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  • 15.04.2019 · IWW-Abrufnummer 208353

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 06.02.2019 – 2 Ws 37/19

    1. Die durch den Begriff der Mehrkosten bei einer Umbeiordnung geschützten Fiskalinteressen reichen nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (Anschluss an OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.03.2017, 1 Ws 122/17).

    2. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nach dem 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.07.2009 das Kriterium der Gerichtsnähe des Verteidigers i.d.R. keine entscheidende Voraussetzung für die Verteidigerbestellung mehr ist, ist der Mehrkostenbegriff bei einer Umbeiordnung dahingehend auszulegen, dass diejenigen Gebührenpositionen ausgeschlossen werden sollen, die durch die Umbeiordnung doppelt entstehen.


    Oberlandesgericht Celle

    Beschluss
     
    2 Ws 37/19
    21 Ws 37/19 GenStA
    33 Qs 76/18 LG Hannover
    222 Ds 406/17 AG Hannover
         
    In der Strafsache
    xxx
    wegen gefährlicher Körperverletzung

    hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsan­waltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und den Richter am Amtsgericht XXX am 06.02.2019 beschlossen:

    Auf die Beschwerde des Verteidigers werden die Beschlüsse der 3. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 10.12.2018 und des Amtsgerichts Hannover vom 18.10.2018 aufgehoben sowie die Kostenfestsetzungsentscheidung des Amtsgerichts Hannover vom 19.09.2018 dahingehend abgeändert, dass die Pflichtverteidigervergütung auf 1265,92 € festgesetzt wird.

    Das Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde ist gebührenfrei. Notwendige Auslagen werden nicht erstattet.

    G r ü n d e :

    I.

    Das Amtsgericht Hannover hatte mit Beschluss vom 03.01.2018 einen ortsansässigen Verteidiger zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt.

    Mit Beschluss vom 05.02.2018 entpflichtete das Amtsgericht den ortsansässigen Verteidiger und ordnete den jetzigen Verteidiger, der seinen Kanzleisitz in G. hat, unter dem Hinweis bei, dass durch die Umbeiordnung entstehende Mehrkosten nicht erstattet werden. Die Beschwerde des jetzigen Verteidigers verwarf das Landgericht Hannover mit Beschluss vom 16.04.2018 unter anderem mit der Begründung, dass die erfolgte Umbeiordnung nur möglich gewesen sei, wenn der Staatskasse keine Mehrkosten entstehen.

    Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 06.09.2018 begehrte der jetzige Verteidiger die Gebührenfestsetzung in Höhe von 1265,92 €. Durch Entscheidung der Kostenbeamtin vom 19.09.2018 wurden auf diesen Antrag 785,40 € festgesetzt und angewiesen, wobei Fahrtkosten für drei Hauptverhandlungstermine in Höhe von jeweils 99,60 € (Nr. 7003 VV RVG) und Abwesenheitsgeld in Höhe von einmal 25 € (Nr. 7005/1 VV RVG) und zweimal        40 € (Nr. 7005/2 VV RVG) nebst anteiliger Umsatzsteuer in Abzug gebracht wurden. Diese Kostenpositionen seien lediglich durch die Umbeiordnung entstanden, da der Verteidiger aus G. komme und nicht wie der vormalige Verteidiger aus H.

    Gegen diese Entscheidung legte der Verteidiger Erinnerung ein, die mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 18.10.2018 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Verteidigers verwarf das Landgericht Hannover mit Beschluss vom 10.12.2018 und ließ zugleich die weitere Beschwerde zu. Mit der weiteren Beschwerde vom 21.01.2019 verfolgt der Verteidiger sein Begehren der vollständigen Festsetzung weiter.

    II.

    Die weitere Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 Satz 1 und 4, Abs. 3 Satz 3 RVG fristgerecht eingelegt. Zwar wurde der Beschluss des Landgerichts vom 10.12.2018 bereits am 18.12.2018 an den Verteidiger übersandt und die weitere Beschwerde ging erst am 21.01.2019 beim Landgericht ein. Dies führt aber vorliegend nicht zur Unzulässigkeit der Beschwerde. Das Landgericht hat trotz fristgebundener Beschwerdemöglichkeit gegen den Beschluss keine Zustellung verfügt, sondern diesen gem. Verfügung vom 18.12.2018 lediglich formlos übersandt. Da eine Zustellung von Amts wegen zu erfolgen hat, aber eine Zustellung des Beschlusses vorliegend nicht beabsichtigt war, wurde die Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt. Es konnte auch keine Heilung gem. §§ 37 Abs. 1 StPO, 189 ZPO eintreten, denn diese setzt eine fehlgeschlagene Zustellung mit Zustellungswillen des Gerichts voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2002, VI ZB 41/02 und Urteil vom 07.12.2010, VI ZR 48/10; OLG Brandenburg, Urteil vom 16.01.2019, 7 U 104/16; Wittschier in: Musielak, ZPO, 11. Auflage, 2014, § 189 ZPO, Rn. 2; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Auflage, 2018, § 189 ZPO, Rn. 2).

    In der Sache hat die weitere Beschwerde Erfolg.

    Zutreffend stellt die Kammer im Ausgangspunkt darauf ab, dass sich der Vergütungsanspruch nach dem Beiordnungsbeschluss bestimmt, § 48 Abs. 1 RVG. Durch diesen wurde vorliegend eine Erstattung der durch die Umbeiordnung entstandenen Mehrkosten ausgeschlossen. Von dem auslegungsfähigen Begriff der „Mehrkosten“ sind die hier geltend gemachten Positionen der Fahrtkosten und des Abwesenheitsgeldes jedoch nicht erfasst. Mit dem Begriff der Mehrkosten werden Fiskalinteressen geschützt: Der Fiskus soll durch den Sinneswandel des Beschuldigten nicht belastet werden. Die so zu schützenden Fiskalinteressen reichen aber nicht weiter, als wenn der Beschuldigte den jetzt gewählten Verteidiger von vornherein bezeichnet hätte und dieser hätte beigeordnet werden können (OLG Oldenburg, Beschlüsse vom 21.03.2017, 1 Ws 122/17 und vom 23.04.2015, 1 Ws 170/15). Angesichts der durch das 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29.07.2009 erfolgten Streichung der früheren gesetzlichen Einschränkung, dass der Verteidiger möglichst aus der Zahl der örtlichen Rechtsanwälte ausgewählt werden sollte, ist die Gerichtsnähe des Verteidigers keine wesentliche Voraussetzung mehr (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Auflage, 2018, § 142, Rn. 5; vgl. Laufhütte/Willnow in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Auflage, 2013,             § 142, Rn. 5). Zwar kann der ortsferne Kanzleisitz des gewählten Verteidigers nach wie vor im Einzelfall einen Grund darstellen, die Bestellung des gewünschten Rechtsanwalts abzulehnen. Im Bestellungsverfahren tritt der Gesichtspunkt der Ortsnähe im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung aber grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis des Beschuldigten zu seinem Verteidiger zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001,       2 BvR 1152/01; BGH, Beschluss vom 17.07.1997, 1 StR 781/96; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.01.2006, 2 Ws 5/06). Der Umstand der Ortsferne steht nur dann der Bestellung entgegen, wenn dadurch eine sachdienliche Verteidigung des Beschuldigten bzw. der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gefährdet werden (OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.10.2014, 1 Ws 162/14). Unter Berücksichtigung dieser Wertung ist der Begriff der „Mehrkosten“ dahingehend zu verstehen, dass diejenigen Gebührenpositionen ausgeschlossen werden sollen, die durch die Umbeiordnung doppelt entstehen und damit den Fiskus „ohne wichtigen Grund“ i.S.d. Widerrufsmöglichkeit einer Bestellung nach § 143 StPO belasten würden. Im Übrigen wäre das „nachträgliche“ Entstehen von Fahrtkosten auch bei einer im Laufe des Strafverfahrens eingetretenen beruflichen Veränderung eines von Beginn an beigeordneten Verteidigers denkbar, etwa bei einem Kanzlei- und damit verbundenen Bezirkswechsel.

    Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Beschluss vom 23.04.2015 (1 Ws 170/15) bei der Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einen Vergleich der räumlichen Entfernungen zwischen Gericht und dem Kanzleiort des Verteidigers sowie der Größe des Landgerichtsbezirks vorgenommen hat. Denn hiermit hat das Oberlandesgericht seine Einzelfallentscheidung lediglich dahingehend begründet, dass der Umstand der Ortsferne im dortigen Einzelfall gerade keine Gefährdung der sachdienlichen Verteidigung und des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs darstellt. Sofern das Landgericht darauf abstellt, dass diese Argumentation nicht übertragbar sei, weil der Amtsgerichtsbezirk Hannover deutlich kleiner sei als der Landgerichtsbezirk Osnabrück und dementsprechend vergleichbare Reisekosten bei der Auswahl eines ortsansässigen Verteidigers nicht entstünden und deshalb der (umfassend verstandene) Mehrkostenausschluss angemessen sei, folgt der Senat dem nicht. Denn der bloße Vergleich der Höhe der Reisekosten entbindet das Gericht nicht von der Prüfung der Beiordnung nach den oben genannten Grundsätzen. Andernfalls wäre eine erhebliche Einschränkung dieser Grundsätze zur Verteidigerauswahl gegeben, weil dann faktisch lediglich noch Beiordnungen von Rechtsanwälten aus dem Bezirk des Amtsgerichts Hannover in Betracht kämen.

    Die Auffassung des Landgerichts, dass nur ein (umfassend verstandener) Mehrkostenausschluss den hinreichenden Schutz der Fiskalinteressen gewährleiste und damit eine missbräuchliche Anwendung verhindere, teilt der Senat nicht. Gerade im Hinblick auf eine missbräuchliche Anwendung gilt die freie Auswahlmöglichkeit hinsichtlich des zu bestellenden Pflichtverteidigers für den Beschuldigten nicht unbegrenzt, sondern das Kriterium der Ortsnähe ist noch immer in die Prüfung der Beiordnungsvoraussetzungen einzubeziehen und kann in einem entsprechenden Einzelfall einer Bestellung entgegenstehen.

    Die im Festsetzungsantrag vom 06.09.2018 angesetzten Fahrtkosten waren zutreffend berechnet und die Abwesenheitsgelder angesichts der jeweiligen Verhandlungsdauer auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, so dass noch ein Differenzbetrag in Höhe von 480,52 € (1265,92 € - 785,40 €) aus der Landeskasse zu vergüten ist.

    Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

    Gegen diese Entscheidung ist keine weitere Beschwerde statthaft, § 304 Abs. 4 S. 2 StPO.

    RechtsgebietUmbauordnungVorschriftenNr. 7002 VV RVG