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  • 09.10.2018 · IWW-Abrufnummer 204801

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 22.04.2018 – 7 W 9/18

    Bei einem Abfindungsvergleich richtet sich der Gegenstandswert des Vergleichs danach, wie die Rechte zu bewerten sind, die durch den Vergleich dem Streit entzogen werden. Es kommt nicht auf den Abfindungsbetrag, sondern auf den Wert der abgefundenen Ansprüche an.

    Wenn mit einem Feststellungsantrag die Feststellung beantragt wird, dass zukünftig wiederkehrende Leistungen (hier: monatliche Verletztenrente) zu erbringen sind, ist die im Gesetz geregelte Streitwertbegrenzung bei wiederkehrenden Leistungen maßgeblich, unabhängig davon, was die Parteien insoweit für eine Zahlung als Abfindung vereinbaren.


    Oberlandesgericht Hamm


    Tenor:

    1. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 29.3.2018 gegen die Streitwertfestsetzung durch die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen (Az. 6 O 60/17) mit Beschluss vom 12.12.2017 in Verbindung mit Beschluss vom 14.3.2018 in Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 9.4.2018 wird zurückgewiesen.
    2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
    1

    Gründe

    2

    I.

    3

    Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des Landgerichts, soweit der Vergleichswert betroffen ist.

    4
    Die Klägerin ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts gesetzlicher Unfallversicherer. Bei einem ihrer Mitgliedsunternehmen war im Juni 2012 der Versicherte C als Elektriker beschäftigt. Dieses Unternehmen war im Zuge von Straßenbaumaßnahmen an einer Kreuzung in Plettenberg mit Kabelarbeiten beauftragt. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um ein Unternehmen der F-Gruppe, zu der auch der Netzbetreiber dieser Kabel gehört. Die Beklagte zu 2) sollte Vorbereitungsarbeiten für das Mitgliedsunternehmen durchführen. So war der bei ihr beschäftigte Beklagte zu 1) damit beauftragt, Kabel stromlos zu schalten. Im Zuge dieser Arbeiten erlitt der Versicherte C am 5.6.2012 durch einen Stromschlag schwerste und lebensbedrohliche Verbrennungen 2. und 3. Grades. Die Klägerin erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall an und erbrachte in der Folgezeit Versicherungsleistungen.

    5

    Mit ihrer Klage hat sie im Hauptantrag von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von 198.745,64 € (Antrag zu 1) sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagten auch für den Ersatz zukünftiger Aufwendungen aus Anlass des Unfalls verpflichtet seien (Antrag zu 2). Über einen ebenfalls gestellten Hilfsantrag ist nicht entschieden worden.

    6

    Den Streitwert für den Feststellungsantrag hat sie in der Klageschrift mit einem Betrag in Höhe von 47.262,- € angegeben. Dazu hat sie ausgeführt, dass für weitere Heilbehandlungskosten 30.000,- € sowie für eine monatliche Verletztenrente ein Betrag in Höhe von insgesamt 17.262,- € (3,5-facher Jahresbetrag von 411,- €) anzusetzen seien.

    7

    Das Landgericht Hagen (damaliges Aktenzeichen 3 O 74/15) hat mit Grundurteil vom 16.3.2016 der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten (OLG Hamm, Az. 7 U 38/16) wurde zurückgenommen. Im anschließend fortgeführten Verfahren vor dem LG Hagen haben die Parteien einen durch Beschluss vom 12.12.2017 festgestellten Vergleich geschlossen, durch den sich die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichten, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 325.000,- € zu zahlen. Darüber hinaus haben die Parteien eine umfassende Erledigungserklärung vereinbart.

    8

    Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Streitwert für den Rechtsstreit und den Vergleich auf jeweils 236.555,24 € festgesetzt. Dabei ist es für den Antrag zu 1) von einem Betrag in Höhe von 198.745,64 € und für den Antrag zu 2) in Höhe von 37.809,60 € ausgegangen. Hinsichtlich des Antrags zu 2) hat das Landgericht die Wertfestsetzung damit begründet, dass aufgrund des Feststellungsantrags ein Abschlag von 20 % gegenüber dem Wert einer entsprechenden Leistungsklage vorzunehmen sei.

    9

    Im Kostenfestsetzungsverfahren haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Festsetzung einer Einigungsgebühr im nicht anhängigen Verfahren aus 88.444,76 € beantragt. Sie haben dies mit Schriftsatz vom 27.2.2018 damit begründet, dass aufgrund des Vergleichs die Zahlung eines Betrages in Höhe von 325.000,- € geschuldet sei und aus dem Vergleich daher gegenüber dem Klageantrag zu 1) ein Mehrwert resultiere.

    10

    Das Landgericht hat die Eingabe vom 27.2.2018 als Anregung zur Änderung der Streitwertfestsetzung und nicht als Streitwertbeschwerde ausgelegt und mit Beschluss vom 14.3.2018 entschieden, dass eine Änderung der Streitwertfestsetzung nicht veranlasst sei. Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts bei einem Vergleichsschluss sei der Wert der rechtshängigen und nicht rechtshängigen Ansprüche, die erledigt würden, und nicht der Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder welche Leistungen sie übernehmen. Bei Abfindungsvergleichen, in denen Feststellungsanträge zur Ausgleichspflicht über zukünftige Schäden kapitalisiert würden, sei mithin der bezifferte Wert unmaßgeblich.

    11

    Daraufhin haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 29.3.2018 Streitwertbeschwerde eingelegt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass nach der Rechtsauffassung des Landgerichts niemals ein Mehrwert anfalle. Der Streitwert für das gesamte Verfahren sei auf 325.000,- € festzusetzen. Jedenfalls sei für den Streitwert des Vergleichs der Mehrwert in Höhe von 88.444,76 € zu berücksichtigen.

    12

    Mit Beschluss vom 9.4.2018 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Die Auffassung, dass niemals ein Mehrwert anfallen könne, sei nicht korrekt. Ein Mehrwert, der den abgeschlossenen Vergleich zum Mehrvergleich mache, liege dann vor, wenn die Parteien einen weiteren, vorher nicht rechtshängigen Streitgegenstand in den Vergleich mitaufnehmen und diesen erledigen. So liege der Fall hier aber nicht, da ein mit der Klageschrift rechtshängig gemachter Feststellungsantrag kapitalisiert werde.

    13

    II.

    14

    Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

    15

    1.

    16

    Die Beschwerde ist nicht ausdrücklich im Namen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin erhoben worden. Gleichwohl ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es sich nicht um eine eigene Beschwerde der Klägerin handelt. Mit der Beschwerde wird nämlich geltend gemacht, das Landgericht habe den Streitwert zu niedrig angesetzt. Eine auf ein derartiges Begehren gerichtete Beschwerde der Klägerin wäre indes unzulässig. Denn ein Rechtsschutzinteresse besteht für die Partei regelmäßig nur an der Streitwertherabsetzung. Eine Heraufsetzung des Streitwertes kann die Partei grundsätzlich nicht verlangen (BGH, Beschluss vom 20.12.2011, Az. VIII ZB 59/11, WuM 2012, 114; Kießling, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 32 RVG Rn 51 mwN.).

    17

    Demgemäß liegt eine Beschwerde ihrer Prozessbevollmächtigten aus eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 S. 1 RVG iVm. § 68 GKG vor.

    18

    Die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 68 GKG sind erfüllt. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 GKG 200,- €. Denn die Gebührendifferenz bei einem höheren Streitwert liegt über diesem Betrag. Die Frist nach §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG ist zudem gewahrt.

    19

    2.

    20

    In der Sache hat die Beschwerde allerdings keinen Erfolg.

    21

    a)

    22

    Das Landgericht hat den Gebührenstreitwert für das gerichtliche Verfahren gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG iVm. §§ 3, 4 und 9 ZPO richtigerweise auf insgesamt 236.555,24 € festgesetzt. Dabei ist insbesondere nicht zu beanstanden, dass es – in Abweichung zu der Anregung in der Klageschrift – bei dem Antrag zu 2) aufgrund der fehlenden Vollstreckbarkeit der begehrten Feststellung einen Abschlag in Höhe von 20 % gemacht hat (vgl. MüKoZPO/Wöstmann, 5. Auflage, 2016, ZPO § 3 Rn. 72 mwN.). Hiergegen wenden sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch nicht.

    23

    b)

    24

    Im Ergebnis und in der Begründung ebenso zutreffend ist indes die Entscheidung des Landgerichts, den Gegenstandswert für den Vergleich ebenfalls auf insgesamt 236.555,24 € festzusetzen. Ein Mehrwert kommt dem Vergleich entgegen der mit der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht zu.

    25

    Daran ändert nichts, dass sich die Beklagten durch den Vergleich zu einer Zahlung von 325.000,- € verpflichten. Für die Wertbestimmung ist nämlich nicht maßgebend, dass die Parteien die Ansprüche durch Vereinbarung einer Abfindung erledigt haben. Der Wert eines Vergleichs richtet sich nicht danach, worauf sich die Parteien geeinigt haben, sondern worüber der Vergleich geschlossen wurde. Es ist also insbesondere nicht entscheidend, welchen Wert die Forderungen haben, die durch den Vergleich begründet werden. Maßgebend ist, wie die Rechte zu bewerten sind, die durch den Vergleich dem Streit entzogen wurden. Folglich kommt es bei einem Abfindungsvergleich – wie er vorliegt - nicht auf den Abfindungsbetrag, sondern auf den Wert der abgefundenen Ansprüche an (OLG Hamm, Beschluss vom 27.4.2012, Az. 20 W 13/12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3.8.2009, Az. 7 W 48/09; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.10.2014, Az. 9 W 33/14; auch schon: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.2.1991, 3 WF 29/91; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 27.11.1990, Az. 9 W 136/90).

    26

    Der für die Wertfestsetzung maßgebende Gegenstand des Rechtsstreits ist hier deckungsgleich mit dem durch den Vergleich erledigten Gegenstand.

    27

    Vorliegend haben die Parteien durch den Vergleich vom 12.12.2017 den streitgegenständlichen Antrag zu 1) (Leistungsantrag auf Zahlung in Höhe von 198.745,64 €) sowie den streitgegenständlichen Antrag zu 2) (Feststellungsantrag auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten sowie auf Verletztenrente) erledigt.

    28

    Soweit die Klägerin mit dem Antrag zu 2) die Feststellung begehrt hat, dass zukünftig die monatliche Verletztenrente in Höhe von 411,- € zu erstatten sei, bedeutet dies, dass die im Gesetz geregelte Streitwertbegrenzung bei wiederkehrenden Leistungen (3 ½ facher Jahresbetrag gemäß § 9 ZPO) maßgeblich bleibt; unabhängig davon, was die Parteien insoweit für eine Zahlung als Abfindung vereinbaren. Da vorliegend lediglich die Feststellung dieser Zahlungspflicht streitgegenständlich war, die Erledigung durch den Vergleich sich also auf dieses Feststellungsbegehren richtet, hat das Landgericht zudem zutreffend einen Abschlag von 20 % gemacht. Gleiches gilt für den von der Klägerin mit 30.000,- € bezifferten zukünftigen Anspruch auf Ersatz von Heilbehandlungskosten.

    29

    Etwaige andere, vorher nicht rechtshängige Ansprüche, die einen Mehrwert bilden könnten, haben die Parteien durch den Vergleich nicht erledigt.

    30

    Insbesondere liegt nicht der Fall vor, dass neben der Kapitalisierung eines zukünftigen Rentenanspruchs durch eine Einmalzahlung die Beendigung eines bis dahin fortbestehenden Versicherungsverhältnisses vereinbart wird. Nur in einem solchen Fall nimmt die herrschende Meinung einen Mehrwert des Vergleichs an (u.a. OLG Hamm, Beschluss vom 27.4.2012, Az. 20 W 13/12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.10.2014, Az. 9 W 33/14; OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.8.2014, Az. 8 W 1409/14).

    31

    III.

    32

    Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 GKG gebührenfrei; eine Kostenerstattung findet nicht statt.

    RechtsgebietAbfindungsvergleichVorschriften§ 48 GKG,; §§ 3, 4, 9 ZPO