02.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220272
Landgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 11.01.2021 – 14 O 145/20
1. Wird im Kostenfestsetzungsverfahren einer sofortigen Beschwerde vollständig abgeholfen, hat der Abhilfebeschluss eine Kostenentscheidung zu enthalten.
2. Ein Absehen von einer Kostenentscheidung kommt nicht in Betracht, wenn der gerichtliche Fehler des Kostenfestsetzungsbeschlusses nicht ausschließlich in der Sphäre des Gerichts liegt (Abgrenzung zu OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 3. 8. 1999 - 1 WF 143/9).
3. §§ 92 Abs. 1 Satz 1 1.Alt., 93 ZPO sind nicht analog anzuwenden, wenn der Kostenfestsetzungsbeschluss allein aufgrund eines gerichtlichen Irrtums fehlerhaft ist.
LG Frankfurt
14. Zivilkammer
11.01.2021
Tenor
Die Erinnerung des Klägers vom 11. November 2020 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Antrag vom 11. September 2020 beantragte der Kläger auf Grundlage des zwischen den Parteien geschlossenen gerichtlichen Vergleichs vom 11. August 2020 die Kostenausgleichung. Er teilte einen Gesamtbetrag von 3.536,51 € an entstandenen Kosten mit und beantragte die Festsetzung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz. In diesem Gesamtbetrag waren nach Bildung einer Zwischensumme Gerichtskosten in Höhe von 801 € als Rechnungsposten gesondert ausgewiesen. Sodann findet sich der Satz: „Evtl. weiter gezahlte Beträge bitte ich hinzuzusetzen und nicht verbrauchte Gerichtskosten an mich zurückzuerstatten.“
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. September 2020 setzte die Rechtspflegerin die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 949,03 € fest. Dabei wurden zugunsten des Klägers irrig die Gerichtskosten von 801 € sowohl als außergerichtliche Kosten angesetzt als auch eine Rückzahlung des Gerichtskostenvorschusses in Höhe von 508 € angeordnet. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten vom 2. Oktober 2020 wies die Rechtspflegerin die Parteien auf diesen Irrtum hin und kündigte an, der sofortigen Beschwerde abhelfen zu wollen. Reaktionen von Seiten der Parteien erfolgten nicht. Mit Beschluss vom 5. November 2020 half der Rechtspfleger der sofortigen Beschwerde ab und setzte die von der Klägerseite zu erstattenden Kosten auf 1.165,30 € fest. Zudem legte er die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Kläger auf.
Gegen diesen ihn am 10. November 2020 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 12. November 2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Er wendet sich gegen die Kostenentscheidung mit Abhilfebeschluss vom 5. November 2020. Für die fälschliche Hinzusetzung der Gerichtskosten zu seinen außergerichtlichen sei er nicht verantwortlich. Für den Fehler des Gerichts könne er nicht mit Kosten belastet werden. Der Rechtspfleger hat mit Beschluss vom 17. November 2020 die sofortige Beschwerde als sofortige Erinnerung ausgelegt und dieser nicht abgeholfen.
II.
Die als Erinnerung auszulegende sofortige Beschwerde vom 12. November 2020 ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Die sofortige Beschwerde vom 12. November 2020 ist als Erinnerung nach § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG auszulegen. Denn ein zulässiges Rechtsmittel nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften ist nicht gegeben. Die Beschwer des Klägers durch die Kostenentscheidung im Abhilfebeschluss vom 5. November 2020 liegt bei 22,50 €, wie der Rechtspfleger im Nichtabhilfebeschluss vom 17. November 2020 zutreffend dargelegt hat. Dies schließt die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 2 ZPO aus.
2. Die Erinnerung ist unbegründet, da sich die angegriffene Kostenentscheidung als zutreffend erweist.
a) Wird einer sofortigen Beschwerde vollständig abgeholfen, hat der Abhilfebeschluss grundsätzlich eine Kostenentscheidung zu enthalten (BeckOK ZPO/Wulf, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 572 Rn. 9). Dies gilt auch bei der Abhilfe einer sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 12. September 2002 ‒ 4 W 54/02, MDR 2000, 480; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 104 ZPO, Rn. 21.3).
b) Allerdings wird vertreten, eine Kostenentscheidung im Abhilfeverfahren habe zu unterbleiben, wenn der mit der sofortigen Beschwerde angegriffene Fehler in der Sphäre des Gerichts ‒ etwa in einem Berechnungsfehler ‒ liege, mithin von den Parteien nicht beeinflussbar sei, und sich die Gegenseite zur sofortigen Beschwerde nicht verhalte (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 3. 8. 1999 - 1 WF 143/99, NJW-RR 2000, 362; Musielak/Voit/Flockenhaus, 17. Aufl. 2020, ZPO § 104 Rn. 32; ablehnend BeckOK ZPO/Jaspersen, 38. Ed. 1.9.2020, ZPO § 104 Rn. 80a). Bei einem von keinen der Parteien beeinflussten Fehler des Gerichts fehle es an einem Gegner im Beschwerdeverfahren, wenn diejenige Partei, zu deren Lasten der Kostenfestsetzungsbeschluss abgeändert werde, nicht widerspreche.
aa) Beim Kostenfestsetzungsverfahren handelt es sich um ein kontradiktorisches Verfahren (BGH, Beschl. v. 22.10.2013 ‒ II ZB 4/13, NJW-RR 2014, 186, 188, Tz. 21). Vor diesem Hintergrund scheint die Überlegung, es fehle an einem Gegner im Beschwerdeverfahren, wenn die Gegenseite nicht reagiere, eher zweifelhaft (vgl. KG, Beschl. v. 29.7.2003 ‒ 1 W 291/03, KGR Berlin 2004, 69). Denn die Parteistellung in einem kontradiktorischen Verfahren ist nicht dadurch bedingt, dass sich die Partei im Verfahren äußert. Zudem hängt in kontradiktorischen Rechtsbehelfsverfahren die Kostentragungspflicht des Rechtsbehelfsgegners nicht davon ab, dass die Fehlerhaftigkeit der angegriffenen Ausgangsentscheidung vom Rechtsbehelfsgegner ‒ durch Vortrag oder sonstiges Verhalten ‒ kausal verursacht wurde.
bb) Indes bedarf dies vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, weil der vorliegende Sachverhalt anders gelagert ist als derjenige der Entscheidung des OLG Frankfurt am Main, a. a. O. In der dortigen Entscheidung war in der Ausgangsentscheidung die Kostenquotelung der Kostengrundentscheidung missverstanden worden. Vorliegend sind die Gerichtskosten irrtümlich vollständig bei den Auslagen der Klägerin angesetzt worden.
Dieser Irrtum hat auch seinen Grund im klägerischen Kostenfestsetzungsantrag und liegt damit ‒ anders als das Missverstehen einer Kostengrundentscheidung ‒ nicht ausschließlich in der Sphäre des Gerichts (vgl. insoweit OLG Nürnberg, Beschl. v. 2. 8. 1999 - 1 W 2438/99, NJW-RR 2000, 141 zum einem zu weit gehenden Kostenerstattungsantrag). Denn in dem klägerischen Kostenfestsetzungsantrag wurden einerseits die gesamten Gerichtskosten als gegen den Gegner festzusetzende Auslagen geltend gemacht und in die Gesamtsumme der eingerechnet, deren Verzinsung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Antragstellung begehrt wurde. Andererseits wurde beantragt, nicht verbrauchte Gerichtskosten zurückzuerstatten. Es ist indes nicht möglich, einerseits nicht verbrauchte Gerichtskosten erstattet zu erhalten, andererseits aber die Gerichtskosten in voller Höhe als Auslagen gegen den Gegner festsetzen zu lassen. Festsetzungsfähig sind vielmehr nur Vorschüsse auf angefallene und verbrauchte Gerichtskosten. Werden Gerichtskosten erstattet, werden sie zudem nicht mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verzinst.
c) Auch sind §§ 92 Abs. 1 Satz 1 1.Alt., 93 ZPO nicht mit der Folge analog anzuwenden, dass Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattungsfähig wären (so aber LG Halle, Beschl. v. 25.1.2000 ‒ 14 T 562/99, MDR 2000, 480; dem folgend LG Bielefeld, Beschl. v. 7.6.2017 - 3 O 27/16, BeckRS 2017, 134124). Der Erwägung einer analogen Anwendung des § 93 ZPO liegt der Gedanke zugrunde, dass den Anlass zur Beschwerde nicht das Verhalten des Antragsgegners, sondern allein das Fehlverhalten des Gerichts gesetzt habe. Ein ausdrückliches Anerkenntnis sei entbehrlich, da auch ein ausdrücklich erklärtes Anerkenntnis keine anderen Folgen als Schweigen habe (LG Halle, a. a.O.). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 93 ZPO sind in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht gegeben.
Die Bestimmung des § 93 ZPO durchbricht den Grundsatz des § 91 ZPO aus Billigkeitsgründen. Sie ist Ausprägung des das Kostenrecht beherrschenden Veranlasserprinzips. Der Kläger ist Veranlasser der Kosten, wenn er Klage erhebt, obgleich der Beklagte vorprozessual kein Klageanlass gegeben hat und ein sofortiges Anerkenntnis erklärt. Die Kosten sind in einem solchen Fall als vom Kläger veranlasst diesem zuzurechnen (vgl. MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020 Rn. 1, ZPO § 93 Rn. 1). Wer m. a. W. ohne Anlass zu Gericht geht, hat die Kosten zu tragen (Hüßtege, in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 93 Rn. 1). § 93 ZPO dient damit auch dem Schutz des Beklagten vor übereilten Klagen und der Vermeidung unnötiger Prozesse (BGH, Beschl. v. 30. 5. 2006 ‒ VI ZB 64/05, NJW 2006, 2490, 2491, Tz. 19; siehe auch Musielak/Voit/Flockenhaus, 17. Aufl. 2020, ZPO, § 93 Rn. 1).
Die Regelung des § 93 ZPO basiert auf der Prämisse, dass der Kläger keinen Anlass zur Klage hat, wenn der Beklagte ihm keinen Anlass zur Klage gibt bzw. dass der Kläger Anlass zur Klage hat, wenn der Beklagte ihm diesen Anlass gibt. Dass der Grundsatz des § 91 ZPO aus Billigkeitsgründen auch zu durchbrechen ist, wenn diese Parallelität nicht vorliegt, lässt sich § 93 ZPO nicht entnehmen. § 93 ZPO ist deshalb auf Konstellationen wie die vorliegende, in welcher die Beklagte Anlass zur Einlegung des Rechtsbehelfs zwecks Korrektur des inhaltlich unzutreffenden Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 18. September 2020 hatte, der Kläger ihr aber diesen Anlass nicht gegeben hatte, nicht analog anzuwenden.
Dem korrespondiert, dass der Normzweck des § 93 ZPO in der vorliegenden Konstellation nicht trägt. Denn der Beklagten blieb zur Korrektur des inhaltlich unzutreffenden Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 18. September 2020 nur die sofortige Beschwerde. Weder war der Kläger vor einer „übereilten“ sofortigen Beschwerde zu schützen, noch war die sofortige Beschwerde ein unnötiges Verfahren. Sie wäre es selbst dann nicht gewesen, wenn der Kläger im sofortigen Beschwerdeverfahren sein Einverständnis mit der Abhilfeentscheidung erklärt hätte.
d) Eine Niederschlagung von außergerichtlichen Kosten nach § 21 GKG ist nicht möglich. Insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im Nichtabhilfebeschluss vom 17. November 2020 verwiesen.
3. Eine Kostentscheidung war nicht veranlasst. Das Erinnerungsverfahren ist nach § 11 Abs. 4 RPflG gerichtsgebührenfrei. Anwaltsgebühren fallen nach § 19 Abs. 1 Nr. 5 RVG nicht an, da die Parteien von ihren bereits im Übrigen tätigen Prozessbevollmächtigten vertreten sind.
RechtsgebietZivilprozessrechtVorschriften§ 92 Abs. 1 S. 1 1. Alt; § 93 ZPO