24.11.2011 · IWW-Abrufnummer 113857
Oberlandesgericht Braunschweig: Beschluss vom 14.10.2011 – 2 W 92/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Braunschweig
2 W 92/11
9 O 1026/11 (142) Landgericht Braunschweig
Beschluss
In der Beschwerdesache XXX
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX sowie die Richter am Oberlandesgericht XXX und XXX
am 14. Oktober 2011 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Streitwertfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 21.06.2011 teilweise abgeändert und der Streitwert anderweitig auf
600,00 €
festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Gründe:
I.
Mit Klageschrift vom 21.04.2011 hat der Kläger unter einer geschätzten Streitwertangabe i. H. v. 6.300,00 € einen Unterlassungsantrag wegen der Verwendung eines Fotos durch den Beklagten bei EBay sowie Schadensersatz i. H. v. 300,00 € (150,00 € Lizenzschaden zzgl. 100 % Verletzerzuschlag) und einen Freistellungsanspruch wegen angefallener Rechtsanwaltsgebühren i. H. v. 100,00 € geltend gemacht. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat das Landgericht Braunschweig mit Beschluss vom 21.06.2011 den Streitwert entsprechend der Anregung des Klägers auf 6.300,00 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, die mit Schreiben vom 22.07.2011 am 25.07.2011 bei Gericht eingegangen ist. Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Streitwert für den Unterlassungsanspruch nicht höher als der von ihm durch Verkauf des auf dem Foto abgelichteten Mischpults erzielte Verkaufspreis liegen könne. Der Kläger ist der Streitwertbeschwerde entgegengetreten; das Landgericht Braunschweig hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19.08.2011 nicht abgeholfen.
II.
Die gem. § 68 Abs. 1 GKG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Der vom Kläger genannte Streitwert für den Unterlassungsanspruch (6.000,00 €) berücksichtigt nicht die maßgeblichen Bewertungsgesichtspunkte und wird deshalb dem am Maßstab des § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO auszuübenden billigen Ermessen nicht mehr gerecht. Ausgangspunkt für die Bemessung des Gegenstandswertes einer Unterlassungsklage ist das Interesse des Klägers an der Rechtsdurchsetzung bei einer "ex ante" Betrachtung, wobei dieses Interesse vom Gericht nach freiem Ermessen geschätzt werden muss, § 3 ZPO. Zu berücksichtigen ist im Urheberrecht deshalb, wie und in welchem Umfang das geschützte Recht verletzt wird und inwieweit dadurch das wirtschaftliche Interesse des Urheberrechtsinhabers betroffen ist. Maßgeblich sind dabei der wirtschaftliche Wert des Urheberrechts und der Angriffsfaktor der Rechtsverletzung.
Bereits dieser Ansatz macht deutlich, dass diese Bewertungsfaktoren nicht für alle Urheberrechtsverletzungen zu einem mehr oder weniger einheitlichen Streitwert führen. Zu beachten ist nämlich, dass das Interesse des Urhebers an der Unterlassung unterschiedlich geprägt sein kann. Handelt es sich um ein Urheberrecht an einem Werk, das der Urheber vermarktet, zielt sein Unterlassungsanspruch gegen nicht genehmigte Nutzungen im Wesentlichen darauf ab, dieses Lizenzinteresse zu sichern. Bei einer solchen Interessenlage ist es sachgerecht, für die Streitwertbemessung auf den vom Urheber aufgezeigten drohenden Lizenzschaden abzustellen. Das Interesse eines Urhebers, Rechtsverletzungen zukünftig zu unterbinden, ist aber nicht zwangsläufig auf einen (Lizenz)Vertragsschluss mit dem Rechtsverletzer gerichtet noch wird es durch die möglichen Einnahmen des Klägers durch einen solchen Vertragsschluss stets begrenzt. Vielmehr kann es dem Urheber auch um die wirkungsvolle Abwehr nachhaltiger und eklatanter Verstöße gegen seine geistigen Schutzrechte gehen und dieses Interesse sogar im Vordergrund stehen. Wird das Werk z. B. vom Urheber in der Werbung für seine eigenen Produkte verwendet, kann der Urheber ein beachtenswertes Interesse daran haben, dass überhaupt niemand sonst sein Werk zur Werbung nutzt. Ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass der erhoffte Werbeerfolg bei dem vom Urheber beworbenen Produkt ausbleibt bzw. durch die Drittverwendung abgeschwächt wird. Die Abwehr solcher Folgeschäden ist dann bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen. Schließlich ist aber auch denkbar, dass der Urheber überhaupt keine Vermarktung seines Werkes wünscht, also gar kein Lizenzierungsinteresse hat und es ihm nur um die Achtung seiner schöpferischen Leistung geht, so dass ein immaterielles Interesse bei der Streitwertbemessung den Ausschlag gibt.
Vorliegend hat der Beklagte ein vom Kläger gefertigtes Produktfoto für einen privaten EBay-Verkauf verwendet. Der Kläger selbst hat dieses erstellt, um das von ihm auf dem Lichtbild abgebildete Mischpult bei seinem eigenen Internetauftritt in seinem Internetshop werbewirksam neben einer textlichen Beschreibung bildlich zu präsentieren und zum Kauf anzubieten. Infolgedessen hat er ein Interesse daran, dass dieses Bild nicht von Konkurrenten genutzt wird, weil ein weiteres Angebot mit diesem Bild seinem eigenen Auftritt die Einmaligkeit nimmt. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass die Ablichtung eines Mischpultes in der vom Kläger vorgenommenen Art und Weise zwar einigen technischen Aufwand erfordert, jedoch das Urheberrecht an einem so gefertigten Foto keinen Motivschutz gewährt. Der Kläger ist deshalb nicht davor geschützt, dass nicht auch andere das auf dem Bild abgelichtete Mischpult in ähnlicher Art und Weise ebenfalls bildlich festhalten und diese so gefertigten Fotos bei ihrem Verkauf einsetzen. Dass danach beschriebene Abwehrinteresse des Klägers lässt sich damit nicht konkret beziffern. Aus der im gewerblichen Rechtsschutz anerkannten Methode der dreifachen Schadensberechnung, die der Gesetzgeber für das Urheberrecht mit § 97 Abs. 2 UrhG kodifiziert hat, ergibt sich jedoch, dass ein Schaden mittels der Lizenzanalogie beziffert werden kann. Da der Unterlassungsanspruch darauf abzielt, zukünftige Schäden zu verhindern, erscheint es in einem solchen Fall sachgerecht, das mit dem Unterlassungsanspruch verfolgte Abwehrinteresse für die Streitwertbemessung dann unter Berücksichtigung dieses Rechtsgedankens zu bemessen.
Ein gewichtiges Indiz für die Schätzung des mit dem Unterlassungsantrag abzuwehrenden Lizenzschadens sind dabei die Angaben der klagenden Partei in der Klageschrift. Diese sind noch unbeeinflusst vom Ausgang des Rechtsstreits und können deshalb regelmäßig der Streitwertschätzung zugrunde gelegt werden, es sei denn, dass sich aus den von der klagenden Partei mitgeteilten Umständen deren offenkundige Fehlerhaftigkeit ergibt. Eine Prüfung dahingehend, ob der vom Kläger benannte Lizenzsatz marktgerecht ist, findet hingegen bei der Streitwertbemessung nicht statt, weil diese sich eben an den Vorstellungen des Klägers orientiert.
Den Lizenzsatz für das vom Beklagten genutzte Bild hat der Kläger mit 150,00 € bemessen. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass sich die Verteidigung von Urheberrechten mit einem Unterlassungsanspruch nicht auf das Verfolgungsinteresse innerhalb des jeweiligen (potenziellen) Lizenzverhältnisses beschränkt, ist es weiter sachgerecht, diesen Lizenzsatz für die Streitwertbemessung des Unterlassungsanspruchs grds. zu verdoppeln, weil mit dem Unterlassungsanspruch eben gleichgerichtete weitere Verletzungen verhindert werden sollen. Dies gilt zumindest dann, wenn wie hier das Bild lediglich für einen privaten Ebay-Verkauf verwendet worden ist und keine weiteren konkreten Anhaltspunkte für eine umfassendere Nutzung des Bildes durch den Verletzer dargetan werden, die einen höheren Multiplikations-Faktor rechtfertigen. Der Streitwert für den Unterlassungsantrag beläuft sich danach auf 300,00 €.
Soweit der Kläger meint, dass sich die lange Laufzeit des Urheberrechts streitwerterhöhend auswirken müsse, weil danach über längere Zeit Verletzungen drohen, wird verkannt, dass die Nutzung seines Fotos im Lizenzwege durch das abgebildete Motiv maßgeblich beschränkt wird. Es handelt sich um Funktionsfotographie, die wirtschaftlich zeitlich nur begrenzt vermarktungsfähig ist. Schließlich ist das Foto für den Verkauf des dort abgebildeten Produktes nur so lange von Interesse, wie ein Markt für das abgebildete Produkt besteht. Da es sich bei einem Mischpult um ein technisches Produkt aus einem Bereich mit raschen, ständig neuen Innovationen handelt, bietet die Dauer des Urheberrechts für die Streitwertbemessung keinen relevanten Anknüpfungspunkt. Im Übrigen ist bei einem Privatverkauf die Gefahr weiterer Verletzungen schon deshalb minimiert, weil ein Privatanbieter meist nur Einzelstücke zum Verkauf anbietet.
Der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Ansicht, dass der Streitwert bei solcher Art Unterlassungsansprüchen aus Gründen der Abschreckung zu erhöhen sei (vgl. exemplarisch OLG Hamburg GRUR-RR 2004, 342 - Kartenausschnitte; GRUR-RR 2007, 375 - Filesharing und OLG Rostock WRP 2007, 1264), vermag der Senat nicht zu folgen (so auch im Ergebnis OLG Schleswig GRUR-RR 2010, 126). Generalpräventive Erwägungen müssen bei der Streitwertfestsetzung, auf deren Grundlage die Gerichts- und Rechtsanwaltsgebühren festgesetzt werden, außer Betracht bleiben. Hierbei handelt es sich um einen im Strafrecht anerkannten Strafzweck, der zum Strafmonopol des Staates gehört und kein beachtenswertes Interesse einer Partei im Zivilverfahren bei der Streitwertbemessung darstellen kann. Hinzu kommt, dass ein erhöhter Streitwert für den Unterlassungsanspruch auch tatsächlich nicht im Interesse des Urhebers liegt, sondern diesen sogar beschwert. Die Notwendigkeit der vorgerichtlichen Abmahnung des Verletzten zur Vermeidung einer Kostenentscheidung nach § 93 ZPO verbunden mit der Kostendeckelung gem. § 97a Abs. 2 UrhG führt nämlich dazu, dass der Urheber einen Teil seiner Kosten für die Abmahnung nach einem "so erhöhten" Streitwert selbst zu tragen hat. Das, was zur Abschreckung des Verletzers gedacht ist, trifft damit den Verletzten, mithin den Urheberrechtsinhaber selbst. Darüber hinaus wird ein Urheber, der sich für eine Klage entscheidet, auch immer bedenken, dass er selbst im Falle des Obsiegens die von ihm verauslagten Kosten nicht in jedem Fall erfolgreich beitreiben kann. Sofern der Verletzer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, wird der Kläger zumindest auf Zeit diese Kosten selbst tragen müssen, so dass er auch deshalb nicht nach dem Maßstab generalpräventiver Erwägungen ein Interesse an einer Heraufsetzung des Streitwertes hat.
Auch das Argument, dass der Gesichtspunkt der Abschreckung der vom Gesetzgeber gewollten Schutzverbesserung geistigen Eigentums entspreche, trägt bei näherer Betrachtung vor diesem Hintergrund nicht. Schließlich führt die so erfolgte Streitwerterhöhung zu einem erhöhten Kostenrisiko des Urhebers und erschwert deshalb auch seine Rechtsverfolgung im Falle von Urheberrechtsverstößen. Soweit der Urheber ein Interesse an einer strafrechtlichen Verfolgung hat, kann er hierzu einen Strafantrag stellen, sofern der Urheberrechtsverstoß zugleich eine Straftat im Sinne des § 106 Abs. 1 UrhG darstellt. In einem solchen Verfahren können bei einer Strafzumessung ggfs. generalpräventive Erwägungen berücksichtigt werden.
Dass bei einer solchen Art Streitwertbemessung für eine Vielzahl von Verfahren nicht mehr die bei den Landgerichten eingerichteten Spezialkammern für Urheberrechtsverstöße sachlich zuständig sind, sondern die Amtsgerichte (§ 23 GVG), ist eine hinzunehmende Folge, die nur der Gesetzgeber - so wie im Wettbewerbsrecht (§ 13 Abs. 1 S. 1 UWG) und Markenrecht (§ 140 Abs. 1 MarkenG) auch geschehen - durch die Schaffung einer streitwertunabhängigen Zuständigkeit der Landgerichte bei Urheberrechtsverletzungen ändern kann.
2. Der somit für den Unterlassungsanspruch zu berücksichtigende Streitwert i. H. v. 300,00 € ist wegen des weiterhin gestellten Zahlungsantrages i. H. v. 300,00 € entsprechend auf 600,00 € zu erhöhen. Der mit dem Klagantrag geltend gemachte Befreiungsanspruch bezogen auf vorgerichtliche anwaltliche Kosten wirkt sich bei der Streitwertbemessung gem. § 4 Abs. 1 ZPO nicht aus, weil es sich um Nebenkosten handelt.
3. Die Kostenentscheidung für diesen Beschluss folgt aus § 68 Abs. 3 GKG.