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  • 15.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133536

    Landgericht Neuruppin: Beschluss vom 19.04.2012 – 21 Qs 4/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Ausfertigung
    21 Qs 4/12 Landgericht Neuruppin
    5 Ds 377 Js 36564/09 (20/10) Amtsgericht Zehdenick
    Landgericht Neuruppin
    BESCHLUSS
    In der Strafsache XXX
    w e g e n Diebstahls/Hehlerei
    wird die Beschwerde des ehemaligen Verteidigers gegen den Kostenfestsetzungs-beschluss des Amtsgerichts Zehdenick vom 15.02.2012 als unbegründet verworfen.
    Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
    der Beschwerdewert wird auf 209,44 € festgesetzt.
    G r ü n d e :
    Der Beschwerdeführer macht aus abgetretenem Recht im vorliegenden Verfahren die von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeschuldigten geltend. Das Amtsgericht hat die von ihm in Höhe von 300 € geltend gemachte Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) um 176 € gekürzt. Zuzüglich der Umsatzsteuer von 19 % macht dies 209,44 € aus. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seinem eingehend begründeten Rechtsmittel, dem der Erfolg versagt bleibt.
    Der vorliegende Fall gibt Anlass, nochmals die ständige Rechtsprechung des Landgerichts Neuruppin zur Bemessung der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG darzulegen.
    1. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Anwaltsgebühren bei Rahmengebühren grundsätzlich selbst. Dabei hat er insbesondere die in der Vorschrift genannten Zumessungskriterien gegeneinander abzuwägen, um eine für sich lohnende Vergütung festzusetzen, die den Umständen des Falles gerecht wird und den Mandanten nicht unangemessen belastet. Maßgeblich sind danach die Bedeutung der Sache für den Mandanten, der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten. Letzteres gilt auch, wenn die Landeskasse dem Mandanten die notwendigen Auslagen zu erstatten hat, denn Maßstab bleiben auch in diesem Fall allein die Verhältnisse des Mandanten, dessen Auslagen zu erstatten sind. Die Landeskasse ist nicht der Rechnungsempfänger.
    2. Hinsichtlich dieser gesetzlich vorgegebenen Zumessungskriterien ist bei der Bestimmung jeder einzelnen Anwaltsgebühr zu bedenken, welcher Abschnitt der anwaltlichen Tätigkeit damit vergütet wird und welches Spektrum von der Gebühr abgedeckt wird. Insbesondere muss der Rechtsanwalt bei der Bestimmung der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und der Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG beachten, dass diese die Strafverfahren aller Art abdecken, und zwar vom Bagatelldelikt bis zum schwersten Verbrechen, welches mit lebenslanger Freiheitsstrafe verfolgt wird, oder auch vom rechtlich und tatsächlich einfachsten bis zu schwierigsten und höchst umfangreichen Strafverfahren.
    3. Die vor dem Strafrichter oder Jugendrichter des Amtsgerichts angeklagten Fälle erreichen in diesem Spektrum in der Regel weder nach ihrer Bedeutung noch nach ihrem Umfang und Schwierigkeitsgrad durchschnittliche Werte, so dass der Verteidiger nur in Ausnahmefällen insoweit die mittlere oder gar eine über der Mitte des Rahmens liegende Gebühr festsetzen kann.
    4. Ein überdurchschnittlicher Umfang und eine überdurchschnittlich schwierige Tätigkeit des Rechtsanwalts liegt in dem von der Grundgebühr und von der Vorverfahrensgebühr abgedeckten Spektrum nicht schon dann vor, wenn der Anwalt einige widersprüchliche Zeugenaussagen lesen und würdigen muss, ohne dass der Fall eine komplizierte Rechtslage in sich trägt. Zwischen „ganz einfach“ und „besonders schwierig“ gibt es ebenso viele Stufen wie zwischen „wenig bedeutsam“ und „hochgradig bedeutsam“ und zwischen „arm“ und „reich“. Der Rechtsanwalt ist bei der Bemessung seiner Gebühren verpflichtet, das richtige Maß zu finden.
    5. Soweit das Amtsgericht im Einklang mit der Auffassung des Bezirksrevisors die Meinung vertritt, dass die Bedeutung des Falles geringer einzustufen ist, wenn das Verfahren sich gegen einen Jugendlichen richtet, ist allerdings Vorsicht geboten. Sofern das Verfahren tatsächlich nur darauf abzielt, dass gegen den beschuldigten Jugendlichen nur Erziehungsmaßregeln verhängt werden, mag dies richtig sein. Denn diese Rechtsfolgen sind schon im Vergleich zur Jugendstrafe von maximal 10 Jahren von geringer Bedeutung. Soweit allerdings Zuchtmittel, wie der Dauer-Jugendarrest, zu erwarten sind, ist die Bedeutung des Falles für den Beschuldigten schon höher einzustufen und mit Fällen vergleichbar, in denen Erwachsenen eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr droht. Eine höhere Bedeutung des Falles liegt sicher dann vor, wenn die Verhängung von Jugendstrafe droht. Bei alldem muss nämlich berücksichtigt werden, dass Jugendliche auf die Verhängung von Maßregeln und Strafen empfindlicher reagieren als Erwachsene. Daher stößt es auf durchgreifende Bedenken, wenn Jugendstrafsachen von ihrer Bedeutung her undifferenziert und grundsätzlich als geringwertiger eingestuft werden.
    Im vorliegenden Fall könnte ein solcher Grundsatz aber auch schon deshalb nicht zum Tragen kommen, weil der Beschuldigte als Heranwachsender angeklagt war und deshalb die Verhängung von Rechtsfolgen nach dem Erwachsenenstrafrecht in Betracht kam (vgl. § 105 JGG).
    6. Das Amtsgericht hat unter weitgehender Berücksichtigung dieser Maßstäbe die vom Beschwerdeführer mit dem Höchstbetrag von 300 € liquidierte Grundgebühr zu Recht für unbillig und damit für nicht erstattungsfähig gehalten.
    a) Wie der Beschwerdeführer selbst vorträgt, wird mit der Grundgebühr allein der Arbeitsaufwand honoriert, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen, womit der Rechtsanwalt sich einen ersten Überblick verschafft. Eingehendere Tätigkeiten werden mit den Verfahrens- und Terminsgebühren abgegolten. Bei der Bemessung sind allerdings nicht nur der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, sondern nach § 14 Abs. 1 RVG auch die Bedeutung der Angelegenheit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten zu berücksichtigen.
    b) Dem ehemaligen Angeschuldigten wurde von der Anklage zur Last gelegt, mittels Einbruchs in ein umzäuntes Grundstück ein Motor-Crossrad im Wert von ca. 3.000 € gestohlen zu haben. Er ist bereits wegen Hehlerei, Wohnungseinbruchs und Beihilfe zum besonders schweren Diebstahl im Jahre 2006 jugendrichterlich mit einer Verwarnung und einer Arbeitsauflage belangt worden und daher einschlägig vorbelastet. Somit drohten ihm zwar erheblich schwerere Zuchmittel oder – falls er keine Reifeverzögerung aufwies – sogar eine kürzere Freiheitsstrafe auf Bewährung. Gemessen am umfangreichen Spektrum der Grundgebühr lag die Bedeutung des Falles jedoch noch deutlich unter dem Mittelmaß.
    Die Schwierigkeit des Falles beschränkte sich auf die tatsächliche Seite. Der Angeschuldigte hat die Tat bestritten. Es gab zum Zeitpunkt der Mandatierung des Beschwerdeführers einige Zeugenaussagen, die ihn belasteten. Als besondere Schwierigkeit kann eine solche alltägliche Fallkonstellation nicht gewertet werden. Die Akte bestand bis zur Mandatierung aus 85 Seiten einschließlich der Anklageschrift. Dies mag für ein Vergehensverfahren schon durchschnittlich sein, nicht aber für das durch die Grundgebühr abgedeckte Spektrum aller Strafverfahrensarten. Daher ist der Umfang der anfänglichen Informationsbeschaffung ebenfalls als unterdurchschnittlich einzustufen.
    Der Einwand des Beschwerdeführers, dass das Erstgespräch mit dem Angeschuldigten und die Akteneinsicht insgesamt sechs Stunden in Anspruch genommen hätten, greift nicht durch. Abgesehen davon, dass der angegebene Zeitaufwand zu hoch erscheint, wird das eingehende Studium der nach Annahme des Auftrages angeforderten Strafakten von der Grundgebühr nicht mehr erfasst. Dieses wird vielmehr durch die Verfahrensgebühr abgegolten. Zwar scheint diese Rechtsansicht in Rechtsprechung und Literatur umstritten zu sein (vgl. Gerold/Schmidt RVG 18. Aufl. VV 4100 Rd. 9). Eine klare Abgrenzung zwischen der Grundgebühr und den Verfahrensgebühren wäre allerdings nicht möglich, wenn man das eingehende Aktenstudium noch dem von der Grundgebühr abgedeckten Verschaffen des ersten Überblicks zurechnen würde.
    Zudem würde dies der eigenen Argumentation des Beschwerdeführers widersprechen, mit welcher er im vorliegenden Verfahren im Wege eines Antrages nach § 51 RVG beim Oberlandesgericht die Erhöhung seiner Pflichtverteidigervergütung erreicht hat. Das Oberlandesgericht ist seinem Vortrag gefolgt, demzufolge er eine Woche nach Annahme des Auftrages für die „Akteneinsicht und die erste Verifzierung der dortigen Ergebnisse“ sechs Stunden aufgewandt habe, und hat ihm eine Pauschvergütung für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG in Höhe von 250 € zugesprochen. Die Grundgebühr ist entgegen seinem Antrag nicht erhöht worden.
    b) Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, dass die Armut des Auftraggebers bei der Bestimmung der Grundgebühr außer Betracht zu bleiben habe, weil auch ein Mittelloser nicht erwarten könne, praktisch zum Nulltarif verteidigt zu werden, setzt er sich damit in Widerspruch zum Gesetzestext des § 14 Abs. 1 RVG, wonach die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers bei der Bestimmung der Gebühr zu berücksichtigen sind. Damit hat der Gesetzgeber freilich nicht zum Ausdruck gebracht, dass Mittellose zum Nulltarif zu verteidigen seien. Indes ist der Rechtsanwaltschaft damit sehr wohl aufgegeben worden, bei der Bestimmung der Gebühren eine soziale Komponente einfließen zu lassen.
    Im vorliegenden Fall ist über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers allerdings weder durch die Ermittlungen noch durch den Beschwerdeführer Konkretes bekannt geworden. Dieses Zumessungskriterium hatte daher außer Betracht zu bleiben.
    7. Im Ergebnis liegt hinsichtlich der Grundgebühr ein unterdurchschnittlicher Fall vor, so dass die Liquidation des Höchstbetrages gegenüber der erstattungspflichtigen Landeskasses nach § 14 Abs.1 S. 4 RVG unverbindlich ist. Damit hatte das Amtsgericht nach sachgemäßem Ermessen den erstattungsfähigen Teil der Grundgebühr festzusetzen. Dass dieser mit 124 € unter dem Rahmenmittelwert von 165 € liegt, ist vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen rechtlich nicht zu beanstanden.
    8. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464 b S. 3 StPO, 97 Abs. 1 ZPO.