13.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123789
Oberlandesgericht München: Urteil vom 03.05.2012 – 24 U 646/10
1.
Eine Vergütungsvereinbarung ist nicht sittenwidrig, wenn die vereinbarten Gebühren nur das 3,2-fache der gesetzlichen Gebühren betragen.
2.
Der formularmässige Hinweis in einer Vergütungsvereinbarung, wonach "die vereinbarte Vergütung unter Umständen die gesetzlichen Gebühren übersteigt und eine eventuelle Gebührenerstattung durch den Gegner auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist" entspricht den Vorgaben von § 3a Abs. 1 RVG. Der Wortlaut "unter Umständen" ist dabei nicht als irreführend anzusehen.
OLG München, 03.05.2012
24 U 646/10
In dem Rechtsstreit
pp.
wegen Forderung
erlässt das Oberlandesgericht München - 24. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19.04.2012 folgendes
Endurteil
Tenor:
1.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 01.09.2010, Az. 35 O 1293/09, aufgehoben.
2.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.273,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 4.626,68 EUR seit 09.06.2008 sowie aus 1.097,07 EUR seit 12.06.2008 zu zahlen.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
4.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
6.
Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Parteien streiten über die Sittenwidrigkeit anwaltlicher Honorarvereinbarungen sowie über die Herabsetzung von auf ihnen beruhender Gebührenabrechnungen.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen. Das Landgericht Memmingen hat die auf Verurteilung zur Zahlung von 5.723,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2009 gerichtete Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Zwar sei die Abtretung der Forderung an die klagende anwaltliche Verrechnungsstelle wirksam. Die zwischen den Rechtsanwälten M und dem Beklagten geschlossene Vergütungsvereinbarung vom 27.08.2008 (Anlage R2) und der ergänzende Mandatsvertrag und Vergütungsvereinbarung mit Hinweisen zur Abrechnung vom selben Tag (Anlage R5) seien jedoch sittenwidrig im Sinn des § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig. Es bestehe ein grobes Missverhältnis zwischen den Leistungen der Rechtsanwälte und dem vereinbarten Honorar. Auch die subjektiven Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäftes seien zu bejahen, da die Rechtsanwälte mit dem anwaltlichen Gebührenrecht besser vertraut seien. Damit bestehe die anwaltliche Gebührenforderung aus dem Rechtsstreit gegen die Eheleute L. nicht. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Forderung aus dem Rechtsstreit gegen die Eheleute A. sei durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre ursprünglichen Anträge in vollem Umfang weiter verfolgt. Sie beantragt:
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Memmingen vom 01.09.2010, Az.: 35 O 1293/09 verurteilt, an die Klägerin 5.723,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2009 zu zahlen.
Sie bringt vor, die Vereinbarung eines Gegenstandswerts von 171.425,87 EUR sei sachgerecht gewesen, obwohl nur eine Werklohnforderung in Höhe von 23.999,60 EUR eingeklagt worden sei. Die Eheleute L, als Beklagte des dortigen Rechtsstreits hätten nämlich behauptet, dass das Vertragsverhältnis mit dem dortigen Kläger (dem hier Beklagten) bereits beendet sei, während dieser auf einen Fortbestand des Vertragsverhältnisses Wert gelegt habe. Für die Sittenwidrigkeit einer Gebührenvereinbarung komme es auch nicht auf das Missverhältnis der erbrachten Leistungen zum vereinbarten Honorar, sondern der gesetzlichen Gebühr zur vereinbarten Gebühr an. Selbst Überschreitungen des gesetzlichen Gebührenrahmens um das 5-fache ließen nicht den Schluss zu, dass eine Äquivalenzstörung vorliege. Der Beklagte habe auch gewusst, worauf er sich einlasse, weil er bereits für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts eine Zwischenabrechnung vom 31.03.2008 (Anlage R4) erhalten habe, aufgrund derer er eine 1,5 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 W aus dem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR in Rechnung gestellt erhalten und auch bezahlt habe.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Die Berufung rüge keine Rechtsverletzung. Sie nehme die Feststellung des Erstgerichts nicht zur Kenntnis. Der Bauvertrag sei von Seiten der Eheleute L. bereits durch Schreiben vom 06.03.2008 gekündigt worden; sie hätten zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 01.09.2008 bereits anderweitig ein Haus errichtet gehabt. Es wird bestritten, dass zur Zeit der Klageerhebung der Beklagte darauf Wert gelegt habe, dass das Vertragsverhältnis noch bestehen würde.
Der Senat hat mit den Parteien am 03.03.2011 und am 19.04.2012 mündlich verhandelt sowie gem. Beweisbeschluss vom 24.03.2011 gem. § 3 a Abs. 2 RVG ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer M. erholt, das diese unter dem 20.12.2011 erstattet hat. Ergänzend wird auf dieses Gutachten, die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und - mit Ausnahme geringfügiger Abstriche bei den Zinsen - auch begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 5.723,75 EUR aus dem rechtsanwaltlichen Dienstvertrag der Rechtsanwälte M. mit dem Beklagten in Verbindung mit der Abtretungsvereinbarung vom 15.04.2009 (K1) zu, deren Wirksamkeit in der Berufungsinstanz nicht mehr angezweifelt wird.
1.
Die Gebührenvereinbarung vom 27.08.2008 (Anlage R2 und R5) entspricht unstreitig den äußeren Anforderungen des § 3 a Abs. 1 RVG. Sie ist in Textform abgefasst und ausdrücklich als Vergütungsvereinbarung bezeichnet, deutlich abgesetzt und nicht in der Vollmacht enthalten. Sie enthält im Fettdruck den Hinweis, dass die vereinbarte Vergütung unter Umständen die gesetzlichen Gebühren übersteigt und eine eventuelle Gebührenerstattung durch den Gegner auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist.
2.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Vergütungsvereinbarung nicht wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
a.
Der in der Vereinbarung vorgesehene Mindestgegenstandswert von 171.425,27 EUR ist nicht willkürlich gewählt. Zwar belief sich die Klage nach dem Entwurf vom 13.08.2008, der dem Beklagten zusammen mit der Vergütungsvereinbarung (R2 und R5) übermittelt wurde, nur auf 23.999,60 EUR. Dabei handelt es sich jedoch nur um die Summe aus den ersten beiden Abschlagsrechnungen, die der Beklagte am 03.03. und 07.03.2008 an die Eheleute L. gestellt hatte. Das Gesamtvolumen des Werkvertrags belief sich jedoch auf 171.425,87 EUR.
b.
Ein grobes Missverhältnis zwischen der vereinbarten Vergütung und der gesetzlichen Gebühr, die dem Rechtsanwalt nach Nr. 3100, 3104 und 1003 WRVG zusteht, besteht nicht.
Zwar beträgt die vereinbarte Vergütung aus dem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR für das gerichtliche Verfahren zusammen 6.086,50 EUR (ohne Portopauschale, Fahrtkosten, Schreibauslagen und Umsatzsteuer). Die gesetzliche Gebühr aus dem Gegenstandswert von 23.999,60 EUR würde für diese drei Positionen 2.401,00 EUR betragen (vgl. Gutachten der Rechtsanwaltskammer vom 20.12.2011, Seite 4). Damit beträgt die vereinbarte Gebühr das 2,5-fache der gesetzlichen Gebühr.
In der Vergütungsvereinbarung Anlage R5 ist des weiteren in Fettdruck unmittelbar vor der Unterschrift die Anrechnung von Gebühren aus einer außergerichtlichen Tätigkeit ausgeschlossen. Damit entfällt die nach Vorbemerkung 3 (4) WRVG vorgesehene hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr aus der vorprozessualen Tätigkeit des Rechtsanwalts. Sie würde zu einer Reduzierung der gesetzlichen Gebühr um 0,75 Geschäftsgebühr auf 1.886,50 EUR führen (vgl. Gutachten RAK Seite 4). Berücksichtigt man dies, beträgt die vereinbarte Gebühr das 3,2-fache der gesetzlichen Gebühr.
Die von der Rechtsprechung entwickelte Grenze für das auffällige Missverhältnis, die auf anderen Gebieten bei der Überschreitung von knapp 100% der "normalen" Vergütung angenommen wird, gilt für Vergütungsvereinbarungen nach dem RVG im unteren und mittleren Streitwertbereich nicht (BGH NJW 2003, 2386, [BGH 03.04.2003 - IX ZR 113/02] NJW 2000, 2669, [BGH 30.05.2000 - IX ZR 121/99] Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., 2010, § 3 a RVG Rdnr. 43). Ein auffälliges Missverhältnis wird erst angenommen, wenn -insbesondere bei hohen Streitwerten - das vereinbarte Honorar mehr als das 5-fache des gesetzlichen Honorars ausmacht (BGH NJW 2000, 2669, 2671 [BGH 30.05.2000 - IX ZR 121/99]). Von dieser Grenze ist die getroffene Vereinbarung weit entfernt.
Weitere Umstände, die eine Sittenwidrigkeit begründen könnten, bestehen ebenfalls nicht. Der Beklagte betreibt einen Zimmereifachbetrieb und errichtet Holzhäuser. Der Beklagte ist damit Unternehmer.
Im Gegensatz zur Annahme des Landgerichts ist die getroffene Vergütungsvereinbarung auch hinreichend transparent.
In der Vergütungsvereinbarung R2 wird klar und deutlich vereinbart, dass die Gebühren mindestens nach einem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR berechnet werden. In diesem Dokument ist auch der Hinweis auf die beschränkte Erstattung von Gebühren durch den Gegner enthalten. Welche Bedeutung der Gegenstandswert für die Gebührenberechnung hat, konnte der Beklagte zumindest aufgrund der Zwischenabrechnung vom 31.03.2008 erkennen, mit der die Rechtsanwälte M eine 1,5 Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR in Höhe von 2.608,50 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer abgerechnet hatten; der Beklagte hatte diese Rechnung bezahlt. Im ergänzenden Mandatsvertrag und der Vergütungsvereinbarung Anlage R5 war die Höhe der in Betracht kommenden Gebühren im Rahmen der gerichtlichen Vertretung erster (und zweiter) Instanz zutreffend wiedergegeben, so dass der Beklagte die Höhe der Gebühren selbst errechnen, zumindest aber abschätzen konnte. Die Formulierung, dass die vereinbarte Vergütung "unter Umständen" die gesetzlichen Gebühren übersteigt (Anlage R2 unten) ist nicht irreführend. Es war nicht ausgeschlossen, dass das Gericht für einen Abgeltungsvergleich die Gesamtsumme des aufgehobenen Werkvertrags als Gegenstandswert zugrunde legen würde; dann hätte die Einigungsgebühr der gesetzlichen Vorgabe entsprochen. Dass Rechtsanwalt M. in dem Begleitschreiben, mit dem er die Vergütungsvereinbarung an den Beklagten übersandt hat, erwähnt hat, dass die Vergütungsvereinbarungsabrechnung zugrunde zu legen ist, suggeriert nicht, dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte. Der Beklagte ist selbst Geschäftsmann; er musste daher wissen, dass er einen Vertragsschluss ablehnen kann, wenn er mit dem geforderten Preis für eine Leistung nicht einverstanden ist. Aufgrund des in § 3 a Abs. 1 vorgeschriebenen und in der Vereinbarung enthaltenen Hinweises wusste der Beklagte auch, dass er selbst im Erfolgsfall auf einem Teil der mit dem Rechtsanwalt vereinbarten Gebühren sitzen bleiben würde. Der Beklagte hatte immerhin von der Übersendung der Vereinbarung bis zur Unterzeichnung 14 Tage Zeit zur Prüfung.
e.
Bei Vertragsschluss stand auch noch nicht fest, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts nach der ersten mündlichen Verhandlung durch einen Vergleichsschluss beendet werden würde. Der Aufwand der Rechtsanwälte Mi für den er aufgrund des Einmalprinzips in § 15 Abs. 2 RVG die vereinbarte Vergütung nur einmal fordern konnte, hätte bei einem Fortgang des Prozesses gegen die Eheleute L. auch deutlich höher sein können.
3.
Auch eine Herabsetzung der vereinbarten Gebühr, die § 3 a Abs. 2 Satz 1 RVG für den Fall vorsieht, dass sie unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen hoch ist, kommt nicht in Betracht. Der Senat hat diesbezüglich ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer München eingeholt, das die Voraussetzungen für eine Herabsetzung mit großer Eindeutigkeit verneint. Darüber kann sich der Senat auch angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht hinwegsetzen.
4.
Die Berechnung der Gebühr in der Abrechnung der Rechtsanwälte M vom 16.04.2009 (Anlage K4) sowie der inhaltsgleichen Abrechnung der Klägerin Anlage K5 ist auf der Grundlage der Vergütungsvereinbarung sachlich und rechnerisch richtig. Der Klägerin steht damit eine Vergütung in Höhe von 4.626,68 EUR aus dem Rechtsstreit gegen die Eheleute L zu.
Hinzu kommt die insgesamt unstreitige Vergütung aus dem Rechtsstreit des Beklagten mit den Eheleuten A. gem. Rechnungen vom 21.04.2009 (Anlage K7 bzw. vom 23.04.2009 (Anlage K8). Die vom Beklagten erklärte Aufrechnung greift nicht durch.
5.
Der Zinsanspruch ergibt sich wegen Verzugs gem. §§ 286 Abs. 3 Satz 1, 288 Abs. 2 BGB in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. Da in den Rechnungen der Klägerin die Fälligkeit hinausgeschoben ist, in Anlage K5 bis 10.05.2009, in Anlage K8 bis 13.05.2009, ist der Beklagte erst 30 Tage nach diesem Datum in Verzug geraten.
6.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.