28.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131677
Landgericht Potsdam: Beschluss vom 26.11.2012 – 24 Qs 118/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LG Potsdam
26.11.2012
24 Qs 118/11
In der Bußgeldsache
gegen
Fritz B.,
Verteidiger
Rechtsanwalt Jörn T.,
wegen Ordnungswidrigkeit
hat die 4. Kammer - Kammer für Kostensachen - des Landgerichts Potsdam
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dielitz,
den Richter am Amtsgericht Schack und
den Richter am Landgericht Weber
am 26. November 2012
beschlossen:
Tenor:
1.
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 31. August 2011 dahingehend abgeändert, dass dem Betroffenen weitere 135,00 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 14. Juni 2011 zu erstatten sind.
2.
Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
3.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beschwerdeführer zu tragen, die gerichtliche Gebühr wird jedoch um 55% ermäßigt. In dieser Höhe hat die Landeskasse auch die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.
Beschwerdewert: 249,12 Euro.
Gründe
I.
1.
Das gerichtliche Bußgeld verfahren gegen den Betroffenen, das den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hatte, wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 20. Mai 2011 gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt.
2.
Mit Schriftsatz vom 14. Juni 2011 beantragte der Verteidiger, die notwendigen Auslagen des Betroffenen wie folgt festzusetzen:
Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG EUR 110,00
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG EUR 180,00
Fotokopienkosten Nr. 7000 VV RVG (65 Seiten) EUR 27,25
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG EUR 160,00
Gebühr Nr. 5115 VV RVG EUR 160,00
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV RVG EUR 20,00
2 x Aktenpauschale á 12,00 EUR EUR 24.00
EUR 681,25
19% Mehrwertsteuer Nr. 7008 VVRVG EUR 129.44
Gesamtbetrag EUR 810,69
3.
Nachdem dem Vertreter der Landeskasse rechtliches Gehör gewährt worden war, setzte das Amtsgericht Brandenburg an der Havel durch Beschluss vom 31. August 2011 die dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf insgesamt 560,79 Euro fest. Dabei hielt die Rechtspflegerin im einzelnen folgende Gebühren, Entgelte und Pauschalen für angemessen:
Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG EUR 85,00
Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV RVG EUR 180,00
Fotokopienkosten Nr. 7000 VV RVG (65 Seiten) EUR 27,25
Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG EUR 135,00
Gebühr Nr. 5115 VV RVG EUR 0,00
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV RVG EUR 20,00
2 x Aktenpauschale á 12,00 EUR EUR 24.00
EUR 471,25
19% Mehrwertsteuer Nr. 7008 VVRVG EUR 89,54
Gesamtbetrag EUR 560,79
Die Gebühr VV5115 ist nach Ansicht des Amtsgerichts nicht entstanden. Zur Begründung wird ausgeführt, dass eine anwaltliche Mitwirkung aus der Akte nicht ersichtlich sei. Abgesetzt wurden insgesamt 249,12 Euro (beantragt wurden 810,69 Euro, festgesetzt wurden 560,79 Euro).
4.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde dem Verteidiger am 5. September 2011 zugestellt.
5.
Am 7. September 2011 legte der Verteidiger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss sofortige Beschwerde ein.
Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Verteidigers vom 7. September 2011 verwiesen.
6.
Die Beschwerdekammer hat dem Vertreter der Landeskasse rechtliches Gehör gewährt. Er hat beantragt,
die nach seiner Ansicht zulässige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Stellungnahme des Bezirksrevisors beim Landgericht Potsdam vom 24. April 2012 verwiesen.
II.
1.
Das Rechtsmittel ist zul ässig.
Gegen die Entscheidung des Rechtspflegers über die Kostenfestsetzung ist gemäß § 464 b Satz 3 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Beschwerde statthaft. Das Beschwerdeverfahren richtet sich n. h. M. (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464 b Rn. 6 m.w.N.), der die Kammer folgt, nach den Grundsätzen der StPO, woraus folgt, dass die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 S. 1 StPO gilt (BGH St 48, 106, 107/108 m.w.N.) und im Beschwerdeverfahren in der für Strafverfahren vorgesehenen Besetzung entscheiden wird (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 464 b Rn. 7; a. M: OLG Düsseldorf, NStZ 2003, 324 [OLG Düsseldorf 21.10.2002 - 3 Ws 336/02]; gemäß § 568 S. 1 ZPO stets der Einzelrichter).
Die sofortige Beschwerde wurde rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt.
Auch der Beschwerdewert (§ 304 Abs. 3 StPO) ist erreicht, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200 Euro.
2.
In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.
a) Die durch das Amtsgericht festgesetzte Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 85,00 Euro begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Dieser Betrag entspricht der Mittelgebühr, die ein Wahlanwalt beanspruchen kann. Ausgangspunkt ist beim Wahlverteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des jeweils in Betracht kommenden Rahmens, keineswegs grundsätzlich ein geringerer Betrag (vgl. LG Düsseldorf JB 2007, 84; AG Altenkirchen JB 2000, 638; AG Fürstenwalde JB 2007, 418; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., VV 5100, Vorbemerkung 5.1, Rn. 5). Die von dem Verteidiger bestimmte Grundgebühr in Höhe von 110,00 Euro ist unverbindlich. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung dann nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn. 54 m.w.N.).
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass teilweise auch in der Judikatur (vgl. AG Limburg AGS 2009, 161) die Ansicht vertreten wird, dass dem Rechtsanwalt insoweit ein Ermessenspielraum von bis zu 30% zuzugestehen sei (vgl. Winkler in Mayer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., § 14 Rn. 54 m.w.N.).
Die Kammer legt eine Toleranzgrenze von 20% zugrunde. Sie konkretisiert damit ihre Entscheidung vom 16. Dezember 2008, Az.: 24 Qs 113/08. Die Zwanzig-Prozent-Linie ist dabei aber nur als "Merklinie" anzusehen (so auch LG Kaiserslautern MDR 1991, 559 [LG Kaiserslautern 05.10.1990 - 3 Qs 173/90]; OLG München MDR 2004, 176) und bei der Bewertung der individuelle Fall zu berücksichtigen, weil anderenfalls keine Ermessensausübung vorliegt (AG Kehl, Az.: 4 C 19/11 vom 26. April 2011, Jurion RS 2011, 18605; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 14 Rn. 24). Eine zu tolerierende Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt liegt auch bei Nichtüberschreiten der "Toleranzgrenze" von 20% nur dann vor, wenn diese aufgrund der Umstände des Einzelfalles in Verbindung mit den im Gesetz genannten Bemessungskriterien erfolgt /vgl. KG AGS 2004, 443). Überschreitet der Anwalt den Ermessensspielraum, so setzt das Gericht die billige Gebühr fest; dabei wird der dem Anwalt zustehende Ermessensspielraum nicht mehr berücksichtigt (vgl. Winkler in: Mayer/Kroiß, RVG, 5. Anl., § 14 Rn. 54). Unter Beachtung aller Kriterien des § 14 RVG und unter Berücksichtigung der durch den Vertreter der Landeskasse vorgetragenen Argumente, denen sich die Kammer insoweit anschließt, ist die Mittelgebühr in Höhe von 85,00 Euro die angemessene Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG.
b) Entsprechendes gilt für die Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG. Auch insoweit ist die Mittelgebühr in Höhe von 135,00 Euro unter Beachtung der Kriterien des § 14 RVG angemessen, die den "Toleranzrahmen" von 20% überschreitende Bestimmung des Rechtsanwalts unbillig und nicht verbindlich.
c) Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts und des Vertreters der Landeskasse ist die Gebühr Nr. 5115 VV RVG entstanden. Burhoff (in: RVG, 3. Aufl., Nr. 5115 VV Rn. 10) empfiehlt zu Recht, dass der Verteidiger seine erste Eingabe im Bußgeldverfahren mit einen Einstellungsantrag verbinden solle, weil dann seine Mitwirkung an einer späteren Einstellung kaum zu widerlegen sein dürfte.
Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Mitwirkung des Verteidigers aus den Akten. Der ist danach schon im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde umfassend für den Betroffenen tätig geworden. Er hat für diesen nicht nur Einspruch eingelegt und erfolgreich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist erreicht, sondern mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2010 an die Verwaltungsbehörde auch vorgetragen, dass ein anderer als sein Mandant der Fahrzeugführer gewesen sein könnte, weil der betreffende Pkw üblicherweise von mehreren Mitarbeitern genutzt werde. Das vorhandene Lichtbild lasse weder seinen Mandanten noch einen seiner Mitarbeiter zweifelsfrei erkennen. Diese Argumentation hat die zuständige Amtsrichterin zumindest auch veranlasst, der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 6. Mai 2011 mitzuteilen, dass die Fahrereigenschaft des Betroffenen "sehr zweifelhaft" sei. Gleichzeitig regte sie an, einer Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG zuzustimmen. Nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft wurde dann das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt.
Im Übrigen ist der Dritte, der eine anwaltliche Mitwirkung bestreitet, darlegungs- und beweispflichtig (vgl. Burhoff, RVG, 3. Aufl., Nr. 5115 VV Rn. 9). Hier hat der Vertreter der Landeskasse aber nur vorgetragen, dass sich eine Mitwirkung des Verteidigers aus den Akten nicht ergebe, was nach Ansicht des Beschwerdegerichts aus den vorgenannten Gründen indes nicht zutrifft.
Die Gebühr Nr. 5115 VV RVG ist nach alledem entstanden.
Die durch den Verteidiger betroffene Bestimmung ist aber auch insoweit unbillig und damit nicht verbindlich.
Unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG hielt die Kammer auch insoweit die Mittelgebühr in Höhe von 135,00 Euro für angemessen.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
IV.
Die Entscheidung ist mit keinem weiteren Rechtsmittel anfechtbar.