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  • 02.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220271

    Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 29.12.2020 – 10 WF 168/20

    1. Einigen sich die Beteiligten in einem Verfahren über den eigentlichen Streitgegenstand hinausgehend auf die Veräußerung der gemeinsamen Immobilie, richtet sich der Gegenstandswert im Verfahren nicht nach dem geschätzten Verkaufswert des Objekts, sondern danach, worüber zwischen den Beteiligten eine Streitigkeit oder eine Ungewissheit im Verfahren bestand, die mit der Einigung beendet wurde.

    2. Jedenfalls in Fällen, in denen ein offenkundig falscher, aber inzwischen bestandskräftiger Wertfestsetzungsbeschluss vorliegt, ist die Staatskasse ausnahmsweise nicht dazu verpflichtet, eine aus diesem Grund deutlich überhöhte Wahlanwaltsvergütung nach § 50 Abs. 1 RVG mittels einer nachträglichen Zahlungsanordnung nach § 120a Abs. 1 ZPO zulasten des Beteiligten durchzusetzen.


    Oberlandesgericht Celle

    Beschluss

    10 WF 168/20
    605 F 1636/17 Amtsgericht Hannover

    In der Familiensache

    E. Y., ...,

        Antragstellerin und Beschwerdeführerin,

    Verfahrensbevollmächtigter:
    Rechtsanwalt U., ...,

    gegen

    M. Y., ...,

        Antragsgegner,

    wird auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 11. September 2020 teilweise geändert und in Abänderung des Verfahrenskostenhilfebeschlusses vom 24. Mai 2017 da-hingehend gefasst, dass eine Zahlung aus ihrem Vermögen in Höhe von 5.787,34 € angeordnet wird, die spätestens bis zum 31. Januar 2021 zu leisten ist. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

    Von der Erhebung von Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.

    Gründe:

    I.

    In dem - zwischenzeitlich beendeten - Unterhaltsverfahren ist der Antragstellerin mit Beschluss vom 24. Mai 2017 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren bewilligt worden. Für das Verfahren erster Instanz ist mit Beschluss vom 30. Oktober 2018 ein Verfahrenswert von 18.420 € festgesetzt worden. Mit Beschluss vom 24. Januar 2019 ist die der Antragstellerin bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf einen im Güterichterverfahren von den Beteiligten geschlossenen Mehrvergleich erstreckt worden, in welchem sich die Beteiligten unter anderem darauf geeinigt hatten, dass sie ihre im hälftigen Miteigentum stehende Immobilie in H. veräußern wollen. Dabei sind sie von einem Verkaufspreis von etwa 350.000 € ausgegangen und der Erlös sollte nach Abzug der Gesamtschulden hälftig geteilt werden. Von dem Erlösanteil der Antragstellerin sollten zur Abgeltung von Zugewinnausgleichsansprüchen des Antragsgegners 10.000 € direkt an ihn und weitere je 5.000 € an die beiden Kinder der Beteiligten fließen. Den Wert des „Mediationsverfahrens“ sowie des dort geschlossenen Vergleichs hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. November 2018 auf jeweils bis 350.000 € festgesetzt, was nicht angefochten worden ist.

    Nachdem die Immobilie der Beteiligten am 13. Juni 2019 veräußert worden ist und der Antragstellerin aus dem Erlös 60.000 € zugeflossen sind, hat ihr damaliger Verfahrensbevollmächtigte die nachträgliche Festsetzung der Regelvergütung nach § 50 RVG in Höhe von 11.983,66 € abzüglich der VKH-Vergütung nach § 49 RVG in Höhe von 1.089,44 € sowie 1.011,50 €, also von 9.882,71 € begehrt. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2019 ist die Antragstellerin durch die Rechtspflegerin darauf hingewiesen worden, dass die Anordnung einer Einmalzahlung zur Begleichung ihrer Verfahrenskosten aus dem zwischenzeitlichen Vermögenszufluss beabsichtigt sei. Nach Berechnung dieser Verfahrenskosten wurde ergänzend mit Verfügung vom 4. Juni 2020 mitgeteilt, dass sich die Einmalzahlung voraussichtlich auf 12.189,53 € (zusammengesetzt aus 2.306,82 € anteiliger Gerichtskosten sowie der anwaltlichen VKH-Vergütung und 9.882,71 € Wahlanwaltskosten nach § 50 RVG) belaufen werde. In ihrer Stellungnahme hat die Antragstellerin statt einer Einmalzahlung um die Anordnung von Raten gebeten, weil sie aus dem Vermögen ihren allgemeinen Lebensunterhalt sowie denjenigen der beiden Kinder bestreiten müsse. Diesem Ansinnen ist ihr Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 8. September 2020 entgegengetreten.

    Mit Beschluss vom 11. September 2020 hat das Amtsgericht eine Nachzahlungsanordnung in Höhe von 12.189,53 € nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 ZPO gegenüber der Antragstellerin erlassen, welche bis zum 15. Oktober 2020 an die Gerichtskasse zu leisten sei. Das erworbene Vermögen aus dem Verkauf des Hauses überschreite deutlich das Schonvermögen von 5.000 € und eine Ratenzahlung könne mangels Zustimmung ihres Verfahrensbevollmächtigten nicht angeordnet werden.

    Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 19. Oktober 2020 eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit welcher sie ihr Begehren nach einer Ratenzahlungsanordnung aus den bereits vorgetragenen Gründen weiterverfolgt. Ihr sei es nicht zumutbar, das erworbene Vermögen zur Zahlung der Verfahrenskosten einzusetzen, weil sie als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern ohne andere Unterstützung auf diese Einnahmequelle angewiesen sei. Sie müsste andernfalls Sozialhilfeleistungen beantragen.

    Der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme zur Beschwerde vom 2. Novem-ber 2020 ausgeführt, dass die Nachzahlungsanordnung weitestgehend zutreffend erfolgt sei. Sie sei lediglich um 42,50 € netto durch die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr zu reduzieren, die der Verfahrensbevollmächtigte für seine vorgerichtliche Tätigkeit im Wege der Beratungshilfe erhalten habe.
    Im Übrigen sei das aus dem Verkauf des Hauses zugeflossene Vermögen in Höhe von 60.000 € zweifelsfrei nach Maßgabe des § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII für die Verfahrenskosten einzusetzen.

    Eine nachträgliche Anordnung nach § 120a ZPO könne nur im Ausnahmefall des § 90 Abs. 3 SGB XII unterbleiben, wobei dessen Voraussetzungen angesichts des nach Abzug des Einmalbetrages noch verbleibenden Betrages von 47.861,04 € nicht erkennbar seien. Ein Anspruch auf Ratenzahlung bestünde nicht, zumal die Raten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO aus dem Einkommen zu bestreiten sei, welches die Antragstellerin derzeit nicht erziele.

    Der Bezirksrevisor hat gleichwohl angeregt, zu prüfen, ob nicht ausnahmsweise eine Einschränkung der gemäß § 50 RVG grundsätzlich bestehenden Einziehungspflicht betreffend die errechnete Vergütung des Verfahrensbevollmächtigten anzunehmen sei und damit eine Reduzierung der Einmalzahlungsanordnung vorgenommen werden könne. Die Vergütung hätte an sich nach einem - bei zutreffender Festsetzung - Wert von 41.420 € bemessen müssen, weil der erfolgte Wertfestsetzungsbeschluss über 350.000 € falsch gewesen sei. Aus diesem Grund seien auch die Gerichtskosten nach § 20 FamGKG teilweise niedergeschlagen worden, soweit sie über den Kosten nach einem Wert von 41.420 € lagen. Es sei zu prüfen, ob der beigeordnete Rechtsanwalt den Festsetzungsbeschluss binnen der Frist des § 55 Abs. 3 Satz 2 FamGKG hätte anfechten müssen und das Unterlassen eventuell als anwaltliche Pflichtverletzung zu bewerten sei, welche gegebenenfalls die Einziehungspflicht der Staatskasse einschränke.

    Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nur in Höhe von 50,57 € hälftiger Geschäftsgebühren im Beratungshilfeverfahren abgeholfen und im Übrigen dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 Stellung genommen und auf den Wertfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts verwiesen.

    II.

    Die nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat teilweise Erfolg. Das Amtsgericht hat zutreffend eine Einmalzahlung aufgrund des Vermögenszuflusses an die Antragstellerin nach dem Verkauf des in ihrem Miteigentum stehenden Hauses angeordnet, weil dieser Vorgang eine wesentliche Veränderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne von § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Folge hatte. In diesem Fall soll das Gericht die Zahlungsanordnungen ändern und hat vorliegend zu Recht eine Einmalzahlung aus dem Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 ZPO angeordnet. Allerdings ist die Höhe der nachträglichen Zahlungsanordnung zu senken (dazu unter 1.), welche aber insbesondere in der abgesenkten Form unter Berücksichtigung der Umstände nicht als unzumutbar angesehen werden (dazu unter 2.).

    1. Der Bezirksrevisor hat zu Recht Bedenken gegen die Höhe der nachträglichen Zahlungsanordnung nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO angemeldet. Dabei muss die Einmalzahlung nach § 115 Abs. 3 ZPO die Kosten der Verfahrensführung der Antragstellerin abdecken, die zum einen aus den sie belastenden, bereits gerichtlich festgesetzten Kosten von 2.306,82 € bestehen und zum anderen die sog. Wahlanwaltsvergütung nach § 50 RVG in Höhe von 9.832,14 € berücksichtigt. Die Verfahrenskosten der Antragstellerin betragen danach insgesamt 12.138,96 €. Bei den gegebenen Umständen erweist sich diese Zahlungsanordnung jedoch mit Blick auf die anwaltlichen Gebühren von 9.832,14 € als überhöht.

    a) Bei der Bemessung der weiteren Anwaltsgebühren ist auf die bestandskräftige Wertfestsetzung des Amtsgerichts zu den Gerichtsgebühren abgestellt worden, wonach sich der Gegenstandswert des erstinstanzlichen Verfahrens und des Vergleichs auf 350.000 € beläuft. Diese Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG zugleich maßgeblich für die Bestimmung der anwaltlichen Gebühren. Eine nur für die anwaltlichen Gebühren auf Antrag denkbare Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG kommt aufgrund der Subsidiarität dieser Regelung und der identischen gerichtlichen und anwaltlichen Tätigkeit nicht in Betracht (vgl. hierzu Potthoff in Riedel/Süßbauer, RVG, 10. Aufl., §§ Rn. 9; Mayer in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 33 Rn. 3).

    Es handelt sich aber um einen offenkundig überhöht festgesetzten Gegenstandswert, weil er sich an dem geschätzten Verkaufswert der ehemals gemeinsamen Immobilie und nicht daran orientiert, worüber zwischen den Beteiligten eine Streitigkeit oder eine Ungewissheit im Verfahren bestand, die mit der Einigung beendet wurde (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., Anhang VI Vorbem. 88 m.w.N.). Insbesondere kommt es - anders als etwa für die Notargebühren - bei Vermögensauseinandersetzungen nicht auf den Wert der (anteilig) zu übertragenden Immobilie oder die zu übernehmenden Verbindlichkeiten an, wenn die Übertragung oder die Aufteilung des Erlöses aus dem Verkauf des Grundstücks zur Befriedigung von Ausgleichsansprüchen dient (Müller-Rabe, a.a.O. Vorbem. 766). Es ist auch nicht ersichtlich, dass zwischen den Beteiligten ungewiss oder streitig war, wer für mit der Immobilie zusammenhängenden Kreditverbindlichkeiten im Innenverhältnis haften sollte, was den Wert erhöhen könnte (vgl. Müller-Rabe, a.a.O. Vorbem. 767 f). Vielmehr hatte die Güterichterin in einem nachträglichen Vermerk zu den streitigen Positionen festgehalten, dass neben dem verfahrensgegenständlichen Unterhalt mit einem Wert von 18.420 € zugleich ein Zugewinnausgleichsanspruch und die Modalitäten des Immobilienverkaufs verhandelt wurden, wofür 23.000 € anzusetzen seien.

    Tatsächlich ist nach Ablauf der Fristen für eine Änderung des Gegenstandswer-tes nach § 55 Abs. 3 FamGKG kein Spielraum für eine gerichtliche Neufestsetzung dieses Wertes mehr gegeben. Die Festsetzung ist damit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 32 Abs. 1 RVG - sei sie überhöht oder zu niedrig bemessen - zugleich bindend für den Rechtsanwalt und seinen Auftraggeber (vgl. N. Schneider in Schneider/Vopert/Fölsch, FamGKG, 3 Aufl., Anlage 2 Rn. 5). Wegen der Gerichtskosten hat die Justizverwaltung allerdings die fehlerhafte Wertfestsetzung zugunsten der Verfahrensbeteiligten dadurch korrigiert, dass diese teilweise nach § 20 Abs. 1, Abs. 2 FamGKG niedergeschlagen wurden.

    b) Obwohl die Kosten der Verfahrensführung der Antragstellerin damit an sich zutreffend nach dem festgesetzten Wert berechnet worden sind, können diese ausnahmsweise nur eingeschränkt bei der nachträglichen Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO berücksichtigt werden. Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist die Staatskasse nicht zur vollständigen Einziehung der vom beigeordneten Rechtsanwalt begehrten Wahlanwaltsvergütung in Höhe von weiteren 9.832,14 € verpflichtet. Dies gilt, obgleich die Regelung des § 120a Abs. 1 ZPO als Soll-Vorschrift formuliert ist und das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel einen Änderungsbeschluss zu treffen hat. Bei atypischen Konstellationen bleibt dem Gericht aber ausnahmeweise ein geringer Ermessensspielraum, von der Änderung der zu leistenden Zahlungen abzusehen (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 33 zu § 120a neu; BeckOK-ZPO/Reichling, Stand: 1.9.2020, § 120 a Rn. 1).

    Im Streitfall liegt eine solche atypische Konstellation vor, weil der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich evident weit überhöht festgesetzt worden ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum Gegenstandswert unter 1. a) verwiesen. Der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts vom 29. November 2018 ist damals nur den Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden, sodass fraglich ist, ob die Mandanten hiervon überhaupt Kenntnis erlangt haben. Jedenfalls gab es ausreichenden Anlass für die Anwälte, aufgrund der auf der Hand liegenden Fehlerhaftigkeit des Wertes zulasten der Mandanten, eine Änderung der Entscheidung nach § 55 Abs. 3 FamGKG herbeizuführen. Beiden Beteiligten war in dem Verfahren eine ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden, sodass sie selbst die überhöhte Wertfestsetzung jedenfalls vorerst nicht zu spüren bekamen. Es lag somit im Verantwortungsbereich der Anwälte, die Wertfestsetzung gerichtlich überprüfen zu lassen. Angesichts der vorwerfbaren Untätig-keit der Anwälte ist die Staatskasse bei diesen Umständen ausnahmsweise nicht verpflichtet, eine überhöhte Vergütungsforderung über eine nachträgliche Zahlungsanordnung gegenüber den Beteiligten nach § 120a ZPO beizutreiben.

    Dabei verkennt der Senat nicht, dass es grundsätzlich eine gerichtliche Einziehungspflicht nach § 50 Abs. 1 RVG für die Wahlanwaltsvergütung gibt (s. BT-Drucks. 15/1971 S. 201 zu § 50 RVG), die durch eine nachträgliche Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO gegebenenfalls realisiert werden kann. Die Vorschrift des § 50 RVG enthält eine materielle Anspruchsgrundlage für den beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse, dem nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine Geltendmachung der Vergütung gegenüber seiner Partei untersagt ist. Zum Ausgleich der regelmäßig niedrigeren Vergütungssätze des beigeordneten Anwalts entsteht ein Anspruch auf die Regelvergütung eines Wahlanwalts nach § 50 RVG, sofern die monatlichen Ratenzahlungen oder eine Einmalzahlung des Beteiligten nach § 115 Abs. 1, Abs. 3 ZPO die gerichtlichen Kosten und VKH-Vergütungsansprüche des beigeordneten Anwalts übersteigen.

    Die Staatskasse fungiert dabei fiduziarisch für den beigeordneten Rechtsanwalt wie eine Zahlstelle, die Gelder in Empfang nimmt und weiterleitet, wobei die Staatskasse darüber hinaus auch für die Durchsetzung der Ratenzahlungen beziehungsweise der Einmalzahlung gegenüber dem Mandanten sorgt (Klees in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 50 Rn. 5). Es handelt sich bei der Einziehungspflicht nach § 50 Abs. 1 RVG nach allgemeinem Verständnis um eine Muss-Vorschrift, welche eine Amtspflicht der Staatskasse vorsieht und die bei einer Missachtung zu Schadenersatzansprüchen führen könnte (vgl. Sommerfeldt in BeckOK, RVG, Stand: 1.9.2020, § 50 Rn. 13.1; Müller-Rabe, a.a.O., § 50 Rn. 15; Klees in Mayer/ Kroiß, a.a.O. Rn. 14; Schneider/Wolf/Fölsch, RVG, § 50 Rn. 22; Hartung in Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl. § 50 Rn. 13; LG Mainz, AnwBl. 2003, 374; LAG Köln, MDR 1990, 365 und MDR 1997, 108).

    Die Einziehungspflicht der Staatskasse zielt also darauf ab, eine Schlechterstellung von beigeordneten Anwälten zu mildern, sodass bei einer Verbesserung der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Mandanten in der Regel eine neue Zahlungsbestimmung nach § 120a ZPO getroffen werden soll, damit die Staatskasse zugunsten des Rechtsanwalts den Differenzbetrag einziehen kann (Klees in Mayer/Kroiß, a.a.O. § 50 Rn. 13). Dieser Schutzzweck des Regelungswerkes wird nicht unterlaufen, wenn eine weitere Anwaltsvergütung zum Nachteil des beigeordneten Rechtsanwalts insoweit nicht bei der Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO berücksichtigt wird, als diese auch beim Wahlanwalt nicht abzurechnen gewesen wäre. In einem solchen Fall hätte der Auftraggeber etwa im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG den vom Anwalt zugrunde gelegten Gegenstandswert bestreiten können, sodass dieses Verfahren nach Abs. 4 auszusetzen gewesen wäre und der nach § 32 Abs. 1 RVG maßgebliche Wert des Gerichtsverfahrens jedenfalls binnen der sechsmonatigen Überprüfungsfrist nach § 55 Abs. 3 FamGKG hätte geändert werden können. Im Falle des Fristablaufs hätte gegebenenfalls der Einwand der Pflichtverletzung des Anwalts mit dem Vorwurf erhoben werden können, dieser habe den evident fehlerhaften Gegenstandswert nicht rechtzeitig angegriffen, was zur Ablehnung der Vergütungsfestsetzung nach § 11 Abs. 5 RVG führen würde (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, a.a.O § 11 Rn. 142 zu „Schadenersatz“).

    Die gleichen Möglichkeiten müssen für eine bedürftige Partei gelten, die erst nach einer später erfolgenden Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO durch die überhöhte Wertfestsetzung mit der weiteren Vergütung des Anwalts nach § 50 Abs. 1 RVG finanziell belastet wird. Jedenfalls bei derart eindeutigen Fällen wie vorliegend kann ausnahmsweise keine Verpflichtung der Staatskasse bestehen, eine deutlich überhöhte Wahlanwaltsvergütung mittels der Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO durchzusetzen.

    c) Die Höhe der Zahlungsanordnung nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1, § 115 Abs. 3 ZPO kann somit lediglich die Verfahrenskosten der Antragstellerin umfassen, die auf der Grundlage des zutreffenden Gegenstandswerts von 41.420 € für die weitere Anwaltsvergütung beruhen. Damit ergibt sich ein für die Verfahrenskosten der Antragstellerin anzuordnender Zahlungsbetrag von insgesamt 5.787,34 €.

    Diese errechnet sich hinsichtlich der Anwaltsvergütung wie folgt:
     
    1,3 Verfahrensgebühr    18.420,00 €    904,80 €
    0,8 Differenzverfahrensgebühr    41.420,00 €    870,40 €
            1.775,20 €
    1,2 Termingebühr    41.420,00 €    1.305,60 €
    1,0 Einigungsgebühr    18.420,00 €    696,00 €
    1,5 Einigungsgebühr    41.420,00 €    1.632,00 €
    Ausgleich nach § 15 Abs. 3 RVG        -696,00 €
    Pauschale Nr. 7002 VV        20,00 €
            2.957,60 €
    Zwischensumme        4.732,80 €
    Anrechnung hälftige Geschäftsgebühr    -42,50 €
            4.690,30 €
    zzgl. 19% Umsatzsteuer        891,16 €
    Gesamtbetrag Regelgebühren        5.581,46 €

    Hinzu kommt der hälftige Anteil der Antragstellerin für die Gerichtskosten, welcher sich nach der Kostenrechnung vom 3. Juni 2020 auf 159,50 € zuzüglich 46,38 €, insgesamt also auf 205,88 € belaufen. Die Verfahrenskosten der Antragstellerin betragen damit insgesamt 5.787,34 €.

    2. Die nachträgliche Anordnung der Einmalzahlung aus dem der Antragstellerin zugeflossenen Erlös des Hauses kann - insbesondere nach der erfolgten Verringerung auf nur noch 5.787,34 € - nach den ersichtlichen Umständen nicht als unzumutbar im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO bewertet werden. Die Grenzen der Zumutbarkeit für einen Vermögenseinatz ergeben sich nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO aus der entsprechenden Anwendung des Katalogs von § 90 Abs. 2 SGB XII sowie der Härteklausel von § 90 Abs. 3 SGB XII. Vorliegend unterliegt der Vermögenszufluss von 60.000 € deutlich oberhalb des Schonvermögens im Sinne von § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und unterliegt auch keinem sonstigen Fall besonders geschützter Vermögenswerte.

    Ebenso wenig ist eine besondere Härte für die Antragstellerin gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII dadurch ersichtlich, dass sie 5.787,34 € vom Verkaufserlös für die Verfahrenskosten einzusetzen hat. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen könnte hierüber der Einsatz von Vermögenswerten als unzumutbar angesehen werden (vgl. MK-ZPO/Wache, 6. Aufl., § 115 Rn. 71), wofür vorliegend jegliche Anhaltspunkte fehlen. Es handelt sich bei objektiver Betrachtung lediglich um einen Bruchteil des Gesamterlöses, von dem ihr mehr als 54.000 € zum eigenen Verbrauch verbleiben. Hieraus wird sie ihren angemessenen Lebensbedarf längerfristig bestreiten können, zumal sie nichts Konkretes zu den sonstigen Vermögensverhältnissen sowie persönlichen Umständen angegeben hat. Soweit aus ihren Angaben auf eine aktuelle Arbeitslosigkeit geschlossen werden kann, handelt es sich offenbar um einen vorübergehenden Zustand, weil sie selbst vorgetragen hat, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit anzustreben.

    3. Von der Erhebung der Gerichtsgebühr gemäß Ziffer 1912 Kostenverzeichnis zum FamGKG wird abgesehen.

    RechtsgebietFamilienrechtVorschriften§ 120a Abs. 1, § 115 Abs. 3 ZPO, § 50 Abs. 1 RVG