· Fachbeitrag · Strafvollstreckung
Richtig abrechnen in der Strafvollstreckung
von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg
| In der Praxis macht die Abrechnung der Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Bereich der Strafvollstreckung häufig Schwierigkeiten. Die folgenden drei Checklisten zeigen die richtige Abrechnung. |
Checkliste 1 / Allgemeine Fragen | |
Frage | Antwort |
| Die entsprechenden Gebühren sind in Teil 4 Abschn. 2 VV RVG in den Nrn. 4200 ff. VV RVG geregelt. |
| Die Gebühren des Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG stehen sowohl dem Wahlanwalt als auch dem Pflichtverteidiger zu (zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren s. Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., Rn. 2132 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Praxishinweis | Die Pflichtverteidigerbestellung für das Hauptverfahren endet mit dem rechtskräftigen Abschluss dieses Verfahrens. Sie erstreckt sich nicht auf das Strafvollstreckungsverfahren (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 55. Aufl., § 140 Rn. 33; Burhoff, a.a.O., Rn. 2134 m.w.N.). War der Pflichtverteidiger im Hauptverfahren beigeordnet, muss er für das Strafvollstreckungsverfahren, seine Beiordnung ausdrücklich beantragen, wenn er dort tätig wird. |
| Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG gilt für den Rechtsanwalt, dem die Verteidigung in diesem Bereich insgesamt/voll übertragen worden ist (siehe unten Checkliste 2). Wird der Rechtsanwalt in der Strafvollstreckung nur mit einzelnen Tätigkeiten beauftragt, gilt Teil 4 Abschn. 3 VV RVG (siehe dazu unten Checkliste 3). |
| Maßgeblich für die Abgrenzung des vollen Auftrags von der Einzeltätigkeit ist beim Wahlanwalt der Umfang des erteilten Auftrags und beim Pflichtverteidiger der der gerichtlichen Beiordnung. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass von voller Vertretung bzw. Beiordnung auszugehen ist, also der Auftrag bzw. die Beiordnung nicht nur für einen einzelnen Termin oder zur Fertigung eines bestimmten Schriftsatzes erfolgt (zutreffend KG RVGreport 05, 102). |
| Was unter „Strafvollstreckung“ zu verstehen ist, ergibt sich aus der StPO. Dort sind im 1. Abschnitt des 7. Buchs die unter den Begriff der „Strafvollstreckung“ fallenden Tätigkeiten des Verteidigers zusammengefasst.
Praxishinweis | Gebühren nach Teil 4 Abschn. 2 VV RVG können daher frühestens ab Rechtskraft des Urteils entstehen (OLG Hamm StRR 09, 39). |
| Erfasst wird nicht nur die Strafvollstreckung im engeren Sinne, sondern auch weitere Maßnahmen und Anordnungen, die auf Verwirklichung, Abänderung, befristete oder endgültige Aufhebung der von einem Strafgericht erlassenen Entscheidung gerichtet sind (z.B. §§ 453a und 453b StPO). Auch die in §§ 453, 463 StPO geregelten Verfahren auf Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung oder Widerruf der Aussetzung einer Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung sind in den Anwendungsbereich des Teil 4 Abschn. 2 VV RVG einbezogen (siehe dazu eingehend auch Volpert in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., Vorbem. 4.2 VV Rn. 3). |
| Ja. Teil 4 Abschn. 2 VV RVG gilt auch bei Jugendlichen und Heranwachsenden (Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.2 VV Rn. 7). |
| Nein, denn bei dem Verfahren handelt es sich nicht um Strafvollstreckung i.S. von Teil 4 Abschn. 2 VV RVG, da ein zu vollstreckendes strafrechtliches Ergebnis noch nicht vorliegt (LG Mannheim RVG prof. 08, 26). Vielmehr wird das ursprüngliche Erkenntnisverfahren fortgesetzt. Folge ist, dass der Rechtsanwalt für die Teilnahme an dem weiteren Termin eine weitere Terminsgebühr für die Hauptverhandlung nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG erhält. |
| Nein, wird eine gerichtliche Entscheidung im Bußgeldverfahren vollstreckt gilt Teil 5 VV RVG und zwar die Nr. 5200 VV RVG. |
| Nein, Teil 4 Abschn. 2 VV RVG gilt nur, wenn der Rechtsanwalt im Rahmen der Vollstreckung von Kriminalstrafen und strafrechtlichen Maßnahmen tätig wird. |
| Nein, Teil 4 Abschn. 2 VV RVG gilt nicht, wenn nach den Disziplinargesetzen (Teil 6 Abschn. 2 VV RVG) vollstreckt wird. |
| Nein, Strafvollzug ist nicht Strafvollstreckung i.S. des RVG. Tätigkeiten des Rechtsanwalts in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz werden von Teil 3 VV RVG erfasst (vgl. dazu Burhoff/Burhoff/Volpert, RVG, Teil A: Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz und ähnliche Verfahren, Rn. 1441 ff.). |
| Ja, das Strafvollstreckungsverfahren ist eine eigenständige Angelegenheit, so dass nach der Anm. zu Nr. 7002 VV RVG die Auslagenpauschale anfällt. |
| Jedes Vollstreckungsverfahren stellt eine gesonderte Angelegenheit i.S. von § 15 RVG dar. Folge ist, dass in jedem der Verfahren die Gebühren des Teil 4 Abschn. 2 VV RVG entstehen können. Es entstehen also z.B. in mehreren zeitlich aufeinander folgenden Widerrufsverfahren die Gebühren des Teil 4 Abschn. 2 VV RVG immer wieder neu (OLG Frankfurt AGS 06, 76). Entsprechendes gilt für die Überprüfungsverfahren nach § 67e StGB (KG RVGreport 05, 102 ). |
| Ja, das ist in besonders schwierigen oder besonders umfangreichen Verfahren möglich, wenn die gesetzlichen Gebühren im Hinblick auf den Umfang der erbrachten Tätigkeiten unzumutbar sind. Es gelten die allgemeinen Regeln. |
| Ja, für den in der Strafvollstreckung tätigen Wahlanwalt besteht die Möglichkeit, sich ggf. eine Pauschgebühr nach § 42 RVG feststellen zu lassen. Es gelten die allgemeinen Regeln (Burhoff/Burhoff, RVG, § 42 Rn. 1 ff.). |
| Es sind die allgemeinen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG zugrunde zu legen (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Teil A: Rahmengebühren [§ 14], Rn. 1045 ff.).
Praxishinweis |r Bei der Bemessung kann die Bedeutung des Verfahrens, in dem der Rechtsanwalt tätig geworden ist (Checkliste 2 Nr. 2 ff.) nicht mehr von Belang sein. Denn dessen Bedeutung ist schon bei der Frage, welche Gebührentatbestände überhaupt zugrunde zu legen sind, berücksichtigt worden. |
| Ja - gegebenenfalls mit Zuschlag nach Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG - insoweit gelten die allgemeinen Regeln, (dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 83 ff.; Burhoff RVG prof. 10, 77 ff.). |
Checkliste 2 / Abrechnung der Tätigkeiten des Vollverteidigers (Teil 4 Abschnitt 2 VV RVG) | |
Frage | Antwort |
| Im RVG sind die Verfahren, in denen Gebühren in der Strafvollstreckung entstehen können, in zwei Gruppen unterteilt. Das sind einmal die besonders bedeutsamen Verfahren der Nr. 4200 VV RVG und zum anderen die sonstigen Verfahren der Nr. 4204 VV RVG.
Praxishinweis | Die beiden Gruppen werden hinsichtlich der Gebührentatbestände und der allgemeinen Fragen (s.o.) gleich behandelt. Unterschiede bestehen lediglich hinsichtlich der Gebührenhöhe. |
| Zu den bedeutsamen Verfahren der Nr. 4200 VV RVG zählen nach
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| Zu den sonstigen Verfahren der Nr. 4204 VV RVG zählen alle nicht in Nr. 4200 VV RVG genannten Verfahren, wie z.B.:
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| Entsprechend der allgemeinen Struktur der strafverfahrensrechtlichen Gebühren in Teil 4 VV RVG können grds. Verfahrens- und Terminsgebühr entstehen (vgl. die Nrn. 4200, 4202 VV RVG; Nrn. 4204, 4206 VV RVG). |
| Nein, eine Grundgebühr (vgl. Nr. 4100 VV RVG) entsteht für den Rechtsanwalt in der Strafvollstreckung nicht; die Nr. 4100 VV RVG kann auch nicht entsprechend angewendet werden (vgl. dazu KG RVG prof 08, 212; OLG Schleswig RVGreport 05, 70; LG Berlin AGS 07, 562). |
| Nein, es gelten grds. die allgemeinen Regeln (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 31 ff. und Rn. 56 ff. m.w.N.; s. aber auch Nr. 7 und 8 ff.). Der Rechtsanwalt erhält die Verfahrensgebühr also für das Betreiben des Geschäfts (Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG) und die Terminsgebühr für die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin/einer gerichtlichen Anhörung (Vorbem. 4 Abs. 3 VV RVG). |
| Nein, wenn der Verteidiger im Strafvollstreckungsverfahren in derselben Instanz an mehreren gerichtlichen Terminen teilnimmt, entsteht die Terminsgebühr nach der gesetzlichen Regelung nur einmal (KG RVGreport 06, 353; OLG Hamm RVGreport 07, 426; OLG Schleswig SchlHA 06, 300 bei Döllel/Dreßen; LG Osnabrück Nds.Rpfl. 07, 166).
Eine Regelung wie bei den in Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG geregelten Terminsgebühren, wonach die Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag entsteht, ist in Teil 4 Abschn. 2 VV RVG nämlich nicht getroffen worden (vgl. dazu auch Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4200 bis 4207 Rn. 7). |
| Für die Abrechnung von Beschwerden gilt eine Besonderheit. Nach Vorbem. 4.2 VV RVG erhält der Rechtsanwalt im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache die Gebühren des Abschnitts 2 nämlich besonders. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten sind also nicht wie sonst das strafrechtliche Beschwerdeverfahren aufgrund des Pauschalcharakters der Gebühren durch die Gebühren im Ausgangsverfahren mitabgegolten (OLG Frankfurt NStZ-RR 05, 253; OLG Schleswig SchlHA 06, 300 bei Döllel/Dreßen; LG Düsseldorf AGS 07, 352; allgemein zur Abrechnung von Beschwerden Burhoff RVGreport 12, 12). |
| Die Beschwerdegebühr entsteht nur in einem Beschwerdeverfahren, in dem sich die Beschwerde gegen die Entscheidung in der Hauptsache richtet. Wird nicht die Hauptsacheentscheidung des Gerichts, sondern eine „Nebenentscheidung“ angefochten, ist die Tätigkeit des Rechtsanwalts mit der erstinstanzlichen Verfahrensgebühr abgegolten.
Praxishinweis | Keine Beschwerde gegen eine Hauptsacheentscheidung ist z.B. diejenige gegen den im Strafvollstreckungsverfahren ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss. Der Verteidiger erhält hierfür nicht die Gebühren nach Teil 4 Abschn. 2 VV besonders, sondern nach Teil 3 VV RVG (Vorbem. 4 Abs. 5 Nr. 1 VV RVG). |
| Für die Tätigkeit in der Beschwerdeinstanz gelten alle in Teil 4 Abschn. 2 VV RVG aufgeführten Gebührentatbestände. Es können also Verfahrens- und Terminsgebühr entstehen (vgl. Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.2 VV Rn. 22). |
| Die Frage ist umstritten. Sie wird vom LG Düsseldorf (AGS 07, 352) verneint, vom OLG Braunschweig (RVG prof. 09, 98), vom OLG Schleswig (SchlHA 06, 300 bei Döllel/Dreßen) und vom LG Magdeburg (RVGreport 10, 183) hingegen bejaht (s. auch Burhoff/Volpert, RVG, Vorbem. 4.2 Rn. 26). |
Checkliste 3 / Tätigkeiten in der Strafvollstreckung als Einzeltätigkeiten (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG) | |
Frage | Antwort |
| Wird der Rechtsanwalt in der Strafvollstreckung nur mit einzelnen Tätigkeiten beauftragt, gilt Teil 4 Abschn. 3 VV RVG.
Praxishinweis | Auch hier sieht das RVG zwei Gruppen von Tätigkeiten vor. |
| Zur ersten Gruppe zählt die Anfertigung oder Unterzeichnung einer Schrift in Verfahren nach den §§ 57a und 67e StGB. Dafür entsteht eine Verfahrensgebühr Nr. 4300 Ziffer 3 VV RVG. |
| Alle sonstigen Tätigkeiten in der Strafvollstreckung gehören zur zweiten Gruppe. Für diese entsteht eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Nr 6 VV RVG. |
| Nein, eine Grundgebühr entsteht für den Rechtsanwalt in der Strafvollstreckung auch nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG nicht neben den sonstigen Gebühren. |
| Nimmt der Rechtsanwalt an einem Anhörungstermin teil, entsteht keine eigentliche Terminsgebühr. Es entsteht vielmehr für die Beistandsleistung in dem Termin die Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Nr. 4 VV RVG. |
| Nein, es gelten grds. die allgemeinen Regeln (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 31 ff. und Rn. 56 ff. m.w.N.). |
| Die Antwort richtet sich nach dem dem Rechtsanwalt erteilten Einzelauftrag. Im Zweifel wird der Rechtsanwalt für jeden Anhörungstermin gesondert beauftragt sein, sodass dann die Gebühr mehrfach entstehen kann. |
| Nach Vorbem. 4.3 Abs. 3 S. 2 VV RVG ist das Beschwerdeverfahren bei einer Einzeltätigkeit ebenfalls eine besondere Angelegenheit, sodass ggf. für die Beschwerde eine besondere Verfahrens(beschwerde)gebühr entsteht. Es gelten die allgemeinen Regeln (Burhoff RVGreport 12, 12 ff.). |