19.08.2013 · IWW-Abrufnummer 132598
Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 03.06.2013 – 2 OLG Ausl 40/13
Die Auslieferung wegen einer Straftat des Nichtbezahlens festgesetzter Steuern ist wegen fehlender beiderseitiger Strafbarkeit unzulässig. Der Begriff "fehlende Steuerbestimmung" in § 81 Nr. 3 IRG stellt auf fehlendes deutsches Steuerrecht und nicht auf fehlendes deutsches Steuerstrafrecht ab.
OLG Nürnberg, 03.06.2013
2 OLG Ausl 40/13
Tenor:
I.
Die vorläufige Auslieferungshaft des Verfolgten S... wird angeordnet, soweit dessen Auslieferung zur Vollstreckung der Entscheidung Nr. 101202 der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 4.10.2010 wegen Ausstellen eines ungedeckten Schecks zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten beantragt wird.
II.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls abgelehnt.
Gr ünde
I.
Grundlage des Auslieferungsverfahrens ist eine SIS-Ausschreibung (SIDN: ...), beruhend auf dem Europäischen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Berufungsgericht in Athen. Danach wurde der Verfolgte mit Urteil der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 17.11.2009 (Entscheidung Nr. 108170) wegen Nichtbegleichung einer Schuld gegenüber dem Staat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und mit Urteil der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 4.10.2010 (Entscheidung Nr. 101202) wegen Ausstellen eines ungedeckten Schecks zu einer weiteren Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Zu dem der Entscheidung der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 17.11.2009 (Entscheidung Nr. 108170) zu Grunde liegenden Sachverhalt wird im Europäischen Haftbefehl folgendes mitgeteilt:
"Die gesuchte Person hat in der Zeit von 01.01.2006 bis 01.12.2007 in Athen durch mehrere Handlungen, die als einzige fortgesetzte Straftat anzusehen sind, trotz Feststellung vom 14. Finanzamt Athen, dass sie Schulden gegenüber dem Staat hat, gegen sie festgesetzte Forderungen in Höhe von 31.744,01 absichtlich nicht gezahlt."
Wegen der sonstigen Einzelheiten der zu vollstreckenden Entscheidungen wird auf die SIS-Ausschreibung Bezug genommen.
Der Verfolgte befindet sich derzeit in anderer Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt S....
Das Amtsgericht Straubing hat am 25.4.2013 nach Anhörung des Verfolgten gegen diesen eine Festhalteanordnung erlassen. Die Verfolgte hat sich mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt und auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft. Sie ist der Ansicht, dass die fehlende deutsche Strafbarkeit des Nichtbezahlens von Steuern der Auslieferung gemäß Art. 4 Nr. 1 RB-EUHb i.V.m. § 81 Nr. 3 IRG nicht entgegensteht.
II.
1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft liegen vor, soweit der Verfolgte mit Urteil der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 4.10.2010 (Entscheidung Nr. 101202) wegen Ausstellen eines ungedeckten Schecks zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist (§§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 IRG).
Das Oberlandesgericht Nürnberg ist örtlich und sachlich zuständig (§§ 13, 14 Abs. 1 IRG).
Die Auslieferung des Verfolgten richtet sich nach dem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Gemeinschaft über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (RbEuHB) vom 13.6.2002 in Verbindung mit dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) nach Maßgabe des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vom 20.7.2006.
Die SIS-Ausschreibung (Art. 9 Abs. 3 RbEuHB, Art. 95 SDÜ) enthält die nach § 83a Abs. 1 IRG erforderlichen Angaben zur Identität, die Bezeichnung und Anschrift der ausstellenden Justizbehörde, die Angabe, dass ein Haftbefehl zugrunde liegt, die Art und rechtliche Würdigung der Straftat einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen, die Tatumschreibung und die verhängte Strafe. Sie gilt deshalb als Europäischer Haftbefehl (§ 83a Abs. 2 IRG).
Die Auslieferung erscheint nicht von vornherein unzulässig. Bei der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat handelt es sich um eine auslieferungsfähige Straftat im Sinn von § 81 Nr. 1 in Verbindung mit § 3 IRG. Das Ausstellen von Schecks unter falschem Namen erfüllt nach deutschem Recht jedenfalls den Straftatbestand der Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 StGB. Die verhängte Strafe übersteigt vier Monate.
Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ist geboten, da die Gefahr besteht, dass sich die Verfolgte wegen der drohenden Vollstreckung von sechs Monaten Freiheitsstrafe dem Auslieferungsverfahren und der Durchführung der Auslieferung entziehen würde (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG).
Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls nach § 25 Abs. 2 IRG, § 116 StPO kommt nach Sachlage nicht in Betracht.
2. Soweit der Verfolgte mit Urteil der Einzelrichterstrafkammer Athen vom 17.11.2009 (Entscheidung Nr. 108170) wegen Nichtbegleichung einer Schuld gegenüber dem Staat zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden ist, erscheint die Auslieferung von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Es liegt ein Auslieferungshindernis gemäß § 3 Abs. 1 IRG vor, da die Tat nach deutschem Recht nicht den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht oder bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts nach deutschem Recht auch keine solche Tat wäre (§ 3 Abs. 1 IRG). Insoweit ist der Antrag auf Erlass des Auslieferungshaftbefehls somit abzulehnen.
a. Das Auslieferungshindernis des § 3 Abs. 1 IRG ist trotz des Einverständnisses des Verfolgten mit der vereinfachten Auslieferung gemäß § 41 Abs. 1 IRG zu prüfen.
b. Nach den deutschen Strafvorschriften ist das Nichtbezahlen von festgesetzten Steuern nicht strafbar.
c. Die Voraussetzungen für die Ausnahme vom Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit gemäß § 81 Nr. 3 IRG, dass die Auslieferung in Steuerangelegenheiten auch dann zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuerbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates, liegen nicht vor.
Die in Deutschland fehlende Strafvorschrift für das Nichtbezahlen festgesetzter Steuern stellt keine "fehlende Steuerbestimmung" in diesem Sinne dar. Bereits der Wortlaut der Vorschrift stellt nicht auf fehlende "Steuerstrafbestimmungen" sondern auf fehlende "Steuerbestimmungen" ab. Somit kommt es darauf an, dass die Art des Verhaltens auch in Deutschland strafbar ist, es ist aber nicht erforderlich, dass gleichartige Steuerbestimmungen bestehen (Grützner/Pötz/Kreß Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage, I 2-IRG-Kommentar § 81 Rn 7). § 81 Nr. 3 IRG macht also ein entsprechendes deutsches Steuerrecht entbehrlich, nicht aber die Strafbarkeit des Handelns. Entsprechend wird dazu auch vom Gesetzgeber bei der Umsetzung des RB-EUHb vom 13.6.2002 und Neufassung des § 81 IRG in der Bundestags-Drucksache 15/1718 (S. 17) ausgeführt: "Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten zu Steuer-, Abgaben- und Währungsangelegenheiten verbleibt es bei dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit. Nicht erforderlich ist jedoch, dass der ersuchte Staat eine Abgabe gleicher Art erhebt."