24.11.2011 · IWW-Abrufnummer 113860
Landgericht Kleve: Beschluss vom 11.08.2011 – 120 Qs 68/11
Die nach einem Anwaltswechsel entstandene weitere Grundgebühr (VV 4100 RVG) ist als notwendige Auslage gegenüber der Staatskasse nur dann erstattungsfähig, wenn in der Person des Anwalts ein Wechsel eintreten musste.
Der Verteidiger kann grundsätzlich die Erstattung der Kosten für die Kopien der gesamten Gerichtsakte verlangen.
Datum:11.08.2011
Landgericht Kleve
2. Strafkammer des Landgerichts Kleve
Beschluss
120 Qs 68/11
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14.06.2011 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts xy vom 01.06.2011 dahingehend ergänzt, dass die dem Verurteilten aus der Landeskasse gemäß § 473 StPO zu erstattenden notwendigen Auslagen auf weitere 38,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 20.12.2010 festgesetzt werden.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten der Beschwerde.
G r ü n d e:
I.)
Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht xy wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 9 Monaten verurteilt. Auf seine Berufung wurde das Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, so dass die Kostenentscheidung dahingehend lautete, dass der Staatskasse die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt wurden. Erstinstanzlich wurde der Beschwerdeführer von Rechtsanwalt M aus l als Pflichtverteidiger vertreten, im Berufungsverfahren trat ausschließlich Rechtsanwalt K aus d als Wahlverteidiger auf, die Beiordnung des Rechtsanwalts M nahm das Landgericht daher zurück (Bl. 147 d.A.).
Im Kostenfestsetzungsverfahren setzte das Amtsgericht mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 01.06.2011 statt der von Rechtsanwalt K beantragten 1.295,26 Euro lediglich einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.014,36 Euro zuzüglich Zinsen fest, weil es die Grundgebühr für Verteidiger (VV 4100 RVG) sowie den Großteil der Kopierkosten (VV 7000 RVG) abzog (Bl. 220 d.A.).
Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Grundgebühr sei aufgrund des Anwaltswechsels neu entstanden. Die Notwendigkeit des Anwaltswechsels ergebe sich bereits daraus, dass erstinstanzlich ein Urteil ohne Bewährung erging, gegen das der Verurteilte sich wenden wollte.
II.)
Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde nach §§ 464b StPO, 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zulässig, insbesondere liegt der Beschwerdegegenstand über 200 Euro (§ 304 Abs. 2 StPO) und das Rechtsmittel wurde auch innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt.
Die sofortige Beschwerde ist allerdings nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Grundgebühr
Wie das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt hat, ist die Grundgebühr nach VV 4100 RVG zwar auch für Rechtsanwalt K entstanden, jedoch gegenüber der Staatskasse nicht erstattungsfähig.
Da die Grundgebühr die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abdeckt und sich Rechtsanwalt K - ebenso wie zuvor sein Kollege Rechtsanwalt M - in den Fall einarbeiten musste, ist die Gebühr entstanden. Erstattungsfähig sind aber lediglich, wie auch im Kostenausspruch des Landgerichts zum Ausdruck gekommen ist, die notwendigen Auslagen. Welche Auslagen eines Beteiligten notwendig sind, bestimmt § 464a Abs. 2 StPO und verweist hinsichtlich der Vergütung eines Rechtsanwalts auf § 91 Abs. 2 ZPO. Nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Vorliegend übersteigen die beantragten Gebühren die Kosten eines Rechtsanwalts, da die Grundgebühr zweimal angefallen ist. Diese ist daher nur dann erstattungsfähig, wenn in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste, dessen Ursache nicht in der Sphäre des Beschwerdeführers lag (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 200, 64). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Seinen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt M hatte der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren selbst gewählt (Bl. 48 f. d.A.). Gründe für einen Anwaltswechsel in der Person eines der beiden Verteidiger sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kann nicht die Notwendigkeit eines Anwaltswechsels begründen. Das Amtsgericht hatte die Strafe des einschlägig vorbestraften Beschwerdeführers deshalb nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dieser nach wie vor Rauschgift konsumierte und bis dahin noch keine professionelle Hilfe gesucht hatte, so dass das Gericht die Gefahr weiterer Straftaten gesehen hatte. Dafür, dass der Beschwerdeführer erstinstanzlich "schlecht verteidigt" wurde, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
Aus der Rücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt M durch das Landgericht (Bl. 147 d.A.) folgt nichts anderes. Der Beschluss erging gemäß § 143 StPO, wonach in derartigen Fällen die Rücknahme der Bestellung grundsätzlich zwingend ist, und war allein dadurch veranlasst, dass sich nunmehr Rechtsanwalt Kraft als Wahlverteidiger bestellt hatte mit dem Hinweis, dass im Berufungsverfahren die Verteidigung ausschließlich als Wahlverteidigung geführt werde (Schriftsatz v. 06.10.2010, Bl. 145 d.A.).
Kopierkosten
Von den geltend gemachten Kopierkosten sind 120 Kopien zu erstatten. Beantragt wurden 41,05 Euro netto für 157 Scans (Bl. 195 d.A.). VV 7000 Ziffer 1 Buchstabe a RVG regelt die Auslagenerstattung für "Ablichtungen und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war". Die Dokumentenpauschale steht dem Verteidiger auch dann zu, wenn die Vervielfältigung durch Einscannen und Abspeichern als Datei hergestellt wird (OLG Bamberg, NJW 2006, 3504). Entgegen der Festsetzung im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts darf der Verteidiger grundsätzlich die gesamte Gerichtsakte vollständig kopieren und dafür Erstattung verlangen. Denn er weiß bei Erhalt der Akteneinsicht noch nicht, welche zunächst nebensächlich erscheinenden Akteninhalte für später auftretende Fragen relevant werden können. Allerdings folgt auch hier aus der Begrenzung der §§ 464a Abs. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO auf denjenigen Betrag, der die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigt, dass die bereits von dem ersten Verteidiger gefertigte Anzahl von Kopien – welche entsprechend erstattet wurden – abzuziehen ist, somit also von 157 Kopien 37 Stück (vgl. Abrechnung Rechtsanwalt Michel v. 11.10.2010 Bl. 156 f. d.A., Erstattung Bl. 159). Von dem sich dafür ergebenden Betrag (35,50 Euro) sind die bereits für Kopierkosten erstatteten drei Euro abzuziehen, so dass weitere 32,50 Euro zu erstatten sind. Zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer errechnet sich der weitere Betrag in Höhe von 38,68 Euro.
Der Gesamtbetrag ist wie tenoriert gemäß §§ 464b StPO, 104 Abs. 1 S. 2 ZPO zu verzinsen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO. Eine Ermäßigung der Gebühren und eine Verteilung der entstandenen Auflagen (§ 473 Abs. 4 StPO) hat nicht zu erfolgen, weil der Beschwerdeführer in erster Linie das Ziel der Erstattung der Grundgebühr verfolgt hat und in diesem Punkt – den er auch ohne den Streit um die Kopierkosten angegangen wäre – unterliegt.