17.09.2019 · IWW-Abrufnummer 211207
Bundesverwaltungsgericht: Beschluss vom 27.06.2019 – 2 KSt 1.19
Reisekosten eines Verfahrensbeteiligten in Gestalt von Fahrkarten der Deutschen Bahn im sog. "Flexpreis"-Tarif sind stets erstattungsfähig i.S.v. § 162 Abs. 1 VwGO. Die Pflicht, die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung so niedrig wie möglich zu halten, führt nicht dazu, dass der Erstattungsanspruch auf den Betrag eines eventuellen Sparangebots ("Super-Sparpreis") reduziert wäre.
Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 27.06.2019
Az.: BVerwG 2 KSt 1.19
Gründe
Die Erinnerung der Beklagten vom 2. Mai 2019 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. April 2019 für das Verfahren BVerwG 2 A 4.17 ist gemäß § 151 i.V.m. § 165 VwGO zulässig und begründet.
1. Die Beklagte hat die Festsetzung ihrer außergerichtlichen Kosten auf 429,80 € nebst Zinsen von 5 v.H. über dem jeweiligen Basiszins ab Antragseingang beantragt. Durch Beschluss des Urkundsbeamten vom 24. April 2019 sind die Kosten mit nur 312,90 € nebst Zinsen von 5 v.H. über dem Basiszins ab dem 22. Januar 2019 festgesetzt worden. Zur Begründung hat der Urkundsbeamte ausgeführt, die über die Festsetzung hinaus geltend gemachten und durch die Vorlage einer Bahnfahrkarte nachgewiesenen Reisekosten für die Hinfahrt des Behördenvertreters zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 25. Oktober 2018 seien nicht notwendig gewesen, weil vorhandene Sparangebote der Deutschen Bahn weder geprüft noch genutzt worden seien.
Die Beklagte hat gegen den am 29. April 2019 zugestellten Beschluss am 2. Mai 2019 Erinnerung eingelegt und die Festsetzung der mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss abgelehnten Prozesskosten beantragt. Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die Beklagte kann Reisekosten für einen Behördenvertreter geltend machen (a). Die Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen bemisst sich nach den einschlägigen Vorschriften (b).
a) Der Kostenbeamte ist im angefochtenen Beschluss vom 24. April 2019 zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den von der Beklagten erstatteten Reisekosten ihrer Bediensteten dem Grunde nach um zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen eines Beteiligten handelt, die gemäß § 162 Abs. 1 VwGO zu den Kosten des Verfahrens zählen, die der Kläger auf der Grundlage des Kostenausspruchs in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2018 - 2 A 4.17 - zu tragen hat. Die Notwendigkeit einer Aufwendung muss aus der Sicht einer verständigen Partei beurteilt werden. Dabei ist jeder Beteiligte aus dem prozessrechtlichen Verhältnis heraus verpflichtet, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (BVerwG, Beschluss vom 20. August 2014 - 9 KSt 3.14 <9 A 7.13 > - Buchholz 310 § 162 VwGO Nr. 52 Rn. 2), soweit sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2012 - VI ZB 59/11 - NJW 2013, 66 Rn. 9; Schulz, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 91 Rn. 49 m.w.N. der Rspr).
Reisekosten der Beteiligten, auch des Behördenvertreters, für die Teilnahme am Termin der mündlichen Verhandlung sind regelmäßig erstattungsfähig. Dies gilt auch dann, wenn das persönliche Erscheinen des Beteiligten nicht vom Gericht angeordnet worden ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Oktober 2017 - OVG 3 K 6.17 - juris Rn. 3; VGH Mannheim, Beschluss vom 3. Juli 1990 - 8 S 2212/87 - juris Rn. 2; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 162 Rn. 11 - 12 m.w.N.).
b) Die Höhe der zu erstattenden Auslagen der Beteiligten, insbesondere welches Beförderungsmittel und in welcher Höhe dessen Kosten als notwendig anzuerkennen sind, ist in der Verwaltungsgerichtsordnung nicht geregelt. Unabhängig davon, ob sich die Reisekostenerstattung nach § 173 VwGO, § 91 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 ZPO i.V.m. § 9 Abs. 3 Satz 1 des früheren Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen - ZSEG - (vgl. dafür BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 1983 - 4 A 1.78 - Rpfleger 1984, 158) bzw. nunmehr i.V.m. § 5 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes - JVEG - (vgl. dafür VG Gießen, Beschluss vom 16. März 2009 - 10 O 188/09.GI - juris Rn. 13 f. m.w.N.) oder nach den §§ 3 und 4 des Bundesreisekostengesetzes - BRKG - bzw. nach dem jeweiligen Landesreisekostengesetz richtet (vgl. dafür OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Oktober 2017 - OVG 3 K 6.17 - juris Rn. 6; VGH Kassel, Beschluss vom 25. Januar 1989 - F 4471/88 - AgrarR 1989, 256; Neumann, Reisekosten von Behördenvertretern im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren, DÖV 2012, 510 <517>), hat die Beklagte im vorliegenden Fall Anspruch auf volle Erstattung der beantragten Reisekosten für die Fahrkarten der Deutschen Bahn (§ 4 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BRKG bzw. § 5 Abs. 1 JVEG). Nach allen Rechtsgrundlagen werden notwendige Kosten, die für Fahrten auf dem Land- oder Wasserweg mit regelmäßig verkehrenden Beförderungsmitteln entstanden sind, erstattet. Während für Bahnfahrten - wie hier - von einer Dauer von mindestens zwei Stunden nach dem Bundesreisekostengesetz die entstandenen Fahrtkosten der nächsthöheren Klasse erstattet werden können (§ 4 Abs. 1 BRKG), sieht § 5 Abs. 1 JVEG die Erstattung der tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierung und Beförderung des notwendigen Gepäcks vor.
Mögliche Fahrpreisermäßigungen sind nach dem Gesetzeswortlaut ausdrücklich nur nach dem Bundesreisekostenrecht zu berücksichtigen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BRKG).
Daraus folgt u.a., dass die Beteiligten gehalten sind, die Wahrnehmung von Gerichtsterminen rechtzeitig unter der Berücksichtigung konkreter Einsparmöglichkeiten zu planen und durchzuführen. Dem genügt es indes, bei der Buchung von Bahntickets auf die von der Deutschen Bahn AG angebotenen sog. Flexpreistickets zuzugreifen. Entgegen den Ausführungen des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses muss sich ein Beteiligter nicht auf die oft wechselnden "Super-Sparpreis-Fahrkarten" der Deutschen Bahn AG verweisen lassen. Denn berechtigte Interessen eines Beteiligten müssen nicht hinter Kostenerwägungen zurücktreten. Zu den berechtigten Interessen jedes Verfahrensbeteiligten gehört es, orientiert an einem abstrakt-generalisierenden Maßstab unabhängig vom konkreten Einzelfall (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2012 - X ZB 11/12 - BGHZ 196, 52 Rn. 26), ohne zeitliche Zugbindungen zu einem Gerichtstermin an- und danach wieder abzureisen. Für die Abreise ergibt sich dies schon aus dem Umstand, dass die zeitliche Dauer eines Gerichtstermins nicht vorab sicher voraussehbar ist, sodass die Wahl eines Sparangebots mit fester Zugbindung zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Aber auch für die Anreise zu einem Gerichtstermin mit einem regelmäßig verkehrenden Beförderungsmittel - hier der Bahn - darf jeder Beteiligte sein berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung seiner Belange erforderlichen Schritte tun. Ihn trifft lediglich die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 - VI ZB 7/12 - NJW 2012, 2734 Rn. 9). Flexpreistickets und "Super-Spar-Angebote" der Deutschen Bahn sind aber nicht gleichartig und auch nur bedingt gleichwertig, weil die Sparangebote den Reisenden von vornherein in der Wahl des Beförderungsmittels einschränken.
Darüber hinaus folgt im Fall unvorhergesehener kurzfristiger Terminsaufhebungen durch das Gericht bei der Inanspruchnahme von Sparangeboten der Deutschen Bahn mit Zugbindung, dass diese - anders als Flexpreistickets - nicht stornier- und umtauschbar sind. Sie können sich im Ergebnis mithin als teurere Variante darstellen, weil sowohl das nicht umtauschbare Ticket für den aufgehobenen Gerichtstermin als auch die weitere Fahrkarte für den neuen Gerichtstermin als notwendige Reisekosten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BRKG oder § 5 Abs. 1 JVEG erstattungsfähig wären.
Schließlich ist die aus § 4 Abs. 2 Satz 1 BRKG folgende Pflicht zur Berücksichtigung - nicht zur Beachtung - sparsamer Reisemöglichkeiten (das "wie" der Reise) stets in Zusammenschau mit dem Grundsatz der Erstattungspflicht für die "dienstlich veranlassten notwendigen Reisekosten" (§ 3 Abs. 1 Satz 1 BRKG, das "ob" der Reise) zu sehen. Erstattet werden müssen also notwendige Aufwendungen, sodass auch für die beantragten Reisekosten des Behördenvertreters zu einem Gerichtstermin nur die Geeignetheit und Erforderlichkeit zu prüfen sind; für Angemessenheitserwägungen hingegen ist hier kein Raum (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 162 Rn. 5).
An diesem Maßstab orientiert sind die von der Beklagten geltend gemachten Reisekosten für Bahnreisen auf "Flexpreis"-Basis notwendig. Planung und Durchführung von An- und Abreise von Verfahrensbeteiligten und ihren Vertretern zu einem Gerichtstermin haben bezogen auf das Ziel einer effektiven Rechtsschutzgewährung eine nur dienende Funktion. Diese Funktion schließt eine Obliegenheit der Beteiligten zur "Jagd nach Fahrpreis-Schnäppchen" aus. Damit sind auf "Flexpreis"-Grundlage der Deutschen Bahn AG entstandene Bahnreisekosten eines Verfahrensbeteiligten oder seines Vertreters stets als notwendig und damit als voll erstattungsfähig anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich.
Die Übertragung der abschließenden Kostenfestsetzung auf den Urkundsbeamten beruht auf § 173 VwGO, § 573 Abs. 1 Satz 3, § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. VGH München, Beschlüsse vom 30. Dezember 2011 - 15 M 11.24 73 - juris Rn. 10 und vom 3. Dezember 2003 - 1 N 01.18 45 - NVwZ-RR 2004, 309 <310>; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 10).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
RechtsgebietReisekostenVorschriften§ 162 VwGO