26.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112844
Oberlandesgericht Zweibrücken: Beschluss vom 10.01.2011 – 5 WF 178/10
Bei der Bestimmung des Verfahrenswertes in Ehesachen gemäß den Einkommensverhältnissen der Ehegatten sind auch gewährte Sozialleistungen - hier: Arbeitslosengeld II - zu berücksichtigen.
5 WF 178/10
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 29. Oktober 2010 wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kaiserslautern vom 26. Oktober 2010 geändert:
Der Verfahrenswert für die erste Instanz wird auf 7.077,49 € festgesetzt.
Gründe
I. Die auf die Festsetzung eines höheren Verfahrenswertes gerichtete und damit erkennbar eigenen namens eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin ist nach den §§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG, 59 Abs. 1 FamGKG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist der erforderliche Beschwerdewert von mehr als 200 € erreicht.
Der Zulässigkeit der Beschwerde steht auch nicht entgegen, dass in dem angefochtenen Beschluss der Verfahrenswert "vorläufig" auf 5.350 € (4.350 € für die Ehesache, 1.000 € für den Versorgungsausgleich) festgesetzt wurde. Diese Einschränkung beruht ersichtlich auf einem Versehen, nachdem das Verfahren durch den Beschluss vom 21. September 2010 bereits abgeschlossen war.
II. Die Beschwerde führt zu dem angestrebten Erfolg.
1. Nach § 43 Abs. 1 FamGKG ist in Ehesachen der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht unter 2.000 € und nicht über 1.000.000 € angenommen werden. Nach § 43 Abs. 2 FamGKG ist für die Einkommensverhältnisse das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen.
2. Das Familiengericht hat dafür lediglich das Erwerbseinkommen der Antragstellerin von 1.450 € monatlich berücksichtigt. Das vom Antragsgegner bezogene Arbeitslosengeld II in Höhe von 575,83 € monatlich blieb außer Ansatz.
Die Berücksichtigung von Sozialleistungen bei der Bestimmung des Verfahrenswertes, hier dem Arbeitslosengeld II, wie sie mit der Beschwerde angestrebt wird, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. etwa OLG Dresden FamRZ 2007, 1760; OLG Hamburg OLGR 2006, 269; OLG Schleswig - 2. und 4. Senat - FamRZ 2010, 1939 und FamRZ 2009, 1178, ohne Berücksichtigung von so genannten Transferleistungen; anderer Ansicht: OLG Köln FamRZ 2009, 638; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 453; OLG Schleswig - 1. Senat - FamRZ 2009, 75; OLG Oldenburg FamRZ 2009, 1177; OLG Frankfurt FamRZ 2008, 535).
Der Senat schließt sich unter Änderung der bisher üblichen Praxis der zuletzt genannten Auffassung an.
Ob der im Gesetz genannte Mindestbetrag für den Verfahrenswert als Gesichtspunkt zur Entscheidung dieser Streitfrage herangezogen werden kann, erscheint zweifelhaft.
Bei Berücksichtigung von Sozialleistungen wäre die Festlegung eines Mindestwertes dem Grundsatz nach zwar entbehrlich. Trotz zahlreicher Veränderungen im GKG bis hin zum Erlass des FamGKG hat der Gesetzgeber den Mindestbetrag von 4.000 DM beziehungsweise 2.000 € über Jahrzehnte unverändert gelassen. Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den gebührenrechtlichen Mindestwert einer Ehesache zu ändern (vgl. Götsche in Anmerkung zu OLG Köln, Urteil vom 17. 12. 2008, in juris PraxisReport). Im Rahmen der wertenden Festlegung des Verfahrenswertes nach § 43 Abs. 1 FamGKG kann bei Auslegung des Begriffs des Nettoeinkommens in § 43 Abs. 2 FamGKG jedoch berücksichtigt werden, dass zwischenzeitlich die Hilfen zum Lebensunterhalt für getrennt lebende Ehegatten den festgelegten Mindestbetrag für drei Monate bereits übersteigen (vgl. OLG Frankfurt aaO.).
Eine Auslegung des Begriffs "Nettoeinkommen" in § 43 Abs. 2 FamGKG nach unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten ist weder geboten noch weiterführend. Denn Sozialleistungen sind unterhaltsrechtlich regelmäßig je nach Empfänger (Unterhaltsberechtigter oder Unterhaltsverpflichtete) als Einkommen anzusehen oder nicht (vgl. dazu Süddeutsche Leitlinien Nr. 2.2 und 2.10). Dabei sind im Einzelfall auch wertende Entscheidungen zu treffen.
Die Festlegung des Verfahrenswertes soll von schwierigen Rechtsfragen losgelöst erfolgen können und deshalb vorrangig an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert werden. Zum Nettoeinkommen sind alle tatsächlich bezogenen Einkommen ohne weitere Differenzierung, etwa hinsichtlich des Gesichtspunktes einer Gegenleistung (auch wenn vom BVerfG zu § 48 Abs. 3 S. 1 GKG a. F., FamRZ 2006, 841, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht beanstandet), zu zählen. Bei der Festlegung des Verfahrenswertes sind somit auch Sozialleistungen zu berücksichtigen.
3. Der Verfahrenswert für die Ehesache ist dem zufolge in Abänderung der Entscheidung erster Instanz auf 6.077,49 € (1.450 € + 575,83 € = 2.025,83 € * 3), unter Berücksichtigung des für den Versorgungsausgleich angesetzten Verfahrenswertes von 1.000 € auf insgesamt 7.077,49 € festzusetzen.
III. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei, Kosten sind nicht zu erstatten, § 59 Abs. 3 FamGKG.