sein, die über Grundvermögen verfügen.
All diesen Punkten ist das Finanzamt nach Aktenlage zu keiner Zeit nachgegangen. Es erscheint daher im vorliegenden summarischen
Verfahren im Hinblick auf die einschneidenden Folgen eines Insolvenzantrages für den Schuldner nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
nicht ermessensfehlerfrei, dass das Finanzamt einen Insolvenzantrag gestellt hat, ohne zumindest geprüft zu haben, ob eine
Einzelvollstreckung z.B. in die Geschäftsanteile des Antrag-stellers an den oben genannten Gesellschaften Erfolg verspricht.
Dabei wäre gegebenenfalls im Hinblick auf die vom Finanzamt konstatierte Unzuverlässigkeit und fehlende Mitwirkungsbereitschaft
des Antragstellers zu prüfen, den Antragsteller vor Stellung des Insolvenzantrages zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses
und Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufzufordern.
In diesem Zusammenhang fällt auf, dass im Aktenvermerk zu den Voraussetzungen des geplanten Insolvenzantrages unter der Rubrik
Besonderheiten bei natürlichen Personen, besondere Gründe für einen Insolvenzantrag, angekreuzt ist, dass der Antragsteller
versuche, sich der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu entziehen. Den Vollstreckungsakten lässt sich jedoch nicht
entnehmen, dass jemals eine Aufforderung zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
geprüft worden, geschweige denn ergangen ist.
Darüber hinaus fällt auf, dass das Finanzamt in seinem Aktenvermerk unter der Rubrik Entwicklung der Rückstände angekreuzt
hat, dass der Antragsteller seit dem 01.08.2012 lediglich Zahlungen in Höhe von x.xxx EUR geleistet habe. Zum Einen ist dieser
Betrag nach dem Inhalt der Akten weder der Höhe nach noch in zeitlicher Hinsicht nachzuvollziehen. Zum Anderen unterschlägt
der Vermerk die Zahlung von xx.xxx EUR in drei Tranchen vom 04.01. bis 04.02.2013. Auch im Insolvenzantrag ist lediglich angegeben,
dass in den letzten drei Monaten nur geringfügige Zahlungen geleistet worden seien. Von einer Geringfügigkeit kann indessen
bei Zahlung von xx.xxx EUR kurze Zeit vor dem Insolvenzantrag einerseits und einem bereinigten vollstreckbaren Forderungsbetrag
von noch ca. xx.xxx EUR im Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrages andererseits nicht mehr gesprochen werden.
Der Senat hat daher auch insoweit Zweifel daran, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung von einer zutreffenden Entscheidungsgrundlage
ausgegangen ist.
Insoweit stellt sich - auch - die Frage, ob die durchaus nennenswerten Zahlungen den zwingenden Schluss zulassen, der Antragsteller
sei gänzlich zahlungsunfähig, zumal dem Senat weder nach dem Vorbringen der Beteiligten noch nach Aktenlage weitere Gläubiger
des Antragstellers, von denen er im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird, bekannt sind.
b) Der Antragsteller hat auch den Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft
gemacht.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH erfordert das Vorliegen eines Anordnungsgrundes so schwerwiegende Gründe, dass sie
den Erlass einer einstweiligen Anordnung unabweisbar machen. Insoweit setzen die ausdrücklich genannten Gründe „wesentliche
Nachteile” und „drohende Gewalt” Maßstäbe auch für die „anderen Gründe” i.S.d. § 114 Abs. 1 S. 2 FGO. Letztere rechtfertigen
daher eine einstweilige Anordnung nur, wenn sie für die begehrte Regelungsanordnung ähnlich gewichtig und bedeutsam sind,
wie wesentliche Nachteile oder drohende Gewalt. Dies ist nur der Fall, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz
des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 12.05.1992 VII
B 173/91, BFH/NV 1994, 103; 07.01.1999 VII B 170/98, BFH/NV 1999, 818 und vom 24.04.2012 III B 180/11, BFH/NV 2012, 1303).
Dies gilt insbesondere, wenn nicht nur eine vorläufige Maßnahme begehrt wird, sondern - wie im vorliegenden Fall - die Vorwegnahme
der Hauptsache. Ein solches Rechtsschutzziel widerspricht grundsätzlich der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes. Daher
darf eine Regelungsanordnung nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzlich nur eine einstweilige Regelung enthalten
und das Ergebnis des Hauptprozesses nicht vorwegnehmen oder diesem endgültig vorgreifen, es sei denn, es entstünden ohne vorläufigen
Rechtschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung
der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BFH-Beschl. vom 07.01.1999 VII B 170/98, BFH/NV 1999, 818).
Derartige existenzbedrohende, wesentliche Gründe sind vorliegend darin zu sehen, dass die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers,
der auch freiberuflich als … tätig ist, durch die Eröffnung des beantragten Insolvenzverfahrens über sein Vermögen unmittelbar
bedroht ist und dies durch eine ihm günstige Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigiert werden kann.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.