· Fachbeitrag · Täterschaft und Teilnahme
Kein Vorsatz beim sog. berufstypischen Verhalten
von RA Dr. Emran Sediqi, legal tax solutions Partnerschaft mbB, Düsseldorf
| Gehört eine strafrechtlich relevante Beihilfehandlung nach § 27 StGB bezüglich einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO zum „berufstypischen“ Verhalten des in Betracht kommenden Gehilfen, kann es nach der BGH-Rechtsprechung unter bestimmten Voraussetzungen am subjektiven Tatbestand beim möglichen Gehilfen fehlen. Dazu im Einzelnen: |
1. Strafbarkeit des Gehilfen, § 27 StGB
Gehilfe i. S. v. § 27 Abs. 1 StGB ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat „Hilfe geleistet“ hat. Als Hilfeleistung ist dabei jede Handlung anzusehen, die objektiv fördert, dass der Taterfolg des Haupttäters herbeigeführt wird ‒ sei es physisch oder auch nur psychisch ‒, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss (ständige Rechtsprechung, vgl. allein BGH 1.8.00, 5 StR 624/99, BStBl II 02, 79 m. w. N.; siehe hierzu auch Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rn. 171 ff.). Beide Arten der Teilnahme ‒ Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) ‒ bedingen jeweils, dass eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat vorliegt (sog. Akzessorietät der Teilnahme). Erforderlich ist mindestens eine versuchte Steuerhinterziehung (Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 370 AO Rn. 646).
In subjektiver Hinsicht ist für die Strafbarkeit des Teilnehmers bzw. Gehilfen erforderlich, dass ein sog. doppelter Teilnehmervorsatz vorliegt. Das bedeutet, dass der Gehilfe ebenso wie der Anstifter
- Vorsatz in Bezug darauf haben muss, dass der Haupttäter eine vorsätzliche, rechtswidrige (Haupt-)Tat begeht und
- seinen eigenen Beitrag als Teilnehmer ‒ mithin bei der Beihilfe gem. § 27 Abs. 1 StGB das „Hilfeleisten“ ‒ ebenfalls vorsätzlich erbringen muss (Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 370 AO Rn. 646).
MERKE | Gehilfenvorsatz liegt nach der BGH-Rechtsprechung vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern, wobei er Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen braucht. Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist dabei nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfeleistung an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß (BGH 19.12.17, 1 StR 56/17, wistra 18, 342; BGH 1.8.00, 5 StR 624/99, BStBl. II 02, 79). |
2. Grundsätze des BGH zum sog. berufstypischen Verhalten
Nicht jede Handlung, die sich objektiv tatfördernd auswirkt, kann indes als strafbare, insbesondere vorsätzliche Beihilfe gewertet werden.
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U ist Geschäftsführer einer GmbH und will ein System einführen, mit dem erungerechtfertigt Vorsteuerabzugsbeträge vereinnahmt. Hierzu benötigt U Musterkaufverträge und -vollmachtsformulare. Er beauftragt Rechtsanwalt R damit,diese zu erstellen. U setzt den R dabei zu keinem Zeitpunkt über seinen Plan in Kenntnis, das vorgenannte System einzusetzen. Daraufhin erstellt R die von U beauftragten Muster-Verträge und Formulare und überreicht sie dem U. Diese nutzt U in der Folgezeit im Rahmen seines Systems zur Umsatzsteuerhinterziehung. |
Bei der Prüfung der Beihilfestrafbarkeit im subjektiven Tatbestand sind die folgenden Grundsätze des BGH im Zusammenhang mit sog. berufstypischen bzw. „neutralen“ Handlungen zu beachten, sofern der Sachverhalt dazu Anlass gibt (BGH 17.6.21, 1 StR 132/21, wistra 22, 22; 19.12.17, 1 StR 56/17, wistra 18, 342; BGH 21.12.16, 1 StR 112/16, wistra 17, 270; BGH 18.6.03, 5 StR 489/02, NJW 03, 2996; BGH 1.8.00, 5 StR 624/99, BStBl II 02, 79; vgl. auch LG Köln 11.6.19, 109 KLs 3/18, wistra 20, 34):
- Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, ist sein Tatbeitrag als vorsätzliche Hilfeleistung i. S. v. § 27 Abs. 1 StGB zu werten. Denn in diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“ und ist als „Solidarisierung“ mit dem Haupttäter zu deuten. Die für den jeweiligen Beruf typische „neutrale“ Handlung kann nicht mehr als sozialadäquat angesehen werden. Der „doppelte“ Gehilfenvorsatz ist gegeben.
- Hat der Hilfeleistende dagegen keine positive Kenntnis darüber, wie sein Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, und hält er es nur für möglich, dass sein Tun genutzt wird, um eine Straftat zu begehen, ist sein Handeln i. d. R. noch nicht als vorsätzliche Beihilfehandlung zu beurteilen. Eine professionell handelnde Person darf wegen der „beruflichen Normalität“ seines Handelns vielmehr auf die Legalität des fremden Tuns vertrauen (BGH 22.1.14, 5 StR 468/12, wistra 14, 176; Krumm in Tipke/Kruse, a. a. O., § 370 AO Rn. 176).
- Eine strafbare Beihilfe ist auch gegeben, wenn das von dem Hilfeleistenden erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er mit seiner Hilfeleistung einen erkennbar tatgeneigten Täter fördern wollte. Hierbei geht es um Konstellationen, in denen sich die Anhaltspunkte für eine Straftat derart verdichtet haben, dass der Hilfeleistende ein positives Wissen nur noch vermeiden kann, indem er die Augen verschließt und nicht weiter nachfragt.
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Musterverträge und -vollmachten zu erstellen, gehört zum berufstypischen Verhalten eines Anwalts. R hatte zudem keine positive Kenntnis darüber, wie die von ihm erstellten Musterkaufverträge und -vollmachtsformulare durch den U verwendet werden. Als Anwalt durfte der R daher auf die Legalität des Handelns des U vertrauen. Da es dem R somit am doppelten Gehilfenvorsatz mangelt, scheidet eine Strafbarkeit nach § 370 AO, § 27 StGB aus. |