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  • · Nachricht · LAG Schleswig-Holstein

    Schweigerecht: keine Aussetzung des Arbeitsgerichtsprozesses

    | Die Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO ist kein Grund dafür, den Rechtsstreit nach § 149 Abs. 1 ZPO auszusetzen, auch wenn wegen des Sachverhalts zeitgleich ein Ermittlungsverfahren des Hauptzollamts eingeleitet worden ist, in dem sich die Prozesspartei auf ihr strafprozessuales Schweigerecht beruft. Dies hat das LAG Schleswig-Holstein klargestellt (25.4.22, 1 Ta 40/22, Abruf-Nr. 230935 ). |

     

    Das erstinstanzliche ArbG muss folglich nicht berücksichtigen, ob die Beklagte durch eine Fortführung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vor Abschluss des Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens gezwungen wird, sich mit faktischer Auswirkung auf das Strafverfahren selbst zu belasten. Nach überwiegender Auffassung ist die zivilprozessual in § 138 Abs. 1 ZPO angelegte Selbstbezichtigungsgefahr kein Aussetzungsgrund i. S. d. § 149 ZPO. Der Schutz vor der Pflicht, wahrheitsgemäß vorzutragen, und damit die potenzielle Gefahr der Selbstbezichtigung liegt außerhalb des Normzwecks des § 149 ZPO. Die Norm dient lediglich dazu, in Fällen einer schwierigen Beweislage, Erkenntnisse aus einem Ermittlungsverfahren nutzen zu können. Der Schutz des Beschuldigten vor zivilrechtlichen Forderungen liegt dagegen außerhalb der Normreichweite. Er ist im Zivilprozess angelegt.

     

    Zweck der Aussetzung kann zudem nicht sein, den Straftäter dauerhaft von seiner zivilrechtlichen Pflicht gegenüber dem Opfer zu entlasten. Es bleibt daher allein Sache des potenziellen Täters, den Konflikt (Einlassung im Arbeitsgerichtsprozess vs. Selbstbelastungsgefahr) selbst zu lösen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Aussetzung bleibt dieser Konflikt ohne Belang.

     

    Beachten Sie | Die Entscheidung ist für Beschuldigte, die gleichzeitig Beklagte im Arbeitsgerichtsprozess sind, misslich. Letztlich räumen die Arbeitsgerichte der dortigen Erklärungspflicht Vorrang vor der Gefahr einer Selbstbezichtigung ein.

     

    Nach einer BGH-Entscheidung (17.11.09, VI ZB 58/08, NJW-RR 10, 423) soll zudem der allgemeine Hinweis darauf, dass das Ermittlungs- bzw. Strafverfahren in komplexen Wirtschaftsstrafsachen regelmäßig einen erheblichen Erkenntnisgewinn verspricht, nicht zur Begründung einer zivilprozessualen Aussetzung ausreichen. Grund: Solche pauschalen Hinweise, etwa auf die überlegenen Erkenntnismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, sind als Leerformel anzusehen. Aussetzungen sind für Zivil-/Arbeitsgerichte damit nur schwer zu begründen.(DR)

     

    Weiterführender Hinweis

    • Singer, Verzögerungsstrategien wird eine Absage erteilt, Aussetzung des Zivilverfahrens ausgeschlossen, PStR 16, 178.
    Quelle: Ausgabe 02 / 2023 | Seite 27 | ID 48548198