21.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130593
Landgericht Cottbus: Beschluss vom 13.11.2012 – 24 Qs 399/11
Die Erstreckung nach § 48 Abs. 5 Satz 3 RVG setzt nicht voraus, dass der Verteidiger in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt hat.
Der Erstreckungsantrag kann auch noch nach einer erstinstanzlichen Verurteilung gestellt werden.
LG Cottbus, 13.11.2012
24 Qs 399/11
In der Strafsache
gegen pp.
- Beschwerdeführerin und Verurteilte -
Verteidiger:
Rechtsanwalt Wolfgang König,
Wilhelm-Liebknecht-Straße 9, 03238 Finsterwalde,
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
hier: Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrages nach § 48 V 3 RVG
hat die 4. große Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Cottbus durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 13. November 2012
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verurteilten vom 20.10.2011 wird der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 30.09.2011 (52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10)) aufgehoben.
Die Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt Wolfgang König aus Finsterwalde werden auf die hinzuverbundenen Verfahren 52 Ls 1480 Js 13834/10 (23/10) und 51 a Ds 1830 Js 35359/09 (76/10) / 52 Ls 1830 Js 35359/09 (21/10) erstreckt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Verurteilten hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 06.04.2010 (1480 Js 9432/10) wurde der Beschuldigten Rechtsanwalt König aus Finsterwalde gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
Unter dem 08.07.2010 ließ das Amtsgericht die Anklagen der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 14.04.2010 (1480 Js 9432/10), vom 18.05.2010 (1480 Js 13834/10) und vom 18.01.2010 (1830 Js 35359/09) zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht. Gleichzeitig erfolgte eine Verbindung der drei Strafverfahren unter Führung des Verfahrens 52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10) zur gemeinsamen Entscheidung.
In den verbundenen Verfahren nahm Rechtsanwalt König jeweils Akteneinsicht, stellte aber keinen Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger, was auch nicht in der Hauptverhandlung vom 02.09.2010 geschah. Am 09.09.2010 verurteilte das Amtsgericht die Angeklagte. Dieses Urteil wurde auf die Berufung der Angeklagten im Rechtsfolgenausspruch mit Urteil des Landgerichts Cottbus vom 24.03.2011 (25 Ns 104/10) abgeändert.
Mit Schreiben vom 30.09.2010 hatte der Verteidiger neben der Festsetzung der Gebühren und Auslagen beantragt,
dass sich die Wirkung seiner Beiordnung im Verfahren 52 Ls 1480 Js 9432/10 (20/10) auch auf die verbundenen Verfahren erstrecke.
Diesen Antrag lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 30.09.2011 ab, da ein Antrag auf rückwirkende Bestellung nach der weit überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unzulässig und unwirksam sei.
Hiergegen hat der Verteidiger namens und im Auftrag der Verurteilten mit Schreiben vom 20.10.2011, beim Amtsgericht eingegangen am 21.10.2011, Beschwerde eingelegt. Diese hat er dahingehend begründet, dass die Regelung des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG es dem Gericht überlasse, eine Erstreckung der Bestellung oder Beiordnung auf die verbundenen Verfahren anzuordnen. Ein solcher Erstreckungsantrag sei auch noch nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss zulässig.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Landgericht Cottbus vorgelegt.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ist der Auffassung des Amtsgerichts beigetreten.
Mit Schreiben vom 05.01.2012 hat der Verteidiger weiter vorgetragen, worauf Bezug genommen wird (Bl. 568 f. d.A.).
Dem Bezirksrevisor beim Landgericht Cottbus ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig.
Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, da das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. KG StraFo 2012, 292; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.04.2007, Az. 3 Ws 94/07 - [...] -; OLG Hamm, Beschluss vom 29.01.2008, Az. 4 Ws 9/08 - [...] -; LG Dresden, Beschluss vom 25.01.2008, Az. 3 Qs 188/07 - [...] -; Burhoff, RVG, 2. Auflage, § 48, Rdnr.: 31 m.w.N.).
In der Sache ist sie auch begründet. Dem Erstreckungsantrag war stattzugeben.
Gemäß § 48 Abs. 5 S. 3 RVG kann das Gericht bei der Verbindung von Verfahren die Wirkungen des Satzes 1 auf diejenigen Verfahren erstrecken, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war. Nach der Gesetzesbegründung kommt eine Erstreckung insbesondere dann in Betracht, wenn eine Bestellung in dem hinzuverbundenen Verfahren unmittelbar bevorgestanden hätte (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 201). Dies ist hier der Fall.
Zwar hatte der Verteidiger in den hinzuverbundenen Verfahren vor der Verbindung keinen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger gestellt; jedoch ist eine solche Antragstellung auch nicht notwendig (vgl. KG a.a.O.; OLG Oldenburg NStZ-RR 2011, 261 f. [OLG Oldenburg 27.12.2010 - 1 Ws 583/10]; LG Kiel, Beschluss vom 29.08.2006, Az. 32 Qs 52/06 - [...] -; Burhoff a.a.O., Rdnr.: 26).
Die Kammer teilt insoweit nicht die vom LG Berlin (JurBüro 2006, 29) und LG Bielefeld (RVG professionell 2008, 154) vertretene gegenteilige Ansicht. Abgesehen davon, dass mit der Hervorhebung "insbesondere" in den Gesetzesmaterialien die dort beschriebene Fallkonstellation nur beispielhaft aufgeführt wird, lässt sich dem nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die Anwendung des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG von einem Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung in dem hinzuverbundenen Verfahren abhängig machen wollte. Dafür gibt es auch keinen vernünftigen Grund. Vielmehr reicht es nach dem Zweck der Vorschrift aus, dass bei einem getrennten Fortgang des Verfahrens nach den Umständen des Einzelfalls die Bestellung zu erwarten gewesen wäre und sie lediglich durch die Verbindung der Sache zu einem anderen (führenden) Verfahren prozessual entbehrlich geworden ist. Insoweit ist auch zu beachten, dass die Pflichtverteidigerbestellung nicht von der Antragstellung abhängt, sondern vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO.
Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte eine Pflichtverteidigerbestellung in den hinzuverbundenen Verfahren unmittelbar bevorgestanden.
Die Angeklagte war in dem Verfahren zum Az. 51 a Ds 1830 Js 35359/09 (76/10) durch die Strafrichterin mit Schreiben vom 28.01.2010 - unter Zustellung der dortigen Anklageschrift - aufgefordert worden, binnen 1 Woche einen Pflichtverteidiger zu benennen. Am 05.05.2010 ist das Verfahren vom Schöffengericht zwecks Verbindung übernommen worden, ohne dass zuvor noch eine Pflichtverteidigerbestellung durch die Strafrichterin erfolgt war.
Im Verfahren 52 Ls 1480 Js 13834/10 (23/10) war die Anklageschrift vom 18.05.2010 durch die Staatsanwaltschaft Cottbus beim Amtsgericht Senftenberg - Schöffengericht - eingereicht worden mit dem Antrag, der Beschuldigten im Falle unterbleibender Verbindung mit dem Verfahren 1480 Js 9432/10 einen notwendigen Verteidiger beizuordnen. Dies unterließ das Schöffengericht, da es eine Verfahrensverbindung beabsichtigte, was dem Verteidiger bereits unter dem 07.06.2010 - unter formloser Übersendung einer Abschrift der Anklageschrift - mitgeteilt worden war. Eine Verbindung der Verfahren ist dann auch am 08.07.2010 erfolgt.
Bezüglich beider Verfahren hätte gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Fall notwendiger Verteidigung vorgelegen, da aufgrund der zahlreichen und einschlägigen Vorstrafen der Beschwerdeführerin eine Straferwartung von über 1 Jahr bis 2 Jahre und von über 2 Jahren die Voraussetzung der Schwere der Tat erfüllt hätte.
Der Verteidiger war auch nicht gehindert, den Erstreckungsantrag noch nach der erstinstanzlichen Verurteilung zu stellen.
Insoweit folgt die Kammer der herrschenden Ansicht, wonach die Antragstellung auch nachträglich möglich ist (vgl. KG a.a.O. m.w.N.; OLG Düsseldorf a.a.O.; LG Dresden a.a.O.; LG Düsseldorf StraFo 2012, 117; LG Freiburg, Beschluss vom 13.03.2006, Az. 2 Qs 3/06 - [...] -; Burhoff a.a.O., Rdnr.: 29 m.w.N.). Die Vorschrift des § 48 Abs.5 S. 3 RVG enthält nach ihrem Wortlaut und Zweck keine zeitliche Beschränkung. Im Gegensatz zur Pflichtverteidigerbestellung, die - wie das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss zurecht angenommen hat, um die es hier aber nicht geht - eine ordnungsgemäße Verteidigung gewährleisten soll und deshalb nach ganz herrschender Meinung rückwirkend nicht in Betracht kommt, ist der Erstreckungsantrag rein vergütungsrechtlicher Natur und für das Erkenntnisverfahren ohne Bedeutung. Im Übrigen spricht für die Zulässigkeit eines gegebenenfalls sogar auch noch im Festsetzungsverfahren möglichen Antrages und einer Entscheidung über die Erstreckung gemäß § 48 Abs. 5 S. 3 RVG der strafprozessuale Beschleunigungsgrundsatz, weil dadurch das eigentliche Erkenntnisverfahren in Zweifelsfällen nicht durch den rein kostenrechtlich relevanten Streit über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 5 S. 3 RVG belastet werden muss.
Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Erstreckungsantrag stattzugeben. Die Kammer konnte vorliegend die gebotene Ermessensentscheidung selbst treffen (§ 309 Abs. 2 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.