24.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121269
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 16.03.2012 – LwZB 3/11
Der Wert der Beschwer des infolge einer Klagehäufung (§ 260 ZPO) sowohl auf Herausgabe eines Grundstücks als auch auf Beseitigung von Bauwerken oder Einrichtungen verurteilten Beklagten, der sich auf ein Miet- oder Pachtverhältnis berufen hat, bestimmt sich gemäß § 5 ZPO durch Addition des nach § 8 ZPO zu bestimmenden Werts der Beschwer der Verurteilung zur Herausgabe und des nach § 3 ZPO zu bemessenden Werts der Beschwer für die Beseitigung (Anschluss an BGH, Beschluss vom 15. Juni 2005 - XII ZR 104/02, NZM 2005, 677).
Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat am 16. März 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Lemke und Dr. Czub - gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 LwVG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter -
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 4. Zivilsenats - Senat für Landwirtschaftssachen - des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 23. November 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 661 €.
Gründe
I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe eines 1,2 ha großen Grundstücks und die Entfernung eines darauf installierten Zaunes. Die Beklagte beruft sich auf ein noch bis zum 30. Oktober 2012 bestehendes Pachtverhältnis.
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Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und den Wert für den Herausgabeantrag auf 2.000 € und den für die Entfernung des Zaunes auf 500 € festgesetzt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung nach einem Hinweis auf Bedenken gegen deren Zulässigkeit wegen Nichterreichens der Berufungssumme (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 1 Nr. 1 a, § 48 Abs. 1 LwVG) durch einen Beschluss nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
II.
3
Das Berufungsgericht meint, der Wert der Beschwer der Beklagten sei gemäß § 8 ZPO zu berechnen, weil sich die Beklagte auf ein Besitzrecht aus einem Pachtvertrag berufen habe. Maßgebend sei daher der auf die streitige Zeit - von der Klageerhebung (Anfang Mai 2009) bis zu dem behaupteten Ende der Pachtzeit (Oktober 2012) - entfallende Pachtzins. Angesichts einer Jahrespacht von 46 € werde die Berufungssumme deutlich verfehlt.
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Der zusätzliche Urteilsausspruch auf Entfernung des Zaunes sei für die allein nach § 8 ZPO zu ermittelnde Beschwer unmaßgeblich. Soweit sich die Beklagte für ihre Auffassung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 15. Juni 2005 - XII ZR 104/02, NZM 2005, 677) berufe, sei dem angesichts des klaren Wortlauts des § 8 ZPO nicht zu folgen.
III.
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Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 575 ZPO).
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Die in § 574 Abs. 2 ZPO bestimmten Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels, die auch im Fall eines die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschlusses erfüllt sein müssen (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2003, - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22 und vom 21. Januar 2009 - IV ZB 35/08, ZEV 2009, 246 mwN - std. Rspr.), liegen ebenfalls vor. Die Rechtsbeschwerde ist schon deshalb zulässig, weil das Berufungsgericht in ausdrücklicher Abweichung von einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichthofs (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2005 - XII ZR 104/02, NZM 2005, 677, 678) den Wert der Beschwer des Beklagten nur nach dem Wert des Räumungsantrags bestimmt und die Beschwer durch die zusätzliche Verurteilung zum Abriss nicht in Ansatz gebracht hat und die angefochtene Entscheidung auch auf dieser Abweichung beruht. Bei der nach der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vorzunehmenden Addition des nach § 8 ZPO zu bemessenden Werts der Beschwer durch die Verurteilung zur Räumung und des nach § 3 ZPO zu bemessenden Werts der Beschwer durch die Verurteilung zum Abriss des Zaunes wird der in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmte Mindestwert für eine zulässige Berufung überschritten (zur Berechnung - siehe unten 3). Liegt eine solche Divergenz vor, ist die Rechtsbeschwerde wegen des Erfordernisses der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) zulässig.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. An der bereits genannten Entscheidung ist festzuhalten.
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a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich der Wert der Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zur Herausgabe des Grundstücks - wenn das Bestehen eines Pachtverhältnisses streitig ist - nach § 8 ZPO bestimmt und daher nach dem auf die streitige Zeit entfallenden Nutzungsentgelt zu berechnen ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschluss vom 7. November 2002 - LwZR 9/02, BGHReport 2003, 757; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2000 - XII ZR 335/99, NJW-RR 2000, 1739 und Urteil vom 17. März 2005 - III ZR 342/04, WuM 2005, 351). Die Rechtsbeschwerde greift dies auch nicht an.
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b) Ebenso richtig ist es, dass sich der Wert der Beschwer einer Verurteilung zur Räumung, die die Beklagte auch dazu verpflichtet, die von ihr angebrachten Einrichtungen und Anpflanzungen auf dem vermieteten oder verpachteten Grundstück zu entfernen, allein nach § 8 ZPO bemisst. Der Kostenaufwand der Beklagten zur Erfüllung der Räumungspflicht ist nach dem Wortlaut des § 8 ZPO ohne Bedeutung (Senatsbeschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, NJW-RR 1994, 256 und BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 - III ZR 34/96, BGHR ZPO § 8 Räumungsklage 7).
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c) Verfehlt ist es jedoch, auch bei einer Verurteilung auf Grund einer Klagehäufung gemäß § 260 ZPO den Wert des Beschwerdegegenstands nur nach dem Wert der Klage auf Herausgabe des Grundstücks zu bestimmen, den Wert der Klage auf Beseitigung eines Gebäudes oder einer Einrichtung - und im Fall ihres Erfolgs die daraus folgende zusätzliche Beschwer der Beklagten -jedoch unberücksichtigt zu lassen. Der Wert der Beschwer der infolge einer Klagehäufung (§ 260 ZPO) sowohl auf Herausgabe eines Grundstücks als auch auf Beseitigung von Bauwerken oder Einrichtungen verurteilten Beklagten, die sich auf ein Miet- oder Pachtverhältnis berufen hat, bestimmt sich vielmehr gemäß § 5 ZPO durch Addition des nach § 8 ZPO zu bestimmenden Werts der Beschwer der Verurteilung zur Herausgabe und des nach § 3 ZPO zu bemessenden Werts der Beschwer für die Beseitigung (BGH, Beschluss vom 15. Juni 2005 - XII ZR 104/02, NZM 2005, 677). Durch die Klagehäufung nach § 260 ZPO werden zwei Klagen mit nach den Anträgen unterschiedlichen Streitgegenständen verbunden, die - wenn ihnen stattgegeben wird - auch zu unterschiedlich zu vollstreckenden Titeln (für die Räumung nach § 885 ZPO, für die Beseitigung nach § 887 ZPO) führen. Der Wert der Beschwer der Beklagten ist daher bei einer solchen Klageverbindung nicht geringer als in den Fällen, in denen die Beklagte in zwei Prozessen zur Herausgabe und (sodann) zur Beseitigung verurteilt worden ist.
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3. Die Rechtsbeschwerde hat danach Erfolg, weil der Wert der Beschwer der Beklagten den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bezeichneten Mindestwert von 600 € übersteigt.
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a) Der gemäß § 8 ZPO nach dem auf die streitige Zeit (3,5 Jahre) und nach dem Pachtzins (46 € jhrl.) zu berechnende Wert der Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zur Herausgabe beträgt 161 €. Die streitige Zeit beginnt mit der Erhebung der Anfang Mai 2009 zugestellten Räumungsklage (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 1999 - XII ZR 99/99, NJW-RR 1999, 1385) und endet mit dem von der Beklagten vorgetragenen Ablauf der Pachtzeit (Ende Oktober 2012).
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b) Hinzuzurechnen ist der gemäß § 3 ZPO zu bestimmende Wert der Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zur Beseitigung des Zaunes, der sich nach den Kosten des Abrisses bestimmt (BGH, Urteil vom 10. Dezember 1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313, 319), den der Senat entsprechend der Angabe der Beklagten auf 500 € schätzt.
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aa) Das Berufungsgericht hat -von seinem Standpunkt aus folgerichtig -diesen Wert nicht festgesetzt. Die rechtsfehlerhaft unterlassene Wertfestsetzung ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nachzuholen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - V ZB 72/11, MDR 2012, 117 Rn. 13 ff.).
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bb) Die Beklagte hat allerdings nicht - wie in § 511 Abs. 3 ZPO vorgeschrieben - glaubhaft gemacht, dass der Wert des Beschwerdegegenstands 600 € übersteigt. Der Beweisantrag, zur Höhe der für die Beseitigung des Zauns erforderlichen Kosten ein Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, genügt den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung nicht, weil es dazu nach § 294 Abs. 2 ZPO präsenter Beweismittel bedarf, deren Beibringung der Partei obliegt, und die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1997 - II ZR 334/96, NJW-RR 1998, 573 und Beschluss vom 20. Februar 2008 - IV ZB 14/07, NJW-RR 2008, 889, 890 Rn. 12).
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cc) Ist der Wert des Beschwerdegegenstands nicht gemäß § 511 Abs. 3 ZPO glaubhaft gemacht worden, ist er auf Grund eigener Lebenserfahrung und Sachkenntnis des Berufungsgerichts nach freiem Ermessen zu schätzen (BGH, Urteil vom 20. Oktober 1987 - II ZB 334/96, NJW-RR 1998, 573), wobei hier - infolge des Unterlassens der Schätzung durch das Berufungsgericht - die Schätzung des Rechtsbeschwerdegerichts tritt. Vor diesem Hintergrund erscheint der Wert der Beschwer der Beklagten durch die Verurteilung zum Abriss eines Zaunes zur Einfriedung eines 1,2 ha großen Grundstücks mit 500 € realistisch.
Krüger
Lemke
Czub