02.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220271
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 29.12.2020 – 10 WF 168/20
1. Einigen sich die Beteiligten in einem Verfahren über den eigentlichen Streitgegenstand hinausgehend auf die Veräußerung der gemeinsamen Immobilie, richtet sich der Gegenstandswert im Verfahren nicht nach dem geschätzten Verkaufswert des Objekts, sondern danach, worüber zwischen den Beteiligten eine Streitigkeit oder eine Ungewissheit im Verfahren bestand, die mit der Einigung beendet wurde.
2. Jedenfalls in Fällen, in denen ein offenkundig falscher, aber inzwischen bestandskräftiger Wertfestsetzungsbeschluss vorliegt, ist die Staatskasse ausnahmsweise nicht dazu verpflichtet, eine aus diesem Grund deutlich überhöhte Wahlanwaltsvergütung nach § 50 Abs. 1 RVG mittels einer nachträglichen Zahlungsanordnung nach § 120a Abs. 1 ZPO zulasten des Beteiligten durchzusetzen.
10 WF 168/20
605 F 1636/17 Amtsgericht Hannover
In der Familiensache
E. Y., ...,
Antragstellerin und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt U., ...,
gegen
M. Y., ...,
Antragsgegner,
wird auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 11. September 2020 teilweise geändert und in Abänderung des Verfahrenskostenhilfebeschlusses vom 24. Mai 2017 da-hingehend gefasst, dass eine Zahlung aus ihrem Vermögen in Höhe von 5.787,34 € angeordnet wird, die spätestens bis zum 31. Januar 2021 zu leisten ist. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Von der Erhebung von Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.
Gründe:
Nachdem die Immobilie der Beteiligten am 13. Juni 2019 veräußert worden ist und der Antragstellerin aus dem Erlös 60.000 € zugeflossen sind, hat ihr damaliger Verfahrensbevollmächtigte die nachträgliche Festsetzung der Regelvergütung nach § 50 RVG in Höhe von 11.983,66 € abzüglich der VKH-Vergütung nach § 49 RVG in Höhe von 1.089,44 € sowie 1.011,50 €, also von 9.882,71 € begehrt. Mit Verfügung vom 16. Dezember 2019 ist die Antragstellerin durch die Rechtspflegerin darauf hingewiesen worden, dass die Anordnung einer Einmalzahlung zur Begleichung ihrer Verfahrenskosten aus dem zwischenzeitlichen Vermögenszufluss beabsichtigt sei. Nach Berechnung dieser Verfahrenskosten wurde ergänzend mit Verfügung vom 4. Juni 2020 mitgeteilt, dass sich die Einmalzahlung voraussichtlich auf 12.189,53 € (zusammengesetzt aus 2.306,82 € anteiliger Gerichtskosten sowie der anwaltlichen VKH-Vergütung und 9.882,71 € Wahlanwaltskosten nach § 50 RVG) belaufen werde. In ihrer Stellungnahme hat die Antragstellerin statt einer Einmalzahlung um die Anordnung von Raten gebeten, weil sie aus dem Vermögen ihren allgemeinen Lebensunterhalt sowie denjenigen der beiden Kinder bestreiten müsse. Diesem Ansinnen ist ihr Verfahrensbevollmächtigter mit Schriftsatz vom 8. September 2020 entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 11. September 2020 hat das Amtsgericht eine Nachzahlungsanordnung in Höhe von 12.189,53 € nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 ZPO gegenüber der Antragstellerin erlassen, welche bis zum 15. Oktober 2020 an die Gerichtskasse zu leisten sei. Das erworbene Vermögen aus dem Verkauf des Hauses überschreite deutlich das Schonvermögen von 5.000 € und eine Ratenzahlung könne mangels Zustimmung ihres Verfahrensbevollmächtigten nicht angeordnet werden.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 19. Oktober 2020 eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit welcher sie ihr Begehren nach einer Ratenzahlungsanordnung aus den bereits vorgetragenen Gründen weiterverfolgt. Ihr sei es nicht zumutbar, das erworbene Vermögen zur Zahlung der Verfahrenskosten einzusetzen, weil sie als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern ohne andere Unterstützung auf diese Einnahmequelle angewiesen sei. Sie müsste andernfalls Sozialhilfeleistungen beantragen.
Der Bezirksrevisor hat in seiner Stellungnahme zur Beschwerde vom 2. Novem-ber 2020 ausgeführt, dass die Nachzahlungsanordnung weitestgehend zutreffend erfolgt sei. Sie sei lediglich um 42,50 € netto durch die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr zu reduzieren, die der Verfahrensbevollmächtigte für seine vorgerichtliche Tätigkeit im Wege der Beratungshilfe erhalten habe.
Eine nachträgliche Anordnung nach § 120a ZPO könne nur im Ausnahmefall des § 90 Abs. 3 SGB XII unterbleiben, wobei dessen Voraussetzungen angesichts des nach Abzug des Einmalbetrages noch verbleibenden Betrages von 47.861,04 € nicht erkennbar seien. Ein Anspruch auf Ratenzahlung bestünde nicht, zumal die Raten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO aus dem Einkommen zu bestreiten sei, welches die Antragstellerin derzeit nicht erziele.
Unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nur in Höhe von 50,57 € hälftiger Geschäftsgebühren im Beratungshilfeverfahren abgeholfen und im Übrigen dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 Stellung genommen und auf den Wertfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts verwiesen.
Die nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat teilweise Erfolg. Das Amtsgericht hat zutreffend eine Einmalzahlung aufgrund des Vermögenszuflusses an die Antragstellerin nach dem Verkauf des in ihrem Miteigentum stehenden Hauses angeordnet, weil dieser Vorgang eine wesentliche Veränderung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne von § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Folge hatte. In diesem Fall soll das Gericht die Zahlungsanordnungen ändern und hat vorliegend zu Recht eine Einmalzahlung aus dem Vermögen gemäß § 115 Abs. 3 ZPO angeordnet. Allerdings ist die Höhe der nachträglichen Zahlungsanordnung zu senken (dazu unter 1.), welche aber insbesondere in der abgesenkten Form unter Berücksichtigung der Umstände nicht als unzumutbar angesehen werden (dazu unter 2.).
a) Bei der Bemessung der weiteren Anwaltsgebühren ist auf die bestandskräftige Wertfestsetzung des Amtsgerichts zu den Gerichtsgebühren abgestellt worden, wonach sich der Gegenstandswert des erstinstanzlichen Verfahrens und des Vergleichs auf 350.000 € beläuft. Diese Entscheidung ist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG zugleich maßgeblich für die Bestimmung der anwaltlichen Gebühren. Eine nur für die anwaltlichen Gebühren auf Antrag denkbare Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG kommt aufgrund der Subsidiarität dieser Regelung und der identischen gerichtlichen und anwaltlichen Tätigkeit nicht in Betracht (vgl. hierzu Potthoff in Riedel/Süßbauer, RVG, 10. Aufl., §§ Rn. 9; Mayer in Gerold/Schmidt, a.a.O., § 33 Rn. 3).
b) Obwohl die Kosten der Verfahrensführung der Antragstellerin damit an sich zutreffend nach dem festgesetzten Wert berechnet worden sind, können diese ausnahmsweise nur eingeschränkt bei der nachträglichen Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO berücksichtigt werden. Angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist die Staatskasse nicht zur vollständigen Einziehung der vom beigeordneten Rechtsanwalt begehrten Wahlanwaltsvergütung in Höhe von weiteren 9.832,14 € verpflichtet. Dies gilt, obgleich die Regelung des § 120a Abs. 1 ZPO als Soll-Vorschrift formuliert ist und das Gericht bei Vorliegen der Voraussetzungen in der Regel einen Änderungsbeschluss zu treffen hat. Bei atypischen Konstellationen bleibt dem Gericht aber ausnahmeweise ein geringer Ermessensspielraum, von der Änderung der zu leistenden Zahlungen abzusehen (vgl. BT-Drucks. 17/11472, S. 33 zu § 120a neu; BeckOK-ZPO/Reichling, Stand: 1.9.2020, § 120 a Rn. 1).
Im Streitfall liegt eine solche atypische Konstellation vor, weil der Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich evident weit überhöht festgesetzt worden ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zum Gegenstandswert unter 1. a) verwiesen. Der Festsetzungsbeschluss des Amtsgerichts vom 29. November 2018 ist damals nur den Verfahrensbevollmächtigten zugestellt worden, sodass fraglich ist, ob die Mandanten hiervon überhaupt Kenntnis erlangt haben. Jedenfalls gab es ausreichenden Anlass für die Anwälte, aufgrund der auf der Hand liegenden Fehlerhaftigkeit des Wertes zulasten der Mandanten, eine Änderung der Entscheidung nach § 55 Abs. 3 FamGKG herbeizuführen. Beiden Beteiligten war in dem Verfahren eine ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden, sodass sie selbst die überhöhte Wertfestsetzung jedenfalls vorerst nicht zu spüren bekamen. Es lag somit im Verantwortungsbereich der Anwälte, die Wertfestsetzung gerichtlich überprüfen zu lassen. Angesichts der vorwerfbaren Untätig-keit der Anwälte ist die Staatskasse bei diesen Umständen ausnahmsweise nicht verpflichtet, eine überhöhte Vergütungsforderung über eine nachträgliche Zahlungsanordnung gegenüber den Beteiligten nach § 120a ZPO beizutreiben.
Die Einziehungspflicht der Staatskasse zielt also darauf ab, eine Schlechterstellung von beigeordneten Anwälten zu mildern, sodass bei einer Verbesserung der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse des Mandanten in der Regel eine neue Zahlungsbestimmung nach § 120a ZPO getroffen werden soll, damit die Staatskasse zugunsten des Rechtsanwalts den Differenzbetrag einziehen kann (Klees in Mayer/Kroiß, a.a.O. § 50 Rn. 13). Dieser Schutzzweck des Regelungswerkes wird nicht unterlaufen, wenn eine weitere Anwaltsvergütung zum Nachteil des beigeordneten Rechtsanwalts insoweit nicht bei der Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO berücksichtigt wird, als diese auch beim Wahlanwalt nicht abzurechnen gewesen wäre. In einem solchen Fall hätte der Auftraggeber etwa im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG den vom Anwalt zugrunde gelegten Gegenstandswert bestreiten können, sodass dieses Verfahren nach Abs. 4 auszusetzen gewesen wäre und der nach § 32 Abs. 1 RVG maßgebliche Wert des Gerichtsverfahrens jedenfalls binnen der sechsmonatigen Überprüfungsfrist nach § 55 Abs. 3 FamGKG hätte geändert werden können. Im Falle des Fristablaufs hätte gegebenenfalls der Einwand der Pflichtverletzung des Anwalts mit dem Vorwurf erhoben werden können, dieser habe den evident fehlerhaften Gegenstandswert nicht rechtzeitig angegriffen, was zur Ablehnung der Vergütungsfestsetzung nach § 11 Abs. 5 RVG führen würde (vgl. Mayer in Mayer/Kroiß, a.a.O § 11 Rn. 142 zu „Schadenersatz“).
Die gleichen Möglichkeiten müssen für eine bedürftige Partei gelten, die erst nach einer später erfolgenden Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO durch die überhöhte Wertfestsetzung mit der weiteren Vergütung des Anwalts nach § 50 Abs. 1 RVG finanziell belastet wird. Jedenfalls bei derart eindeutigen Fällen wie vorliegend kann ausnahmsweise keine Verpflichtung der Staatskasse bestehen, eine deutlich überhöhte Wahlanwaltsvergütung mittels der Zahlungsanordnung nach § 120a ZPO durchzusetzen.
c) Die Höhe der Zahlungsanordnung nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 120a Abs. 1, § 115 Abs. 3 ZPO kann somit lediglich die Verfahrenskosten der Antragstellerin umfassen, die auf der Grundlage des zutreffenden Gegenstandswerts von 41.420 € für die weitere Anwaltsvergütung beruhen. Damit ergibt sich ein für die Verfahrenskosten der Antragstellerin anzuordnender Zahlungsbetrag von insgesamt 5.787,34 €.
Diese errechnet sich hinsichtlich der Anwaltsvergütung wie folgt:
1,3 Verfahrensgebühr 18.420,00 € 904,80 €
0,8 Differenzverfahrensgebühr 41.420,00 € 870,40 €
1.775,20 €
1,2 Termingebühr 41.420,00 € 1.305,60 €
1,0 Einigungsgebühr 18.420,00 € 696,00 €
1,5 Einigungsgebühr 41.420,00 € 1.632,00 €
Ausgleich nach § 15 Abs. 3 RVG -696,00 €
Pauschale Nr. 7002 VV 20,00 €
2.957,60 €
Zwischensumme 4.732,80 €
Anrechnung hälftige Geschäftsgebühr -42,50 €
4.690,30 €
zzgl. 19% Umsatzsteuer 891,16 €
Gesamtbetrag Regelgebühren 5.581,46 €
Hinzu kommt der hälftige Anteil der Antragstellerin für die Gerichtskosten, welcher sich nach der Kostenrechnung vom 3. Juni 2020 auf 159,50 € zuzüglich 46,38 €, insgesamt also auf 205,88 € belaufen. Die Verfahrenskosten der Antragstellerin betragen damit insgesamt 5.787,34 €.
2. Die nachträgliche Anordnung der Einmalzahlung aus dem der Antragstellerin zugeflossenen Erlös des Hauses kann - insbesondere nach der erfolgten Verringerung auf nur noch 5.787,34 € - nach den ersichtlichen Umständen nicht als unzumutbar im Sinne von § 115 Abs. 3 ZPO bewertet werden. Die Grenzen der Zumutbarkeit für einen Vermögenseinatz ergeben sich nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO aus der entsprechenden Anwendung des Katalogs von § 90 Abs. 2 SGB XII sowie der Härteklausel von § 90 Abs. 3 SGB XII. Vorliegend unterliegt der Vermögenszufluss von 60.000 € deutlich oberhalb des Schonvermögens im Sinne von § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII und unterliegt auch keinem sonstigen Fall besonders geschützter Vermögenswerte.
Ebenso wenig ist eine besondere Härte für die Antragstellerin gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII dadurch ersichtlich, dass sie 5.787,34 € vom Verkaufserlös für die Verfahrenskosten einzusetzen hat. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen könnte hierüber der Einsatz von Vermögenswerten als unzumutbar angesehen werden (vgl. MK-ZPO/Wache, 6. Aufl., § 115 Rn. 71), wofür vorliegend jegliche Anhaltspunkte fehlen. Es handelt sich bei objektiver Betrachtung lediglich um einen Bruchteil des Gesamterlöses, von dem ihr mehr als 54.000 € zum eigenen Verbrauch verbleiben. Hieraus wird sie ihren angemessenen Lebensbedarf längerfristig bestreiten können, zumal sie nichts Konkretes zu den sonstigen Vermögensverhältnissen sowie persönlichen Umständen angegeben hat. Soweit aus ihren Angaben auf eine aktuelle Arbeitslosigkeit geschlossen werden kann, handelt es sich offenbar um einen vorübergehenden Zustand, weil sie selbst vorgetragen hat, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit anzustreben.
3. Von der Erhebung der Gerichtsgebühr gemäß Ziffer 1912 Kostenverzeichnis zum FamGKG wird abgesehen.