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  • · Fachbeitrag · Insolvenz

    Keine Zahlungsunfähigkeit bei AdV

    von Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause& Kollegen, Berlin

    Setzt die Finanzbehörde die Vollziehung eines Steuerbescheids wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aus, fordert sie den festgesetzten Betrag für die Dauer der Aussetzung nicht mehr ernsthaft ein. Ist eine unstreitige Forderung für eine begrenzte Zeit gestundet oder nicht ernsthaft eingefordert, kann sie aber bei der Prognose, ob drohende Zahlungsunfähigkeit i.S. von § 18 InsO vorliegt, zu berücksichtigen sein (BGH 22.5.14, IX ZR 95/13, Abruf-Nr. 141942).

     

    Sachverhalt

    Am 13.6.97 erließ das FA sofort vollziehbare Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1993/94 über mehr als 1 Mio. DM. Gegen diese Bescheide erhob die Schuldnerin (W-GmbH) Klage vor dem FG. Bei der Finanzverwaltung beantragte sie, die Vollziehung der Bescheide wegen ernsthafter Zweifel an deren Rechtmäßigkeit auszusetzen. Dies wurde am 8.9.97 bewilligt, einige Jahre später dann aber aufgehoben. Es folgte eine Stundung der Steuern.

     

    In der Zeit von 2001 bis 2006 leistete die Schuldnerin zur Rückführung ihrer Darlehensverbindlichkeiten bei der beklagten S an diese insgesamt 685.792,72 EUR, die der Kläger, der Insolvenzverwalter der W-GmbH, unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung nun zurückverlangt. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter, während die beklagte S mit ihrer Revision weiterhin die vollständige Abweisung der Klage begehrt.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Klage war erfolgreich. Das Berufungsgericht (Brandenburgisches OLG 6.3.13, 7 U 23/11, ZIP 13, 941) hat hinsichtlich der im Zeitraum zwischen dem 1.7.04 und dem 30.6.06 geleisteten Zahlungen, einen Anspruch auf Rückzahlung wegen Vorsatzanfechtung nach § 143 Abs. 1 InsO, § 129 Abs. 1 InsO, § 133 Abs. 1 InsO bejaht. Die Schuldnerin habe anlässlich sämtlicher ab dem 1.7.04 geleisteter Zahlungen den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung gehabt, weil ihr bekannt gewesen sei, dass sie die im Stundungsbescheid vom 28.10.03 bezifferten Steuerschulden nicht habe begleichen können.

     

    Für Vorjahre weist der BGH allerdings darauf hin, dass die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, die Steuerverbindlichkeiten seien für die Dauer der Aussetzung bei der Feststellung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nicht zu berücksichtigen, weil sie nicht als fällige Forderungen i.S. des § 17 Abs. 2 InsO zu bewerten seien. Zwar ändere die Aussetzung der Vollziehung (AdV) nichts an der Wirksamkeit des angefochtenen Bescheids, dessen weitere Vollziehung lediglich gehemmt ist. Die Verwaltungsbehörde gebe aber mit der Aussetzung zu erkennen, dass sie nicht beabsichtigt, den Bescheid durchzusetzen, solange dessen Rechtmäßigkeit im Streit steht. Ungeachtet ihrer rechtlichen Möglichkeiten sieht sie sich - aus autonomen Gründen - an der Durchsetzung ihrer Forderung gehindert und bringt dies mit der Aussetzungsentscheidung auch zum Ausdruck.

     

    Praxishinweis

    Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit stellt ein starkes Beweisanzeichen für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie ihm bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war (BGH 13.4.06, IX ZR 158/05, BGHZ 167/190). In diesen Fällen handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände - etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können - mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkreter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann (BGH 24.5.07, IX ZR 97/06, WM 07, 1579).

     

    Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen (§ 18 Abs. 2 InsO). Um dies festzustellen, ist eine Prognoseentscheidung zu treffen, in die auch solche Zahlungspflichten einzubeziehen sind, deren Fälligkeit im Prognosezeitraum nicht sicher, aber überwiegend wahrscheinlich ist (BGH 5.12.13, IX 93/11, ZInsO 14, 77).

     

    Streitbefangene Verbindlichkeiten sind nur dann in die Prognoseberechnung einzubeziehen, wenn aufgrund gegebener Umstände überwiegend wahrscheinlich ist, dass sie im Prognosezeitraum uneingeschränkt durchsetzbar werden. Die Steuerforderungen für die Jahre 1993/94 durften deshalb in die Prognoseentscheidung nach § 18 Abs. 2 InsO nicht als Verbindlichkeiten eingestellt werden.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2014 | Seite 223 | ID 42779829