· Fachbeitrag · Steuerhinterziehung
„Cum-Ex“-Deals: Wann ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht?
von RA Philipp Külz, FA StR und StB Diplom-Finanzwirt (FH) Michael Valder, Flick Gocke Schaumburg, Bonn
| Seit mehreren Jahren wird diskutiert, ob - und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen - „Cum-Ex“-Gestaltungen steuerstrafrechtlich relevant sind. Die 6. Große Strafkammer des LG Köln hat nun im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht zumindest die Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht wegen Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO gegeben sind, sofern die Erstattung von KapESt beantragt wird, obwohl diese tatsächlich nicht abgeführt worden ist (LG Köln 16.7.15, 106 Qs 1/15, Abruf-Nr. 146027 ). |
1. Steuervorteile von über 462 Mio. EUR
Den Beschuldigten wird vorgeworfen, im Anschluss an „Cum-Ex“-Aktienverkäufe nicht gerechtfertigte Steuervorteile von über 462 Mio. EUR erstrebt zu haben. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens wurde durch das AG Köln auf Antrag der StA angeordnet, die Wohnung eines Beschuldigten zu durchsuchen. Nachdem das AG Köln der Beschwerde des Beschuldigten gegen den Durchsuchungsbeschluss nicht abgeholfen hatte, hat das AG die Sache dem LG Köln zur Entscheidung vorgelegt.
2. LG Köln bejaht Anfangsverdacht
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Das LG hat insbesondere die Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht wegen Steuerhinterziehung bejaht. Nach Auffassung des Gerichts findet dieser Verdacht seinen Anknüpfungspunkt in den Anträgen auf Erstattung von KapESt. In diesen wurde folgende Erklärung gegenüber dem BZSt abgegeben: „Ich beantrage, die für die Erträge des im einzelnen auf der Rückseite des Antragsvordruckes unter Ziffer VII. bezeichneten Kapitalvermögens abgeführten Steuern in der in Spalte g) angegebenen Höhe zu erstatten“. Die bisherigen Ermittlungen deuten jedoch darauf hin, dass die KapESt, deren Erstattung beantragt wurde, zuvor nicht einbehalten und abgeführt worden ist. Dementsprechend wurden mittels der gestellten Anträge unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht, um nicht gerechtfertigte Steuervorteile i.S. des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu erlangen.
Das Gerichts hat verdeutlicht, dass nach dem sich aus der Systematik des Gesetzes ergebenden Grundprinzip des steuerlichen Erstattungsverfahrens nur Kapitalertragsteuer erstattet werden kann, die zuvor auch abgeführt worden ist. Der Gesetzgeber hat die ihm zur Kenntnis gelangten Möglichkeiten, dieses Grundprinzip zu unterlaufen und eine unberechtigte Kapitalertragsteuererstattung zu erlangen, erst ab dem 1.1.12 mittels des OGAW-IV-Umsetzungsgesetzes unterbunden. Dies zeugt jedoch allenfalls von der (vermeintlichen) Machtlosigkeit des Gesetzgebers angesichts der von einigen Marktteilnehmern im Zusammenhang mit Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag entwickelten Gestaltungsmodellen; auf die Strafbarkeit dieser Vorgehensweise soll sich dies nicht auswirken.
Auch der ohnehin zweifelhafte Übergang des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien auf den Leererwerber bereits zum Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts, also zu einem Zeitpunkt, in dem die Aktien noch einem unbekannten Dritten als Dividendenberechtigten gehörten, führt nach Ansicht des LG nicht dazu, dass dem Leererwerber die Einbehaltung und Abführung der KapESt für Rechnung des zivilrechtlichen Eigentümers durch die Emittentin der Aktien ebenfalls zugerechnet würde. Eine solche Zurechnung aufgrund der Annahme einer doppelten Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums widerspricht dem Gesetz.
Die Existenz des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG i.V. mit § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 44 Abs. 1 Nr. 1 EStG offenbart nach den Ausführungen des LG vielmehr Folgendes: Losgelöst von der Frage, wie das wirtschaftliche Eigentum zuzuordnen ist, stellt der Kapitalertrag des Leererwerbers in Form des Ausgleichanspruchs einen gesonderten, von dem originären Dividendenanspruch abzugrenzenden, steuerbaren Vorgang dar. Nur wenn die Steuer auf diesen Vorgang entrichtet ist, kann der „abgeführte“ Steuerbetrag erstattet werden. Bis zum 1.1.12 waren aber ausländische Kreditinstitute nicht verpflichtet, die KapESt einzubehalten. Diese wurde folglich nicht entrichtet.
3. Anfangsverdacht wegen Steuerhinterziehung
Vorliegend wurde „lediglich“ über die Frage entschieden, ob die „Cum-Ex“-Deals die Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht wegen Steuerhinterziehung erfüllen. Andere Gerichte sind hierdurch nicht gebunden. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass weitere Strafgerichte dieser Argumentation folgen und den Tatbestand der Steuerhinterziehung als einschlägig ansehen werden.
PRAXISHINWEIS | Der wichtigste Verteidigungsansatz ist in solchen Fällen der Hinterziehungsvorsatz (Ebner, jurisPR-SteuerR 40/2015 Anm. 1). Der Vorsatz wird von den Ermittlungsbehörden gerade im Bereich des Steuerstrafrechts gerne pauschal bejaht.
Die Berater sollten daher auf eine angemessene Beachtung der subjektiven Komponente des § 370 AO durch die Gerichte hinwirken. Bei der Bewertung vergleichbarer Sachverhalte wird gerne übersehen, dass das heutige Wissen über diese Vorgänge durch zahlreiche Veröffentlichungen, Diskussionen und finanzgerichtliche Entscheidungen ein ganz anderes ist als jener Kenntnisstand, den viele Beteiligte zum Tatzeitpunkt hatten. |
Es ist mit weiteren Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den „Cum-Ex“-Geschäften zu rechnen. Wie der Berichterstattung in den Medien zu entnehmen war, hat das Land Nordrhein-Westfalen erneut Steuer-Datensätze gekauft. Der betreffende Datenträger soll vielversprechende Informationen zu den „Cum-Ex“-Deals enthalten.
Weiterführende Hinweise
- Holenstein, Cum-Ex-Geschäfte: Wird die Schweiz Deutschland Strafrechtshilfe leisten?, PStR 15, 147 ff.
- Groß, Steuerstrafrechtliche Beratung von Kreditinstituten im Zusammenhang mit Cum-ex-Trades, PStR 13, 296 ff.