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  • 16.08.2019 · IWW-Abrufnummer 210645

    Landgericht Osnabrück: Beschluss vom 03.07.2019 – 1 KLs 5/18

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Osnabrück

    Beschluss
     
    1 KLs 5/18
    879 Js 425/17              

    In der Strafsache

    gegen    ###,
    geboren am ### in ###,
    zurzeit ###,
    ###, ###,
    geschieden, Staatsangehörigkeit: ###,

    Verteidiger: Rechtsanwalt ###
    ###

    wegen    schwerer räuberischer Erpressung

    hat die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück am 03.07.2019 durch die unterzeichnenden Richter – zu 1. durch die Richterin am Landgericht ### als Einzelrichterin – beschlossen:

    1. Die Entscheidung über die Erinnerung wird wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Kammer übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
    2. Auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers wird die Entscheidung der Kostenbeamtin des Landgerichts Osnabrück vom 01.02.2019 dahingehend geändert, dass wegen der für die Tätigkeit als Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung ein weiterer Betrag von 741,37 € festgesetzt wird.
    3. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe:

    1. Mit Urteil der Kammer vom 17.12.2018 ist gegen den Verurteilten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren verhängt worden. Das Urteil ist am 21.01.2019 zur Geschäftsstelle gekommen. Die am 21.12.2018 rechtzeitig eingelegte Revision des Verurteilten ist mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 10.01.2019 – beim Landgericht eingegangen am 11.01.2019 – zurückgenommen worden.

    Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 14.01.2019 hat der Pflichtverteidiger u. a. für das Revisionsverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 4131, 4130 VV RVG In Höhe von 603,00 € nebst einer Pauschale für Post und Telekommunikation von 20,00 € und 118,37 € Umsatzsteuer – insgesamt 741,37 € – geltend gemacht, deren Festsetzung mit der oben genannten Entscheidung der Kostenbeamtin abgelehnt worden ist, da die Einlegung des Rechtsmittels nach § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG noch zur Vorinstanz gehöre und mit der Verfahrensgebühr abgegolten werde. Zur Einlegung des Rechtsmittels gehörten auch die Prüfung der Erfolgsaussichten nebst Beratungen mit dem Mandanten. Hiergegen wendet sich der Pflichtverteidiger mit der Erinnerung vom 05.02.2019, die er dahin begründet hat, lediglich die Einlegung des Rechtsmittels selbst sei noch von der Verfahrensgebühr der Vorinstanz erfasst, jede darüberhinausgehende Tätigkeit des Verteidigers lasse hingegen die Verfahrensgebühr für die Revisionsinstanz entstehen. Dies gelte insbesondere für eine Beratung des Mandanten hinsichtlich der Erfolgsaussichten und des Sinns der Einlegung und Aufrechterhaltung der Revision. Der Verteidiger habe den Verurteilten gleich mehrfach beraten und zwar in Anwesenheit des Wahlverteidigers vor der mündlichen Urteilsverkündung sowie unmittelbar danach. In der Folgezeit hätten zwei Telefonate zwischen dem Verteidiger und einem weiteren vom Verurteilten beauftragten Rechtsanwalt sowie ein Telefonat mit dem Verurteilten stattgefunden, in denen der Verteidiger hinsichtlich der Erfolgsaussichten sowie der Rechtsfolgen einer möglichen Rücknahme der Revision beraten habe.

    Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung mit Entscheidung vom 13.05.2019 nicht abgeholfen.

    Die Bezirksrevisorin beim Landgericht hat unter dem 27.05.2019 dahingehend Stellung genommen, die Einlegung der Revision des bereits vor dem Tatgericht tätig gewordenen Verteidigers gehöre grundsätzlich gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG noch zur Vorinstanz und sei mit der dort verdienten Verfahrensgebühr abgegolten. Der Grund liege darin, dass bereits ohne Vorliegen einer schriftlichen Begründung der in der mündlichen Verhandlung ausgesprochenen Entscheidung in kurzer Frist der Zugang zum nächsten Rechtszug eröffnet werden müsse. Unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden hat die Bezirksrevisorin weiter ausgeführt, zu der Einlegung von Rechtsmitteln gehöre zwangsläufig auch die Prüfung der Erfolgsaussicht, so dass diese Tätigkeiten ebenfalls noch zum vorangegangenen Rechtszug zählten und folglich mit der dort verdienten Verfahrensgebühr abgegolten würden. Weder das schriftliche Urteil noch das Hauptverhandlungsprotokoll seien dem Verteidiger vor Rücknahme des Rechtsmittels zugegangen. Eine weitere Prüfung und Beratung des Verurteilten aufgrund neuer Tatsachen – etwa nach Prüfung der schriftlichen Urteilsgründe – habe somit gar nicht erfolgen können. Es wäre insofern nicht sachgerecht, einem Verteidiger, der bei seinem Mandanten nach mündlicher Urteilsverkündung wegen Aussichtslosigkeit bzw. Unzweckmäßigkeit die Einlegung einer Revision gar nicht erst anrege, keine Verfahrensgebühr zuzusprechen, während dem Verteidiger, der erst später – ohne neue Tatsachen – diese Erkenntnis gewinne, hierfür die Verfahrensgebühr zugebilligt würde. Die Rücknahme der Revision sei das Ergebnis der erfolgten Rechtsmittelüberprüfung und löse nicht gesondert die Verfahrensgebühr für die Durchführung des Revisionsverfahrens nach Nrn. 4130, 4131 VV RVG aus.

    Der Pflichtverteidiger hat sich zur Stellungnahme der Bezirksrevisorin mit Schriftsatz vom 05.06.2029 dahin geäußert, es sei in Rechtsprechung und Literatur ganz herrschende Meinung, dass jede nach der Einlegung eines Rechtsmittels entfaltete Tätigkeit des Verteidigers, der bereits in der Vorinstanz tätig gewesen sei, auch die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz (Berufungsverfahren oder Revisionsverfahren) auslöse. Sie falle lediglich dann nicht an, wenn ein bereits in der Vorinstanz tätiger Verteidiger hinsichtlich der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels vor der Einlegung des Rechtsmittels berate und/oder das Rechtsmittel lediglich ein-lege. Wenn wie vorliegend eine Beratung nach Einlegung des Rechtsmittels erfolge, so falle die Verfahrensgebühr für die Rechtsmittelinstanz immer an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz verwiesen.

    2. Die nach § 56 RVG statthafte Erinnerung gegen die Zurückweisung der Vergütungsfestsetzung hat Erfolg.

    Die Gebühr Nr. 4131 VV RVG ist – entgegen der Ansicht der Vertreterin der Staatskasse – entstanden. Während die Einlegung der Revision selbst gemäß § 19 Nr. 10 RVG für den Verteidiger, der – wie hier – in dem vorhergehenden Rechtszug bereits tätig war, nicht dem Abgeltungsbereich der Nrn. 4130, 4131 VV RVG, sondern noch dem der Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens des vorhergehenden Rechtszugs zuzurechnen ist, gehören die Rücknahme der Revision und die Prüfung der Erfolgsaussichten zum Abgeltungsbereich der Nrn. 4130, 4131 VV RVG (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.10.2007 – III-2 Ws 228/07 –, Rn. 10, juris; anders möglicherweise das OLG Dresden, Beschluss vom 13.03.2014 – 2 Ws 113/14 –, Rn. 3, juris, wonach gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 10 RVG die Einlegung von Rechtsmitteln und damit zwangsläufig auch die Prüfung der Erfolgsaussicht noch zum vorangegangenen Rechtszug gehöre und mit der dort verdienten Verfahrensgebühr abgegolten sei, wenn der Rechtsanwalt den Angeklagten bereits vertreten habe bzw. diesem als Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei). Vorliegend hat der Pflichtverteidiger mit Schriftsatz vom 10.01.2019 das von ihm für den Verurteilten eingelegte Rechtsmittel zurückgenommen und damit eine vom Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr der Nrn. 4130, 4131 VV RVG erfasste Tätigkeit erbracht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.08.2006 – 2 Ws 135/06 –, StraFo 2006, 433, 434).

    Einer Vergütung des Pflichtverteidigers steht nicht entgegen, dass er die Revision nicht begründet und noch vor Zustellung des schriftlichen Urteils zurückgenommen hat. Die Gebühr nach den Nrn. 4130, 4131 VV RVG entsteht nicht erst mit der Begründung der Revision, wenn sie auch nach dem Willen des Gesetzgebers „insbesondere“ für den „Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit“ im Revisionsverfahren bei der Fertigung der Rechtsmittelbegründung anfällt, mit der Folge, dass die Verfahrensgebühr ausgelöst wird, selbst wenn der Verteidiger sich darauf beschränkt, in der Revisionsschrift lediglich die Verletzung materiellen Rechts zu rügen. Das bedeutet aber nicht, dass Arbeiten des Verteidigers in der Rechtsmittelinstanz, die der Rechtsmittelbegründung vorausgehen, die Gebühr noch nicht auslösen. Denn mit der Verfahrensgebühr wird ausweislich der amtlichen Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG jedes „Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“ abgegolten. Demnach erfasst die Gebühr der Nrn. 4130, 4131 VV RVG nicht erst die Revisionsbegründung, sondern bereits die anwaltliche Prüfung und Beratung, ob und gegebenenfalls mit welchen Anträgen die – häufig aus Zeitgründen zunächst nur zur Fristwahrung eingelegte – Revision begründet und weiter durchgeführt werden soll. Diese prüfende und beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts gehört entgegen der Ansicht der Bezirksrevisorin nicht mehr zur Einlegung des Rechtsmittels. Wird die Revision nicht begründet und im Einverständnis des Mandanten zurückgenommen, fehlt es zwar an „einer anwaltlichen Kerntätigkeit im Revisionsverfahren“, ohne dass dadurch jedoch die bereits entstandene Verfahrensgebühr wieder entfiele (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20.01.2009 – 1 Ws 382/08 –, juris).

    Nach Auffassung der Kammer setzt die Entstehung des Gebührenanspruchs nach Nrn. 4130, 4131 VV RVG durch die Rücknahme einer Revision auch nicht zwingend voraus, dass das schriftlich begründete tatrichterliche Urteil vorliegen muss. Zwar lösen völlig überflüssige und bedeutungslose Prozesshandlungen, die offensichtlich ohne jeden sachlichen Grund vorgenommen werden, nur um den Gebührentatbestand zu erfüllen, keinen Vergütungsanspruch aus (vgl. OLG Oldenburg, JurBüro 1991, 540, 541, für den Fall, dass der bestellte Verteidiger nach Zusendung des Urteils mit der Mitteilung, die Staatsanwaltschaft habe Revision eingelegt, bei dem Gericht der bisherigen Instanz deren Verwerfung beantragt und mit dem Angeklagten die Aussichten der Revision bespricht, wenn sodann die Staatsanwaltschaft die Revision, ohne sie begründet zu haben, zurücknimmt), das ist jedoch regelmäßig nur dann der Fall, wenn die Revision von einem anderen Verfahrensbeteiligten eingelegt worden und der Verteidiger auf die Begründung des gegnerischen Rechtsmittels angewiesen ist, um für den Angeklagten sinnvoll tätig werden zu können.

    Vorliegend hat der Pflichtverteidiger in seiner Stellungnahme die von ihm entfalteten Tätigkeiten beschrieben. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Verurteilte nach Beratung durch seinen Pflichtverteidiger die Revision dann wieder zurücknimmt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.). Überdies konnte der Verteidiger die Erfolgsaussichten des eigenen Rechtsmittels schon anhand der mündlichen Urteilsbegründung der Kammer, die bei dieser Gelegenheit regelmäßig um eine ausführliche und nachvollziehbare Darstellung bemüht ist, einschätzen und den Verurteilten über die Zweckmäßigkeit und Folgen einer weiteren Durchführung des Revisionsverfahrens zuverlässig beraten. Hinzu kommt, dass auch die Begründung der Revision nach § 345 Abs. 1 StPO in zulässiger Weise schon bei ihrer Einlegung erfolgen kann und in diesem Fall – in der Regel bereits vor der Urteilszustellung – die Verfahrensgebühr auslöst (vgl. KG Berlin, a.a.O.).

    Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass die Revision ohne sachlichen Grund rechtsmissbräuchlich eingelegt worden ist, haben sich nicht ergeben.

    Die entstandene Gebühr ist mithin wie geschehen festzusetzen.

    3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

    RechtsgebietRechtsmittelVorschriften§ 19 RVG