19.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113378
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 06.07.2011 – 1 Ws 209/11
Eine Terminsgebühr fällt in analoger Anwendung von Nr. 4114 VV RVG an, wenn der Verteidiger eines Angeklagten in einem gegen Dritte gerichteten Parallelverfahren, in dem er bislang nicht beteiligt ist, eine Terminsbenachrichtigung mit dem Hinweis erhält, dass beabsichtigt sei, im Termin des Parallelverfahrens beide Verfahren zu verbinden, auch wenn die Verfahrensverbindung anschließend wegen Ausbleibens der Angeklagten unterbleibt.
1 Ws 209/11
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die dem Verteidiger zu erstattenden Kosten werden auf 257,04 € festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer beantragt als Pflichtverteidiger die Festsetzung einer Terminsgebühr für einen in einem Parallelverfahren anberaumten Termin.
Gegen den Angeklagten S. M., dessen Pflichtverteidiger der Beschwerdeführer ist, und den Angeklagten Sh. M. wurde auf Grund der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 2. Juni 2005, mit der den Angeklagten (sowie weiteren Angeklagten) diverse Taten des bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen werden, vor dem Landgericht Hannover die Hauptverhandlung durchgeführt. Zu dem Verfahren war vorübergehend verbunden ein Verfahren gegen den weiteren Angeklagten R. M. auf Grund der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hannover vom 15. Juli 2005.
Durch Beschluss des Landgerichts Hannover vom 3. Dezember 2007 wurde das Verfahren gegen S. M. und Sh. M. wieder abgetrennt. die Hauptverhandlung im abgetrennten Verfahren wurde nach Aufhebung der Haftbefehle am 26. August 2008 ausgesetzt.
Das gegen den Angeklagten R. M. am 28. Mai 2008 ergangene Urteil hob der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 18. Juni 2009 auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover.
Sämtliche Angeklagte haben Deutschland verlassen und sind unbekannten Aufenthalts.
Durch Schreiben vom 30. September 2009 hörte der Vorsitzende der 12. großen Strafkammer, bei der die zurückverwiesene Sache gegen R. M. anhängig ist (Verfahren 46 KLs 19/09), den Beschwerdeführer sowie die weiteren Verteidiger der drei Angeklagten zu einer möglichen - erneuten - Verbindung des zurückverwiesenen Verfahrens u.a. mit dem ausgesetzten, noch bei der 3. großen Strafkammer anhängigen Verfahren gegen Sh. M. und S. M. (Verfahren 46 KLs 24/09), an. Zugleich teilte er die mit den Verteidigerbüros für den Fall der Verbindung abgestimmten Hauptverhandlungstage mit. Durch Schreiben vom 30. Oktober 2009 teilte der Vorsitzende der 12. Strafkammer dem Beschwerdeführer im Verfahren 46 KLs 19/09 erneut die Hauptverhandlungstage mit, beginnend ab dem 18. Dezember 2009. Das Schreiben ist überschrieben mit "in der Strafsache gegen S. M. u.a....".
Der Beschwerdeführer fand sich am 18. Dezember 2010 zu dem anberaumten Termin ein. sämtliche Angeklagte erschienen nicht. Eine Verhandlung zur Sache fand nicht statt. die Verfahren wurden nicht verbunden.
Durch Beschluss vom 2. Februar 2011 wies die Rechtspflegerin den Antrag des Beschwerdeführers vom 18. Januar 2010 auf Festsetzung einer Terminsgebühr für den Hauptverhandlungstermin am 18. Dezember 2009 zurück, weil er im Verfahren 46 KLs 24/09, in dem der Beschwerdeführer dem Angeklagten S. M. beigeordnet ist, nicht zum Termin am 18. Dezember 2009 geladen worden sei. Der Beschwerdeführer sei auch nicht im Verfahren 46 KLs 19/09, an dem er bislang gar nicht beteiligt sei, geladen worden, sondern habe nur eine Terminsnachricht erhalten.
Die gegen diesen Beschluss gerichtete Erinnerung wies die 3. große Strafkammer durch Beschluss vom 2. Mai 2011 zurück.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers, mit der er weiterhin Festsetzung einer Terminsgebühr anstrebt.
II. Die gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Dem Beschwerdeführer steht eine Terminsgebühr für die - gescheiterte - Hauptverhandlung am 18. Dezember 2009 in analoger Anwendung von Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 216,€ zzgl. Mehrwertsteuer zu.
Zutreffend weist das Landgericht zwar darauf hin, dass sich ein Gebührenerstattungsanspruch nach dem Wortlaut von Nr. 4114 VV RVG ausscheidet. Der Termin am 18. Dezember 2009 war - trotz der irrtümlichen Bezeichnung des Angeklagten in der Terminsnachricht vom 30. Oktober 2009 - nicht in dem gegen den Angeklagten S. M. geführten Verfahren (33 KLs 24/09) anberaumt, sondern in dem Parallelverfahren gegen den dortigen Angeklagten R. M. (46 KLs 19/09). Dementsprechend war der Beschwerdeführer in dem terminierten Verfahren nicht beigeordnet und zu dem Termin am 18. Dezember 2009 nicht geladen worden, sondern hatte lediglich eine Terminsnachricht erhalten.
Darauf kommt es für die Entscheidung jedoch nicht an. Die Umstände der Terminsmitteilung an den Beschwerdeführer sind im konkreten Fall einer Ladung zu einem Hauptverhandlungstermin derart vergleichbar, dass der Gebührenanspruch in analoger Anwendung von Nr. 4114 VV RVG entstanden ist.
Nach dem Wortlaut des Hinweisschreibens vom 30. September 2009 beabsichtigte das Gericht im - terminierten - Parallelverfahren gegen den dortigen Angeklagten R. M. (46 KLs 19/09), für den Fall des Erscheinens des Angeklagten im Parallelverfahren und beider Angeklagter in dieser Sache die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Nur vor diesem Hintergrund ist auch die Terminsnachricht vom 30. Oktober 2009 im Parallelverfahren 46 KLs 19/09, die ausdrücklich auch an den Beschwerdeführer in dieser Sache ergangen ist, zu erklären. Aus Sicht des Beschwerdeführers konnte dieser erwarten, dass - für den Fall des Erscheinens sämtlicher Angeklagten - am 18. Dezember 2009 über die Verbindung der Verfahren entschieden würde und das Gericht gegebenenfalls darauf hinwirken würde, unter Verzicht auf Ladungsfristen die dann verbundenen Verfahren noch an diesem Tag zu verhandeln. Anderenfalls wäre die Terminsnachricht entbehrlich gewesen.
Dass die Angeklagten tatsächlich im Termin nicht erschienen sind, hindert die Entstehung der Terminsgebühr nicht. Nach Vorb. 4. Abs. 3 Satz 2 VV RVG erhält der Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet.
Anders als im Parallelverfahren (Entscheidung des Senats vom 22. Oktober 2010, 1 Ws 547/10) bestehen hier keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer das Ausbleiben des Angeklagten bekannt war oder aus Umständen bekannt sein musste, von denen das Gericht keine Kenntnis hatte. Die evidente Unsicherheit, ob der Termin wegen des unbekannten Aufenthalts sämtlicher Angeklagten im Ausland überhaupt durchgeführt werden konnte, kann dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden. Denn das Gericht hatte sich in Kenntnis dieser Umstände gleichwohl entschieden, den Termin - im Parallelverfahren - anzuberaumen und dem Beschwerdeführer eine Terminsnachricht zukommen zu lassen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.