30.09.2009 | Aus den Gremien
58. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern
Im April 2009 fand in Sellin die 58. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern statt (Bericht über die 57. Tagung in RVG prof 09, 85). Dort wurden wieder wichtige Themen des Gebührenrechts erörtert. Außerdem formulierten die Gebührenreferenten zu aktuellen Streitfragen einheitliche Auffassungen. Generalthemen waren u.a.:
- Strafrechtliche Voraussetzungen der Gebührenüberhebung,
- Zeitklauseln in Honorarvereinbarungen.
Wichtige Erkenntnisse der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern |
1. Strafrechtliche Voraussetzungen der Gebührenüberhebung Gebührenüberhebung ist ein Straftatbestand nach § 352 StGB. Die Strafbarkeit ist eine Spezial-regelung zu § 263 StGB (Betrug). Der Tatbestand ist erfüllt, wenn ein Rechtsanwalt (oder Amtsträger oder sonstiger Rechtsbeistand) mit der Berechtigung, Gebühren oder Vergütungen zu erheben, in Anwendung einer Gebühren- oder Vergütungsordnung dieses auch im eigenen Interesse tut, die Gebühren aber fehlerhaft erhebt und über die Richtigkeit den Mandanten täuscht. Der Anwalt muss also positive Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit seiner Gebührenabrechnung haben. Für die übrigen Tatbestandsmerkmale genügt einfacher Vorsatz. Betroffen sind gesetzlich festgelegte Vergütungen z.B. nach RVG oder KostO. Nicht darunter fallen Vergütungen aus Gebühren- und Vergütungsvereinbarungen und Entgelte für Leistungen außerhalb des Anwendungsbereichs der Vergütungs- und Gebührenordnungen. Als Beispiele wurden aufgeführt
Dagegen liegt keine Wissentlichkeit der Gebührenüberhebung vor bei umstrittenen Gebühren und keine Täuschung bei Streit um Gebühren (RG DR 43, 758, BGH wistra 82, 66 f.; BayObLG NJW 90, 1001; OLG Hamm AGS 02, 228).
Es gibt häufig eine Überschneidung der berufsrechtlichen und der strafrechtlichen Bewertung von Gebührenüberhebung. Bei vermeintlich überhöhten Gegenstandswerten liege das Problem in dem Tatbestandsmerkmal der „Wissentlichkeit“. Die Referenten berichteten, dass Sachverständigen-anhörungen zum Vorwurf der Gebührenerhebung nach § 352 StGB selten stattfinden.
Ein anderer Problembereich betrifft die Erfüllung des Straftatbestands des Betrugs, § 263 StGB.
Beispiel: Im Fall des Obsiegens wird die volle Gebühr gegenüber dem Gegner geltend gemacht, obwohl eine niedrigere Vergütungsvereinbarung getroffen wurde.
Problematisch in diesem Zusammenhang sind auch die so genannten „Rationalisierungsabkommen“ von verschiedenen Rechtsschutzversicherern.
Im Streitfall können betroffene Rechtsanwälte ihre Rechtsanwaltskammer um ein Gutachten nach § 73 Abs. 2 Nr. 8 BRAO bitten. Die Gebührenreferenten waren sich im Grundsatz einig, dass die Rechtsanwaltskammern den Mitgliedern großzügig Auskünfte erteilen sollten. Die Kammer sollte aber auch auf eine eventuell vorliegende Befangenheit hinweisen, falls sie zu einem späteren Zeitpunkt durch das Gericht aufgefordert werden sollte, in der Sache ein Gutachten zu erstatten.
2. Zeittaktklauseln in Honorarvereinbarungen Berichtet wurde eine Entscheidung des OLG Schleswig-Holstein vom 19.2.09 (AGS 09, 209) zu Zeittaktklauseln in Vergütungsvereinbarungen. Anders als das OLG Düsseldorf (AnwBl 06, 770)bewertet das OLG Schleswig-Holstein Zeittaktklauseln von 15 Minuten in anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen als wirksam. Ausschlaggebend waren bei dieser Entscheidung drei Argumente:
Der BGH hat am 5.3.09 (AGS, 09, 209) die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG Düsseldorf vom 29.1.06 als unzulässig und im Übrigen unbegründet zurückgewiesen. Die Düsseldorfer Entscheidung ist damit bestandskräftig. Nach den nun widersprüchlichen Entscheidungen verschiedener OLG ist also immer noch ungeklärt, ob und in welcher Art und Weise Zeittaktklauseln zulässig sind.
Im Zweifel ist den Anwälten zu empfehlen, angesichts der unklaren Rechtslage minutengenau abzurechnen. Einige Anwaltskanzleiprogramme leisten diese Zeiterfassung bereits.
Neben der Unsicherheit über die Zulässigkeit von 15-minütigen (oder längeren) Zeittaktklauseln wurden außerdem Probleme erörtert, die sich daraus ergeben, dass der Zeitaufwand an sich und die Notwendigkeit des Zeitaufwands bestritten werden. Warnend wurde darauf hingewiesen, dass mit Zeittaktklauseln schon deshalb vorsichtig umzugehen sei, da die Beweislast den Rechtsanwälten obliegt.
Im Grundsatz halten die Referenten eine angemessene Taktung für zulässig, empfehlen aber angesichts der nach wie vor ungeklärten Rechtslage im Zweifel eine minutengenaue Abrechnung.
3. Gesetzliche Neuregelung der Anrechnung der Geschäftsgebühr durch § 15a RVG Das Problem der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei der Kostenfestsetzung hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzentwurfs zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht gelöst. Dort wurde ein neuer § 15a RVG eingefügt. Die Neuregelung stellt klar, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr grundsätzlich nur das Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten betrifft. Der Rechtsanwalt kann, wenn das Gesetz eine Anrechnung vorschreibt, jede der beiden betroffenen Gebühren vollständig fordern, insgesamt jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Im Verhältnis zu erstattungspflichtigen Dritten (Streitgegner, Rechtsschutzversicherung, Staatskasse usw.) sind nur ganz wenige Ausnahmetatbestände für die Berücksichtigung der Anrechnung bei der Kostenfestsetzung vorgesehen.
Nach einem Vermittlungsverfahren zwischen Bundesrat und Rechtsausschuss hat der Bundestag am 18.6.09 abschließend Grünes Licht für die Verabschiedung des neuen § 15a RVG gegeben. Die neue Regelung trat am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Die Verkündung erfolgte am 4.8.09 (BGBl. 09 I 2449).
Noch nicht endgültig klar ist die Anwendbarkeit des neuen § 15a RVG bei Übergangsfällen. Grundsätzlich findet § 60 RVG Anwendung. In den ersten bekannt gewordenen Gerichtsentscheidungen wurde § 15a RVG als Gesetzesklarstellung auch bei der Kostenfestsetzung von Altfällen angewendet (OLG Stuttgart RVGprof. 09, 145, Abruf-Nr. 092704; LG Berlin, Abruf-Nr. 092797).
4. Aktuelle Probleme mit Rechtsschutzversicherern
Die folgenden Probleme wurden erörtert im Zusammenhang mit Rechtsschutzversicherern.
Berichtet wurde eine neue Form der Rationalisierungsabkommen durch die Allianz-Rechtsschutzversicherung. Darin wird den teilnehmenden Rechtsanwälten angeboten, dass eine außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr im Hinblick auf den nichtanrechenbaren Teil nur beim Gegner geltend gemacht werden soll, soweit sich ein gerichtliches Verfahren wegen desselben Gegenstands anschließt. Die Geschäftsgebühr soll also nur im Fall der außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits abgerechnet und von der Rechtsschutzversicherung erstattet werden.
Die Gebührenreferenten bewerten diese Version eines „Rationalisierungsabkommens“ sehr kritisch und haben folgende gemeinsame Auffassung festgestellt:
Eine Vereinbarung mit dem Rechtsschutzversicherer des Mandanten mit folgendem Inhalt „... die Geschäftsgebühr wird mit einer 1,3 Gebühr in Ansatz gebracht. Soweit sich ein gerichtliches Verfahren wegen desselben Gegenstandes anschließt, wird der nichtanrechenbare Teil der Geschäftsgebühr nur beim Gegner, z.B. in Form eines Freistellungsantrages, geltend gemacht. Die 1,3 Geschäftsgebühr wird also nur im Falle der außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits abgerechnet und von der Rechtsschutzversicherung erstattet.“ ist nach Auffassung der Gebührenreferenten die nicht zulässige Vereinbarung eines Erfolgshonorars.
Werden gleichwohl materiell-rechtliche Erstattungsansprüche gegenüber dem Gegner geltend gemacht, kann das im Einzelfall strafrechtlich relevant sein.
Berichtet wurden zunehmende Werbemaßnahmen von Rechtsschutzversicherern, mit denen die Kürzung eines Selbstbehaltes beim Versicherungsnehmer auf die Hälfte, teilweise sogar auf Null, beworben werde, wenn die von dem Rechtsschutzversicherer beauftragten Vertragsanwälte mandatiert werden. Diese Vorgehensweise der Rechtsschutzversicherer stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der freien Anwaltswahl dar. Um dies zu unterbinden, sind Gespräche von Seiten des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sowie den Versicherern geplant. Hintergrund dieser Verfahrensweise von Versicherungen ist, dass eine Reihe von Rechtsschutzversicherern Gebührenabkommen mit Vertragsanwälten geschlossen haben und deren Abrechnungen unterhalb der gesetzlichen Gebühren liegen.
Erörtert wurde eine Fallkonstellation, bei der drei Parteien als Beklagte durch einen Rechtsanwalt vertreten wurden, eine Partei davon rechtsschutzversichert, den anderen Parteien wurde PKH gewährt. Die Rechtsschutzversicherung wollte dem Rechtsanwalt nur 1/3 der Gebühren erstatten. Die Gebührenreferenten stellten fest, dass diese Abrechnungspraxis üblich ist und auch der Kommentierung in Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 18. Aufl. 2008, zu VV-Nr. 1008 Rn. 10, entspricht.
5. Aktuelle Rechtsprechung zum RVG Die folgenden Entscheidungen wurden von den Gebührenreferenten erörtert.
6. Mittelgebühren in Strafverfahren vor dem Einzelrichter: Diskutiert wurde die Auffassung des LG Osnabrück, wonach in Strafverfahren vor dem Einzelrichter die Festsetzung der Mittelgebühr grundsätzlich nicht angemessen sei. Die Gebührenreferenten legten als gemeinsame Auffassung fest: Auch in amtsgerichtlichen Verfahren ist die Mittelgebühr angemessen.
7. Vergütung der Beschwerde gegen Durchsuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörde Die Einlegung einer Beschwerde gegen nach §§ 102 ff. StPO durchgeführte Durchsuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden ist im Rahmen der Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG abzurechnen. Maximal ergibt sich dafür ein Betrag von 250 EUR. Bemängelt wurde, dass es nach der geltenden Gesetzeslage keine Möglichkeit gibt, derartige Beschwerden mit einem unter Umständen sehr hohen Aufwand für den Verteidiger ausreichend zu entgelten. Deshalb beschlossen die Gebührenreferenten einstimmig: Für die Beschwerde gegen gemäß §§ 102 ff. StPO durchgeführte Durchsuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden sollte ein eigener Gebührentatbestand geschaffen werden. Alternativ sollte ein Zuschlag auf die Gebühr für die Vertretung im Ermittlungsverfahren vorgesehen werden.
8. Beratungshilfe Zunächst wurde berichtet, dass der Entwurf für ein „Beratungshilfebegrenzungsgesetz“ voraussichtlich nicht mehr in der laufenden Wahlperiode vom Bundestag verabschiedet wird.
Besprochen wurde der von der Satzungsversammlung der Anwaltschaft im November 2008 gefasste Beschluss, einen neuen § 16a BORA (Berufsordnung der Rechtsanwälte) einzuführen. Mit dieser neuen Regelung soll berufsrechtlich klargestellt werden, bei welchen Konstellationen der Anwalt berufsrechtlich einwandfrei handelt, wenn er im Einzelfall Beratungshilfe ablehnt oder beendet (vgl. dazu BRAK-Mitteilungen 09, 64 und 120). Das Bundesjustizministerium hat gegenüber den vorgesehenen Regelungen in § 16a Abs. 1, Abs. 3 S. 4 Buchstabe a, b, f und g BORA-E Bedenken angemeldet und seine Zustimmung letztendlich versagt (Bescheid des BMJ vom 12.3.09). Inzwischen wurde der vom BMJ nicht beanstandete Teil des § 16a BORA verkündet (vgl. BRAK-Mitteilungen 09, 120) und ist zum 1.9.09 in Kraft getreten.
Die neue Regelung hat folgenden Inhalt: Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, einen Beratungshilfeantrag zu stellen. Er kann die Beratungshilfe im Einzelfall aus wichtigem Grund ablehnen oder beenden. Ein wichtiger Grund kann in der Person des Rechtsanwalts selbst oder in der Person oder dem Verhalten des Mandanten liegen. Ein wichtiger Grund kann auch darin liegen, dass die Beratungshilfebewilligung nicht den Voraussetzungen des Beratungshilfegesetzes entspricht. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn
9. Abrechnung von Auskünften zu Erfolgsaussichten für die Bilanzierung des Mandanten Gelegentlich werden Rechtsanwälte von Seiten des Mandanten um kostenlose Auskunft gebeten über den Stand und die Erfolgsaussichten von Streitigkeiten. Die Information wird entweder von dem Mandanten oder deren Wirtschaftsprüfer zum Zwecke der Erstellung oder Bestätigung der Bilanz verlangt. Derartige Anfragen fallen zum Teil in erheblicher Zahl an und verursachen nicht nur die Mühe der Beantwortung sondern bergen auch Risiken für die anwaltliche Haftung in nicht unerheblichem Umfang. Das Thema war bereits einmal Gegenstand einer Gebührenreferententagung mit dem Ergebnis, dass für diese Tätigkeit bei bestehendem Mandat keine zusätzliche Gebühr abgerechnet werden kann.
10. Wegfall der Prozesskosten bei frühzeitiger Klagerücknahme im Verwaltungsprozess Berichtet wurde über einen Vorschlag vom Bund Deutsche Verwaltungsrichter (BDV), die Verfahrensgebühren im Verwaltungsrechtsstreit (wie früher) erst mit dem Ende des Verfahrens fällig werden und bei frühzeitiger Rücknahme der Klage ganz wegfallen zu lassen. Es liegt auch ein entsprechender Beschluss des Bayerischen Landtags dazu vor. Anlass sind Klagen der Verwaltungsgerichte, dass sich die durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eingeführten Vorschusspflichten nicht bewährt hätten. Sie führten zu einem für die Verwaltungsgerichtbarkeit unnötigen Verwaltungsaufwand und schreckten Bürger davon ab, ihr Recht zu suchen. Nach Ansicht der Verwaltungsrichter gebiete ein effektiver Verwaltungsrechtsschutz eine Lockerung der Kostenfolge.
Die Tagung der Gebührenreferenten unterstützt die Forderung, das Gerichtskostengesetz dahingehend zu ändern, dass in Prozessverfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Verfahrensgebühren erst mit der Kostenentscheidung und dem Ende des Verfahrens fällig werden und die Verfahrensgebühr bei frühzeitiger Rücknahme der Klage entfällt.
11. Umsatzsteuer auf die Aktenversendungspauschale Berichtet wurde die Auffassung des OLG Oldenburg, wonach die Aktenversendungspauschale nach Nr. 9003 KV GKG nach der Haftungsregelung aus § 28 Abs. 2 GKG nur derjenige schulde, der die Versendung beantragt habe. Dies sei regelmäßig der Prozessbevollmächtigte. Deshalb liege im Hinblick auf die Umsatzsteuer auch kein „durchlaufender Posten“ vor. Die Umsatzsteuer sei also bei der Abrechnung vom Anwalt hinzuzusetzen. Die Gebührenreferenten vertreten mit großer Mehrheit die gemeinsame Auffassung, dass die Aktenversendungspauschale mit Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen ist, da Kostenschuldner nicht der Mandant, sondern allein der Rechtsanwalt ist. |