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  • · Fachbeitrag · Finanzgerichtliches Verfahren

    Sachaufklärungspflicht und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme

    von RD David Roth, LL.M. oec., stv. Leiter des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts Köln

    | Das FG muss Beweisanträgen nachgehen (Sachaufklärungspflicht) und dabei möglichst Primärquellen heranziehen (Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme). Die Vorlage einer privatschriftlichen Bekundung eines Dritten über eine beweiserhebliche Tatsache stellt jedoch keine Beweisführung, sondern lediglich Beteiligtenvortrag dar. Zudem muss der Beteiligte einen etwaigen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in der FG-Verhandlung konkret rügen. Dies hat der BFH in einer aktuellen Entscheidung klargestellt. |

     

    Sachverhalt

    Das FG hatte die Klage des Steuerpflichtigen abgewiesen und dabei vor allem auf Inhalte von beigezogenen Akten der Finanzbehörde nebst Steuerstrafakten abgestellt. U. a. wurden in den Akten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen im Wege des Urkundenbeweises verwertet. Eine Vernehmung der protokollierenden (Behörden-)Personen als Zeugen erfolgte nicht. Auch eine vom Kläger vorgelegte schriftliche Erklärung einer Privatperson (die wegen eigener anhängiger Steuerstrafverfahren vor dem FG nicht aussagebereit war) blieb als Beweis unberücksichtigt. Mit seiner Revision rügt der Steuerpflichtige (erstmals) erfolglos einen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sowie die Sachaufklärungspflicht.

     

    • Leitsätze: BFH 23.10.19, IX B 54/19
    • 1. NV: Der Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist nicht schlüssig dargelegt, wenn zwar eine abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen wird, es aber an der Darlegung rechtlicher Zweifel, insbesondere an einer Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur, fehlt.
    • 2. NV: Die Vorlage einer schriftlichen Bekundung eines Dritten über eine beweiserhebliche Tatsache stellt keine Beweisführung dar, sondern Beteiligtenvortrag.
     

    Entscheidungsgründe

    Eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme müsse in der mündlichen FG-Verhandlung konkret gerügt werden. Dies habe der Revisionskläger ‒ ausweislich des insoweit maßgeblichen Sitzungsprotokolls ‒ versäumt. Damit habe er sein Rügerecht verloren. Eine Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme konnte in der Revision deshalb schon verfahrensrechtlich nicht mehr geltend gemacht werden.

     

    MERKE | Rechtskundig vertretene Kläger müssen deshalb dafür Sorge tragen, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bereits in der FG-Verhandlung konkret gerügt und im Sitzungsprotokoll notiert wird. Nur so lassen sich Rügeverluste und spätere Beweisschwierigkeiten ausschließen.

     

    Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass aus seiner Sicht auch materiell-rechtlich kein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vorlag. Die Feststellungen der Steuerfahndung zu relevanten Rechnungen nebst darauf angebrachten Zahlungsvermerken sowie sichergestellte Barzahlungsquittungen durften berücksichtigt werden. Bei dieser Sachlage habe sich dem FG eine Zeugenvernehmung nicht aufdrängen müssen. Die auf den Rechnungen protokollierten Wahrnehmungen durften daher ausnahmsweise in den Prozess eingeführt werden.

     

    MERKE | Die Verwertung von Aussagen Dritter im Wege des Urkundenbeweises ist unzulässig, wenn sich dem FG eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss. Auch wenn der BFH hier ausnahmsweise ein solches „Aufdrängen“ abgelehnt hat, sollten entsprechende Zeugenvernehmungen dennoch regelmäßig beim FG beantragt werden.

     

    Hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der vom Kläger vorgelegten schriftlichen Erklärung einer Privatperson weist der BFH darauf hin, dass dieses Dokument vom FG nicht als Urkundsbeweis berücksichtigt werden musste. Insofern lag kein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht vor.

     

    Schriftliche Erklärungen von Personen dürfen nur in den Fällen des § 82 FGO i. V. m. § 377 Abs. 3 ZPO wie Zeugenaussagen vor dem Prozessgericht gewertet werden. Dass gegen die Privatperson hier Strafanklage erhoben worden war und sie deshalb nicht zu einer Aussage vor dem FG bereit gewesen sein soll (Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 84 Abs. 1 FGO i. V. m. § 103 AO), führt aus Sicht des BFH hier zu keiner anderen Beurteilung.

     

    MERKE | Es ist für den Steuerpflichtigen misslich, wenn das FG die schriftliche Erklärung einer Privatperson nicht als Urkundsbeweis berücksichtigen muss. Denn er kann die ‒ scheinbar für ihn günstige ‒ Erklärung der Privatperson nicht als förmlichen (Urkunds-)Beweis, sondern lediglich als eigenen Beteiligtenvortrag (ohne Beweiskraft) in den FG-Prozess einführen. Die fehlende Aussagebereitschaft einer Privatperson, die wegen anhängigem Strafverfahren auch nicht aussagen muss (Zeugenbeweis nicht möglich), kann durch eine schriftliche Erklärung der Privatperson folglich nicht in einen „gekünstelten“ Urkundsbeweis umfunktioniert werden.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Wegner, Finanzgericht verletzt Sachaufklärungspflicht, PStR 19, 262
    • Wegner, Eklatanter Mangel: FG ignoriert Zeugenbeweis, PStR 19, 266
    Quelle: Ausgabe 04 / 2020 | Seite 80 | ID 46362378