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  • · Fachbeitrag · Untersuchungshaft

    In Haftsachen ist ein enger gerichtlicher Verhandlungsintervall erforderlich

    von RA Prof. Dr. Carsten Wegner, Krause & Kollegen, Berlin

    | Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung ist U-Haft dann nicht mehr legitim, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten, sondern vermeidbar und sachlich nicht gerechtfertigt sind ‒ so das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 13.2.18. |

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Gegen den Angeklagten ‒ einen Polizisten ‒ werden zahlreiche Vorwürfe erhoben. Er entzog sich dem Verfahren durch eine Flucht, wurde dann aber in Nordafrika gefasst.

     

    In der Zeit vom 8.5.17 bis zum 27.4.18 (= 51 Wochen) sollte nach Planung der Strafkammer an maximal 30 Tagen effektiv verhandelt werden. Dies entspricht einer durchschnittlichen wöchentlichen Sitzungsdichte von 0,59 Tagen. Selbst bei voller Berücksichtigung der sich hier auf rund 19 Wochen aufsummierenden Urlaubszeiten aller Verfahrensbeteiligter kommt man bei einer Sitzungsdichte von 0,94 nur auf einen knappen wöchentlichen Sitzungstag. Dies genügte dem OLG nicht und es hob den Haftbefehl auf (OLG Karlsruhe 13.2.18, 2 Ws 5/18).

     

    Relevanz für die Praxis

    Das BVerfG (20.12.17, 2 BvR 2552/17) betont immer wieder, dass bei der Anordnung und Aufrechterhaltung von U-Haft stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit einerseits und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung andererseits zu beachten ist. Denn grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden.

     

    Mit zunehmender Dauer der U-Haft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit mit der Dauer der U-Haft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (BVerfG 30.7.14, 2 BvR 1457/14).

     

    Die Strafjustiz muss daher alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. So ist im Fall der Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und anschließend im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (BVerfG 20.12.17, 2 BvR 2552/17).

     

    Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die U-Haft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem Beschuldigten nicht zu vertreten sind. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der U-Haft rechtfertigen. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen aber bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen. Vor allem aber kann die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts niemals Grund für die weitere Anordnung der Haftfortdauer sein.

     

    Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen. Insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (BVerfG 22.1.14, 2 BvR 2248/13).

     

    Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird auch unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (BVerfG 23.1.08, 2 BvR 2652/07).

     

    Soweit für eine geringe Terminierungsdichte von der Verteidigung geltend gemachte Terminkollisionen eine Rolle spielen, entlastet dies eine Strafkammer nicht grundsätzlich von dem Vorwurf einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung. Denn zum einen können derartige Terminkollisionen bei einer vorausschauenden, weit in die Zukunft reichenden Terminplanung weitgehend vermieden werden. Zum anderen dürfe eine Strafkammer nicht ausnahmslos auf Terminkollisionen der Verteidiger Rücksicht nehmen. Vielmehr stellt sich dann die Frage, ob andere Pflichtverteidiger zu bestellen sein werden oder inwieweit die Verteidiger mit Blick auf das Beschleunigungsgebot verpflichtet werden können, andere ‒ weniger dringliche ‒ Termine zu verschieben, um eine Beschleunigung eines bereits lang dauernden Verfahrens zu erreichen (BVerfG 23.1.08, 2 BvR 2652/07).

     

    MERKE | Der Hinweis auf Terminblockaden kann für den Verteidiger daher ein zweischneidiges Schwert sein. Denn möglicherweise kegelt er sich damit de facto aus dem Verfahren heraus und der Mandant erhält ‒ zusätzlich ‒ einen (Pflicht-)Verteidiger, den er eigentlich nicht haben will bzw. den er nicht kennt und zu dem bislang kein Vertrauensverhältnis besteht.

     
    Quelle: ID 45154738

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