27.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113167
Oberlandesgericht Braunschweig: Beschluss vom 09.06.2011 – Ws 126/11
Erfolgt die Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Einschränkung, dass er sich die an den vorangehend beigeordneten Rechtsanwalt gezahlte Vergütung anrechnen lassen muss und hat sich der Rechtsanwalt mit dieser Einschränkung nicht einverstanden erklärt, so kollidiert eine solche Beschränkung mit dem Vergütungsanspruch des Verteidigers).
Ein im Voraus erklärter (teilweiser) Gebührenverzicht des neuen Pflichtverteidigers ist zulässig .
Ws 126/11
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 9. Juni 2011
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts S. wird der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 12. April 2011 dahingehend abgeändert, dass die Beschränkung der Vergütung entfällt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.
Gründe
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Der Beschwerdeführer ist mit Beschluss vom 12. April 2011 (Bl.60 d.A.) zum Pflichtverteidiger des (nunmehr) verurteilten XXX bestellt worden. Weil Herrn XXXX zu diesem Zeitpunkt bereits Rechtsanwalt L., I. als Pflichtverteidiger beigeordnet war, hat der Vorsitzende die Beiordnung eingeschränkt und in dem angefochtenen Beschluss "die bisher bei dem Rechtsanwalt Leone entstandenen Kosten in Abzug gebracht, so dass durch die Auswechselung des Pflichtverteidigers keine Mehrkosten entstehen". Hiergegen wendete sich Rechtsanwalt S. mit der Beschwerde, die er ausdrücklich "auch namens und in Vollmacht" seines Mandanten erhebt.
II.
Die Beschwerde ist gemäߧ 304 Abs. 1 StPO jedenfalls als solche des Pflichtverteidigers zulässig. Er ist durch den einschränkenden Zusatz im Beiordnungsbeschluss beschwert. Denn die Einschränkung greift in seinen Vergütungsanspruch, der sich grundsätzlich gem. § 48 Abs. 1 RVG nach dem Beiordnungsbeschluss bestimmt, ein (vgl. zur Beschwer: OLG Düsseldorf NStZ-RR 2009, S. 348). Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Angeklagte, in dessen Namen das Rechtsmittel "auch" eingelegt wurde, ebenfalls beschwert ist.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 30.05.2011 ausgeführt:
"Erfolgt die Beiordnung eines Rechtsanwalts mit der Einschränkung, dass er sich die an den vorangehend beigeordneten Rechtsanwalt gezahlte Vergütung anrechnen lassen muss und hat sich der Rechtsanwalt mit dieser Einschränkung nicht einverstanden erklärt, so kollidiert eine solche Beschränkung mit dem Vergütungsanspruch des Verteidigers (...).
Bei Erlass des angegriffenen Beschlusses vom 12.04.2011 (BI. 60 Bd. X1 d.A.) lag keine Einverständniserklärung des neuen Verteidigers hinsichtlich eines teilweisen Gebührenverzichts vor, obwohl ein solcher im Voraus erklärter teilweiser Gebührenverzicht des neuen Pflichtverteidigers als zulässig anzusehen ist und insbesondere nicht im Widerspruch zu § 49 b Abs. 1 BRAO steht (strittig, so aber die ganz überwiegende Rspr.: OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.07.2008, Ws 262/08, [...] Rn. 5; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.12.2007, 3 Ws 1205/07, [...] Rn. 12, und Thür. OLG, Beschluss vom 29.11.2005, 1 Ws 440/05, [...] Rn. 20). Es kann auch nicht von einem stillschweigenden Einverständnis des neuen Verteidigers mit einer gebührenrechtlichen Beschränkung ausgegangen werden, weil RA S. mit dem Hinweis, es bestehe kein Vertrauensverhältnis zwischen dem Verurteilten und Rechtsanwalt L. (s. BI. 67 Bd XI d.A.), ersichtlich einen wichtigen Grund für einen Anwaltswechsel und damit die Voraussetzungen für die eigene uneingeschränkte Beiordnung behauptet (OLG Schleswig, Beschluss vom 18.02.1009, 8 Ws [Anm.; WF] 27/09, [...]).
Das Fehlen dieser Einverständniserklärung hätte zwar dazu führen können, dass dem Antrag auf Beiordnung des -neuen Verteidigers nicht stattgegeben wird, da - sofern nicht ein Widerrufsgrund betreffend die vorherige Pflichtverteidigung vorliegt - hierfür grundsätzlich Voraussetzung ist, dass keine Verfahrensverzögerung eintritt und keine Mehrkosten für die Staatskasse entstehen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.12.2007, Ws 1205/07, [...] Rn. 5, jeweils m.w.N.). Die versäumte Einholung einer entsprechenden Einverständniserklärung durch das Gericht darf sich nicht zu Lasten des Verteidigers auswirken, der eine entsprechende-- Verzichtserklärung gerade nicht abgegeben hat (OLG Hamm, Beschluss vom 26.06.2006, 1 WF 157/06; [...] Rn. 10).
Bei einer derartigen Konstellation entfällt nach überwiegender Ansicht lediglich die unzulässige Beschränkung, während die Beiordnung als solche unbeschränkt bestehen bleibt (... OLG Schleswig, a.a.O.). Die erworbene Rechtsposition darf dem Beschwerdeführer wegen des Verbots einer Reformatio in peius nicht genommen werden (OLG Schleswig, a.a.O., OLG Hamm, a. a.O.). Dies gilt auch dann, wenn die Beiordnung bei einem anderen Verfahrensgang - nämlich im Falle einer vorherigen Anfrage beim beizuordnenden Rechtsanwalt und dessen Weigerung, das Einverständnis mit einer Beschränkung zu erklären - unterbleiben wäre (vgl. OLG Schleswig, a.a.O.)."
Dem tritt der Senat bei.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse, weil das Rechtsmittel Erfolg hat (MeyerGoßner, StPO, 53. Auflage, § 473 Rn. 2).