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  • · Fachbeitrag · Strafzumessung

    Strafzumessungstandards bei Steuerhinterziehung? Versuch einer Systematisierung der Rechtsprechung

    von RA Dr. Peter Talaska, FA StR, Streck Mack Schwedhelm, Köln

    | Mit der Entscheidung vom 2.12.08 hatte der BGH einen Katalog an Umständen dargelegt, die sowohl bei der individuellen Strafrahmenfindung als auch bei der individuellen Strafzumessung bzw. Gesamtstrafenbildung zu beachten sind. Die Folgeentscheidungen des BGH bemühen sich um Klarheit zu Einzelfragen (Salditt, PStR 09, 15 , 25; Wulf, Stbg 12, 366). Ernüchternd ist jedoch, dass Klarstellungen nur hinsichtlich der strafschärfend zu beurteilenden Umstände erfolgen. Die im Rahmen jenes Katalogs aufgeführten strafmildernden Umstände werden entweder nicht thematisiert oder degradiert. Dies ist im Hinblick auf eine Strafzumessung, die gerade nicht tarifmäßig, sondern wertend erfolgen soll, das falsche Signal. |

    1. Grundsatz: Keine Strafzumessung nach Tarif

    Der BGH hat in seinen Entscheidungen wiederholt betont, dass die Höhe der verkürzten Steuer stets ein bestimmender Strafzumessungsumstand i.S. des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO sei. Eine tarifmäßige Vorgehensweise sei aber nach wie vor rechtswidrig. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatzes und dessen einfach gesetzlicher Ausgestaltung entsprechend richte sich die Strafzumessung einzelfallbezogen nach den in § 46 StGB genannten Kriterien (erstmals BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, wistra 09, 107; zuletzt BGH 22.11.12, 1 StR 537/12, PStR 13, 109). Die Strafzumessung erfolgt danach in vier Stufen.

    2. Objektive Strafrahmenbestimmung (1. Stufe)

    Auf einer ersten Stufe ist der Strafrahmen (§ 370 Abs. 1 oder § 370 Abs. 3 AO) für die betreffende Einzeltat im materiellen Sinn gesondert anhand objektiver Kriterien zu bestimmen. Auf dieser Stufe hat jede wertende Betrachtung zu unterbleiben. Relativierende, vergleichende, schärfende oder mildernde Umstände bleiben hier außen vor (Brauns in FS für Samson, 2010, 523). Die Strafrahmenwahl wird insbesondere anhand von Schwellenwerten im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vom BGH vorgegeben.

     

    In Fällen einer Steuerhinterziehung bis zu 50.000 EUR liegt jedenfalls kein Regelbeispiel des „großen Ausmaßes“ i.S. des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO vor. Die Annahme eines sogenannten unbenannten besonders schweren Falls bleibt hiervon unberührt. Eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ i.S. des Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO liegt vor, wenn der Steuerschaden einer einzelnen Tat im materiellen Sinn mehr als 50.000 EUR beträgt (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, wistra 09, 107; BGH 5.5.11, 1 StR 116/11, wistra 11, 347; BGH 15.12.11, 1 StR 579/11, wistra 12, 191; BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, NJW 12, 1458). Beschränkt sich das Verhalten des Täters darauf, die Finanzbehörde über steuerliche erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt dies lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, liegt eine Hinterziehung „großen Ausmaßes“ i.S. des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO erst ab einem Steuerschaden von über 100.000 EUR vor (BGH 2.12.08, a.a.O.; BGH 5.5.11, 1 StR 116/11, PStR 11, 191; wistra 11, 347; BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53, NJW 12, 1458). Eine Gefährdung in diesem Sinne mit dem erhöhten Schwellenbetrag liegt jedoch nicht vor, wenn der Täter steuermindernde Umstände, z.B. durch Vorspiegelung von Betriebsausgaben oder nicht bestehenden Vorsteuerbeträgen, vortäuscht und damit gewissermaßen einen „Griff in die Kasse“ des Staats vollziehe (BGH 15.12.11, 1 StR 579/11, PStR 12, 55, wistra 12, 191). In diesen Fällen bleibt es bei dem Schwellenwert von 50.000 EUR.

     

    Im Rahmen der Bestimmung des objektiven Strafrahmens ist es ohne Belang, wenn lediglich ein Versuch der Steuerhinterziehung vorliegt (BGH 28.7.10, 1 StR 332/10, PStR 10, 238, wistra 10, 449). Auch der Umstand, dass die vorgenannten Schwellenwerte bei großen Geschäftsvolumina, mithin im unternehmerischen Bereich, schneller erreicht werden als bei wirtschaftlicher Betätigung in kleinerem Umfang, sei im Rahmen der objektiven Betrachtung unbeachtlich, da solche qualitativen Besonderheiten die Auswirkungen der Tat auf das Steueraufkommen nicht verändern (BGH 2.12.08, a.a.O.).

     

    Für die Fälle der Steuerverkürzung großen Ausmaßes in der bis zum 31.12.07 geltenden Fassung des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO, wonach zusätzlich zur Erfüllung des Regelbeispiels grober Eigennutz des Täters erforderlich war, liege auch bei Fehlen jenes groben Eigennutzes aufgrund der Höhe des Verkürzungsbetrags als bestimmendem Strafzumessungsumstand i.S. des § 267 Abs. 3 S. 1 StPO bei Überschreiten der genannten Schwellen die Annahme eines unbenannten schweren Falls der Steuerhinterziehung nahe (BGH 21.8.12, 1 StR 257/12, PStR 12, 237, wistra 13, 28). Angesichts der verlängerten Strafverfolgungsverjährungsfrist auf zehn Jahre bei besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung (§ 376 Abs. 1 AO) wird diese Vorgabe des BGH auch mittelfristig noch von Bedeutung sein.

     

    Es liegt auf der Hand, dass in der Praxis auf dieser Prüfungsstufe die exakte Höhe des verkürzten Steuerbetrags Gegenstand von Diskussionen ist - dies nicht zuletzt auch deswegen, weil der BGH hier durch die Art und Weise der Berechnung der Steuer in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls Vorgaben gemacht hat, die zu einer Strafschärfung führen. In seiner Entscheidung vom 8.2.11 vertritt der BGH die Auffassung, dass im Rahmen einer Schwarzlohnabrede die Lohnsteuerhinterziehung des Arbeitgebers ohne Berücksichtigung individueller Besteuerungsmerkmale des Arbeitnehmers zu ermitteln sei (BGH 8.2.11, 1 StR 651/10, PStR 11, 136, NJW 11, 2526; kritisch Rübenstahl/Zinser, NJW 11, 2481). Dennoch: Mit der Feststellung, dass der Schwellenwert überschritten ist, ist noch keine Festlegung für die Strafrahmenwahl im Sinne einer tarifmäßigen Strafe verbunden.

    3. Individuelle Strafrahmenbestimmung (2. Stufe)

    Auf der zweiten Stufe ist relativierend anhand wertender Betrachtung zu entscheiden, ob für die konkrete Strafzumessung der Strafrahmen des Grunddelikts oder jener des Regelbeispiels tatsächlich zugrunde zu legen ist, wobei der objektiven Erfüllung eines Regelbeispiels eine Indizwirkung zukommt. Die Indizwirkung ist widerlegbar. Sie kann einerseits durch sonstige Milderungsgründe beseitigt, andererseits aber auch durch Strafschärfungsgründe verstärkt werden. Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze für die Strafrahmenwahl bei Regelbeispielen. Danach entfällt die Regelwirkung, wenn die individuellen Faktoren jeweils für sich oder in ihrer Gesamtheit so gewichtig sind, dass sie bei der Gesamtabwägung die Regelwirkung entkräften (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, wistra 09, 107). Auf dieser Stufe kommt § 46 Abs. 2 StGB zur Anwendung.

     

    Hier sei auch Raum für vergleichende Betrachtungen, wie beispielsweise die Relation von Geschäftsvolumen und Steuerschaden, die Relation der verkürzten zur gezahlten Steuer, die Lebensleistung, ein Geständnis oder die Nachzahlung der verkürzten Steuer. Insbesondere der Nachzahlung der verkürzten Steuer komme schon im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers im Falle einer Selbstanzeige i.S. des § 371 AO eine besondere strafmildernde, die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrags beseitigende Bedeutung zu (BGH 2.12.08, a.a.O.; vertiefend Matschke, wistra 12, 457).

     

    Die Entscheidung war dahingehend kritisiert worden, dass unscharf geblieben sei, welche Verhältnismaßstäbe der 1. Strafsenat revisionsrechtlich anerkennen wird, um die vorgegebene Indizwirkung wieder entfallen zu lassen (Spatschek/Zumwinkel, StraFo 09, 4, 9). Die Befürchtungen scheinen sich im Nachhinein zu bestätigen. In seiner Entscheidung vom 7.2.12 waren laut BGH u.a. die Straflosigkeit des Angeklagten, sein Geständnis sowie die vollständige Nachzahlung der hinterzogenen Steuern im konkreten Einzelfall keine besonders gewichtigen Milderungsgründe, die eine Gesamtstrafe von weniger als zwei Jahren rechtfertigten (BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53, NJW 12, 1458).

     

    PRAXISHINWEIS | Insbesondere die Nachzahlung der Steuern falle nicht besonders ins Gewicht, da durch die Nachentrichtung diejenigen Steuern abgeführt worden seien, die von Gesetzes wegen geschuldet worden seien und zu deren Zahlung der Angeklagte auch als ehrlicher Steuerpflichtiger ohnehin verpflichtet gewesen wäre. Das Gewicht der Schadenswiedergutmachung verliere deswegen an Bedeutung, da diese angesichts der komfortablen Vermögensverhältnisse des Angeklagten ohne erkennbare Einbuße seiner Lebensführung erbracht werden konnte. Sie stelle keinen besonderen persönlichen Verzicht dar (BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53, NJW 12, 1458, 1460).

     

    Erkennbar ist, dass die Erwägungen des BGH in der Entscheidung vom 7.2.12 (1 StR 525/11, PStR 12, 53, NJW 12, 1458, 1460) auf der vierten Stufe - der Gesamtstrafenbildung - erfolgten, also nicht im Zusammenhang mit der individuellen Strafrahmenbildung. Dennoch verbleibt die Frage, warum die Begleichung des Steuerschadens auf der zweiten Stufe als besonders strafmildernd und somit die Indizwirkung des Hinterziehungsbetrags verdrängend, auf der vierten Stufe jedoch völlig unbeachtlich sein soll. Klarheit und Vorhersehbarkeit wird hierdurch jedenfalls nicht geschaffen.

     

    Liegt eine versuchte Steuerhinterziehung vor, die auf der ersten Stufe unter ein Regelbeispiel fällt, ist im Übrigen bei wesentlich geringerem Schuldgehalt auf der zweiten Stufe an eine Strafrahmenverschiebung der § 23 Abs. 2 S. 2 StGB i.V. mit § 49 Abs. 1 StGB zu denken.

     

    4. Strafzumessung für die Einzeltaten (3. Stufe)

    Ist der Strafrahmen bestimmt, erfolgt auf einer dritten Stufe die individuelle Strafzumessung für die Einzeltat. Hier gibt der BGH vor, dass bei einem Schaden von 100.000 EUR die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen „gewichtiger Milderungsgründe“ in Betracht komme (BGH 2.12.08, a.a.O.; BGH 5.5.11, 1 StR 116/11, PStR 11, 191, wistra 11, 347; BGH 15.12.11, 1 StR 579/11, PStR 12, 55, wistra 12, 191; BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53, NJW 12, 1458).

     

    Ferner macht der BGH Vorgaben für sogenannte Tatserien (BGH 17.3.09, 1 StR 627/08, PStR 09, 150, wistra 09, 355; BGH 29.11.11, 1 StR 459/11, wistra 12, 151). In Fällen sachlich und zeitlich ineinander verschränkter Vermögensdelikte, von denen die gewichtigeren die Verhängung von Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten und mehr gebieten, liegt die Verhängung kurzfristiger Freiheitsstrafen nach § 47 StGB in den Einzelfällen mit geringeren Schäden nahe. Denn in solchen Fällen ist nicht allein der durch die Einzeltat verursachte Schaden maßgeblich für die Bemessung der Einzelstrafe; vielmehr muss auch die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick genommen werden. Dies gilt auch bei Steuerstraftaten.

     

    Beachtlich ist auch die Entscheidung des BGH vom 14.12.10, wonach eine Kenntnis und ein Untätigbleiben der Finanzbehörde keinen Einfluss auf die Strafzumessung haben soll (BGH 14.12.10, 1 StR 275/10, PStR 11, 58, NJW 11, 1299). Auch hier befremdet, dass weder im Tatbestand der Steuerhinterziehung noch in der Strafzumessung zu berücksichtigen sein soll, dass die Finanzbehörde über die Umstände im Bilde war, die zu einer Steuerverkürzung führten.

    5. Gesamtstrafenbildung (4. Stufe)

    Aus der Summe der Einzeltaten ist sodann - auf der vierten Stufe - die Gesamtstrafe zu bilden. Auch hier hat der BGH für das Regelbeispiel des „großen Ausmaßes“ i.S. des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO eine Sanktionsvorgabe gemacht. Ab einem Steuerschaden von 1 Mio. EUR soll nur noch bei Vorliegen „besonders gewichtiger Milderungsgründe“ auf eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zu erkennen sein. Dabei hat der BGH zwischenzeitlich ausdrücklich klargestellt, dass diese Millionengrenze nicht auf die Einzeltat - so konnte man die Entscheidung vom 2.12.08 verstehen -, sondern auf die Gesamtsumme des Steuerschadens zu beziehen sei (BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53, wistra 12, 236; BGH 22.5.12, 1 StR 103/12, PStR 12, 189, wistra 12, 350). Ferner hat der BGH jüngst noch einmal betont, dass nach den Grundsätzen des § 46 StGB je nach den Umständen des Einzelfalls auch bei Hinterziehungsbeträgen von weniger als 1 Mio. EUR eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren in Betracht komme (BGH 26.9.12, 1 StR 423/12, wistra 13, 31).

     

    Die Grenzziehung zwischen aussetzungsfähigen und nicht aussetzungsfähigen Freiheitsstrafen anhand der Summe der hinterzogenen Steuern ist problematisch. Der BGH vermengt hier Gesichtspunkte i.S. der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung - das wiederum hatte der BGH in seiner Entscheidung vom 7.2.12 (1 StR 525/11, PStR 12, 53, wistra 12, 236) der Vorinstanz vorgeworfen (Brauns in FS für Samson, 2010, 515, 525).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2013 | Seite 184 | ID 39016850