23.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130220
Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 02.10.2012 – 4b Ws 25/12
Die Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch und die danach erfolgte Verwerfung seiner Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO führen nicht gemäß § 464 Abs. 3 Satz 1 HS 2 StPO zur Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Nebenklägers gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des Berufungsgerichts.
OLG Stuttgart, 02.10.2012
4b Ws 25/12
Tenor:
1.
Dem Nebenkläger wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21. Juli 2011
g e w ä h r t .
2.
Auf die sofortige Beschwerde des Nebenklägers wird die Kosten- und Auslagenentscheidung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 21. Juli 2011 dahingehend
e r g ä n z t ,
dass der Angeklagte (auch) die dem Nebenkläger im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
3.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte.
Gründe
I.
wurde durch Urteil des Amtsgerichts Nürtingen vom 07. März 2011 wegen zum Nachteil des Nebenklägers begangener gefährlicher Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich wurden ihm die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers, dessen Nebenklage mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 zugelassen worden war, auferlegt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten wurde durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21. Juli 2011 wegen unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten gem. § 329 Abs. 1 StPO auf dessen Kosten verworfen. Eine Entscheidung über die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Nebenklägers, dessen Vertreter an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, ist unterblieben.
Hiergegen richtet sich der Nebenkläger mit der sofortigen Beschwerde.
II.
1.
Dem Beschwerdeführer ist gem. §§ 44, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO wegen Versäumung der Frist des § 311 Abs. 2 StPO zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO gegen die unvollständige Kostenentscheidung des Urteils des Landgerichts Stuttgart von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar ist mit der Urteilsverkündung in Gegenwart des Nebenklägervertreters diesem die unterlassene Auferlegung der dem Nebenkläger im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf den Angeklagten bekanntgemacht worden (vgl. § 35 Abs. 1 StPO), so dass die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde an sich eine Woche danach abgelaufen war (§ 311 Abs. 2 StPO). Auch muss sich ein Verfahrensbeteiligter wie z. B. ein Nebenkläger, der sich nicht gegen einen Schuldvorwurf zu verteidigen hat, ein Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen (Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 44 Rn 19 m. w. N.). Da jedoch die Belehrung des Nebenklägers und seines Vertreters über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Urteils des Landgerichts unterblieben war, war er ohne sein Verschulden (vgl. § 44 Satz 2 StPO) daran gehindert, die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde einzuhalten. Die fehlende Rechtsmittelbelehrung ergibt sich aus dem Protokoll des Landgerichts.
2.
Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers gegen die im Berufungsurteil unterlassene Auferlegung seiner notwendigen Auslagen auf den Angeklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 2006, 95 - 96 unter Aufgabe seiner vorangegangenen Rechtsprechung u. a. in NStZ-RR 2001, 288; LR-Hilger, StPO, 26. Auflage, § 464 Rn 57). Ihr steht die Vorschrift des § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO nicht entgegen. Danach ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Kosten und Auslagen unzulässig, wenn eine Anfechtung der in § 464 Abs. 1 StPO genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Dies wird nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, dahin verstanden, dass die Kostenbeschwerde unzulässig ist, wenn sich die Unstatthaftigkeit eines Rechtsmittels bereits aus der Art der Entscheidung ergibt oder ein bestimmter Prozessbeteiligter grundsätzlich - unabhängig von der Frage der Beschwer im Einzelfall - nicht mehr rechtsmittelbefugt sein soll (BayObLGSt 1987, 151-154). Für den Nebenkläger ist die Revision ein statthaftes Rechtsmittel. Die Anfechtbarkeit des Urteils des Landgerichts ergibt sich aus § 333 StPO. Auch ist ein Nebenkläger im Gegensatz z. B. zu einem Rechtsmittelführer im Fall des § 55 Abs. 2 JGG grundsätzlich zur Einlegung eines Rechtsmittels befugt.
Die lediglich beschränkte Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers gem. § 400 Abs. 1 StPO beruht demgegenüber auf dessen fehlender Beschwer im Einzelfall, insbesondere dann, wenn er die Anfechtung allein mit dem Ziel verfolgt, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird (so auch OLG Düsseldorf, VRS 96, 222ff; OLG Stuttgart, Justiz 2003, 170f; OLG Celle, OLGSt StPO, § 464 Nr. 12; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2004, 120). Das OLG Düsseldorf (aaO) weist in diesem Zusammenhang zu Recht auch auf die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf der Neufassung des § 464 Abs. 3 StPO (BT-Dr. 10, 1313, S. 39f) hin. Danach sollte mit der Neuregelung einem Nebenkläger nicht die Möglichkeit genommen werden, gegen eine ihn beschwerende Kostenentscheidung vorzugehen (so auch KK-Gieg, StPO, 6. Auflage, § 472 Rn 3; OLG Celle, OLGSt StPO § 464 Nr. 12).
Das OLG Jena (Beschluss vom 21. September 2001 - Az. 1 Ws 329/01 -, zitiert nach [...]) weist zur Begründung der "Statthaftigkeit" der sofortigen Beschwerde auch zutreffend darauf hin, dass hierfür eine Gleichbehandlung des Nebenklägers mit dem Fall eines wegen Schuldunfähigkeit freigesprochenen Angeklagten spricht, dem mangels Beschwer ein an sich statthaftes Rechtsmittel ebenfalls nicht zusteht. Dennoch kann er eine ihm ungünstige Kostenentscheidung mit der Kostenbeschwerde angreifen. Unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung für die Neufassung des § 464 Abs. 3 StPO (BT-Dr. aaO) ist daher eine Schlechterstellung des Nebenklägers nicht vertretbar.
Nicht zuletzt ist auch zu sehen, dass eine im Falle der Rücknahme der Berufung durch den Angeklagten ergehende isolierte Kostenentscheidung - anders als bei der Revisionsrücknahme (OLG Dresden NStZ-RR 2000, 224; KG Berlin StraFo 2008, 91) - grundsätzlich anfechtbar wäre (KG Berlin StraFo 2008, 264; anders noch OLG Stuttgart NStZ 1989, 548, unter Annahme genereller Unstatthaftigkeit bei beschränkter Berufung), weshalb der vergleichbare Fall der Verwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO zu keinem anderen Ergebnis führen kann.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 473 Abs. 1 Satz 2 StPO sind dem Angeklagten bei einem erfolglos eingelegten Rechtsmittel die dem Nebenkläger in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406g StPO erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass der Nebenkläger gem. § 400 Abs. 1 StPO nicht zur Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils berechtigt war. Nach
§ 395 Abs. 4 StPO darf sich der Nebenkläger in jeder Lage des Verfahrens der erhobenen öffentlichen Klage anschließen, weshalb er auch in jedem Fall berechtigt ist, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen (OLG Hamm, Beschluss vom 04. März 2003 - 1 Ws 63/03 -, zitiert nach [...]).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG, die Entscheidung über die dem Nebenkläger im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO sowie im Hinblick auf die Kosten der Wiedereinsetzung auf § 473 Abs. 7 StPO.