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  • 01.04.2005 | Strafverfahren

    Entscheidungsübersicht zur Vergütung des Rechtsanwalts in Strafsachen

    von RiOLG Detlef Burhoff, Münster/Hamm

    Nachdem das RVG am 1.7.04 in Kraft getreten ist, liegen nun auch in Strafverfahren allmählich die ersten Entscheidungen zum neuen Recht vor. Wir stellen Ihnen diese im nachfolgenden Überblick vor.  

     

    Übersicht: Aktuelle Rechtsprechung zur Anwaltsvergütung in Strafsachen

    Bestimmung der Terminsgebühr, § 14 RVG: Bei der Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG für eine Hauptverhandlungsgebühr kommt es nur auf den Umfang der Hauptverhandlung selbst an, nicht auch auf den Umfang des übrigen Verfahrens. Vorbereitende Schriftsätze und Erwiderungen zur Anklageschrift werden durch die Verfahrensgebühr abgegolten (AG Koblenz AGS 04, 484 m. Anm. Schneider = JurBüro 05, 33 m. Anm. Enders, Abruf-Nr. 050632).  

     

    Praxishinweis: Das AG hat für eine 30-minütige Hauptverhandlung beim AG nur eine Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG in Höhe von 180 EUR als angemessen angesehen. Die vom Verteidiger beantragte Mittelgebühr hat es unter Hinweis auf die nur kurze Dauer der Hauptverhandlung nicht festgesetzt. Das erscheint angesichts der i.d.R. nur sehr kurzen Hauptverhandlungen beim AG als nicht zutreffend. Eine 30-minütige Hauptverhandlung dürfte für das AG durchschnittlich sein.  

     

    Pauschgebühr, § 51 RVG:  

    • Anwendung der Rechtsprechung zu § 99 BRAGO:
    1. Zur Frage, wann ein Verfahren „besonders schwierig“ ist, ist an der bisherigen Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO festzuhalten. Das RVG hat insoweit keine Änderung gebracht.

     

    2. Auch hinsichtlich des „besonderen Umfangs“ bleibt die bisherige Rechtsprechung weitgehend anwendbar. Allerdings muss sie jeweils sorgfältig darauf untersucht werden, inwieweit Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils für die Annahme des „besonderen Umfangs“ mitbestimmend gewesen sind.

     

    3. Auch hinsichtlich der Berücksichtigung von Fahrtzeiten des Pflichtverteidigers ist an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten. Sie werden daher noch nicht bei der Frage, ob überhaupt eine Pauschgebühr zu gewähren ist, herangezogen, sondern sind erst bei der Bemessung der Pauschgebühr ggf. pauschgebührerhöhend von Belang [OLG Hamm AGS 99, 72 und 168] (OLG Hamm RVGreport 05, 68 = StraFo 05, 130, Abruf-Nr. 050633; OLG Hamm 17.2.05, 2 (s) Sbd. VIII 11/05, n.v., Abruf-Nr. 050634).

     

    Praxishinweis: Die Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO zur Einordnung der Verfahren bleibt also anwendbar (vgl. dazu u.a. Burhoff RVG, Straf- und Bußgeldsachen, § 51 RVG Rn. 67 ff. m.w.N.).

     

    • Prüfungsreihenfolge und Prüfungsmaßstab: Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt – wie auch im Verfahren nach § 99 BRAGO – regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Die bislang von der Rechtsprechung der OLG in der Regel vorgenommene Gesamtbetrachtung des Verfahrens kann unter Geltung des RVG erst in einem zweiten Schritt vorgenommen werden, wenn zu entscheiden ist, ob zwar nicht ein einzelner Verfahrensabschnitt „besonders umfangreich“ gewesen ist, ggf. das Verfahren aber „insgesamt“ als „besonders umfangreich“ einzustufen ist. Das kann z.B. in außergewöhnlich zeitaufwändigen Verfahren, u.a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen, angezeigt sein (OLG Jena 11.1.05, AR (S) 185/04, n.v., Abruf-Nr. 050635; OLG Hamm 17.2.05, 2 (s) Sbd. VIII 11/05, n.v., Abruf-Nr. 050634).

     

    • Unzumutbarkeit i.S. von § 51 Abs. 1 S. 1 RVG: „Unzumutbarkeit“ i.S. des § 51 Abs. 1 S. 1 RVG ist immer dann zu bejahen, wenn das Verfahren bzw. der Verfahrensabschnitt sowohl als „besonders schwierig“ als auch als „besonders umfangreich“ anzusehen ist. Ob die gesetzlichen Gebühren immer auch „unzumutbar“ sind, wenn nur eins der Kriterien erfüllt ist, kann zunächst offen bleiben (OLG Hamm 17. 2.05, 2 (s) Sbd. VIII 11/05, n.v., Abruf-Nr. 050634).

     

    Praxishinweis: In dem Zusammenhang hat das OLG u.a. die Rechtsprechung des BVerfG zum Sonderopfer Privater herangezogen (BVerfGE 54, 251, 271; 68, 237, 255; siehe auch BVerfG AGS 01, 63). Danach darf das Sonderopfer für den von der öffentlichen Hand in Anspruch genommenen Privaten nicht zu groß sein, andererseits hat aber auch das BVerfG eine vollständige Kostendeckung nicht gefordert. In dem Zusammenhang hatte das OLG bereits zu § 99 BRAGO auf die Geldwäscheentscheidung des BGH (BGH NJW 01, 2891) hingewiesen (OLG Hamm StraFo 03, 66 = StV 04, 89 mit zustimmender Anm. Hoffmann). Dieser Hinweis gilt – trotz der durch das RVG gerade im strafverfahrensrechtlichen Bereich erfolgten Gebührenabhebung – nach Auffassung des OLG weiterhin und hat aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 30.3.04 (NJW 04, 1305) besonderes Gewicht. Bei der Bemessung der Gebühren darf nach Überzeugung des Senats aber auch das Gesamtgefüge der anwaltlichen Vergütung in Strafsachen nicht übersehen werden.

     

    Übergangsregelung (§ 61 RVG)  

    • Anwendung des neuen Rechts: Die Vergütung des Strafverteidigers ist auch dann nach dem seit dem 1.7.04 geltenden Recht (RVG) zu berechnen, wenn der Verteidiger erst nach diesem Stichtag als Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist, er vor dem Stichtag aber bereits als Wahlverteidiger tätig gewesen ist (OLG Hamm RVGreport 05, 68 = StraFo 05, 130, Abruf-Nr. 050633; OLG Schleswig RVGreport 05, 29, Abruf-Nr. 050641; KG 17.1.05, (1) 2 StE 10/03 - 2 (4/03), n.v., Abruf-Nr. 050637; LG Berlin 27.1.05, 539 Qs 2/05, n.v., Abruf-Nr. 050638; LG Bayreuth 25.1.05, Qs 177/04, n.v., Abruf-Nr. 050639; a.A. noch LG Berlin RVG prof. 04, 215, Abruf-Nr. 042996).

     

    Praxishinweis: Die für den Pflichtverteidiger bedeutsame Frage der Anwendung des neuen Rechts dürfte inzwischen i.S. der auch schon zu § 134 BRAGO h.M. geklärt sein, dass in den Fällen, in denen der Anwalt noch zur Zeit des alten Rechts als Wahlanwalt mandatiert worden ist, er dann aber zur Zeit des neuen Rechts als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, für die gesetzlichen Gebühren das neue Recht anwendbar ist.

     

    • Grundgebühr im Übergangsrecht: Richtet sich der Gebührenanspruch des Verteidigers nach der Übergangsvorschrift des § 61 RVG für die Vorinstanz nach der BRAGO und für die Revisionsinstanz nach dem RVG, entsteht für den in der Revisionsinstanz tätigen Rechtsanwalt die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG. Diese Besserstellung der in der Übergangszeit tätigen Rechtsanwälte ist hinzunehmen, da ansonsten eine undurchschaubare Gemengelage zwischen BRAGO und RVG entstünde (OLG Frankfurt RVGreport 05, 28 m. Anm. Hansens).

     

    Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG: Die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 RVG für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht nur einmal, unabhängig davon, in welchem Verfahrensabschnitt die erstmalige Einarbeitung erfolgt, in der Rechtsmittelinstanz also grundsätzlich nur, wenn der Verteidiger nicht bereits in der Vorinstanz tätig war (OLG Frankfurt RVGreport 05, 28 m. Anm. Hansens).  

     

    Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen (BT-Drucksache 15/1971, 222). Dazu gehört vor allem auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO (OLG Jena 11.1.05, AR (S) 185/04, n.v., Abruf-Nr. 050635).  

     

    Im Strafvollstreckungsverfahren nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG entsteht keine Grundgebühr (OLG Schleswig RVGreport 05, 70, Abruf-Nr. 050641).  

     

    Wird ein zufällig im Sitzungssaal anwesender Rechtsanwalt nach Eröffnung der Hauptverhandlung zum Pflichtverteidiger bestellt, erhält er für seine Verteidigertätigkeit aus der Staatskasse lediglich die Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG, nicht jedoch auch die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr (AG Koblenz RVGreport 04, 469 m. Anm. Hansens = AGS 04, 448 m. Anm. N. Schneider, Abruf-Nr. 050642).  

     

    Praxishinweis: Diese Entscheidung ist falsch. Sie verkennt die Systematik des RVG. Danach erhält der Rechtsanwalt die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG immer. Ob er darüber hinaus auch eine Verfahrensgebühr erhält, hängt davon ab, ob seine Tätigkeiten bereits den Abgeltungsbereich der Nr. 4100 VV RVG überschritten haben (dazu auch N. Schneider und Hansens, a.a.O., die davon ausgehen, dass neben der Grundgebühr immer auch eine Verfahrensgebühr entsteht).  

     

    Abgeltungsbereich der Terminsgebühr Nr. 4108 u.a. VV RVG: Mit einer Terminsgebühr wird nur die Teilnahme an einem Hauptverhandlungstermin abgegolten. Vorbereitende Schriftsätze und Erwiderungen zur Anklageschrift werden durch die Verfahrensgebühr abgegolten (AG Koblenz AGS 04, 484 m. Anm. Schneider = JurBüro 05, 33 m. Anm. Enders, Abruf-Nr. 050632).  

     

    Praxishinweis: Die Terminsgebühr deckt im Übrigen auch noch die konkrete Vorbereitung des Termins ab (Burhoff, a.a.O., Vorbem. 4 VV RVG Rn. 55; a.A. Enders, JurBüro 05, 34). Die allgemeine Vorbereitung der Hauptverhandlung wird hingegen von der jeweiligen Verfahrensgebühr abgegolten (OLG Hamm 17.2.05, 2 (s) Sbd. VIII 11/05, Abruf-Nr. 050634).  

     

    Tätigkeiten im Strafvollstreckungsverfahren: Die gesetzliche Vergütung des Rechtsanwalts, der dem Untergebrachten im Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB beigeordnet worden ist, richtet sich nach Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG. Es handelt sich grundsätzlich nicht um eine Einzeltätigkeit i.S. von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG (OLG Schleswig RVGreport 05, 70, Abruf-Nr. 050641; KG 31.1.05, 5 Ws 4/05, StraFo 05, 12, Abruf-Nr. 050644).  

     

    Praxishinweis: Das gilt im Übrigen auch, wenn der Anwalt dem Untergebrachten beigeordnet worden ist. Die Beiordnung wird in der Regel nicht nur für eine einzelne Tätigkeit erfolgen, sondern für die gesamte Verteidigung/Vertretung im Strafvollstreckungsverfahren. Mehrere der alljährlich anstehenden Überprüfungsverfahren sind mehrere Angelegenheiten i.S. des § 15 RVG mit der Folge, dass die Gebühren in jedem Überprüfungsverfahren erneut entstehen.  

     

     

     

    Quelle: Ausgabe 04 / 2005 | Seite 70 | ID 91814