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  • 27.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111773

    Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 16.09.2010 – 17 W 18/10

    Auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der gepfändete Gegenstand wertlos ist, hat der Rechtsanwalt des Vollstreckungsgläubigers für seine Tätigkeit im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht nur Anspruch auf die Mindestgebühr nach § 13 Abs. 2 RVG. Vielmehr richtet sich der Gegenstandswert der ihm zustehenden Gebühren (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG) nach den subjektiven Vorstellungen des Vollstreckungsgläubigers vom Wert des Vollstreckungsobjekts zu Beginn der anwaltlichen Tätigkeit, sofern diese hinreichend plausibel sind und eine nachvollziehbare tatsächliche Basis haben (entgegen OLG Köln Rpfleger 2001, 149, 152).


    17 W 18/10

    In Sachen

    V. St. E. eG

    - Antragstellerin / Beschwerdegegnerin -

    Prozessbevollmächtigter:

    gegen

    G. S.

    - Antragsgegner / Beschwerdeführer -

    Prozessbevollmächtigte:

    wegen Arrestpfändung

    Tenor:
    Der für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren maßgebliche Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens 17 W 18/10 wird auf Antrag der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin auf 8.750 € festgesetzt.

    Gründe
    I. Der Antrag auf "Streitwertfestsetzung" ist zulässig. Dabei handelt es sich allerdings um einen Antrag auf Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG, da die begehrte Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit die Grundlagen des Kostenfestsetzungsantrags der Antragstellerin vom 05.08.2010 klären soll. Da für das Beschwerdeverfahren auf Seiten des Gerichts lediglich eine streitwertunabhängige Festgebühr angefallen ist (vgl. Nr. 1812 KV RVG), bestand (und besteht) keine Veranlassung, für das gerichtliche Verfahren nach § 63 Abs. 2 GKG einen Streitwert festzusetzen, der dann nach § 32 RVG auch für die Rechtsanwaltsgebühren maßgeblich wäre, zumal sich der für die Gebührenberechnung relevante Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren (anders als im erstinstanzlichen und im Berufungsverfahren, vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG) gemäß § 23 Abs. 2 S. 1 RVG ohnehin nicht nach den für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wertvorschriften richtet.

    Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 33 Abs. 1 und 2 RVG sind erfüllt.

    II. Inhaltlich richtet sich der nach billigem Ermessen zu bestimmende Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens gemäß § 23 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 2 RVG in erster Linie nach dem Interesse des Antragsgegners an der Aufhebung der angefochtenen Arrestpfändungsanordnung. Dabei wird der Wert des Beschwerdeverfahrens gemäß § 23 Abs. 2 S. 2 RVG allerdings durch denjenigen des erstinstanzlichen Verfahrens über den Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses begrenzt. Dieser richtet sich wiederum gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG nach dem Betrag der zu vollstreckenden Geldforderung, höchstens jedoch nach dem Wert des zu pfändenden Gegenstands, hier also der Forderung des Antragsgegners gegen die I. V. Lebensversicherung AG aus dem Lebensversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer .....

    Deren Ablaufleistung hätte zum 01.12.2008 ohne die Umwandlung in eine Rentenversicherung nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Antragstellerin zwar ca. 65.000 € betragen. Ebenso unstreitig ist jedoch, dass die Lebensversicherung noch vor Beginn des Beschwerdeverfahrens (und wohl sogar noch vor Einreichung der Antragsschrift vom 24.11.2008 beim Landgericht) nach § 167 VVG in eine Rentenversicherung umgewandelt wurde und die in Ziff. 3 des Beschlusses des Landgerichts Karlsruhe vom 24.11.2008 angeordnete Forderungspfändung, die das Landgericht im angefochtenen Urteil vom 15.06.2009 aufrechterhalten hat, daher faktisch ins Leere gegangen ist.

    Welche Auswirkungen dies auf die nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 RVG im Vollstreckungsverfahren entstandenen Gebühren hat, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Nach einer Ansicht können die Rechtsanwaltsgebühren, wenn sich - auch nachträglich - herausstellt, dass der gepfändete Gegenstand wirtschaftlich wertlos ist, nur aus dem gesetzlichen Mindeststreitwert von 300 € (§ 13 Abs. 1 S. 1 RVG) berechnet werden, wobei dem Rechtsanwalt auch bei einem nur den Bruchteil einer vollen Gebühr ausmachenden Gebührentatbestand zumindest die Mindestgebühr von 10 € nach § 13 Abs. 2 RVG zustehe (so OLG Köln Rpfleger 2001, 149 [152]; LG Hamburg ZMR 2009, 697; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl., § 25 Rdnr. 8). Die Gegenmeinung stellt bei einem wertlosen Pfändungsobjekt auf den Wert der zu vollstreckenden Forderung ab (so LG Düsseldorf, B. v. 12.07.2005 - 19 T 154/05 -, zitiert nach juris; LG Hamburg AnwBl 2006, 499 [LG Hamburg 20.03.2006 - 322 T 10/06]; Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., § 25 RVG Rdnr. 5). Eine dritte Meinung hält den höchsten während der Zwangsvollstreckungsmaßnahme ermittelten Wert des Vollstreckungsobjekts für maßgeblich, der mangels anderweitiger Grundlagen ggf. durch anwaltliche Schätzung zu ermitteln sei (so Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 25 Rdnr. 9-15).

    Insoweit schließt sich der Senat der gegen die erstgenannte Auffassung geäußerten Kritik an, dass es der Systematik des RVG widerspricht, die Höhe des Anwaltshonorars vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig zu machen, zumal für die Bewertung einer Gebühren auslösenden Tätigkeit in der Regel auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem mit dieser Tätigkeit begonnen wird, da die Gebühren in diesem Zeitpunkt entstehen (vgl. Gerold/Schmidt/Mayer, aaO., § 8 Rdnr. 1), auch wenn der Gebührenanspruch nach § 8 Abs. 1 S. 1 RVG grundsätzlich erst mit Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit fällig wird. Andererseits steht die zweite Auffassung, die den Wert des Vollstreckungsobjekts unberücksichtigt lässt, in Widerspruch zum Wortlaut des § 25 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz RVG, denn auch (und gerade) wenn der Wert des gepfändeten Gegenstands 0 € beträgt, ist er geringer als derjenige der zu vollstreckenden Forderung. Allerdings verlangt die genannte Bestimmung nicht, strikt auf den erst nachträglich ermittelten objektiven Wert des Vollstreckungsobjekts abzustellen, sondern lässt es sich mit ihrem Wortlaut durchaus vereinbaren, den subjektiven Vorstellungen des Vollstreckungsgläubigers (bzw. seines Rechtsanwalts) vom Wert des Vollstreckungsobjekts eine maßgebliche Bedeutung zukommen zu lassen, zumindest wenn diese hinreichend plausibel sind und eine nachvollziehbare tatsächliche Basis haben. Hierdurch wird auch dem Umstand angemessen Rechnung getragen, dass es unbillig ist, das gebührenrechtliche Risiko des Erfolgs einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme einseitig dem Rechtsanwalt aufzubürden, dessen Aufwand durch die Zuerkennung der Mindestgebühr von 10 € wohl bei keiner Zwangsvollstreckungsmaßnahme gedeckt sein wird (vgl. Hartung/Römermann/Schons, aaO., Rdnr. 12 und 15).

    Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Umstand, dass die Pfändung der Forderung aus dem Lebensversicherungsvertrag ins Leere gegangen ist, für die Bemessung der im erstinstanzlichen Zwangsvollstreckungsverfahren angefallenen Rechtsanwaltsgebühren keine wertmindernde Bedeutung hat, da als Wert des gepfändeten Gegenstands im Sinne des § 25 Abs. 1 Nr. 1 2. Halbsatz RVG der - angesichts der Bonität der Drittschuldnerin sicherlich realisierbare - Nominalwert von ca. 65.000 € anzusetzen ist, den die gepfändete Forderung aus dem Lebensversicherungsvertrag vor dessen - der Antragstellerin zunächst unbekannt gebliebenen - Umwandlung in eine Rentenversicherung hatte. Dem Wert der erfolglos gepfändeten Forderung kommt für das erstinstanzliche Verfahren daher im Ergebnis keine Begrenzungsfunktion zu, da der Gegenstandswert der zu vollstreckenden Geldforderung unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragstellerin nur eine vorläufige Sicherung im Wege des Arrests begehrt hat und deshalb nur ein Bruchteil des Nominalwerts der zu vollstreckenden Forderung angesetzt werden kann, unter dem so verstandenen Wert des Vollstreckungsobjekts liegt. Da Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens nur noch der sich auf 70.000 € belaufende Teil der Ursprungsforderung von insgesamt 92.572,16 € war, für den das Landgericht den Arrest (und die Pfändungsanordnung) aufrechterhalten hat, wird der Wert der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren daher nach oben gemäß § 23 Abs. 2 S. 2 RVG durch den für das Berufungsverfahren festgesetzten Streitwert von 35.000 € begrenzt.

    Bei der nach § 23 Abs. 2 S. 1 RVG maßgeblichen Bewertung des Interesses des Antragsgegners an der Aufhebung der Pfändungsanordnung darf jedoch die weitere Entwicklung nicht außer Betracht gelassen werden. Denn als der Antragsgegner erstmals "Widerspruch" gegen den Pfändungsbeschluss vom 24.11.2008 eingelegt hat und insbesondere bei Einlegung der - insoweit als Beschwerde zu behandelnden - Berufung gegen das die Pfändung bestätigende Urteil vom 15.06.2009 war allen Beteiligten bereits bewusst, dass die Forderung aus dem Lebensversicherungsvertrag aufgrund dessen Umwandlung in eine Rentenversicherung nach § 167 VVG praktisch nicht mehr realisierbar war. Aus diesem Grund ist es auch ein Gebot der Billigkeit (§ 23 Abs. 3 S. 2 RVG), den Wert der anwaltlichen Tätigkeit im Beschwerdeverfahren deutlich niedriger anzusetzen als denjenigen des erstinstanzlichen Vollstreckungsverfahrens, zumal das Interesse des Antragsgegners an der Aufhebung der Pfändung nicht die Freigabe seiner - gar nicht mehr pfändbaren - Forderung gegen die I. V. Lebensversicherung AG aus dem Lebensversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer ....... war, sondern es ihm wohl in erster Linie darum ging, die - dann am 11.08.2009 doch erfolgte - Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 807 ZPO zu vermeiden. Aus diesem Grund bewertet der Senat die anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren mit einem Viertel des Wertes der zu vollstreckenden Arrestforderung, also mit einem Betrag von 8.750 €.

    III. Das Verfahren über den Antrag ist nach § 33 Abs. 9 S. 1 RVG gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 S. 2 1. Halbsatz RVG).

    RechtsgebieteRVG, VVGVorschriften§ 13 RVG § 25 RVG § 167 VVG