04.10.2010 | Angelegenheit
Wann ist eine Angelegenheit ein und dieselbe?
von RA U.W. Hauskötter, Dortmund
Der gebührenrechtliche Begriff der „Angelegenheit“ ist höchst bedeutsam für eine ganze Reihe von gebührenrechtlichen Weichenstellungen. Er wird zwar bei § 15 RVG verwendet, ist im Gesetz aber an keiner Stelle definiert. Der folgende Beitrag gibt Einordnungshilfen für die Praxis.
Grundproblematik
Ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, kann nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall beantwortet werden. Maßgeblich ist der Inhalt des erteilten Auftrags (BGH 26.5.09, VI 174/08, AGS 09, 472). Deshalb versucht die Rechtsprechung seit Jahren den Begriff der Angelegenheit anhand unbestimmter Rechtsbegriffe und Fallgruppen zu konkretisieren. Für den Rechtsanwender schaffen die Entscheidungen der Gerichte nicht immer Klarheit. Das LG München I befasste sich kürzlich intensiv mit dem Begriff der Angelegenheit (24.2.10, 9 S 16724/09, Abruf-Nr. 103034). Anlass gaben presserechtliche Ansprüche aus einer Berichterstattung.
Der Fall des LG München I 24.2.10, 9 S 16724/09 |
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von Rechtsanwaltshonorar. Der Forderung lagen drei unwahre Tatsachenbehauptungen in einer Print- und einer Onlineausgabe der Beklagten zugrunde. Der Kläger machte durch seinen Anwalt außergerichtliche Unterlassungs-, Gegendarstellungs- und Richtigstellungsansprüche gegen die Beklagte geltend. Die Beklagte wurde auf gefordert, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und außerdem eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Statt dessen veröffentlichte sie eine von ihr formulierte „Berichtigung“ zu zwei der drei umstrittenen Tatsachenbehauptungen. Der Kläger verlangte daher die Veröffentlichung einer weiteren Gegendarstellung. Da die Beklagte sich weigerte, erwirkte er eine einstweilige Verfügung auf Veröffentlichung der Gegendarstellung. Diese wurde durch rechtskräftiges Urteil bestätigt. Zusätzlich erwirkte er eine weitere einstweilige Verfügung, die der Beklagten die Wiederholung der umstrittenen Tatsachenbehauptungen untersagte. Danach wurde die Beklagte zur Abgabe einer Abschlusserklärung aufgefordert, die sie schließlich auch abgab.
Der Kläger meint, dass jeder der aufgeführten Streitgegenstände eine eigenständige Angelegenheit i.S. des § 15 RVG ist, weshalb auch aus jedem einzelnen Gegenstand selbstständig Anwaltsgebühren angefallen und zu berechnen seien. Das AG München entschied im Rahmen eines Teilversäumnisurteils: Hinsichtlich zweier Gegendarstellungsbegehren sei nur von einer Angelegenheit i.S. des RVG auszugehen weshalb für die 2. Gegendarstellung keine weiteren Gebühren mehr von der Beklagten beansprucht werden könnten. Gegen dieses, die Klage teilweise abweisende Endurteil richtete sich die Berufung des Klägers zum LG München I. |
Entscheidung
Nach § 15 Abs. 1 RVG vergüten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts bis zur Erledigung der Angelegenheit. Wird er in derselben Angelegenheit beauftragt erneut tätig zu werden, erhält er nach § 15 Abs. 5 S. 1 RVG nicht mehr Gebühren, als wenn er von Anfang an entsprechend beauftragt worden wäre. Umfasst eine Angelegenheit mehrere Gegenstände, sind deren Werte zusammenzurechnen (§ 22 Abs. 1 RVG). Das LG München I bewertete die Tätigkeit des Klägervertreters in Bezug auf die erste und zweite Gegendarstellung, sowie die Unterlassung als eine einzige Angelegenheit im vergütungsrechtlichen Sinne. Im Tätigwerden in Bezug auf die Abschlusserklärung sieht das Gericht dagegen eine weitere eigenständige Angelegenheit. Dabei stützt es sich auf die einhellige Ansicht, dass ein und dieselbe Angelegenheit nur vorliegt, wenn zwischen den anwaltlichen Leistungen ein „innerer Zusammenhang“ besteht und die Anwaltstätigkeit sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmt, dass von einem „einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit“ gesprochen werden kann (vgl. nur Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 15 RVG Rn. 6-10).
Der innere Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die verschiedenen Gegenstände bei Betrachtung und unter Berücksichtigung des erstrebten Erfolgs zusammengehören (unter Verweis auf BGH 26.5.09, VI ZR 174/08, Abruf-Nr. 092232).
Der einheitliche Rahmen liegt auch noch vor, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte seines Mandanten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen hat, weil unter Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne das gesamte Geschäft zu verstehen ist, das der Anwalt für seinen Mandanten besorgen soll. Insbesondere kann nach Ansicht des LG München I eine Angelegenheit auch mehrere Gegenstände betreffen. In diesem Fall ist es für die Annahme eines einheitlichen Rahmens ausreichend, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinne einheitlich bearbeitet werden können, dass sie in einem einheitlichen Vorgehen geltend gemacht werden können.
Nach der Wertung des LG München I stellen die aus einer Berichterstattung folgenden presserechtlichen Verteidigungsansprüche (egal ob Unterlassungs-, Gegendarstellungs- oder Richtigstellungsansprüche) zwar unterschiedliche Gegenstände i.S. von § 22 S. 1 RVG, jedoch innerhalb derselben Angelegenheit i.S. von § 15 RVG dar. Dass im Weiteren Umstände eingetreten waren, die zu einer Neubewertung der Sach- und Rechtslage geführt und ein geändertes Vorgehen des Anwalts notwendig gemacht haben, begründet keine neue Angelegenheit. Es ist lediglich die veränderte Fortführung der bereits mandatierten Angelegenheit. Die zweite Gegendarstellung richtete sich immer noch gegen die ursprüngliche Veröffentlichung, wenn auch - bedingt durch die Berichtigung - in geringerem Umfang. Nicht jeder Umstand, der sich auf das Streitverhältnis auswirkt, begründet automatisch eine neue Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne.
Wenn mehrere Ansprüche gegen eine Berichterstattung verfolgt werden, führt es also nicht zum Vorliegen unterschiedlicher Angelegenheiten. Die verschiedenen Ansprüche kennzeichnen dann lediglich verschiedene Gegenstände innerhalb derselben Angelegenheit. Sie stehen im inneren Zusammenhang zueinander, weil sie derselben Berichterstattung, denselben Behauptungen und letztlich demselben Anliegen des Mandanten entspringen. Dadurch, dass die verschiedenen Ansprüche sich in ihrem Rechtsschutzziel unterscheiden, wird der einheitliche Rahmen der anwalt-lichen Tätigkeit nicht verlassen. In diesem Sinne hatte auch schon der BGH entschieden (s.o.): Die Annahme einer Angelegenheit setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Vielmehr ist auch von einem einheitlichen Rahmen zu sprechen, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Betroffenen verschiedene, in ihren rechtlichen Voraussetzungen von einander abweichende Grundlagen zu prüfen hat.
Prüfungsschema für die Praxis
Ob ein auf verschiedene Ansprüche gestütztes Vorgehen eine oder verschiedene Angelegenheiten darstellt, kann mit folgenden Kriterien ermittelt werden:
Checkliste: So ermitteln Sie den gebührenrechtlichen Charakter einer Angelegenheit |
1. Liegt ein einheitlicher Auftrag vor? Ein einheitlicher Auftrag kann auch vorliegen, wenn der Anwalt zu verschiedenen Zeiten beauftragt worden ist. Es muss aber Einigkeit bestehen, dass die Ansprüche gemeinsam behandelt werden sollen.
2. Besteht ein innerer Zusammenhang der anwaltlichen Tätigkeiten, wenn verschiedene Gegenstände verfolgt werden? Verschiedene Gegenstände können inhaltlich zusammengehören, wenn sie im Falle gerichtlicher Geltendmachung in einem Verfahren verfolgt werden können.
3. Besteht ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit aufgrund eines einheitlichen, zusammengehörenden Sachverhalts? Voraussetzung ist, dass das Mandat einheitlich bearbeitet werden kann. Der gleiche Rahmen liegt regelmäßig vor, wenn der Anwalt nur hinsichtlich eines einzigen Gegenstands tätig wird. Bezieht sich seine Tätigkeit dagegen auf mehrere Gegenstände, so ist nur noch von einem gleichen Rahmen auszugehen, wenn der Gegner der Gleiche ist und ein innerer Zusammenhang zwischen den Gegenständen besteht (s.o.).
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