Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Pflichtverteidigung

    Pflichtverteidiger und Erstreckung ‒ ein Update

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

    | Die mit der sog. Erstreckung nach § 48 Abs. 6 RVG zusammenhängenden Fragen spielen für die Gebühren des Pflichtverteidigers eine große Rolle. Denn die Erstreckung kann dazu führen, dass der Rechtsanwalt auch Tätigkeiten vergütet erhält, die er vor seiner Beiordnung/Bestellung erbracht hat. Die Redaktion erhält hierzu immer wieder Anfragen. Die folgende Checkliste fasst daher noch einmal die wichtigsten Aspekte übersichtlich zusammen und berücksichtigt aktuelle Entwicklungen. |

     

    Checkliste / Allgemeine Fragen der Erstreckung

    Frage
    Antwort
    • 1. Wo ist die sog. Erstreckung geregelt?

    § 48 Abs. 6 RVG bestimmt, dass der Rechtsanwalt, der während des Verfahrens bestellt oder beigeordnet wird, die (gesetzliche) Vergütung auch für Tätigkeiten erhält, die er vor seiner Beiordnung/Bestellung erbracht hat.

    • 2. In welchen Verfahren ist § 48 Abs. 6 RVG anwendbar?
    • Strafverfahren (Teil 4 VV RVG),
    • Bußgeldverfahren (Teil 5 VV RVG)
    • In den in Teil 6 VV RVG geregelten sonstigen Verfahren, wie z. B. Auslieferungsverfahren (OLG Hamm RVGreport 17, 52).
    • 3. Für welche Rechtsanwälte gilt § 48 Abs. 6 RVG?

    Die Vorschrift ist anwendbar beim:

     

    • gerichtlich bestellten Rechtsanwalt (Pflichtverteidiger),
    • Zeugen- und/oder Vernehmungsbeistand und
    • im Wege der PKH dem Nebenkläger beigeordneten Rechtsanwalt (OLG Koblenz RVGreport 08, 139; a. A. OLG Celle RVGreport 19, 59).

     

    Beachten Sie | § 48 Abs. 6 RVG geht den allgemeinen Grundsätzen zum Umfang der einem Nebenkläger gewährten PKH vor. Danach wäre eine nachträgliche Bewilligung nur in eingeschränktem Umfang zulässig ist (OLG Koblenz, a. a. O.).

    • 4. Gilt § 48 Abs. 6 RVG auch für Auslagen?

    Ja. § 48 Abs. 6 RVG spricht von „Vergütung“. Nach § 1 Abs. 1 S. 1 RVG sind dies „Gebühren und Auslagen“.

    • 5. Wie ist der Anwendungsbereich von § 48 Abs. 6 RVG geregelt?
    • § 48 Abs. 6 S. 1 RVG regelt die Erstreckung im ersten Rechtszug
    • § 48 Abs. 6 S. 2 RVG regelt die Erstreckung in späteren Rechtszügen
    • § 48 Abs. 6 S. 3 RVG regelt die Erstreckung für den Fall der Verfahrensverbindung
    • 6. In welchen Verfahrensabschnitten ist § 48 Abs. 6 RVG anzuwenden?

    § 48 Abs. 6 RVG gilt für das

    • vorbereitende Verfahren,
    • gerichtliche Verfahren,
    • Rechtsmittelverfahren und
    • Strafvollstreckungsverfahren (Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., § 48 Abs. 6 Rn. 17 ff.).
    • 7. Wie ist § 48 Abs. 6 RVG für den ersten Rechtszug ausgestaltet?

    Nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erhält der Rechtsanwalt, wenn er im Laufe des ersten Rechtszugs bestellt wird, seine Vergütung auch für seine Tätigkeiten als Wahlanwalt vor dem Zeitpunkt der Bestellung oder Beiordnung.

     

    Beachten Sie | § 48 Abs. 6 S. 1 RVG gewährt aber keinen Vergütungsanspruch für nicht erbrachte Tätigkeiten. Vielmehr muss der Rechtsanwalt vor der Beiordnung/Bestellung eine Tätigkeit erbracht haben, wenn § 48 Abs. 6 S. 1 RVG zum Zuge kommen soll (OLG Hamm AGS 05, 437; OLG Rostock AGS 14, 179; LG Koblenz JurBüro 05, 255 m. Anm. Enders; LG Berlin AGS 05, 401).

    • 8. Kommt es auf den Zeitpunkt der Bestellung an?

    Nein (OLG Schleswig SchlHA 06, 301). Für den (früheren) Wahlverteidiger entsteht durch Beiordnung als Pflichtverteidiger der Anspruch allein durch den Umstand der Bestellung, unabhängig davon, wann die Beiordnung erfolgt.

    • 9. Erhält der Anwalt, der erst im gerichtlichen Verfahren bestellt wird, aber schon im vorbereitenden Verfahren für den Mandanten tätig war, auch die für das vorbereitende Verfahren vorgesehenen Gebühren?

    Ja. In § 48 Abs. 6 S. 1 RVG heißt es: „... einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage“.

    • 10. Gilt § 48 Abs. 6 RVG auch für spätere Rechtszüge?

    Ja, vgl. § 48 Abs. 6 S. 2 RVG

    • 11. Wie ist die Erstreckung für die Rechtsmittelzüge geregelt?

    § 48 Abs. 6 S. 2 RVG: Der Rechtsanwalt erhält im Falle der Beiordnung in einem späteren Rechtszug nur die Vergütung aus diesem Rechtszug und nicht auch die aus früheren Rechtszügen (Burhoff/Volpert, a .a. O., § 48 Abs. 6 Rn. 13 ff.).

     

    Beachten Sie | Einbezogen werden aber gemäß § 48 Abs. 6 S. 1 RVG Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung im späteren Rechtszug erbracht hat.

    • 12. Was regelt § 48 Abs. 6 S. 3 RVG?

    Die Vorschrift bestimmt, dass im Fall der Verfahrensverbindung das Gericht „die Wirkungen des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG auch auf diejenigen Verfahren erstrecken [kann], in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war“.

    • 13. Wann ist § 48 Abs. 6 S. 3 RVG bedeutsam?

    Die Problematik stellt sich nur, wenn der Rechtsanwalt in einem von mehreren Verfahren bereits als Pflichtverteidiger beigeordnet ist und zu diesem Verfahren dann weitere Verfahren, in denen er nicht als Pflichtverteidiger beigeordnet ist, aber bereits Tätigkeiten für den Mandanten erbracht hat, hinzu verbunden werden.

     

    Beachten Sie | In diesen Fällen ist daher ein besonderer Erstreckungsantrag des Rechtsanwalts erforderlich.

    • 14. Gilt § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch, wenn der Rechtsanwalt erst nach der Verfahrensverbindung beigeordnet/bestellt wird?

    M. E. gilt das Erfordernis eines Erstreckungsantrags dann nicht (s. auch KG JurBüro 09, 531; OLG Bremen RVG prof. 12, 186; OLG Hamm AGS 05, 437; OLG Hamm RVG prof. 17, 190; OLG Jena Rpfleger 09, 171; LG Aurich RVGreport 11, 221; LG Dortmund StraFo 06, 258; Burhoff/Volpert, a. a. O., § 48 Abs. 6 Rn. 32 ff.; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 48 Rn. 205).

     

    Die Frage ist in der Rechtsprechung umstritten (OLG Braunschweig NStZ-RR 14, 232; OLG Celle 6.9.19, 2 Ws 253/19; OLG Hamburg JurBüro 18, 17 = StraFo 2018, 41; OLG Koblenz RVG prof. 13, 42; OLG Oldenburg RVG prof. 11, 104; OLG Zweibrücken NStZ-RR 18, 64 = JurBüro 18, 79; ähnlich OLG Rostock, RVG prof. 09, 155).

     

    Praxistipp | Stellen Sie daher stets einen Erstreckungsantrag.

    • 15. Gilt § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch, wenn die Verfahren im Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft verbunden worden sind?

    Ja (AG Tiergarten RVG prof. 09, 203; vgl. aber LG Aurich RVGreport 14, 69).

     

     

    Weiterführende Hinweise