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  • 20.05.2016 · IWW-Abrufnummer 185996

    Sozialgericht Kiel: Urteil vom 10.03.2016 – S 21 SF 282/14 E

    Ist im sozialgerichtlichen Verfahren die Verfahrensgebühr als Mindestgebühr festgesetzt, ist die fiktive Terminsgebühr (90 % der Verfahrensgebühr = rechnerisch 45 EUR) nicht unterhalb der Mindestgebühr von 50 EUR festzusetzen.


    Sozialgericht Kiel

    Beschl. v. 10.03.2016

    Az.: S 21 SF 282/14 E

    In dem Erinnerungsverfahren
    xxx
    hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Kiel, durch den Richter -, ohne mündliche Verhandlung am 10. März 2016 beschlossen:

    Tenor:

    Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Kiel in dem Rechtsstreit S 35 AS 945/14 vom 27.11.2014 wird geändert.

    Der Erinnerungsgegner hat der Erinnerungsführerin weitere 7,14 € zu erstatten.

    Der Erinnerungsgegner hat der Erinnerungsführerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten für das Erinnerungsverfahren zu erstatten.

    Gründe

    I.

    Die Erinnerungsführerin hatte - anwaltlich vertreten - am 05.08.2014 beim Sozialgericht Kiel Untätigkeitsklage erhoben. Gerügt war eine bislang nicht erfolgte Entscheidung über einen mit Schreiben vom 03.02.2014 gestellten Antrag. Das Verfahren endete durch angenommenes Anerkenntnis einschließlich Kostengrundanerkenntnis.

    Die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten in Gestalt der anwaltlichen Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) wurden wie folgt beantragt und festgesetzt:
     
    Position    VV-RVG Nr.    beantragt in €    festgesetzt in €      
    Verfahrensgebühr    3102    50,--     50,--      
    fiktive Terminsgebühr    3106    50,--     45,--      
    Postpauschale    7002    20,--     19,--      
    19 % Umsatzsteuer    7008    22,80    21,66      
    Gesamt        142,80    135,66     

    Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte die fiktive Terminsgebühr. Nach Nr. 3106 S. 2 VV RVG betrage die fiktive Terminsgebühr 90 % der Verfahrensgebühr und damit 45 €. Die Mindestgebühr der Terminsgebühr könne unterschritten werden, da der Gesetzgeber bei der fiktiven Terminsgebühr keine Einschränkungen bzgl. der Unterschreitung der Mindestgebühr gemacht habe. Nach der Gesetzesänderung betrage diese 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG n.F. Damit mache der Gesetzgeber deutlich, dass er die Höhe der fiktiven Terminsgebühr von dem rechnerischen Ergebnis der für billig erachteten Verfahrensgebühr abhängig machen wolle. Dies ergebe sich zwingend daraus, dass der Gesetzgeber dem Wortlaut der Norm Nr. 3106 VV RVG n.F. nach keine Einschränkung wie z.B. ".... beträgt die Gebühr 90 % der .... Verfahrensgebühr, jedoch nicht weniger als die gesetzliche Mindestgebühr hieraus" vorgenommen habe.

    Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.11.2014 richtet sich die mit Schriftsatz vom 05.12.2014 eingelegte Erinnerung. Zur Begründung wird ausgeführt, entgegen der Auffassung des Kostenbeamten sei es für ein Verbot des Unterschreitens einen Gebührenrahmens nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber ausdrücklich anordne, dass der von ihm vorgegebenen Gebührenrahmen nicht unterschritten werden könne. Dass ein Gebührenrahmen nicht unterschritten werden könne, sei ihm als Wesensmerkmal zu eigen. Der ausdrückliche Anspruch eines Verbotes des Unterschreitens stellte eine Redundanz dar, die es zu vermeiden gelte. Wenn ein Unterschreiten des Rahmens immer dann möglich wäre, wenn es nicht verboten wäre, verlöre die Angabe einer Untergrenze in einem Gebührenrahmen an inhaltlicher Bedeutung.

    Der Erinnerungsgegner hält den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss für zutreffend.

    II.

    Die Erinnerung ist zulässig.

    Nach § 197 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 197 Abs. 2 SGG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden. Die Monatsfrist ist eingehalten worden.

    Die Erinnerung ist auch begründet.

    anwendbare Gebührenvorschriften:

    Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§1 Abs. 1 Satz 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie im vorliegenden Fall - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem VV-RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG).
    Nach dem VV-RVG sind die hier maßgeblichen Gebühren wie folgt festgesetzt:
     
    Nr.    Gebührentatbestand    Gebühr      
    3102    Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) ..................    50,00 bis 550,00 €      
    3106    Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) ........................ Die Gebühr entsteht auch, wenn    50,00 bis 510,00 €      
        1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.          
        2. nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung werden kann oder          
        3. das Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.          
        In den Fällen des Satzes 1 beträgt die Gebühr 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nummer 1008.          
    7002    Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsleistungen ...    20 % der Gebühren - höchstens 20,00 €     

    Die Erinnerung richtet sich im Wesentlichen gegen die Höhe der fiktiven Terminsgebühr.

    Nach dem Wortlaut des Satzes 2 der Anmerkung zu Nr. 3106 VV-RVG beträgt die fiktive Terminsgebühr 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nummer 1008. Da die Verfahrensgebühr mit 50,-- € beantragt und antragsgemäß festgesetzt worden ist, sind das rechnerisch 45,-- € (auch Schafhausen in "Die Terminsgebühr nach neuem Recht" in ASR 6/2014, 254, 260 nimmt einen Gebührenrahmen von 45,-- bis 495,-- € an).

    Dem steht die Systematik der Rahmengebühren gegenüber, wonach eine Gebühr nur zwischen der Mindestgebühr einerseits und der Höchstgebühr andererseits geltend gemacht und festgesetzt werden darf.

    Der Gesetzgeber hat die Neufassung der Anmerkung zu Nr. 3106 im Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) wie folgt begründet:

    "Bei der fiktiven Terminsgebühr kommt es darauf an, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins zu nehmen. Die Höhe der zu erwartenden Terminsgebühr wird häufig von Umfang und Schwierigkeit der Angelegenheit abhängen. Daher scheint eine Anknüpfung an die Höhe der Verfahrensgebühr sachgerecht. Da die Höhe der Terminsgebühr grundsätzlich zur Höhe der Verfahrensgebühr in einem Verhältnis von 1,2 zu 1,3 steht, wird ein Betrag von 90 % der Verfahrensgebühr vorgeschlagen." (BT-Drucksache 17/11471 Seite 432)

    Der Gesetzgeber wollte ausschließlich den vor dem 2. KostRMoG bestehenden Streit beenden, ob bei der Ermittlung der fiktiven Terminsgebühr der hypothetische Verhandlungsablauf geschätzt oder eine Koppelung der fiktiven Terminsgebühr an die Verfahrensgebühr erfolgt (Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, RVG Kommentar, 7. Auflage, 2016, Nr 3106 VV-RVG Rdnr 15).

    Über die Frage, ob eine Unterschreitung des Gebührenrahmens möglich sein soll, findet sich in den Gesetzesmotiven nichts.

    Nach der bisherigen Rechtsprechung zu Fällen vor dem 2. KostRMoG wäre - unabhängig vom Meinungsstreit über die Ermittlungsmethode der fiktiven Terminsgebühr - nie eine Gebühr unterhalb der Mindestgebühr festgesetzt worden. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hieran etwas durch das 2. KostRMoG habe ändern wollen. Eine Unterschreitung des Gebührenrahmens würde vielmehr gerade in Fällen mit geringem Gebührenanspruch dem gesetzgeberischen Motiv, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins zu nehmen, zuwiderlaufen. Nach wie vor darf sich daher jede Gebühr nur innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Gebührenrahmens bewegen. Das ist bei der Verfahrensgebühr ein Rahmen von 50,-- bis 550,-- €.

    Für eine Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr unterhalb der Mindestgebühr von 50,-- € besteht kein Raum.

    Durch die Festsetzung der Gebühren auf insgesamt 100,-- € erhöht sich auch die Postpauschale nach Nr. 7002 VV-RVG um einen Euro auf 20,-- €

    Ergebnis:

    Der Erinnerungsführerin steht die antragsgemäße Kostenerstattung zu. Die Höhe der weiter zu erstattenden Kosten beträgt 7,14 €.

    Kosten:

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG.

    RechtsgebietFiktive TerminsgebührVorschriftenNr. 1008 VV RVG; Nr. 3106 VV RVG