Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Evolution der Steuerstrafverteidigung

    Kommt generative künstliche Intelligenz als neuer Verbündeter in Betracht?

    von RA Martin Figatowski, LL.M. (Taxation), GTK Rechtsanwälte, Bonn

    | Die digitale Revolution, angeführt zuletzt von der generativen künstlichen Intelligenz (KI), hat bereits verschiedene Teile der Gesellschaft und Wirtschaft erreicht, und auch die Rechtsberatungsbranche bleibt davon nicht unberührt. Im Bereich der Steuerstrafverteidigung gibt es erste Ansätze dazu, generative KI einzusetzen, um die strafrechtliche Vertretung effizienter zu gestalten. Dieser Artikel untersucht anhand des KI-Modells GPT-4 des Unternehmens OpenAI mögliche Anwendungsgebiete von generativer KI im Bereich der Steuerstrafverteidigung. |

    1. Technischer Überblick und denkbare Use Cases

    Generative künstliche Intelligenz und allgemeine künstliche Intelligenz können als Unterkategorien der KI-Branche betrachtet werden.

     

    a) Was ist generative KI?

    Künstliche Intelligenz bezieht sich auf Maschinen oder Programme, die menschenähnliche Fähigkeiten wie Lernen, Verstehen, Problemlösung, Spracherkennung und Entscheidungsfindung aufweisen.

     

    Generative KI bezieht sich spezifisch auf Systeme, die neue Inhalte erzeugen können, die zuvor nicht existierten und die denen ähneln, die von Menschen erstellt werden könnten. Dazu gehören Texte, Bilder, Musik und andere Medienformate. Diese Systeme nutzen maschinelles Lernen, insbesondere sog. Transformer-Modelle (wie GPT-4), um Muster und Strukturen aus großen Datenmengen zu lernen und darauf basierend neues Material zu generieren. Generative KI-Modelle können für eine Vielzahl von Anwendungen eingesetzt werden, um automatisch rechtliche Dokumente zu generieren, bis hin dazu, Kunstwerke zu erstellen. Generative KI ist letztlich eine „Allzweck-KI” (General Purpose Intelligence).

     

    Bekannte generative KI-Modelle, um Texte zu erzeugen, sind derzeit GPT-4 (OpenAI), Bard (Google), LLama2 (Meta), Claude2 (Anthropic), Gork (xAI) sowie aus Deutschland Luminous (AlephAlpha).

     

    GPT-4 ist in verschiedenen Varianten verfügbar, darunter „default“ (Standard GPT-4-Modell mit Upload-Funktion von Bild-Dateien), „Browse with bing“ (Internet-Modell), „Advanced Data Analysis“ (Analyse-Modell mit UploadFunktion von Dokumenten), „Plugins“ (Modell mit Funktionserweiterungen durch verschiedene aktivierbare Plugins) und „Dall-E 3“ (Bildgenerierungsmodell).

     

    b) Einsatzfelder von generativer KI im Bereich des Steuerstrafrechts

    Es gibt eine Reihe denkbarer Einsatzfelder von generativer KI im Bereich der Steuerstrafverteidigung. Dazu gehören u. a.:

     

    Verteidiger sind oft mit einer Flut von Dokumenten und Daten konfrontiert, die analysiert werden müssen. KI-Technologie kann hierbei durch automatisierte Datenanalyse und -verarbeitung unterstützen, was dem Verteidiger mehr Zeit gibt, sich auf komplexere Aspekte des Falls zu konzentrieren.

     

    Es gibt bereits zahlreiche Beispiele, in denen generative KI-Tools in der Rechtspraxis erfolgreich eingesetzt werden. Im Bereich der Steuerstrafverteidigung können solche Systeme z. B. verwendet werden, um relevante Präzedenzfälle zu identifizieren oder Steuergesetze und -vorschriften zu analysieren, die verwendet werden.

     

    Oft kommt es im Steuerstrafverfahren zu sog. Kombiprüfungen, gerne im Bereich der Gastronomie. Die „Arbeitsteilung“ der Finanzverwaltung sieht in diesen Fällen regelmäßig so aus, dass die Amtsbetriebsprüfung den steuerlichen Sachverhalt (= objektiver Tatbestand, § 370 AO) ermittelt, während die Steuerfahndung sich auf das subjektive Vorstellungsbild (= subjektiver Tatbestand des § 370 AO) fokussiert.

     

    In der Gastronomie liegen dabei regelmäßig Massendaten vor, z. B. in Form von Kassendaten. Mit GPT-4 ist es möglich, die Kassendaten als CSV- oder Excel-Dateien in das Modell zu importieren (Variante: Data Analysis) und letztlich durch das Modell auswerten zu lassen. Auf diese Weise können durch GPT-4 Anomalien erkannt und auf den ersten Blick manchmal nicht direkt ersichtliche Zusammenhänge aufgezeigt werden, welche dem Verteidiger Anhaltspunkte für eine Verteidigung bieten.

    2. Beispiel Schriftsatzerstellung durch GPT-4

    Ein konkretes Beispiel, um generative KI einzusetzen, besteht auch darin, anonymisierte Schriftsätze bzw. Stellungnahmen zu erstellen. In dem Beispiel geht es darum, einen Entwurf für einen Schriftsatz an das Strafsachen-FA der Stadt A durch das Modell GPT-4 (Variante: Data Analysis) zu erstellen. Der Mandant wird beschuldigt, im Jahr 2021 Einkommensteuern gem. § 370 AO hinterzogen zu haben. Neben den formalen Anforderungen für den Schriftsatz wird dem Modell auch die Strategie für die Verteidigung des Mandanten mitgeteilt sowie weitere relevante Gesichtspunkte aufgezeigt. Als Output hat GPT-4 den nachfolgenden Schriftsatz erstellt:

     

    Musterformulierung / GPT-4 generierter-Schriftsatz

    In Sachen Ermittlungsverfahren gegen (vollständiger Name des Mandanten), geboren am (Geburtsdatum), wohnhaft (Adresse des Mandanten),

     

    Verteidiger: Rechtsanwalt (vollständiger Name des Verteidigers)

     

    Betreff: Ermittlungsverfahren gem. § 370 Abgabenordnung (AO) ‒ Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) Schriftsatz zur Verteidigung

    Sehr geehrte Damen und Herren,

     

    in meiner Eigenschaft als Verteidiger des Beschuldigten [Name des Mandanten] nehme ich Bezug auf das gegen meinen Mandanten geführte Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung gem. § 370 AO und reiche folgenden Schriftsatz ein.

     

    I. Sachverhalt

    Dem Mandanten wird vorgeworfen, im Steuerjahr 2021 vorsätzlich Einkünfte aus dem Verkauf von Kryptowährungen nicht in seiner Einkommensteuererklärung angegeben und somit Steuern hinterzogen zu haben, entgegen den Vorschriften des § 23 Einkommensteuergesetz (EStG).

     

    II. Rechtliche Würdigung

    1. Fehlender Vorsatz nach § 15 Strafgesetzbuch (StGB)

    Der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO setzt einen vorsätzlichen Handlungsakt voraus. Gem. § 15 StGB ist vorsätzliches Handeln nur gegeben, wenn der Täter mit Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung handelt. Zur Überzeugung des Mandanten bestand im Jahr 2021 eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der steuerlichen Behandlung von Kryptowährungen. Die Finanzverwaltung hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung in Form eines BMF-Schreibens zur Besteuerung von Kryptowährungstransaktionen vorgenommen. Weiterhin hat der Bundesfinanzhof (BFH), als höchstes deutsches Steuergericht, erst im Jahr 2023 eine klare Rechtsprechung zur steuerlichen Behandlung von Veräußerungsgeschäften von Kryptowährungen geschaffen. Vor diesem Hintergrund konnte der Mandant nicht davon ausgehen, dass seine Handlungen eine Steuerhinterziehung darstellen würden. Es fehlte somit an dem erforderlichen Vorsatz i. S. d. § 15 StGB.

     

    2. Anwendung des § 370 AO

    Für eine Strafbarkeit nach § 370 AO müsste der Mandant bewusst steuerlich erhebliche Tatsachen gegenüber den Finanzbehörden unrichtig oder unvollständig angegeben haben. Aufgrund der oben dargelegten Rechtsunsicherheit und der nachfolgenden Klärung durch den BFH ist jedoch davon auszugehen, dass dem Mandanten kein bewusstes Verschweigen von Einkünften unterstellt werden kann. Der Mandant hat nach seiner Überzeugung und nach damaliger Auslegung der unklaren Rechtslage gehandelt.

     

    III. Antrag

    Unter Berücksichtigung der vorgetragenen Argumente und der Tatsache, dass der Vorsatz als wesentliches Element der Tatbestandsmäßigkeit nach § 370 AO nicht vorliegt, stellen wir den Antrag, das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten (vollständiger Name des Mandanten) gem. § 170 Abs. 2 StPO einzustellen. Wir bitten um Mitteilung Ihrer Entscheidung und verbleiben mit freundlichen Grüßen

     

    (Unterschrift)

    Rechtsanwalt (Name des Verteidigers)

     

    Das Beispiel zeigt, dass es möglich ist, ein generatives KI-Modell wie GPT-4 auch im Bereich der Steuerstrafverteidigung unterstützend einzusetzen, wenngleich Einschränkungen bestehen, da das Modell nicht für den deutschen Rechtsmarkt entsprechend vortrainiert ist.

     

    MERKE | Es versteht sich bei einem Einsatz von generativer KI von selbst, dass jeglicher Output von generativen KI-Modellen kritisch durch den Verteidiger überprüft werden muss, bevor er gegenüber dem Mandanten oder Behörden übernommen bzw. verwendet werden soll.

     

     

    Der vollständige Prompt befindet sich hier: www.iww.de/s8875.

    3. Datenschutz, Mandantengeheimnis und Berufsrecht

    Während die generative KI enorme Vorteile bietet, werfen die Implementierung und der Einsatz solcher Technologien auch datenschutzrechtliche sowie berufsrechtliche Fragen auf sowie auch im Hinblick auf die Vertraulichkeit von Mandanteninformationen. Diese Fragen sind bislang noch nicht abschließend geklärt, was den Einsatz von generativer KI durch den Steuerstrafverteidiger als auch allgemein als Rechtsanwender deutlich erschwert.

     

    MERKE | Aufgrund der unsicheren Rechtslage ist GPT-4 derzeit wohl noch nicht risikolos einsetzbar. Jedenfalls ist darauf zu achten, dass keine personenbezogenen Daten in GPT-4 eingegeben werden und auch die Ausgabe von Texten durch GPT-4 kritisch, insbesondere auf datenschutzrechtliche Aspekte, überprüft wird.

     

    4. Fazit

    Die Integration von generativer KI in der Steuerstrafverteidigung bietet einige Anwendungsmöglichkeiten. Zugleich treten die Grenzen dabei relativ schnell zutage, wenn Schriftsätze erstellt werden. Denn bei der KI handelt es sich um ein „Allzweck-Modell”, das nicht speziell für den deutschen Rechtsmarkt trainiert ist. Dies wird sich aber kurzfristig ändern. So gibt es im Steuerrecht bereits erste „Steuer-Chatbots”, wie z. B. „Otto-Schmidt-Answers“. OpenAI hat am 6.11.23 auf dem Developer Day ein Update zu GPT-4 verkündet (neues Modell: GPT-4 Turbo). Noch mehr Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass es auf Basis von GPT-4 Turbo im Rahmen eines „AI Playgrounds“ ab Ende November 23 möglich sein wird, selbst mithilfe von GPT-4 Turbo eigene ChatBots (sog. „GPT Agents“) zu bauen und diese mit eigenen Daten (z. B. juristischen Texten oder Videos etc.) zu trainieren. Die selbst erstellten GPT Agents können sowohl privat genutzt oder aber öffentlich in einer Art „GPT App Store“ zur kommerziellen Nutzung Dritten angeboten werden. Mithin ist kurzfristig eine deutliche Zunahme von (steuer-) rechtlichen ChatBots auch in Deutschland zu erwarten.

     

    Zusammenfassend ist festzustellen, dass generative KI (noch) keinen Ersatz für einen Verteidiger darstellt. Ein KI-Verteidiger ist derzeit noch nicht in Sicht. Neben den fehlenden Rechtskenntnissen fehlt es generativer KI zudem (noch) an ausreichender emotionaler Intelligenz, um sich in einen Mandanten hineinzuversetzen, was eine ganzheitliche Rechtsvertretung beeinträchtigt. Denn sie kann den menschlichen Aspekt eines Falls nicht berücksichtigen. Alles in allem kann generative KI im Rahmen der Steuerstrafverteidigung jedoch in bestimmten Fällen bereits heute sinnvoll unterstützend eingesetzt werden.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2024 | Seite 11 | ID 49781758