20.06.2013 · IWW-Abrufnummer 131927
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 21.05.2013 – 17 W 15/13
Der Zulässigkeit einer Streitwertbeschwerde steht es nicht entgegen, dass sich die anwaltlich vertretene Partei in außergerichtlich geführten Vergleichsverhandlungen mit diesem Streitwert einverstanden erklärt hat und dieser Streitwert der Kostenquote des gerichtlich festgestellten Vergleichs zugrunde gelegt wurde. Dies lässt weder die Beschwer entfallen noch ist diesem Verhalten ein Rechtsmittelverzicht zu entnehmen.
17 W 15/13
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Streitwertbeschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2012 - Az. 2-28 O 128/12 - abgeändert.
Der Gebührenstreitwert des Rechtsstreits und der Gegenstandswert des Vergleichs werden auf 31.955,73 € festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts.
Die Klägerin hat die beklagte Bank wegen fehlerhafter Anlageberatung und vorsätzlichen Kapitalanlagebetrugs im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an einem geschlossenen Medienfonds auf Schadenersatz in Anspruch genommen. Dabei hat sie die Zahlung des Anlagebetrages zuzüglich Agio (26.842,82 €) nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem Anlagezeitpunkt Zug um Zug gegen Abtretung ihres Kommanditanteils begehrt und die Freistellung von einer anwaltlichen Gebührenforderung in Höhe von 1.419,19 € (Klageantrag zu 1.). Daneben hat sie die Beklagte auf Zahlung entgangener Anlagezinsen in Höhe 12.390,35 € in Anspruch genommen (Klageantrag zu 2.). Den Betrag der entgangenen Zinsen hat die Klägerin als gleich bleibenden Hundertsatz (4% p.a.) der Anlagesumme nebst Agio errechnet. Zudem hat die Klägerin die Feststellung beantragt, dass die Beklagte sie von allen steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen im Zusammenhang mit der Beteiligung freizustellen hat (Klageantrag zu 3.).
Die Beklagte teilte dem Gericht mit, dass sich die Parteien auf einen Vergleich dahingehend geeinigt hätten, dass die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 40% des Nominalbetrages der Beteiligung ohne Agio (10.225,84 €) zahlt, wobei von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs die Klägerin 76,95 % und die Beklagte 23,05 % zu tragen hat. Die Beklagte gab an, dass sich die Parteien auch auf den Streitwert und die daraus resultierende Kostenquote geeignet hätten. Der Gesamtstreitwert betrage 44.346,08 €, wobei auf den Klageantrag zu 1.) 26.842,82 €, auf den Klageantrag zu 2.) 12.390,35 € und auf den Klageantrag zu 3.) 5.112,91 € (20% der Nominalbeteiligung) entfielen (Bl. 229 f. d.A.).
Nachdem die Klägerin gegenüber dem Landgericht ihr Einverständnis mit dem mitgeteilten Vergleich erklärt hatte, hat das Landgericht mit Beschluss vom 20. November 2012 das Zustandekommens dieses Vergleichs gemäß § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt (Bl. 233 f. d.A.) und mit Beschluss vom 21. November 2012 den Streitwert auf „bis 45.000 €“ festgesetzt (Bl. 235 d.A.).
Gegen die Streitwertfestsetzung hat der Klägervertreter am 6. Februar 2013 „namens und im Auftrag der hinter der klagenden Partei stehenden Rechtsschutzversicherung“ Beschwerde eingelegt, mit der er die Herabsetzung des Streitwertes um den für die entgangenen Anlagezinsen (Klageantrag zu 2.) berücksichtigten Betrag (12.390,35 €) begehrt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung stelle ein solcher Zinsschaden eine Nebenforderung dar, die den Streitwert der Hauptsache nicht erhöhe.
Die Beklagte hat die Streitwertfestsetzung verteidigt. Sie hält die Klägerin bereits nicht für beschwerdebefugt, weil der dem gerichtlichen Vergleich zugrunde gelegte Streitwert auf einer ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien beruhe. Dies sei als Verzicht auf eine Streitwertbeschwerde auszulegen. Zudem habe die zwischen den Parteivertretern getroffene Vereinbarung zur Höhe des Streitwertes den Vorgaben des Bundesgerichtshofs entsprochen. Der mit dem Klageantrag zu 2.) begehrte entgangene Zinsgewinn sei keine Nebenforderung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung, weil die Klägerin bereits unter dem Klageantrag zu 1.) Zinsen aus der Hauptforderung begehrt habe; eine Nebenforderung im Sinne des § 4 ZPO könne aber nur einmal in Abhängigkeit zu Hauptforderung entstehen. Jedenfalls wären 60% des sich aus dem Antrag zu 1.) ergebenden Zinsbetrages als Hauptforderung streitwerterhöhend. Die Klägerin errechne nämlich diesen Zinsbetrag aus dem vollen Nominalbetrag nebst Agio, obwohl sie - unstreitig - ca. 60% des Kapitals über Steuerersparnis und Ausschüttungen zurückerhalten habe. Damit bestehe in dieser Höhe bereits keine Hauptforderung, aus der Zinsen als abhängige Nebenforderung entstanden sein könnten.
Unter dem 20. Februar 2013 hat der Klägervertreter klargestellt, dass die Streitwertbeschwerde namens und im Auftrag der Klägerin eingelegt worden sei.
Das Landgericht hat der Beschwerde am 18. März 2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 264 f. d.A.). Durch die Mitteilung über die Einigung in Bezug auf den Streitwert und die unmissverständliche Verknüpfung mit der gerade daraus resultierenden Kostenquote hätten die Parteien ihren Willen zum Verzicht auf ein Rechtsmittel - vorliegend in Form der Streitwertbeschwerde - zum Ausdruck gebracht.
II.
Die gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 68 Abs. 1 Satz 3, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG) Beschwerde der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Wie sich aus dem klarstellenden Schriftsatz vom 20. Februar 2013 ergibt, ist die Beschwerde namens und im Auftrag der Klägerin eingelegt worden. Auf die entsprechende Rüge der Beklagten hat der Klägervertreter eine unter dem 1. Februar 2013 unterzeichnete Vollmacht der Klägerin eingereicht (Bl. 270 d.A.).
b) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin im Zuge der außergerichtlich geführten Vergleichsverhandlungen mit einem Streitwert in Höhe von 44.346,08 € „einverstanden“ erklärt hat und dies dem Gericht mitgeteilt wurde. Auch wenn das Landgericht den Streitwert „antragsgemäß“ festgesetzt hat, ist die Klägerin dennoch beschwert. Für das Verfahren der Streitwertbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer durch eine von seinem Antrag abweichende Entscheidung formell beschwert ist. Maßgeblich ist vielmehr eine materielle Beurteilung. Dies ergibt sich daraus, dass das Gericht sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt den Gebührenstreitwert von Amts wegen festzusetzen hat (§ 63 Abs. 2 GKG), wobei der Streitwert objektiv anhand des Sach- und Streitstandes zu bestimmen ist und nicht der Disposition der Parteien unterliegt. Parteianträge in diesem Zusammenhang sind daher nur als unverbindliche Anregungen aufzufassen (OLG Köln, Beschluss vom 18. November 1999 - 12 W 56/99, OLGR 2000, 119 f. OLG Celle, Beschluss vom 17. November 2005 - 3 W 142/05, OLGR 2006, 270, 271; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 24 W 17/08, NJW-RR 2008, 1697; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Oktober 2009 - 4 W 41/09, MDR 2010, 404; Kammergericht, Beschluss vom 24. Januar 2013 - 12 W 102/12, juris Rn. 1; Dörndorfer in: Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, Gerichtskostengesetz, 2. Aufl. 2009, § 63 GKG Rn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 3 Rn. 16 „Streitwertbeschwerde“).
Danach ist die erforderliche Beschwer der Klägerin allein deshalb zu bejahen, weil sie im Falle einer höheren Streitwertfestsetzung eine höhere Kostenlast zu tragen hätte.
c) Der Beklagten steht auch nicht die Einrede eines ihr gegenüber erklärten Rechtsmittelverzichts zu (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 515 Rn. 9). Dass die Klägerin im Zuge der Vergleichsverhandlungen ausdrücklich erklärt hätte, auf die Erhebung einer Streitwertbeschwerde zu verzichten, behauptet auch die Beklagte nicht. Sie will einen dahingehenden Verzicht vielmehr daraus ableiten, dass im außergerichtlich geschlossenen Vergleich eine Vereinbarung über die Höhe des Streitwertes stattgefunden habe. Eine Verzichtserklärung durch schlüssiges Handeln kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn sich der Handlung objektiv betrachtet unzweideutig der Wille entnehmen lässt, sich mit dieser Entscheidung ohne Vorbehalt abfinden zu wollen und das prozessuale Recht, diese in einer übergeordneten Instanz überprüfen zu lassen, endgültig aufgeben zu wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2013 - V ZB 193/12, juris Rn. 6). Dies ist hier im Hinblick auf den Streitwert nicht der Fall. Da das Gericht auch im Zuge einer Vergleichsfeststellung nach § 278 Abs. 6 ZPO den Streitwert objektiv festzusetzen hat, ohne an die Anregung der Parteien gebunden zu sein, kann einer dahingehenden Einigung der Parteien nicht die Aussagekraft zukommen, sich an eine - noch nicht bekannte - Streitwertfestsetzung gebunden fühlen zu wollen. Dem Umstand, dass die anwaltlich vertretenen Parteien bei dem außergerichtlich erfolgten Abschluss des Vergleichs übereinstimmend von einem bestimmten Streitwert ausgegangen sind und diesen der Berechnung der Kostenquote zugrunde gelegt haben, kann auch nicht entnommen werden, dass die Parteien für den Fall, dass das Gericht den Streitwert entsprechend festsetzt, auf Rechtsmittel verzichten wollten. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es bei der Frage der Höhe des Streitwertes naturgemäß einen Interessengegensatz zwischen dem Prozessbevollmächtigten und seinem Mandaten gibt.
Daher kann aus dem Verhalten des Rechtsanwalts nicht geschlossen werden, dass sein Mandant den von ihm für angemessen erachteten Gebührenstreitwert ebenfalls für zutreffend hält und insoweit sogar auf eine unabhängige gerichtliche Überprüfung verzichten will (OLG Köln, Beschluss vom 18. November 1999 - 12 W 56/99, OLGR 2000, 119, 120; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Oktober 2009 - 4 W 41/09, MDR 2010, 404; Kammergericht, Beschluss vom 24. Januar 2013 - 12 W 102/12, juris Rn. 1).
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die Klägerin über die Frage des angemessenen Streitwertes hier im Zuge der Vergleichsverhandlungen eine von ihrem Prozessbevollmächtigen unabhängige Ansicht gebildet hätte. Vielmehr trägt die Beklagte in ihrer Beschwerdeerwiderung selbst vor, es habe eine gegenseitige Vereinbarung „zwischen den Parteivertretern“ über die Höhe des Streitwertes stattgefunden.
d) Aus denselben Gründen stellt sich die Einlegung der Beschwerde der Klägerin gegen den von ihrem Prozessbevollmächtigten für sie ausgehandelten Streitwert auch nicht als treuwidrig dar.
2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Streitwertfestsetzung ist auch begründet. Die im Klageantrag zu Ziffer 2.) ursprünglich geltend gemachten entgangenen Anlagezinsen in Höhe von 12.390,35 € erhöhen den Gebührenstreitwert nicht, so dass der Streitwert des Rechtsstreits und der Gegenstandswert des Vergleichs auf lediglich 31.955,73 € festzusetzen sind.
Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, handelt es sich bei entgangenen Anlagezinsen, die ein Kläger als gleich bleibenden Hundertsatz von der investierten Anlagesumme berechnet, um eine Nebenforderung der Hauptforderung auf Rückzahlung des investierten Kapitals im Sinne des § 4 Abs. 1 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2012 - XI ZR 261/10, WM 2012, 1211 Rn. 14 und vom 15. Januar 2013 - XI ZR 370/11, juris). So liegt der Fall auch hier. Die Klägerin hat mit dem Antrag zu Ziffer 1.) die volle Anlagesumme nebst Agio (26.842,82 €) als Hauptforderung eingeklagt, so dass sich die mit dem Antrag zu Ziffer 2.) geltend gemachten entgangenen Anlagezinsen in Höhe von 12.390,35 €, die auf Grundlage eines Zinsgewinns von 4% p.a. aus der Anlagesumme nebst Agio berechnet sind, nicht streitwerterhöhend auswirken. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Zinsantrag als in die Zukunft gerichteter Prozent-Antrag formuliert wird oder ob die begehrte Summe - wie hier und im Falle des oben zitierten Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 2013 - XI ZR 370/11 - auf Grundlage des Prozentsatzes im Antrag bereits ausgerechnet wird (BGH, Beschluss vom 17. März 2009 - XI ZR 142/08, juris Rn. 3).
Anders als die Beklagte meint, verlieren die im Antrag zu Ziffer 2.) gemäß § 252 BGB begehrten entgangenen Anlagezinsen ihren Charakter als Nebenforderung nicht deshalb, weil die Klägerin im Klageantrag zu 1.) ebenfalls Zinsen ab dem Anlagezeitpunkt begehrt hat (wohl unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 849 BGB), die zu Recht nicht streitwerterhöhend berücksichtigt wurden. Ebenfalls unerheblich ist, ob der Klägerin - wie von ihr begehrt - der volle Anlagebetrag nebst Agio als Schadensersatz tatsächlich zustand. Für die Streitwertfestsetzung ist allein maßgeblich, dass die Klägerin im bezifferten Klageantrag zu 1.) den vollen Betrag nebst Agio eingeklagt hat.
Damit ist der Streitwert des Rechtsstreits auf 31.955,73 € festzusetzen, wobei 26.842,82 € auf den bezifferten Klageantrag zu 1.) entfallen und - wie beide Parteien nicht in Zweifel ziehen - 5.112,91 € (20% des Nominalbetrages) - auf den Freistellungsantrag zu Ziffer 3.).
Dies entspricht auch dem Gegenstandswert des Vergleichs, der sich - anders als die Beklagte offenbar meint - danach bestimmt, worüber sich die Parteien den Rechtsstreit beendend geeinigt haben, und nicht danach, worauf sie sich verständigt haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 24 W 17/08, NJW-RR 2008, 1697 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).