18.11.2011 · IWW-Abrufnummer 113724
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 10.05.2011 – 2 W 15/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf
I-2 W 15/11
Tenor:
I. Die Beschwerde der Klägerin gegen den Streitwertbeschluss der
4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 16. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III. Die Klägerin und ihre Prozessbevollmächtigten erhalten Gelegenheit, binnen 3 Wochen zu dem gegen sie bestehenden Verdacht eines gemeinschaftlichen versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse Stellung zu nehmen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Streitwertbeschluss des Landgerichts, mit der sie eine Herabsetzung des vom Landgericht auf 30.000.000,-- € festgesetzten Streitwertes auf einen Betrag von 11.150.000,-- € begehrt, ist gemäß § 68 Abs. 1 GKG statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache bleibt die Streitwertbeschwerde jedoch ohne Erfolg.
I.
1. Der Streitwert ist vom Gericht gem äß § 51 Abs. 1 GKG nach freiem Ermessen festzusetzen. Maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse, das der Kläger mit seiner Klage objektiv verfolgt, wobei es für die erste Instanz auf die Verhältnisse bei Klageeinreichung und für die zweite Instanz auf die Verhältnisse bei Berufungseinlegung ankommt (§ 40 GKG).
Ist Gegenstand des Verfahrens – wie meist – ein Unterlassungsanspruch, ist entscheidend, mit welchen Nachteilen der Kläger bei einer Fortsetzung des beanstandeten patentverletzenden Verhaltens rechnen muss. Die Streitwertfestsetzung hat insoweit dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Rechtsschutzziel nicht in einer Sanktion für den oder die bereits vorliegenden, die Wiederholungsgefahr begründenden Verstöße besteht, sondern dahin geht, den Kläger vor künftigen Verletzungshandlungen zu bewahren. Das Interesse an der Rechtsverfolgung richtet sich demgemäß weniger nach dem mit der begangenen Zuwiderhandlung verbundenen wirtschaftlichen Schaden der Partei; ausschlaggebend ist vielmehr das wirtschaftliche Interesse an einer Abwehr der mit weiteren Verstößen verbundenen Nachteile. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang zunächst die bei Klageerhebung noch gegebene Restlaufzeit des Klagepatents. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus einerseits die Verhältnisse beim Kläger (wie dessen Umsatz, Größe und Marktstellung), die Aufschluss über den voraussichtlich drohenden Schaden geben, andererseits Art, Ausmaß und Schädlichkeit der Verletzungshandlung sowie die Intensität der Begehungs- oder Wiederholungsgefahr. Werden mit der Klage außerdem Ansprüche auf Rechnungslegung, Entschädigung und Schadenersatz geltend gemacht, so ist der in der Vergangenheit (bis zur Einreichung der Klage) bereits entstandene Kompensationsanspruch überschlägig zu schätzen und der entsprechende Betrag dem Streitwert für den Unterlassungsanspruch hinzuzurechnen, um einen Gesamtstreitwert zu bilden.
Rechnerisch kann zu diesem Zweck eine über die restliche Laufzeit des Patents angestellte Lizenzbetrachtung angestellt werden, indem diejenigen Lizenzgebühren ermittelt werden, die dem Kläger mutmaßlich zustehen würden, wenn die Verletzungshandlungen bis zum Ablauf des Klagepatents fortgesetzt werden. Unterhalb des sich hiernach ergebenden Betrages wird der Streitwert für die auch auf Unterlassung gerichtete Klage nicht festgesetzt werden können (Senat, InstGE 12, 7, 8 – Du sollst nicht lügen!). Die Lizenzberechnung stellt hierbei keinen Höheprozess dar; vielmehr hat eine bloß überschlägige Ermittlung stattzufinden, wobei allerdings regelmäßig ein Lizenzsatz am obersten denkbaren Rahmen anzusetzen ist. Letzteres trägt insbesondere der Tatsache Rechnung, dass die Lizenzanalogie erfahrungsgemäß nur den geringstmöglichen Schadenersatzbetrag ergeben wird, der von dem herauszugebenden Verletzergewinn oder dem zu ersetzenden entgangenen eigenen Gewinn (die mangels Kenntnis von den berechnungsrelevanten Geschäftsdaten für die Streitwertbemessung nicht zur Verfügung stehen werden) – ggf. deutlich – übertroffen werden wird.
2.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist die vom Landgericht vorgenommene Streitwertfestsetzung auf 30.000.000,-- € nicht zu beanstanden.
a)
Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift vom 7. Januar 2009 den Streitwert mit 5.000.000,-- € angegeben. Diese Wertangabe ist schon nach ihren eigenen Darlegungen in der Beschwerdeinstanz deutlich zu niedrig bemessen. Den maßgeblichen Gesamtumsatz der Beklagten in der Zeit von 2006 bis zum voraussichtlichen Ablauf des Klagepatents am 30. Juni 2012 gibt die Klägerin nach Auswertung verschiedener von ihr herangezogener Quellen selbst mit 2.028.000.000,-- € an, wobei auf die Jahre 2006 bis 2010 ein Umsatz von 1.162.000.000,-- € und auf die Zeit von 2011 bis zum Ablauf des Klagepatents ein prognostizierter Umsatz von 866.000.000,-- € entfällt. Auf diese Beträge ist – wie die Klägerin einräumt – ein von ihr den Beklagten selbst vorgerichtlich im Rahmen eines Vergleichsangebotes unterbreiteter Lizenzsatz von (mindestens) 0,5 % anzuwenden, was einen Streitwert von 11.150.000,-- € ergibt. Ihn bringt die Klägerin - anstelle des in der Klageschrift noch angegebenen Betrages von lediglich 5.000.000,-- € - nunmehr selbst in Ansatz.
b)
Auch mit einem Betrag von 11.150.000,-- € ist der Streitwert jedoch – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – viel zu niedrig bemessen.
Bei der Festsetzung des Streitwertes ist das Gericht an eine Wertangabe der Parteien, mag sie ggf. auch übereinstimmend erfolgt oder von der gegnerischen Seite unwidersprochen geblieben sein, nicht gebunden. Vorliegend ist es deshalb ohne jede Bedeutung, dass weder die Beklagten noch ihre Streithelfer der ursprünglichen Wertangabe der Klägerin von 5.000.000,-- € entgegengetreten sind. Nach den Erfahrungen des Senats stellt es eine nicht nur gelegentliche, sondern mittlerweile beinahe regelmäßige Praxis dar, dass, solange der Prozesserfolg und damit die letztlich kostenpflichtige Partei noch nicht sicher abzusehen sind, beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zu niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten "zu sparen". Ihre Ursache hat diese Erscheinung in der Tatsache, dass die Parteivertreter (jedenfalls in größeren Verfahren) ihre eigenen Anwaltsgebühren nicht mehr streitwertabhängig, sondern nach Stundensätzen und Stundenaufwand abrechnen. Anders als früher berührt eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung deswegen nicht mehr den eigenen Honoraranspruch des Anwalts, der die zu niedrige Streitwertangabe macht oder hinnimmt, sondern sie wirkt sich einseitig nur noch zu Lasten der Landeskasse aus. Aus verschiedenen Äußerungen von Anwälten weiß der Senat, dass die zu niedrige Streitwertangabe in solchen Fällen nicht versehentlich erfolgt, sondern in der direkten Absicht, durch die mittels der betragsmäßig untersetzten Streitwertangabe "eingesparten" Gerichtsgebühren weiteren Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu gewinnen.
Es liegt auf der Hand, dass eine solche bewusste Vorenthaltung von der Landeskasse zustehenden Gerichtsgebühren nicht hingenommen werden kann und auf sie mit einer der Sachlage angemessenen Anhebung des Streitwertes reagiert werden muss. Nicht selten versuchen die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten freilich, dieses Vorhaben dadurch zu torpedieren, dass dem Gericht diejenigen Daten (Verkaufspreise, Umsatzzahlen, Marktanteile) vorenthalten werden, auf die es mangels eigener Kenntnis für eine Bemessung des tatsächlichen Rechtsverfolgungsinteresses angewiesen ist. Der in diesem Zusammenhang gerne bemühte Hinweis, keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Geschäftsdaten zu haben und deshalb bedauerlicherweise bei der Aufklärung der Bemessungsfaktoren für den Streitwert keine Hilfe leisten zu können, ist in aller Regel bloß vorgeschoben. Am Markt tätige Unternehmen wissen selbstverständlich um die Marktpräsenz ihres Prozessgegners. Es bedarf keiner Erläuterung, dass vor diesem Verhalten nicht kapituliert werden darf, weswegen es nicht nur zulässig, sondern im Interesse der gebotenen Durchsetzung des der Landeskasse zustehenden Gebührenanspruchs geradezu notwendig ist, dem in geeigneter Weise zu begegnen. Dies kann dadurch geschehen, dass in Fällen, in denen die Parteien ihre Mitwirkung an einer sachgerechten Streitwertfestsetzung verweigern, vom Gericht ein Streitwert geschätzt wird, der so hoch ist, dass er die Parteien zuverlässig motiviert, z.B. im Rahmen eines Antrages auf Streitwertkorrektur ihrer Mitwirkungspflicht wahrheitsgemäß nachzukommen.
Exakt so ist im Streitfall auch das Landgericht verfahren. Wie der Senat im Wege des Freibeweises durch telefonische Rückfrage beim Kammervorsitzenden ermittelt hat, ist dort zu Beginn der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Frage aufgeworfen worden, dass der angegebene Streitwert von 5.000.000,-- € zu gering erscheint und die Kammer substanzielle Darlegungen erwartet, die den Streitwertansatz plausibel machen. Sämtliche Verfahrensbeteiligten haben sich daraufhin ahnungslos gegeben und sich darauf zurückgezogen, die für die Streitwertbemessung relevanten Geschäftsdaten nicht zu kennen. Zu Recht hat das Landgericht diese Einlassungen für unglaubhaft und vorgeschoben gehalten und sich veranlasst gesehen, den Streitwert auf einen ihm angemessen erscheinenden, hinreichend hohen Betrag zu schätzen.
c)
Die dabei in Ansatz gebrachte Summe von 30.000.000,-- € erweist sich auch angesichts des von der Klägerin mit der Beschwerdebegründung nachgelieferten Zahlenmaterials als weiterhin gerechtfertigt.
Im Rahmen der Streitwertbemessung ist auf die von der Klägerin mitgeteilten Umsätze von 2.028.000.000,-- € ein Lizenzsatz von 1,5 % anzuwenden. Zwar hat die Klägerin in ihrem vorgerichtlichen Vergleichsangebot noch einen Lizenzsatz von lediglich 0,5 % angesetzt. Dass damit das wirkliche Rechtsverfolgungsinteresse der Klägerin noch nicht erfasst ist, ergibt sich allerdings bereits daraus, dass das Vergleichsangebot einen Rechtsstreit mit den Beklagten, dessen Ausgang naturgemäß ungewiss war, vermeiden sollte und allein deswegen moderat sein musste, und findet seine weitere Bestätigung darin, dass die Klägerin in ihrem Beschwerdeschriftsatz vom 24. März 2011 (Seite 2) ganz besonderen Wert darauf legt, für den Fall eines erfolgreichen Abschlusses des Rechtsstreits an den vorgerichtlich unterbreiteten Lizenzsatz von 0,5 % nicht gebunden zu sein, sondern einen höheren Lizenzsatz fordern und gerichtlich geltend machen zu können. Bereits dieser Sachverhalt gestattet es – vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der Streitwertfestsetzung regelmäßig ein Lizenzsatz am obersten denkbaren Rahmen anzusetzen ist – den vorprozessualen Lizenzsatz von 0,5 % zu verdoppeln. Hinzu kommt, dass die Klägerin, sollte sie im Rechtsstreit obsiegen, in eine Situation kommt, bei der sie wegen der Standardbezogenheit des Klageschutzrechts einen Marktauftritt der Beklagten im Bereich der UMTS-Technik insgesamt gefährden kann. Die Beklagten werden deshalb gezwungen sein, auch auf außerordentlich hohe, über die Wertigkeit des Klageschutzrechts als solches hinausgehende Lizenzforderungen der Klägerin eingehen zu müssen. Die Klägerin umgekehrt ist sich dessen selbstverständlich bewusst und wird die Zwangslage der Beklagten für sich auszunutzen wissen. Das lässt es ohne weiteres als realistisch erscheinen, dass die Klägerin im Falle einer Verurteilung der Beklagten einen Lizenzsatz von 1,5 % oder mehr für sich reklamieren wird.
3. Soweit das Bundespatentgericht den Gegenstandswert im anhängigen Nichtigkeitsverfahren im Verhältnis zur Beklagten zu 1. auf 5.000.000,-- €, im Verhältnis zur Muttergesellschaft der Streithelferin zu 1. auf 4.000.000,-- € und im Verhältnis zur Streithelferin zu 2. auf ebenfalls 4.000.000,-- € festgesetzt hat, gibt dies zu einer niedrigeren Festsetzung des Streitwertes im vorliegenden Verletzungsverfahren keinen Anlass. Der Beschluss des Bundespatentgerichts entfaltet für das Verletzungsgericht keinerlei Bindungswirkung. Nach welchen Kriterien und aufgrund welcher Umstände das Bundespatentgericht den Streitwert im Nichtigkeitsverfahren festgesetzt hat, ist dem Streitwertbeschluss des Bundespatentgerichts nicht zu entnehmen. Die von der Klägerin nunmehr präsentierten Umsatzzahlen der Beklagten haben dem Bundespatentgericht im Zweifel noch nicht vorgelegen.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.
III.
Aufgrund der vorstehenden Darlegungen besteht gegenüber der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten der Verdacht eines versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse. Bevor der Senat weitere straf- und berufsrechtliche Maßnahmen in Erwägung zieht, erhalten die Klägerin und ihre Anwälte rechtliches Gehör.