Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Steuerhinterziehung

    Ne bis in idem /- Verbot der Doppelbestrafung

    Das Verbot der Doppelbestrafung hindert nicht, wegen derselben Tat der Steuerhinterziehung nacheinander eine steuerliche Sanktion (Steuerzuschlag) und danach eine strafrechtliche Sanktion zu verhängen, wenn die erste Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter hat (EuGH 26.2.13, C-617/10 - Åkerberg Fransson, Abruf-Nr. 130796).

    Sachverhalt

    Die schwedische Finanzverwaltung hat gegen den selbstständig tätigen Fischer Åkerberg Fransson im Mai 2007 eine besondere Abgabe (Steuerzuschlag) festgesetzt, weil er für die Jahre 2004 und 2005 unrichtige Steuererklärungen abgegeben und dadurch u.a. Mehrwertsteuer verkürzt hat. Wegen dieses Sachverhalts erhob die schwedische StA im Juni 2009 Anklage zum Gericht erster Instanz in Haparanda. Diesem stellte sich die Frage, ob die Zulassung der Anklage gegen das in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK und Art. 50 der Grundrechtecharta der EU anerkannte Grundrecht verstößt, wonach niemand wegen ein und derselben Zuwiderhandlung strafrechtlich zweimal verfolgt oder bestraft werden darf (Grundsatz ne bis in idem). Es hat diese Frage dem EuGH vorgelegt (Art. 267 AEUV).

     

    Entscheidungsgründe

    Der EuGH ist zuständig, da Sanktionen betreffend USt-Hinterziehung als Anwendung von Gemeinschaftsrecht anzusehen sind. Zur Vorlagefrage führt der EuGH aus, dass der Grundsatz „ne bis in idem“ einen Mitgliedstaat nicht hindere, zur Ahndung derselben Tat der (Mehrwert-)Steuerhinterziehung steuerliche und strafrechtliche Sanktionen zu kombinieren. Maßgeblich sei, dass die Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen in ihrer Gesamtheit und damit der Schutz der finanziellen Interessen der Union gewährleistet wird (Art. 325 AEUV). Nur wenn die verwaltungsrechtliche Sanktion strafrechtlichen Charakter hat und unanfechtbar geworden ist, stehe Art. 50 der Charta der Einleitung eines Strafverfahrens gegen dieselbe Person wegen derselben Tat entgegen. Welcher Art eine Sanktion ist, müssen die nationalen Gericht prüfen. Maßgebliche Kriterien (EuGH 5.6.2, C‑489/10 - Bonda, wistra 12, 341, m.w.N.) sind

    • die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht,
    • die Art der Zuwiderhandlung (repressive Maßnahme oder zum Schutz der Verwaltung von Unionsmitteln) und
    • die Art und der Schweregrad der angedrohten Sanktion.

     

    Kommt das nationale Gericht zu dem Ergebnis, dass die Kumulierung von steuerlichen und strafrechtlichen Sanktionen mit nationalem Grundrechtsschutz unvereinbar ist, darf es dem nur Beachtung schenken, sofern die verbleibenden Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sind. Hält das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, demgegenüber die in der Charta verbürgten Rechte verletzt, hat es für deren volle Wirksamkeit Sorge zu tragen und hierzu gegebenenfalls nationale Vorschriften unangewendet zu lassen.

     

    Praxishinweis

    Der Steuerzuschlag nach schwedischem Recht beträgt bis zu 40 % der Hinterziehungssumme bzw. 20 % bei Mehrwertsteuerhinterziehung. Das deutsche Steuerrecht kennt demgegenüber Verspätungs- und Säumniszuschläge. Soll der von Art. 325 AEUV geforderte und vom EuGH nun wiederholt angemahnte effektive und abschreckende Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft gewährleistet sein, muss hierzulande strafrechtlichen Sanktionen (namentlich bei USt-Hinterziehung) ausreichend Gewicht zukommen. Steuerhinterziehung darf nicht durch zu niedrige Strafandrohung oder extensive Selbstanzeigemöglichkeiten bagatellisiert werden. Dem wird die Rechtsprechung des BGH gerecht, wonach es ganz besonderer Gründe bedarf, bei Hinterziehung in großem Ausmaß nicht den erhöhten Strafrahmen anzuwenden (BGH 5.5.11, 1 StR 116/11, PStR 11, 191) oder bei Hinterziehung in Millionenhöhe keine Vollzugsfreiheitsstrafe zu verhängen (BGH 2.12.08, 1 StR 416/08, PStR 09, 15 ff., 25 ff.; BGH 7.2.12, 1 StR 525/11, PStR 12, 53; BGH 22.5.12, 1 StR 103/12, PStR 12, 189). (AM)

    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 87 | ID 38498910