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  • · Fachbeitrag · Steuerhinterziehung

    Schätzung von hinterzogener Lohnsteuer

    von Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Der BGH hat dazu Stellung genommen, welche Anforderungen an eine Lohnschätzung bezüglich der Ermittlung des Umfangs der Lohnsteuerhinterziehung und der Veruntreuung von Arbeitsentgelten zu stellen sind. |

     

    Sachverhalt

    Das LG Darmstadt verurteilte den Angeklagten A wegen mehrfachen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, mehrfacher Lohnsteuerhinterziehung, Betrugs bzw. bandenmäßigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten (BGH 26.7.22, 1 StR 11/22, Abruf-Nr. 232520). Der A war im Tatzeitraum ‒ 2015 bis 2019 ‒ (faktischer) Geschäftsführer der X GmbH, deren Geschäftsgegenstand Rohbauarbeiten waren. A meldete nur einen Teil der Mitarbeiter zur gesetzlichen Sozialversicherung, Lohnsteuer und zur Sozialkasse des Baugewerbes an, wobei diese Meldungen auch einen niedrigeren Lohn als tatsächlich gezahlt zugrunde legten. Die übrigen Arbeitnehmer waren über Briefkastenfirmen ebenfalls mit zu niedrigen Löhnen gemeldet. Um Schwarzlohnzahlungen in der Buchhaltung der X GmbH darzustellen und zu verschleiern, erwarb der A von den Briefkastenfirmen Abdeckrechnungen.

     

    Aufzeichnungen zu den gezahlten Löhnen wurden nur für einen Monat sichergestellt. Das LG hat die monatliche Lohnsumme mit zwei Dritteln des Ausgangsumsatzes abzüglich bezogener Fremdleistungen geschätzt, um den Beitragsschaden nach § 266a StGB bzw. die nicht gezahlten Beiträge an die Sozialkasse und die hinterzogene Lohnsteuer darzustellen. Es kam zu einer monatlichen Lohnsumme von bis über 700.000 EUR bzw. einer Jahreslohnsumme bis über 5.500.000 EUR. Allerdings hatte es auch festgestellt, dass die Arbeitnehmerzahl von 40 bis 45 Arbeitnehmern im Jahr 15 kontinuierlich auf ca. 120 bis 125 im Jahr 19 anwuchs. Gleichzeitig nahm das LG einen durchschnittlichen Stundenlohn von 14 bis 15 EUR an bei einer monatlichen Arbeitszeit von über 200 bis zu 245 Stunden pro Arbeitnehmer. Aus handschriftlichen Notizen ergaben sich jedoch auch Stundenlöhne von überwiegend 10, 11 oder 12 EUR. Der BGH hob die Feststellungen der Vorinstanz zu den gezahlten Löhnen insgesamt auf, da diese widersprüchlich sind (BGH 26.1.21, 1 StR 289/20, Abruf-Nr. 221399).

     

    Entscheidungsgründe

    Es ist dem Tatrichter erlaubt, bei der Bestimmung des Beitragsschadens nach § 266a StGB bzw. der hinterzogenen Lohnsteuer den gezahlten Schwarzlohn anhand der branchenüblichen Nettolohnquote zu schätzen. Das Strafgericht muss diese ermitteln, wobei es sich um eine Sonderform des äußeren Betriebsvergleichs handelt, die aber nicht die festgestellten Umstände des Einzelfalls aus dem Blick lassen darf (BGH 10.11.09, 1 StR 283/09, Abruf-Nr. 100187; 20.4.16, 1 StR 1/16, Abruf-Nr. 187554). Die Schätzung ist nur zulässig, wenn es unmöglich ist, den Schwarzlohn etwa anhand erbrachter Arbeitszeiten und konkreter, branchenüblicher oder tarifvertraglicher Stundenlöhne mangels zuverlässiger Beweismittel zu ermitteln oder wenn er nur mit unverhältnismäßigem Aufwand und ohne nennenswerten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu beschaffen wäre.

     

    Hier lagen Erkenntnisse zu den geleisteten Arbeitsstunden bzw. der Anzahl der Arbeitnehmer und den gezahlten Stundenlöhnen vor. Selbst wenn man den Höchstwert des solchermaßen anzunehmenden Stundenlohns (15 EUR/Stunde) und den höchsten Stand von Arbeitnehmern (120) bei einer 40-Stunden-Woche zugrunde legt, kommt man nur auf eine wöchentliche Lohnsumme von 72.000 EUR, die von der Vorinstanz angesetzte monatliche Lohnsumme von über 600.000 bzw. über 700.000 EUR lässt sich folglich somit nicht herleiten.

     

    In strafrechtlicher Hinsicht wirkt eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen durch den zuständigen Bundesminister nicht bei dem anzusetzenden Lohn zurück, was die Verpflichtung anbelangt, Sozialabgaben im Baugewerbe zu zahlen (BGH 15.12.21, 1 StR 342/21, Abruf-Nr. 226942).

     

    Der Unternehmerlohn ist bei der Lohnquote nicht einzubeziehen. Dies gilt im steuerlichen Bereich sowohl beim Einzelunternehmer als auch beim Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft. Denn im letzteren Fall handelt es sich i. d. R. um verdeckte Gewinnausschüttungen, die nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG den Gewinn der Kapitalgesellschaft nicht mindern dürfen und beim Gesellschafter nicht zu Arbeitslohn i. S. v. § 19 EStG, sondern zu Kapitaleinkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG führen (BFH 17.1.18, I R 74/15, BFH/NV 18, 836).

     

    Auch im sozialrechtlichen Bereich ist zwischen Einnahmen aus einer Beschäftigung gem. § 14 Abs. 1 S.  1 SGB IV und aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zu unterscheiden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Im Baugewerbe werden Schwarzlöhne anhand der Nettolohnquote geschätzt, um die hinterzogene Lohnsteuer bzw. die nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge zu bestimmen. Dabei werden diese i. d. R. mit 2/3 des Nettoumsatzes angesetzt. Dies ist laut BGH jedoch nur zulässig, wenn keine Beweismittel oder solche nur unter unverhältnismäßig hohem Aufwand ohne weiteren Erkenntniswert ermittelbar sind (Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 17, S. 217). Damit kann das Strafgericht nicht einfach auf den äußeren Betriebsvergleich der Nettolohnquote abstellen, wenn genügend Ansatzpunkte vorhanden sind, um die Schwarzlöhne zu ermitteln. Zudem muss auch das Ergebnis des äußeren Betriebsvergleichs auf Stimmigkeit zu den besonderen Umständen des Einzelfalls hin geprüft werden. Auch muss die branchenspezifische Nettolohnquote, die zugrunde gelegt wird, hinreichend valide sein, d. h., statistisch von den Strafverfolgungsorganen unterfüttert werden. Allein zu behaupten, es handle sich um einen „Erfahrungswert“, reicht m. E. nicht. Das Strafgericht darf sich nicht allein auf Aussagen z. B. der Steuerfahndung verlassen.

     

    Schließlich gilt auch bei der Schätzung im Steuerstrafverfahren im besonderen Maße der Grundsatz in dubio pro reo (Gehm, NZWiSt 12, 408). Hier hatte das LG diesem Grundsatz nicht hinreichend Rechnung getragen, da konkrete Anhaltspunkte vorlagen, die gegen die Höhe des Schätzungsergebnisses sprachen.

     

    HINWEIS | Die Sozialkasse des Baugewerbes wird von den Arbeitgebern durch lohnabhängige Beiträge finanziert und sichert den Urlaubsanspruch und die Berufsausbildung der Arbeitnehmer und zahlt eine Branchenrente.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2023 | Seite 151 | ID 48787019